1233: Der Johanniterorden in der Krone Aragón garantiert den Muslimen von Cervera ihr Siedlungsrecht: Unterschied zwischen den Versionen

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[§24] Diese Beobachtungen decken sich mit dem generellen Wissensstand zu beiden Funktionären: Die Befugnisse des vergleichsweise selten nachzuweisenden ''Saio''/''Saig'' betrafen hauptsächlich die Durchsetzung strafgerichtlicher Anordnungen in Vertretung des Landesherrn.<ref name="ftn45">In dieser Funktion begegnet 1266 auch ein christlicher Amtsträger in València (''Balansiya''): Guinot Rodríguez, Enric (Hrsg.):'' Pergamins, processos i cartes reials. Documentació dispersa valenciana del segle XIII'', València: PUV, 2010, Nr. 2, S. 34–35; siehe zudem weiterführend ''L’Islam'', Bd. 1, S. 353; und Burns, ''Colonialism'', S. 265, FN. 46.</ref> Das Amt des wesentlich häufiger anzutreffenden ''amīn'' umfasste in almohadischer Zeit vorrangig Aufgaben aus dem Bereich der Finanzverwaltung, so etwa die Eintreibung von Steuern innerhalb der Gemeinde. Unter christlicher Oberherrschaft weitete sich dieser Aufgabenbereich zunehmend in unterschiedliche, oft nur schwer zu greifende Richtungen aus, bis das Amt im 14./15. Jahrhundert zu einer hohen Führungsposition innerhalb der valèncianischen Aljamas wurde. In der hier relevanten Zeitspanne um die Mitte des 13. Jahrhunderts können wir den ''amīn'' bereits in zahlreichen Aljamas als wichtigsten Kontaktmann der Krone oder anderer Landesherren greifen, ohne dass generalisierende Aussagen über die Herkunft, die genauen Befugnisse oder das Ansehen der jeweiligen Amtsträger innerhalb der Gemeinde möglich wären. Im Gegenteil scheint das Recht zur Besetzung des Amtes zwischen der Krone, den Muslimen und den jeweiligen Landesherren stets hart umkämpft gewesen zu sein, wie sich an unterschiedlichen Übereinkünften für zahlreiche Siedlungszentren ablesen lässt.<ref name="ftn46">Vgl. etwa die königlichen Bestallungsurkunden für Amtsträger in Ibi (1261), Quart de Poblet (1262) und Chelva (1269), in: Burns (Hrsg.), ''Diplomatarium'', Bd. 2, Nr. 355, 399, S. 300–301, 342–343, Bd. 3, Nr. 871, S. 444, mit den Regelungen in den Ansiedlungsurkunden für Uixó (''Šūn'', 1250), Xàtiva (''Šāṭiba'', 1252) und Bunyol (''al-Bunyūl'', 1254), in: Guinot Rodríguez (Hrsg.), ''Cartes de Poblament'', Nr. 84, 96, 105, S. 224–226, 247–250, 265–266, sowie einem Streit zwischen der Krone und einem auf Zeit eingesetzten Landesherren (Pego/''Baġu'', 1259): Burns (Hrsg.), ''Diplomatarium'', Bd. 2, Nr. 218, S. 185. Vgl. zudem Burns, ''L’Islam'', Bd. 1, S. 362, Bd. 2, S. 140–146; Burns, ''Colonialism'', S. 248–254; Guichard, ''Al-Andalus'', S. 341–342, FN. 2; sowie aus einer weiteren Perspektive Cahen, Amīn.</ref>
[§24] Diese Beobachtungen decken sich mit dem generellen Wissensstand zu beiden Funktionären: Die Befugnisse des vergleichsweise selten nachzuweisenden ''Saio''/''Saig'' betrafen hauptsächlich die Durchsetzung strafgerichtlicher Anordnungen in Vertretung des Landesherrn.<ref name="ftn45">In dieser Funktion begegnet 1266 auch ein christlicher Amtsträger in València (''Balansiya''): Guinot Rodríguez, Enric (Hrsg.):'' Pergamins, processos i cartes reials. Documentació dispersa valenciana del segle XIII'', València: PUV, 2010, Nr. 2, S. 34–35; siehe zudem weiterführend ''L’Islam'', Bd. 1, S. 353; und Burns, ''Colonialism'', S. 265, FN. 46.</ref> Das Amt des wesentlich häufiger anzutreffenden ''amīn'' umfasste in almohadischer Zeit vorrangig Aufgaben aus dem Bereich der Finanzverwaltung, so etwa die Eintreibung von Steuern innerhalb der Gemeinde. Unter christlicher Oberherrschaft weitete sich dieser Aufgabenbereich zunehmend in unterschiedliche, oft nur schwer zu greifende Richtungen aus, bis das Amt im 14./15. Jahrhundert zu einer hohen Führungsposition innerhalb der valèncianischen Aljamas wurde. In der hier relevanten Zeitspanne um die Mitte des 13. Jahrhunderts können wir den ''amīn'' bereits in zahlreichen Aljamas als wichtigsten Kontaktmann der Krone oder anderer Landesherren greifen, ohne dass generalisierende Aussagen über die Herkunft, die genauen Befugnisse oder das Ansehen der jeweiligen Amtsträger innerhalb der Gemeinde möglich wären. Im Gegenteil scheint das Recht zur Besetzung des Amtes zwischen der Krone, den Muslimen und den jeweiligen Landesherren stets hart umkämpft gewesen zu sein, wie sich an unterschiedlichen Übereinkünften für zahlreiche Siedlungszentren ablesen lässt.<ref name="ftn46">Vgl. etwa die königlichen Bestallungsurkunden für Amtsträger in Ibi (1261), Quart de Poblet (1262) und Chelva (1269), in: Burns (Hrsg.), ''Diplomatarium'', Bd. 2, Nr. 355, 399, S. 300–301, 342–343, Bd. 3, Nr. 871, S. 444, mit den Regelungen in den Ansiedlungsurkunden für Uixó (''Šūn'', 1250), Xàtiva (''Šāṭiba'', 1252) und Bunyol (''al-Bunyūl'', 1254), in: Guinot Rodríguez (Hrsg.), ''Cartes de Poblament'', Nr. 84, 96, 105, S. 224–226, 247–250, 265–266, sowie einem Streit zwischen der Krone und einem auf Zeit eingesetzten Landesherren (Pego/''Baġu'', 1259): Burns (Hrsg.), ''Diplomatarium'', Bd. 2, Nr. 218, S. 185. Vgl. zudem Burns, ''L’Islam'', Bd. 1, S. 362, Bd. 2, S. 140–146; Burns, ''Colonialism'', S. 248–254; Guichard, ''Al-Andalus'', S. 341–342, FN. 2; sowie aus einer weiteren Perspektive Cahen, Amīn.</ref>


[§25] Über die weiteren Beziehungen zwischen dem Johanniterorden und den Muslimen von Cervera sind wir nur lückenhaft unterrichtet. Wie bereits erwähnt, erwirkte die Ordensführung 1235 eine erneute Besitzbestätigung durch die Krone<ref name="ftn47">Huici Miranda und Cabanes Pecourt (Hrsg.), Documentos, Bd. 1, Nr. 226, S. 372.</ref> und förderte die Ansiedlung christlicher Siedler in der Region über die Vergabe großzügiger Privilegien.<ref name="ftn48">Vgl. etwa Guinot Rodríguez (Hrsg.), ''Cartes de Poblament'', Nr. 12, 15, 21–22, 35, 82, S. 106–108, 111–113, 120–125, 146–147, 220–221.</ref> Auch die Beziehungen zur Führung der Aljama scheinen zunächst stabil geblieben zu sein, wie eine 1237 beurkundete Besitzübertragung von Ländereien im Umland der Siedlung an den örtlichen ''faqīh''(-''qāḍī'') verdeutlicht.<ref name="ftn49">García Edo, Actitud, App., Nr. 1, S. 316, ausgestellt für einen namentlich nicht genannten “alfachim de Cervaria“, dessen Identifizierung mit dem oben genannten Abinfaur/Ibn Fawwār hypothetisch bleiben muss.</ref> Aus den Jahrzehnten danach haben wir jedoch keine nennenswerten Informationen über die weitere Entwicklung der Gemeinde.
[§25] Über die weiteren Beziehungen zwischen dem Johanniterorden und den Muslimen von Cervera sind wir nur lückenhaft unterrichtet. Wie bereits erwähnt, erwirkte die Ordensführung 1235 eine erneute Besitzbestätigung durch die Krone<ref name="ftn47">Huici Miranda und Cabanes Pecourt (Hrsg.), Documentos, Bd. 1, Nr. 226, S. 372.</ref> und förderte die Ansiedlung christlicher Siedler in der Region über die Vergabe großzügiger Privilegien.<ref name="ftn48">Vgl. etwa Guinot Rodríguez (Hrsg.), ''Cartes de Poblament'', Nr. 12, 15, 21–22, 35, 82, S. 106–108, 111–113, 120–125, 146–147, 220–221.</ref> Auch die Beziehungen zur Führung der Aljama scheinen zunächst stabil geblieben zu sein, wie eine 1237 beurkundete Besitzübertragung von Ländereien im Umland der Siedlung an den örtlichen ''faqīh''(-''qāḍī'') verdeutlicht.<ref name="ftn49">García Edo, Actitud, App., Nr. 2, S. 316, ausgestellt für einen namentlich nicht genannten “alfachim de Cervaria“, dessen Identifizierung mit dem oben genannten Abinfaur/Ibn Fawwār hypothetisch bleiben muss.</ref> Aus den Jahrzehnten danach haben wir jedoch keine nennenswerten Informationen über die weitere Entwicklung der Gemeinde.


[§26] Abschließend kann resümiert werden, dass die Ansiedlungsurkunde für Cervera nicht nur unser Wissen über die Herrschaftsübernahme des Johanniterordens in der Comarca Baix Maestrat in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ergänzt, sondern auch ein gutes Beispiel für die generelle Beschaffenheit und Bedeutung dieser Quellengruppe darstellt. Wie an dieser Fallstudie gezeigt werden kann, stellten die ''Cartes de Poblament'', die heute fast ausschließlich abschriftlich oder in Übersetzung erhalten sind, die Endergebnisse zumeist hart geführter Aushandlungsprozesse dar, die die muslimischen Gemeinden des ''Šarq al-Andalus'' im Vorfeld ihrer Kapitulation mit den christlichen Eroberern führten. Die Verhandlungen über den Inhalt dieser Dokumente, aber auch ihre Ausfertigung und zeremonielle Übergabe wurden dabei von den beteiligten Akteuren zur Repräsentation von Rang, Einfluss und Macht genutzt. Obwohl die Ansiedlungsurkunden formal als Gunsterweise des Königs oder der Landesherren ausgestellt wurden, waren sie in ihren Inhalten maßgeblich durch die Forderungen und Ansprüche der muslimischen Seite mitgeprägt. Deutlich wird das vor allem an den in ihnen stipulierten Bestimmungen, die die wichtigsten Rahmenbedingungen für den zukünftigen Fortbestand der Gemeinde unter christlicher Oberherrschaft festlegten. In den Verhandlungen darüber vermochten es die muslimischen Führungseliten vielfach erfolgreich, das Recht zur eigenverantwortlichen Administration ihrer Gemeinde nach den etablierten islamischen Traditionen soweit wie möglich zu bewahren und den neuen Landesherren nur gerade soviel Konzessionen einzuräumen, wie diese als Mindestmaß einforderten. Obwohl die christlichen Herrschaftseliten die verbrieften Rechte der muslimischen Gemeinden in späteren Jahren nicht selten über urkundliche Erlasse, neu zusammengestellte Rechtskodifikationen oder neu ausgehandelte Ansiedlungsurkunden aushöhlten oder anderweitig übergingen, stellten die ''Cartes de Poblament'' über viele Jahrzehnte die rechtliche Basis für die Lebensbedingungen der Muslime in den verschiedenen Gemeinden dar, bis die religiöse Vielfalt im Verlauf des 15. und 16. Jahrhunderts in zunehmendem Maße unterdrückt wurde.
[§26] Abschließend kann resümiert werden, dass die Ansiedlungsurkunde für Cervera nicht nur unser Wissen über die Herrschaftsübernahme des Johanniterordens in der Comarca Baix Maestrat in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ergänzt, sondern auch ein gutes Beispiel für die generelle Beschaffenheit und Bedeutung dieser Quellengruppe darstellt. Wie an dieser Fallstudie gezeigt werden kann, stellten die ''Cartes de Poblament'', die heute fast ausschließlich abschriftlich oder in Übersetzung erhalten sind, die Endergebnisse zumeist hart geführter Aushandlungsprozesse dar, die die muslimischen Gemeinden des ''Šarq al-Andalus'' im Vorfeld ihrer Kapitulation mit den christlichen Eroberern führten. Die Verhandlungen über den Inhalt dieser Dokumente, aber auch ihre Ausfertigung und zeremonielle Übergabe wurden dabei von den beteiligten Akteuren zur Repräsentation von Rang, Einfluss und Macht genutzt. Obwohl die Ansiedlungsurkunden formal als Gunsterweise des Königs oder der Landesherren ausgestellt wurden, waren sie in ihren Inhalten maßgeblich durch die Forderungen und Ansprüche der muslimischen Seite mitgeprägt. Deutlich wird das vor allem an den in ihnen stipulierten Bestimmungen, die die wichtigsten Rahmenbedingungen für den zukünftigen Fortbestand der Gemeinde unter christlicher Oberherrschaft festlegten. In den Verhandlungen darüber vermochten es die muslimischen Führungseliten vielfach erfolgreich, das Recht zur eigenverantwortlichen Administration ihrer Gemeinde nach den etablierten islamischen Traditionen soweit wie möglich zu bewahren und den neuen Landesherren nur gerade soviel Konzessionen einzuräumen, wie diese als Mindestmaß einforderten. Obwohl die christlichen Herrschaftseliten die verbrieften Rechte der muslimischen Gemeinden in späteren Jahren nicht selten über urkundliche Erlasse, neu zusammengestellte Rechtskodifikationen oder neu ausgehandelte Ansiedlungsurkunden aushöhlten oder anderweitig übergingen, stellten die ''Cartes de Poblament'' über viele Jahrzehnte die rechtliche Basis für die Lebensbedingungen der Muslime in den verschiedenen Gemeinden dar, bis die religiöse Vielfalt im Verlauf des 15. und 16. Jahrhunderts in zunehmendem Maße unterdrückt wurde.
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