1269: Unterwerfung der Muslime Süditaliens unter Karl I. von Anjou: Unterschied zwischen den Versionen

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{{Kapitel LAT-DE TAB-5|Richard Engl|''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', Bd. 7: 1269-1272, ed. Iole Mazzoleni, Neapel: Presso l’Accademia, 1960, no. 1, S. 267-268, übers. Richard Engl.|5=== Autor/in & Werk:  ==
<br />{{Kapitel LAT-DE TAB-5|Richard Engl|''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', Bd. 7: 1269-1272, ed. Iole Mazzoleni, Neapel: Presso l’Accademia, 1960, no. 1, S. 267-268, übers. Richard Engl.|5=== Autor/in & Werk:  ==
Der Text entstammt einer seriellen Quelle, die für unsere Kenntnis über die Beziehungen von Christen und Muslimen in Süditalien im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts entscheidend ist: die lateinischen Register der Anjoukanzlei. Deren Bedeutung für die Erforschung interreligiöser Geschichte im Zentrum des Mittelmeerraumes resultiert insbesondere daraus, dass im christlichen Süditalien jener Zeit zwar eine zahlenstarke muslimische Minderheit lebte, diese aber so gut wie keine arabischen Schriftstücke hinterlassen hat, sodass die lateinische Überlieferung maßgeblich ist.
Der Text entstammt einer seriellen Quelle, die für unsere Kenntnis über die Beziehungen von Christen und Muslimen in Süditalien im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts entscheidend ist: die lateinischen Register der Anjoukanzlei. Deren Bedeutung für die Erforschung interreligiöser Geschichte im Zentrum des Mittelmeerraumes resultiert insbesondere daraus, dass im christlichen Süditalien jener Zeit zwar eine zahlenstarke muslimische Minderheit lebte, diese aber so gut wie keine arabischen Schriftstücke hinterlassen hat, sodass die lateinische Überlieferung maßgeblich ist.


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Im Zuge dieser Belagerung hatten Vorgänge stattgefunden, auf die die Quelle Bezug nimmt: Da ein Sturmangriff angesichts der militärischen Stärke der Muslime aussichtslos erschien, sah sich Karl I. von Anjou gezwungen, sie mühsam einzuschließen. Um die Belagerten von möglichen Nachschubwegen abzuschneiden und zugleich die Flucht von Kriegsmüden zu verhindern, wurde die Umgebung Luceras sukzessive abgeriegelt. Trotzdem gelangen den Muslimen noch monatelang Ausfälle zur Nahrungsmittelbeschaffung und zur Schädigung angiovinischer Parteigänger bis in die Nachbarprovinzen. Dies erscheint in der Quelle als „Beleidigungen, die sie uns [d.h. dem König] und unseren Getreuen zufügten“ beziehungsweise als „Untaten“, „geraubte Sachen oder (…) Besitztümer“, derentwegen die Muslime später hätten „gerichtlich oder außergerichtlich vorgeladen werden“ können.  
Im Zuge dieser Belagerung hatten Vorgänge stattgefunden, auf die die Quelle Bezug nimmt: Da ein Sturmangriff angesichts der militärischen Stärke der Muslime aussichtslos erschien, sah sich Karl I. von Anjou gezwungen, sie mühsam einzuschließen. Um die Belagerten von möglichen Nachschubwegen abzuschneiden und zugleich die Flucht von Kriegsmüden zu verhindern, wurde die Umgebung Luceras sukzessive abgeriegelt. Trotzdem gelangen den Muslimen noch monatelang Ausfälle zur Nahrungsmittelbeschaffung und zur Schädigung angiovinischer Parteigänger bis in die Nachbarprovinzen. Dies erscheint in der Quelle als „Beleidigungen, die sie uns [d.h. dem König] und unseren Getreuen zufügten“ beziehungsweise als „Untaten“, „geraubte Sachen oder (…) Besitztümer“, derentwegen die Muslime später hätten „gerichtlich oder außergerichtlich vorgeladen werden“ können.  


Am 27. August 1269 fiel dann Lucera, das Widerstandszentrum der Muslime, wie eine Genueser Parallelüberlieferung berichtet: „Nachdem [Karl I. von Anjou] mehrere Monate vor der Stadt gestanden und sie sehr in die Enge getrieben hatte, übergaben ihm (…) die Sarazenen sich und ihre Stadt, wegen Mangels an Lebensmitteln und erschöpft durch die vielfachen Kämpfe“<ref name="ftn9">Nicolaus Guercius u.a., ''Annales Ianuenses, ann. MCCLXVII–MCCLXIX'', in: Annali Genovesi di Caffaro e de’ suoi continuatori dal MCCLI al MCCLXXIX, Bd. 4, ed. Cesare Imperiale di Sant’ Angelo (Fonti per la Storia d’Italia 13), Rom: Tipografia del Senato, 1926, S. 95-126, hier S. 114: ''… cum autem in obsidione dicte ciuitatis stetisset per multos menses et eos multum artasset, et predicti Sarraceni propter penuriam uictualium et diuersis generibus preliorum grauari (cepissent), die XXVII. augusti anni presentis, se cum ciuitate ipsorum dicto regi reddiderunt; ''die Übersetzung nach: ''Die Jahrbücher von Genua'', Bd. 2, auszugsweise übers. von Georg Grandaur, mit Berichtigungen und Register versehen von Oswald Holder-Egger (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit. Zweite Gesamtausgabe 77), Leipzig: Verlag der Dykschen Buchhandlung, 1898, S. 68''.''</ref>. Zu dieser Übergabe, die das künftige Verhältnis zwischen christlichem Königtum und muslimischer Bevölkerung bestimmte, gibt der zitierte Patentbrief überraschenden Aufschluss: Die Muslime kamen „zu Füßen“ des Königs, wobei sie laut einem weiteren Kanzleiregistereintrag, einem Mandat vom 28.08.1269, „an der Kehle mit Riemen gebunden und zur Erde geworfen, ihre Nacken unserem [d.h. dem königlichen] Joch beugten, hoch und niedrig, gemäß dem Belieben unseres Willens“.<ref name="ftn10">''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', Bd. 2: 1265–1281, ed. Riccardo Filangieri u.a., Neapel: presso l’Accademia, 1951, no. 606, S. 156: ''Cum Sarraceni Lucerie, ligatis in gula corrigiis, prostrati ad terram, colla ipsorum nostro jugo submiserint, alte et basse, iuxta nostre beneplacita voluntatis, (…).''</ref> Dann erkannten sie – nun wieder laut dem zitierten Patentbrief – die durch ihre Rebellion zugefügte Beleidigung der königlichen Majestät an, „versicherten, fortan zu Gehorsam (…) in allem und durch alles (…) bereit zu sein“ und forderten „Erbarmen bezüglich der Vergehen“. Gerade solches Erbarmen aber war bei einem wiederholten Aufruhr eigentlich unüblich, zumal im Königreich Sizilien Rebellionen strenger geahndet zu werden pflegten als etwa nördlich der Alpen.<ref name="ftn11">Vgl. insbes. Althoff, Privileg, S. 101-102, 122; Broekmann, ''‚Rigor iustitiae‘''.</ref> Zudem war der Krieg Karls I. von Anjou gegen die Muslime und Stauferanhänger als vollgültiger Kreuzzug mit päpstlich initiierten Predigten und Ablassversprechen geführt worden, mit dem expliziten Ziel der „totalen und endgültigen Vernichtung der Sarazenen von Lucera, der Verräter“ am König und „Feinde des christlichen Glaubens“<ref name="ftn12">''I registri della cancelleria angioina'', Bd. 2, ed. Filangieri u.a., no. 71, S. 22-23: ''Quamquam pro totali et finali exterminio Sarracenorum Lucerie, proditorum nostrorum, inimicorum fidei christiane, mandavimus (...) nostrum felicem exercitum congregari (...).''<nowiki>; bzw. ebd., no. 193-194, S. 53-52; vgl. </nowiki>''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', Bd. 1: 1265–1269, ed. Riccardo Filangieri u.a., Neapel: presso l’Accademia, 1950, no. 16-17, S. 201; zur päpstlich angeordneten Predigt und entsprechendem Ablass: ''Die Briefe Papst Clemens’ IV. (1265–1268). Vorläufige Edition'', ed. Matthias Thumser, o.O. 2015, URL: www.mgh.de/fileadmin/Downloads/pdf/clemens_2015.pdf (Zugriff: 28.07.2020), no. 442, S. 291-292, bzw. Martène, Edmond, Durand, Ursin, ''Thesaurus novus anecdotorum'', Bd. 2, Paris: Sumptibus Florentini Delaulne u.a., 1717, 605, Sp. 575-576<nowiki>; </nowiki>Maier, Crusade, S. 350-375.</ref>.  
Am 27. August 1269 fiel dann Lucera, das Widerstandszentrum der Muslime, wie eine Genueser Parallelüberlieferung berichtet: „Nachdem [Karl I. von Anjou] mehrere Monate vor der Stadt gestanden und sie sehr in die Enge getrieben hatte, übergaben ihm (…) die Sarazenen sich und ihre Stadt, wegen Mangels an Lebensmitteln und erschöpft durch die vielfachen Kämpfe“<ref name="ftn9">Nicolaus Guercius u.a., ''Annales Ianuenses, ann. MCCLXVII–MCCLXIX'', in: Annali Genovesi di Caffaro e de’ suoi continuatori dal MCCLI al MCCLXXIX, Bd. 4, ed. Cesare Imperiale di Sant’ Angelo (Fonti per la Storia d’Italia 13), Rom: Tipografia del Senato, 1926, S. 95-126, hier S. 114: ''… cum autem in obsidione dicte ciuitatis stetisset per multos menses et eos multum artasset, et predicti Sarraceni propter penuriam uictualium et diuersis generibus preliorum grauari (cepissent), die XXVII. augusti anni presentis, se cum ciuitate ipsorum dicto regi reddiderunt; ''die Übersetzung nach: ''Die Jahrbücher von Genua'', Bd. 2, auszugsweise übers. von Georg Grandaur, mit Berichtigungen und Register versehen von Oswald Holder-Egger (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit. Zweite Gesamtausgabe 77), Leipzig: Verlag der Dykschen Buchhandlung, 1898, S. 68''.''</ref>. Zu dieser Übergabe, die das künftige Verhältnis zwischen christlichem Königtum und muslimischer Bevölkerung bestimmte, gibt der zitierte Patentbrief überraschenden Aufschluss: Die Muslime kamen „zu Füßen“ des Königs, wobei sie laut einem weiteren Kanzleiregistereintrag, einem Mandat vom 28.08.1269, „an der Kehle mit Riemen gebunden und zur Erde geworfen, ihre Nacken unserem [d.h. dem königlichen] Joch beugten, hoch und niedrig, gemäß dem Belieben unseres Willens“.<ref name="ftn10">''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', Bd. 2: 1265–1281, ed. Riccardo Filangieri u.a., Neapel: presso l’Accademia, 1951, no. 606, S. 156: ''Cum Sarraceni Lucerie, ligatis in gula corrigiis, prostrati ad terram, colla ipsorum nostro jugo submiserint, alte et basse, iuxta nostre beneplacita voluntatis, (…).''
 
 
</ref> Dann erkannten sie – nun wieder laut dem zitierten Patentbrief – die durch ihre Rebellion zugefügte Beleidigung der königlichen Majestät an, „versicherten, fortan zu Gehorsam (…) in allem und durch alles (…) bereit zu sein“ und forderten „Erbarmen bezüglich der Vergehen“. Gerade solches Erbarmen aber war bei einem wiederholten Aufruhr eigentlich unüblich, zumal im Königreich Sizilien Rebellionen strenger geahndet zu werden pflegten als etwa nördlich der Alpen.<ref name="ftn11">Vgl. insbes. Althoff, Privileg, S. 101-102, 122; Broekmann, ''‚Rigor iustitiae‘''.</ref> Zudem war der Krieg Karls I. von Anjou gegen die Muslime und Stauferanhänger als vollgültiger Kreuzzug mit päpstlich initiierten Predigten und Ablassversprechen geführt worden, mit dem expliziten Ziel der „totalen und endgültigen Vernichtung der Sarazenen von Lucera, der Verräter“ am König und „Feinde des christlichen Glaubens“<ref name="ftn12">''I registri della cancelleria angioina'', Bd. 2, ed. Filangieri u.a., no. 71, S. 22-23: ''Quamquam pro totali et finali exterminio Sarracenorum Lucerie, proditorum nostrorum, inimicorum fidei christiane, mandavimus (...) nostrum felicem exercitum congregari (...).''<nowiki>; bzw. ebd., no. 193-194, S. 53-52; vgl. </nowiki>''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', Bd. 1: 1265–1269, ed. Riccardo Filangieri u.a., Neapel: presso l’Accademia, 1950, no. 16-17, S. 201; zur päpstlich angeordneten Predigt und entsprechendem Ablass: ''Die Briefe Papst Clemens’ IV. (1265–1268). Vorläufige Edition'', ed. Matthias Thumser, o.O. 2015, URL: [http://www.mgh.de/fileadmin/Downloads/pdf/clemens_2015.pdf http://www.mgh.de/fileadmin/Downloads/pdf/clemens_2015.pdf] (Zugriff: 28.07.2020), no. 442, S. 291-292, bzw. Martène, Edmond, Durand, Ursin, ''Thesaurus novus anecdotorum'', Bd. 2, Paris: Sumptibus Florentini Delaulne u.a., 1717, 605, Sp. 575-576<nowiki>; </nowiki>Maier, Crusade, S. 350-375..</ref>.  


So war eigentlich das Ende der traditionsreichen interreligiösen Kopräsenz in Süditalien zu erwarten. Doch geschah das Erstaunliche: „Nach Beratung mit (…) Grafen und Baronen“ nahm Karl I. von Anjou das Gros der Muslime ein weiteres Mal „aus königlicher Großzügigkeit in (…) Gnade auf“. Über die Konditionen dieser Unterwerfung berichtet der zitierte Patentbrief Näheres: Die Muslime hatten dem christlichen König und seinen Erben gehorsam zu sein und sich in ihren hergebrachten Status als ''servi regis'' zu fügen. Letzteres bedeutete laut Parallelquellen unter anderem eingeschränkte Freizügigkeit und die Zahlung einer speziellen Kopfsteuer, die in Analogie zur entsprechenden Steuer geduldeter religiöser Minderheiten in muslimischen Herrschaftsgebieten (''ğizya'') lateinisch ''gesia'' oder ''gisia'' hieß.<ref name="ftn13">Dazu jüngst Engl, ''Kultur'', S. 149-150, 153, mit Quellen- und Literaturverweisen.</ref> Im Gegenzug erhielten die unterworfenen Muslime physisch, materiell, rechtlich und religiös den königlichen Schutz zugesichert: „Ihr Leben und ihre Glieder“ sollten im ganzen Königreich ebenso sicher sein wie ihre „Sachen“, die Muslime sollten „in keiner Angelegenheit gegen die Gerechtigkeit belästigt werden“, und „nicht gezwungen werden, eine andere als ihre Religion anzunehmen und zu glauben“.
So war eigentlich das Ende der traditionsreichen interreligiösen Kopräsenz in Süditalien zu erwarten. Doch geschah das Erstaunliche: „Nach Beratung mit (…) Grafen und Baronen“ nahm Karl I. von Anjou das Gros der Muslime ein weiteres Mal „aus königlicher Großzügigkeit in (…) Gnade auf“. Über die Konditionen dieser Unterwerfung berichtet der zitierte Patentbrief Näheres: Die Muslime hatten dem christlichen König und seinen Erben gehorsam zu sein und sich in ihren hergebrachten Status als ''servi regis'' zu fügen. Letzteres bedeutete laut Parallelquellen unter anderem eingeschränkte Freizügigkeit und die Zahlung einer speziellen Kopfsteuer, die in Analogie zur entsprechenden Steuer geduldeter religiöser Minderheiten in muslimischen Herrschaftsgebieten (''ğizya'') lateinisch ''gesia'' oder ''gisia'' hieß.<ref name="ftn13">Dazu jüngst Engl, ''Kultur'', S. 149-150, 153, mit Quellen- und Literaturverweisen.</ref> Im Gegenzug erhielten die unterworfenen Muslime physisch, materiell, rechtlich und religiös den königlichen Schutz zugesichert: „Ihr Leben und ihre Glieder“ sollten im ganzen Königreich ebenso sicher sein wie ihre „Sachen“, die Muslime sollten „in keiner Angelegenheit gegen die Gerechtigkeit belästigt werden“, und „nicht gezwungen werden, eine andere als ihre Religion anzunehmen und zu glauben“.
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Zunächst zu den rechtlichen Regelungen, die der Patentbrief erwähnt: Sie lassen sich als königliche Schutzherrschaft über die Muslime fassen, die in spiegelbildlicher Analogie zur ''ḏimma'' stand, d.h. der Eingliederung von Anhängern nichtislamischer Buchreligionen in islamischen Reichen:<ref name="ftn15">Vgl. ebd.; zur ''ḏimma'' einführend beispielsweise Friedman, Dhimma.</ref> Im Gegenzug zur steuerpflichtigen Unterwerfung der süditalienischen Muslime unter den König gewährleistete dieser den Schutz von Leib und Leben, ihren Besitz und ihre Religionsausübung. Auf diese Weise hatten die süditalienischen Muslime schon in der Stauferzeit gelebt. Der Patentbrief dokumentiert somit, dass Karl ungeachtet des zweimaligen muslimischen Aufbegehrens, seines Kreuzzuges und seiner erbitterten Feindschaft zu den Staufern ausgerechnet die Regelung seiner bekämpften Vorgänger zur Eingliederung der religiösen Minderheit in sein Reich beibehielt. Daran ändert auch wenig, dass die Quelle eine kleine Verschlechterung bezeugt: Die Güter der Muslime sollten fortan nur mehr insofern geschützt sein, als sie eigentlich dem König gehörten. Damit war erstmals ein Obereigentum formuliert, das drei Jahrzehnte später einer Enteignung der Muslime zum Vorwand diente.<ref name="ftn16">Dazu insbes. Egidi, Colonia 39 (1914), S. 132-135, mit Quellenverweisen; Abulafia, Monarchs, S. 244f.; Abulafia, Caduta, S. 182-183; Abulafia, Servitude, S. 704.</ref> Vorerst aber hatte dies keine praktischen Auswirkungen. Hinzu kamen laut Parallelquellen noch einige weitere Wermutstropfen für die Muslime:<ref name="ftn17">Dazu insbes. Egidi, Colonia 36 (1911), S. 644-647; Engl, ''Kultur'', S. 255-257; demnächst Engl, Resilienz.</ref> Ihre Bevölkerungsmehrheit musste die prostaufischen muslimischen Großen und christlichen Rebellen zur Hinrichtung ausliefern, das innerstädtische Kastell an Karl übergeben und die Stadtbefestigungen vorübergehend schleifen. Zudem war ein erheblicher Tribut von 4000 Goldunzen zu entrichten, etwa das Vierfache des jährlichen Steueraufkommens von Lucera, was allerdings in Anbetracht ‚guter Führung‘ bald auf die Hälfte reduziert wurde.  
Zunächst zu den rechtlichen Regelungen, die der Patentbrief erwähnt: Sie lassen sich als königliche Schutzherrschaft über die Muslime fassen, die in spiegelbildlicher Analogie zur ''ḏimma'' stand, d.h. der Eingliederung von Anhängern nichtislamischer Buchreligionen in islamischen Reichen:<ref name="ftn15">Vgl. ebd.; zur ''ḏimma'' einführend beispielsweise Friedman, Dhimma.</ref> Im Gegenzug zur steuerpflichtigen Unterwerfung der süditalienischen Muslime unter den König gewährleistete dieser den Schutz von Leib und Leben, ihren Besitz und ihre Religionsausübung. Auf diese Weise hatten die süditalienischen Muslime schon in der Stauferzeit gelebt. Der Patentbrief dokumentiert somit, dass Karl ungeachtet des zweimaligen muslimischen Aufbegehrens, seines Kreuzzuges und seiner erbitterten Feindschaft zu den Staufern ausgerechnet die Regelung seiner bekämpften Vorgänger zur Eingliederung der religiösen Minderheit in sein Reich beibehielt. Daran ändert auch wenig, dass die Quelle eine kleine Verschlechterung bezeugt: Die Güter der Muslime sollten fortan nur mehr insofern geschützt sein, als sie eigentlich dem König gehörten. Damit war erstmals ein Obereigentum formuliert, das drei Jahrzehnte später einer Enteignung der Muslime zum Vorwand diente.<ref name="ftn16">Dazu insbes. Egidi, Colonia 39 (1914), S. 132-135, mit Quellenverweisen; Abulafia, Monarchs, S. 244f.; Abulafia, Caduta, S. 182-183; Abulafia, Servitude, S. 704.</ref> Vorerst aber hatte dies keine praktischen Auswirkungen. Hinzu kamen laut Parallelquellen noch einige weitere Wermutstropfen für die Muslime:<ref name="ftn17">Dazu insbes. Egidi, Colonia 36 (1911), S. 644-647; Engl, ''Kultur'', S. 255-257; demnächst Engl, Resilienz.</ref> Ihre Bevölkerungsmehrheit musste die prostaufischen muslimischen Großen und christlichen Rebellen zur Hinrichtung ausliefern, das innerstädtische Kastell an Karl übergeben und die Stadtbefestigungen vorübergehend schleifen. Zudem war ein erheblicher Tribut von 4000 Goldunzen zu entrichten, etwa das Vierfache des jährlichen Steueraufkommens von Lucera, was allerdings in Anbetracht ‚guter Führung‘ bald auf die Hälfte reduziert wurde.  


Somit war die Unterwerfung der Muslime unter Karl I. von Anjou 1269 durchaus mit gewissen Härten verbunden, die die günstigere Situation der vorangegangenen späten Stauferzeit eintrübten.<ref name="ftn18">Dies entgegen Metcalfe, ''Muslims'', S. 293, demzufolge der „status quo ante was restored“, sowie Scheller, Assimilation, S. 152, demzufolge das muslimische Lucera „unter Karl I. und zunächst auch unter Karl II. (...) seine eigentliche Blüte“ erlebt habe.</ref> Trotzdem waren die Muslime noch keine Kammerknechte, wie fast die gesamte bisherige Forschung annahm:<ref name="ftn19">So insbes. Taylor, ''Muslims'', S. 51 und 67; Metcalfe, ''Muslims'', S. 283; Nef, Déportation, S. 467; Vanoli, ''Sicilia'', S. 216; mit Belegen ab 1289 konstatiert zwar Scheller, Assimilation, S. 148, 152, das Fehlen des Begriffes bis 1269, er hält dies aber für Überlieferungszufall.</ref> In der Quelle ist lediglich von ''servi regis'' die Rede, während der für die Juden unter Friedrich II. bekannte Begriff ''servi camere regis'' für die muslimische Bevölkerung erst ab 1289 begegnet. Insgesamt lässt sich damit konstatieren, dass die Muslime 1269 zwar Einbußen ihrer militärischen Stärke und Finanzkraft hinnehmen mussten, ihre Siedlungsmöglichkeiten und Freiheiten islamischer Religionsausübung im christlichen Reich aber ungeschmälert blieben. Offenbar dienten diese Bedingungen eher der Verhinderung neuer Rebellion und der angiovinischen Herrschaftsstabilisierung als der Bekehrung oder Vertreibung der Muslime.  
Somit war die Unterwerfung der Muslime unter Karl I. von Anjou 1269 durchaus mit gewissen Härten verbunden, die die günstigere Situation der vorangegangenen späten Stauferzeit eintrübten.<ref name="ftn18">Dies entgegen Metcalfe, ''Muslims'', S. 293, demzufolge der „status quo ante was restored“, sowie Scheller, Assimilation, S. 152, demzufolge das muslimische Lucera „unter Karl I. und zunächst auch unter Karl II. (...) seine eigentliche Blüte“ erlebt habe.</ref> Trotzdem waren die Muslime noch keine Kammerknechte, wie fast die gesamte bisherige Forschung annahm:<ref name="ftn19">So insbes. Taylor, ''Muslims'', S. 51 und 67; Metcalfe, ''Muslims'', S. 283; Nef, Déportation, S. 467; Vanoli, ''Sicilia'', S. 216; mit Belegen ab 1289 konstatiert zwar Scheller, Assimilation, S. 148, 152, das Fehlen des Begriffes bis 1269, er hält dies aber für Überlieferungszufall.</ref> In der Quelle ist lediglich von ''servi regis'' die Rede, während der für die Juden unter Friedrich II. bekannte Begriff ''servi camere regis'' für die muslimische Bevölkerung erst ab 1289 begegnet. Insgesamt lässt sich damit konstatieren, dass die Muslime 1269 zwar Einbußen ihrer militärischen Stärke und Finanzkraft hinnehmen mussten, ihre Siedlungsmöglichkeiten und Freiheiten islamischer Religionsausübung im christlichen Reich aber ungeschmälert blieben. Offenbar dienten diese Bedingungen eher der Verhinderung neuer Rebellion und der angiovinischen Herrschaftsstabilisierung als der Bekehrung oder Vertreibung der Muslime.


Wie diese eher glimpfliche Unterwerfung zustande kam, kann gegenüber der bisherigen Forschung eingehender rekonstruiert werden.<ref name="ftn20">Vgl. auch Engl, ''Kultur'', S. 253-255; demnächst Engl, Resilienz.</ref> Schließlich dokumentiert der Patentbrief gemeinsam mit dem oben zitierten Mandat vom 28.8.1269<ref name="ftn21">Vgl. oben bei Anm. 10.</ref> einen detaillierten Ablauf nonverbaler und verbaler Akte und gibt damit zum zweiten angesprochenen Themenfeld, den Konfliktlösungsmechanismen, Auskunft: Auf eine besonders schmähliche Selbstdemütigung der Muslime mit Stricken um den Hals und Fußfall vor dem Herrscher folgten ein Schuldeingeständnis, Versprechen der Besserung und Bitte um Gnade, die nach kurzer Beratung Karls I. mit seinen führenden Adeligen auch gewährt wurde. Jene Elemente entsprechen genau der Abfolge einer sogenannten ''deditio'': diese war das typische Unterwerfungsritual, mit dem Rebellen einem Herrscher Genugtuung gaben und ihm so das ehrenvolle Gewähren seiner Verzeihung ermöglichen konnten.<ref name="ftn22">Dazu allgemein Althoff, Privileg; vgl. auch Althoff, Genugtuung, S. 252.</ref> Das Tragen von Stricken um den Hals verdeutlichte dabei das Eingeständnis, eigentlich die Todesstrafe verdient zu haben,<ref name="ftn23">Vgl. Moeglin, Harmiscara, S. 44-65.</ref> der Fußfall stellte die Anerkennung der bislang negierten Herrscherautorität vor Augen. Durch öffentliche Rede wurde all dies bestätigt, wobei die Auslieferung an die Willkür des Herrschers nur inszeniert und die Gewährung seiner Verzeihung vorab vereinbart war.<ref name="ftn24">Vgl. wiederum Althoff, Privileg.</ref>  
Wie diese eher glimpfliche Unterwerfung zustande kam, kann gegenüber der bisherigen Forschung eingehender rekonstruiert werden.<ref name="ftn20">Vgl. auch Engl, ''Kultur'', S. 253-255; demnächst Engl, Resilienz.</ref> Schließlich dokumentiert der Patentbrief gemeinsam mit dem oben zitierten Mandat vom 28.8.1269<ref name="ftn21">Vgl. oben bei Anm. 10.</ref> einen detaillierten Ablauf nonverbaler und verbaler Akte und gibt damit zum zweiten angesprochenen Themenfeld, den Konfliktlösungsmechanismen, Auskunft: Auf eine besonders schmähliche Selbstdemütigung der Muslime mit Stricken um den Hals und Fußfall vor dem Herrscher folgten ein Schuldeingeständnis, Versprechen der Besserung und Bitte um Gnade, die nach kurzer Beratung Karls I. mit seinen führenden Adeligen auch gewährt wurde. Jene Elemente entsprechen genau der Abfolge einer sogenannten ''deditio'': diese war das typische Unterwerfungsritual, mit dem Rebellen einem Herrscher Genugtuung gaben und ihm so das ehrenvolle Gewähren seiner Verzeihung ermöglichen konnten.<ref name="ftn22">Dazu allgemein Althoff, Privileg; vgl. auch Althoff, Genugtuung, S. 252.</ref> Das Tragen von Stricken um den Hals verdeutlichte dabei das Eingeständnis, eigentlich die Todesstrafe verdient zu haben,<ref name="ftn23">Vgl. Moeglin, Harmiscara, S. 44-65.</ref> der Fußfall stellte die Anerkennung der bislang negierten Herrscherautorität vor Augen. Durch öffentliche Rede wurde all dies bestätigt, wobei die Auslieferung an die Willkür des Herrschers nur inszeniert und die Gewährung seiner Verzeihung vorab vereinbart war.<ref name="ftn24">Vgl. wiederum Althoff, Privileg.</ref>  


In zweierlei Hinsicht werden dadurch ältere Forschungsmeinungen in Frage gestellt: Erstens herrschte seit Theo Broekmanns maßgeblicher Studie die Meinung, im streng regierten Königreich Sizilien habe „das Ritual als Konfliktlösungsstrategie (…) in den neun Jahren von 1130–1139 seine Rolle ausgespielt“<ref name="ftn25">Broekmann, ''‚Rigor iustitiae‘'', S. 195.</ref>. Doch lehrt die hier dokumentierte Unterwerfung in Verbindung mit analogen Belegen aus der Stauferzeit,<ref name="ftn26">Vgl. Engl, ''Kultur'', S. 118, 190-191; Engl, Dynamiken, S. 204-205.</ref> dass die Ausgleichsmöglichkeit der ''deditio'' nicht nur den Christen, sondern auch den Muslimen Süditaliens weiterhin offenstand. Damit hatten auch Letztere Anteil an einer Ritualkultur, die durch selbstverpflichtende Kommunikationsakte Vertrauen stiftete.<ref name="ftn27">Zum vertrauensstiftenden Charakter entsprechender Rituale beispielsweise Althoff, Vertrauensbildung, S. 248-249.</ref> Faszinierend ist dabei, dass der Patentbrief den Vorgang sogar in Anspielung auf eine kirchliche Buße interpretiert: die Kombination der Begriffe „Zerknirschung des Herzens“ (''cordis contrictionem)'' und „Bekenntnis des Mundes“ (''oris confexionem'') mit anschließendem „Vergeben“ (''remittimus'') ist kaum anders zu deuten.<ref name="ftn28">Zu ''contritio cordis'', ''confessio oris'', ''satisfactio'' und ''remissio'' als konstituierenden Bestandteilen der Buße beispielsweise Benrath, Buße.</ref> Offenbar rechtfertigte das Schreiben Karl von Anjous Politikwechsel gegenüber den sizilischen Muslimen dadurch, dass es diese wie reuige christliche Sünder erscheinen ließ. Es war demnach nicht abwegig, die Muslime als Teilhaber an allgemeinverständlichen Ritualen mit christlicher Symbolik zu sehen.  
In zweierlei Hinsicht werden dadurch ältere Forschungsmeinungen in Frage gestellt: Erstens herrschte seit Theo Broekmanns maßgeblicher Studie die Meinung, im streng regierten Königreich Sizilien habe „das Ritual als Konfliktlösungsstrategie (…) in den neun Jahren von 1130–1139 seine Rolle ausgespielt“<ref name="ftn25">Broekmann, ''‚Rigor iustitiae‘'', S. 195.</ref>. Doch lehrt die hier dokumentierte Unterwerfung in Verbindung mit analogen Belegen aus der Stauferzeit,<ref name="ftn26">Vgl. Engl, ''Kultur'', S. 118, 190-191; Engl, Dynamiken, S. 204-205.</ref> dass die Ausgleichsmöglichkeit der ''deditio'' nicht nur den Christen, sondern auch den Muslimen Süditaliens weiterhin offenstand. Damit hatten auch Letztere Anteil an einer Ritualkultur, die durch selbstverpflichtende Kommunikationsakte Vertrauen stiftete.<ref name="ftn27">Zum vertrauensstiftenden Charakter entsprechender Rituale beispielsweise Althoff, Vertrauensbildung, S. 248-249.</ref> Faszinierend ist dabei, dass der Patentbrief den Vorgang sogar in Anspielung auf eine kirchliche Buße interpretiert: die Kombination der Begriffe „Zerknirschung des Herzens“ (''cordis contrictionem)'' und „Bekenntnis des Mundes“ (''oris confexionem'') mit anschließendem „Vergeben“ (''remittimus'') ist kaum anders zu deuten.<ref name="ftn28">Zu ''contritio cordis'', ''confessio oris'', ''satisfactio'' und ''remissio'' als konstituierenden Bestandteilen der Buße beispielsweise Benrath, Buße.</ref> Offenbar rechtfertigte das Schreiben Karl von Anjous Politikwechsel gegenüber den sizilischen Muslimen dadurch, dass es diese wie reuige christliche Sünder erscheinen ließ. Es war demnach nicht abwegig, die Muslime als Teilhaber an allgemeinverständlichen christlichen Ritualen zu sehen.


Daraus ergibt sich eine zweite Konsequenz: Da ''deditiones'' üblicherweise vorher ausgehandelt wurden, ist entgegen älteren Forschungsmeinungen nicht mehr von einer bedingungslosen Kapitulation der Muslime im Jahr 1269 auszugehen.<ref name="ftn29">So aber insbes. Egidi, Colonia 36 (1911), S. 644; Haseloff, ''Bauten'', S. 123; Göbbels, ''Militärwesen'', S. 119; Göbbels, Krieg, S. 400.</ref> Vielmehr schloss Luceras Bevölkerungsmehrheit einen Kompromiss mit Karl von Anjou, was der Chronist Thomas von Pavia bestätigt: Ihm zufolge „gab es keinen anderen Grund [für Karl I. von Anjou], die Leute auf diese Weise anzunehmen, als dass die Stadt [Lucera], die sehr stark war, mit Gewalt nicht eingenommen werden konnte.“<ref name="ftn30">Vgl. Thomas [von Pavia], ''Gesta imperatorum et pontificum'', ed. Ernst Ehrenfeuchter (MGH SS 22), Hannover: Hahn, 1872, S. 490-528, hier S. 523: ''Nuceria vero Sarracenica civitas … traditis proditoribus fugitivis, salvis rebus omnibus et personis, regis ditioni se tradidit. Nec alia causa recipiendi homines huiusmodi causa fuit, nisi, cum esset civitas nimis fortis, vi non poterat optineri.''</ref> So habe der Angiovine ertragen, „dass sie dort wohnten, wobei er ihnen die Verträge ungeschmälert erhielt, die er versprochen hatte.“<ref name="ftn31">Vgl. Thomas [von Pavia], ''Gesta imperatorum et pontificum'', ed. Ehrenfeuchter, S. 523: (''…) eos ibi habitare substinuit, pacta illibata illis retinens, que promisit.''</ref> Folglich ist festzuhalten, dass die Muslime Süditaliens selbst im Moment ihrer erneuten Niederlage noch genug militärisches und politisches Gewicht besaßen, um dem christlichen König einen Kompromiss abringen zu können.  
Daraus ergibt sich eine zweite Konsequenz: Da ''deditiones'' üblicherweise vorher ausgehandelt wurden, ist entgegen älteren Forschungsmeinungen nicht mehr von einer bedingungslosen Kapitulation der Muslime im Jahr 1269 auszugehen.<ref name="ftn29">So aber insbes. Egidi, Colonia 36 (1911), S. 644; Haseloff, ''Bauten'', S. 123; Göbbels, ''Militärwesen'', S. 119; Göbbels, Krieg, S. 400.</ref> Vielmehr schloss Luceras Bevölkerungsmehrheit einen Kompromiss mit Karl von Anjou, was der Chronist Thomas von Pavia bestätigt: Ihm zufolge „gab es keinen anderen Grund [für Karl I. von Anjou], die Leute auf diese Weise anzunehmen, als dass die Stadt [Lucera], die sehr stark war, mit Gewalt nicht eingenommen werden konnte.“<ref name="ftn30">Vgl. Thomas [von Pavia], ''Gesta imperatorum et pontificum'', ed. Ernst Ehrenfeuchter (MGH SS 22), Hannover: Hahn, 1872, S. 490-528, hier S. 523: ''Nuceria vero Sarracenica civitas … traditis proditoribus fugitivis, salvis rebus omnibus et personis, regis ditioni se tradidit. Nec alia causa recipiendi homines huiusmodi causa fuit, nisi, cum esset civitas nimis fortis, vi non poterat optineri..''</ref> So habe der Angiovine ertragen, „dass sie dort wohnten, wobei er ihnen die Verträge ungeschmälert erhielt, die er versprochen hatte.“<ref name="ftn31">Vgl. Thomas [von Pavia], ''Gesta imperatorum et pontificum'', ed. Ehrenfeuchter, S. 523: (''…) eos ibi habitare substinuit, pacta illibata illis retinens, que promisit.''</ref> Folglich ist festzuhalten, dass die Muslime Süditaliens selbst im Moment ihrer erneuten Niederlage noch genug militärisches und politisches Gewicht besaßen, um dem christlichen König einen Kompromiss abringen zu können.  


Daraus ergeben sich zuletzt Erkenntnisse zu einem dritten Thema, der Gesamtentwicklung des Verhältnisses von Christen und Muslimen im Süditalien des ‚langen‘ 13. Jahrhunderts. Eine Vielzahl bisheriger Historikerinnen und Historiker sah diesen Prozess als geradezu unausweichlichen Niedergang:<ref name="ftn32">Vgl. besonders explizit Abulafia, End; Koller, Toleranz, S. 183-185; Feniello, Segno, S. 211-255; Dalli, Coexistence, S. 37-39, stellvertretend für weitere Publikationen; weniger teleologisch und monokausal, aber doch im Sinne einer kontinuierlichen Verfallsgeschichte Metcalfe, ''Muslims'', S. 141-142.</ref> Die Muslime seien bereits im Sizilien des späteren 12. Jahrhunderts aus religiösen Gründen unterdrückt und schließlich in verzweifelten, aber strukturell aussichtslosen Widerstand gegen die Christen getrieben worden, mit der notwendigen Folge der Deportation auf das süditalienische Festland im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts. Auch hier habe der Verfall seine Fortsetzung genommen: Isoliert von ihren Glaubensgenossen hätten die Muslime in der Enklave Lucera vollkommen von der Gnade des christlichen Herrschers abhängig gelebt. Ihre endgültige Vertreibung und weitgehende Versklavung, die im Jahr 1300 stattfand, sei quasi vorgezeichnet gewesen.  
Daraus ergeben sich zuletzt Erkenntnisse zu einem dritten Thema, der Gesamtentwicklung des Verhältnisses von Christen und Muslimen im Süditalien des ‚langen‘ 13. Jahrhunderts. Eine Vielzahl bisheriger Historikerinnen und Historiker sah diesen Prozess als geradezu unausweichlichen Niedergang:<ref name="ftn32">Vgl. besonders explizit Abulafia, End; Koller, Toleranz, S. 183-185; Feniello, Segno, S. 211-255; Dalli, Coexistence, S. 37-39, stellvertretend für weitere Publikationen; weniger teleologisch und monokausal, aber doch im Sinne einer kontinuierlichen Verfallsgeschichte Metcalfe, ''Muslims'', S. 141-142.</ref> Die Muslime seien bereits im Sizilien des späteren 12. Jahrhunderts aus religiösen Gründen unterdrückt und schließlich in verzweifelten, aber strukturell aussichtslosen Widerstand gegen die Christen getrieben worden, mit der notwendigen Folge der Deportation auf das süditalienische Festland im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts. Auch hier habe der Verfall seine Fortsetzung genommen: Isoliert von ihren Glaubensgenossen hätten die Muslime in der Enklave Lucera vollkommen von der Gnade des christlichen Herrschers abhängig gelebt. Ihre endgültige Vertreibung und weitgehende Versklavung, die im Jahr 1300 stattfand, sei quasi vorgezeichnet gewesen.  
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