1269: Unterwerfung der Muslime Süditaliens unter Karl I. von Anjou: Unterschied zwischen den Versionen

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<br />{{Kapitel LAT-DE TAB-5|Richard Engl|''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', Bd. 7: 1269-1272, ed. Iole Mazzoleni, Neapel: Presso l’Accademia, 1960, no. 1, S. 267-268, übers. Richard Engl.|5=== Autor/in & Werk:  ==
<br />{{Kapitel LAT-DE TAB-5|Richard Engl|''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', Bd. 7: 1269-1272, ed. Iole Mazzoleni, Neapel: Presso l’Accademia, 1960, no. 1, S. 267-268, übers. Richard Engl.|5=== Autor/in & Werk:  ==
Der Text entstammt einer seriellen Quelle, die für unsere Kenntnis über die Beziehungen von Christen und Muslimen in Süditalien im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts entscheidend ist: die lateinischen Register der Anjoukanzlei. Deren Bedeutung für die Erforschung interreligiöser Geschichte im Zentrum des Mittelmeerraumes resultiert insbesondere daraus, dass im christlichen Süditalien jener Zeit zwar eine zahlenstarke muslimische Minderheit lebte, diese aber so gut wie keine arabischen Schriftstücke hinterlassen hat, sodass die lateinische Überlieferung maßgeblich ist.
[§1] Der Text entstammt einer seriellen Quelle, die für unsere Kenntnis über die Beziehungen von Christen und Muslimen in Süditalien im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts entscheidend ist: die lateinischen Register der Anjoukanzlei. Deren Bedeutung für die Erforschung interreligiöser Geschichte im Zentrum des Mittelmeerraumes resultiert insbesondere daraus, dass im christlichen Süditalien jener Zeit zwar eine zahlenstarke muslimische Minderheit lebte, diese aber so gut wie keine arabischen Schriftstücke hinterlassen hat, sodass die lateinische Überlieferung maßgeblich ist.


Überhaupt sind die Register der Anjoukanzlei eine zentrale Quelle süditalienischer und mediterraner Geschichte. Sie überliefern den Dokumentenausgang des Königtums Sizilien unter den Anjou, einer ab 1265/6 herrschenden Dynastie. Das Königreich Sizilien, das die gleichnamige Insel und das unteritalienische Festland umfasste, war dem ersten Angiovinen Karl I. (regn. 1265/6-1285) durch Eroberung von der zuvor dort herrschenden Stauferdynastie in die Hand gefallen;<ref name="ftn1">Vgl. beispielsweise Herde, ''Karl I.'', S. 34-49.</ref> Karl war ein jüngerer Bruder des französischen Königs Ludwig IX. des Heiligen (regn. 1226-1270). Basierend auf den staufischen Gepflogenheiten entwickelte das angiovinische Verwaltungspersonal in der Folgezeit die am weitesten fortgeschrittene Registerführung des lateinischen Westens, die Dokumente von enormer Menge und Detailreichtum hinterlassen hat:<ref name="ftn2">Zum Folgenden einführend Kiesewetter, Cancelleria, mit der älteren Literatur.</ref> allein für die zwanzig Regierungsjahre Karls I. von Anjou sind es geschätzt 100.000 Dokumente. Damit war das Königreich Sizilien ein entscheidender Vorreiter auf dem Weg zum ‚Verwaltungsstaat‘, mit Einfluss auf das avignonesische Papsttum wie auf die Königreiche Frankreich, Aragon und Mallorca. So sind die Anjouregister ein für das mittelalterliche Europa exzeptioneller Quellenbestand, analog allenfalls zur aragonesischen Registerführung. Umso bedauerlicher ist es, dass die Originale im Zweiten Weltkrieg verbrannten.<ref name="ftn3">Dazu etwa Klinkhammer, Abteilung, S. 497-501.</ref> Seit Jahrzehnten werden sie in mühsamer Kleinarbeit soweit als möglich rekonstruiert. Das Ergebnis sind ''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', auf derzeitigem Stand fünfzig Bände.  
[§2] Überhaupt sind die Register der Anjoukanzlei eine zentrale Quelle süditalienischer und mediterraner Geschichte. Sie überliefern den Dokumentenausgang des Königtums Sizilien unter den Anjou, einer ab 1265/6 herrschenden Dynastie. Das Königreich Sizilien, das die gleichnamige Insel und das unteritalienische Festland umfasste, war dem ersten Angiovinen Karl I. (regn. 1265/6-1285) durch Eroberung von der zuvor dort herrschenden Stauferdynastie in die Hand gefallen;<ref name="ftn1">Vgl. beispielsweise Herde, ''Karl I.'', S. 34-49.</ref> Karl war ein jüngerer Bruder des französischen Königs Ludwig IX. des Heiligen (regn. 1226-1270). Basierend auf den staufischen Gepflogenheiten entwickelte das angiovinische Verwaltungspersonal in der Folgezeit die am weitesten fortgeschrittene Registerführung des lateinischen Westens, die Dokumente von enormer Menge und Detailreichtum hinterlassen hat:<ref name="ftn2">Zum Folgenden einführend Kiesewetter, Cancelleria, mit der älteren Literatur.</ref> allein für die zwanzig Regierungsjahre Karls I. von Anjou sind es geschätzt 100.000 Dokumente. Damit war das Königreich Sizilien ein entscheidender Vorreiter auf dem Weg zum ‚Verwaltungsstaat‘, mit Einfluss auf das avignonesische Papsttum wie auf die Königreiche Frankreich, Aragon und Mallorca. So sind die Anjouregister ein für das mittelalterliche Europa exzeptioneller Quellenbestand, analog allenfalls zur aragonesischen Registerführung. Umso bedauerlicher ist es, dass die Originale im Zweiten Weltkrieg verbrannten.<ref name="ftn3">Dazu etwa Klinkhammer, Abteilung, S. 497-501.</ref> Seit Jahrzehnten werden sie in mühsamer Kleinarbeit soweit als möglich rekonstruiert. Das Ergebnis sind ''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', auf derzeitigem Stand fünfzig Bände.  


Schon im 13. Jahrhundert musste der enorme Dokumentenbestand der Register untergliedert werden, um die Verwaltungsarbeit zu erleichtern.<ref name="ftn4">Zum Folgenden wiederum Kiesewetter, Cancelleria.</ref> Für die hier interessierende relative Frühzeit der Anjouherrschaft ab Ende 1268 erfolgte diese Gliederung erstens nach den Amtsträgern, zu denen die Register gehörten beziehungsweise von denen sie aufbewahrt wurden: in Kanzleiregisterbände, Kammerregisterbände, Registerbände der ''magistri rationales'' (einer weiteren Finanzverwaltungsinstitution) und Sekretregisterbände (für vertraulichere Schreiben). Zweitens wurden die Bände in sich weiter unterteilt, und zwar insbesondere nach Empfängern: in Schreiben an die verschiedenen Amtsträger der Bezirke der Reichsverwaltung (Justitiare, Sekreten, ''magistri portulani'' etc.) sowie in ''Extravagantes'', d.h. Dokumente mit anderen als den genannten Adressaten – zu letzterer Kategorie gehört die hier zitierte Quelle. Datiert wurde nach der griechischen Indiktion, einem vom 1. September bis zum 31. August reichenden Jahressteuerzyklus, der Süditaliens byzantinische Tradition widerspiegelte. Im vorliegenden Schreiben ist die 13. Indiktion als 1269 aufzulösen.
[§3] Schon im 13. Jahrhundert musste der enorme Dokumentenbestand der Register untergliedert werden, um die Verwaltungsarbeit zu erleichtern.<ref name="ftn4">Zum Folgenden wiederum Kiesewetter, Cancelleria.</ref> Für die hier interessierende relative Frühzeit der Anjouherrschaft ab Ende 1268 erfolgte diese Gliederung erstens nach den Amtsträgern, zu denen die Register gehörten beziehungsweise von denen sie aufbewahrt wurden: in Kanzleiregisterbände, Kammerregisterbände, Registerbände der ''magistri rationales'' (einer weiteren Finanzverwaltungsinstitution) und Sekretregisterbände (für vertraulichere Schreiben). Zweitens wurden die Bände in sich weiter unterteilt, und zwar insbesondere nach Empfängern: in Schreiben an die verschiedenen Amtsträger der Bezirke der Reichsverwaltung (Justitiare, Sekreten, ''magistri portulani'' etc.) sowie in ''Extravagantes'', d.h. Dokumente mit anderen als den genannten Adressaten – zu letzterer Kategorie gehört die hier zitierte Quelle. Datiert wurde nach der griechischen Indiktion, einem vom 1. September bis zum 31. August reichenden Jahressteuerzyklus, der Süditaliens byzantinische Tradition widerspiegelte. Im vorliegenden Schreiben ist die 13. Indiktion als 1269 aufzulösen.


Die Ausstellung der Dokumente erfolgte üblicherweise auf Befehl des Königs oder eines übergeordneten Amtsträgers, woraufhin ein Notar den Wortlaut diktierte, der von einem Schreiber niedergeschrieben und anhand der Ausfertigung in die Register eingetragen wurde. Die Notare, die die Anjoukönige beschäftigten, waren wohl alle Laien und, obwohl Karl I. mit großer französischer Entourage ins Land gekommen war, überwiegend Süditaliener. Da die Dokumente kaum je Notare nennen, ist normalerweise nicht feststellbar, wer den konkreten Wortlaut verantwortete.
[§4] Die Ausstellung der Dokumente erfolgte üblicherweise auf Befehl des Königs oder eines übergeordneten Amtsträgers, woraufhin ein Notar den Wortlaut diktierte, der von einem Schreiber niedergeschrieben und anhand der Ausfertigung in die Register eingetragen wurde. Die Notare, die die Anjoukönige beschäftigten, waren wohl alle Laien und, obwohl Karl I. mit großer französischer Entourage ins Land gekommen war, überwiegend Süditaliener. Da die Dokumente kaum je Notare nennen, ist normalerweise nicht feststellbar, wer den konkreten Wortlaut verantwortete.


Im Wesentlichen vier Dokumenttypen wurden ausgestellt und registriert:<ref name="ftn5">Dazu Durrieu, ''Archives'', S. 178-183; Mazzoleni, ''Paleografia'', S. 289-292.</ref> 1.) Feierliche Privilegien mit Goldbulle; 2.) „Patentbriefe“ (''licterae patentes'') – wie die hier zitierte Quelle – mit angehängtem großem Siegel aus rotem Wachs, von ähnlichem Inhalt, aber weniger feierlicher Ausfertigung als die Privilegien; 3.) Mandate, der häufigste Dokumenttyp, der Anweisungen an Einzelne enthielt; sowie 4.) „Verschlossene Briefe“ (''licterae clausae'') mit vertraulicherem Charakter, die mit einem kleinen Wachssiegel verschlossen waren.
[§5] Im Wesentlichen vier Dokumenttypen wurden ausgestellt und registriert:<ref name="ftn5">Dazu Durrieu, ''Archives'', S. 178-183; Mazzoleni, ''Paleografia'', S. 289-292.</ref> 1.) Feierliche Privilegien mit Goldbulle; 2.) „Patentbriefe“ (''licterae patentes'') – wie die hier zitierte Quelle – mit angehängtem großem Siegel aus rotem Wachs, von ähnlichem Inhalt, aber weniger feierlicher Ausfertigung als die Privilegien; 3.) Mandate, der häufigste Dokumenttyp, der Anweisungen an Einzelne enthielt; sowie 4.) „Verschlossene Briefe“ (''licterae clausae'') mit vertraulicherem Charakter, die mit einem kleinen Wachssiegel verschlossen waren.


== Inhalt & Quellenkontext:  ==
== Inhalt & Quellenkontext:  ==
Die Quelle stellt einen am 07.09.1269 ergangenen Patentbrief Karls I. von Anjou, des ersten angiovinischen Königs von Sizilien, an Amtsträger seiner Reichsverwaltung und an die Reichsbevölkerung dar. Sie enthält Anweisungen, mit denen Karl vom apulischen Residenzort Foggia aus auf die elf Tage zuvor erfolgte Unterwerfung der Muslime von Lucera reagierte.  
[§6] Die Quelle stellt einen am 07.09.1269 ergangenen Patentbrief Karls I. von Anjou, des ersten angiovinischen Königs von Sizilien, an Amtsträger seiner Reichsverwaltung und an die Reichsbevölkerung dar. Sie enthält Anweisungen, mit denen Karl vom apulischen Residenzort Foggia aus auf die elf Tage zuvor erfolgte Unterwerfung der Muslime von Lucera reagierte.  


Diese im Lateinischen als ''Sarraceni'' bezeichneten Muslime<ref name="ftn6">Vgl. [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/621:_Isidor_von_Sevilla_zum_Ursprung_des_Sarazenenbegriffs 621: Isidor von Sevilla zum Ursprung des Sarazenenbegriffs].</ref> lebten schon seit vier Jahrzehnten als religiöse Minderheit im christlich beherrschten Festlandsitalien, und zwar insbesondere in der Stadt Lucera (Prov. Foggia) im Norden Apuliens.<ref name="ftn7">Zum Folgenden insbes. Metcalfe, ''Muslims''<nowiki>; Egidi, Colonia; Taylor, </nowiki>''Muslims''<nowiki>; Engl, </nowiki>''Kultur''.</ref> Hierher hatte ein Vorgänger Karls von Anjou, der staufische Kaiser und sizilische König Friedrich II. (regn. 1198-1250), die Muslime deportiert. Die Umgesiedelten stammten von der Insel Sizilien, die seit der muslimischen Eroberung im frühen 3./9. Jahrhundert eine starke muslimische Bevölkerung aufwies. Im 5./11. Jahrhundert war diese Bevölkerung unter christliche Herrschaft geraten. In der Zeit Friedrichs II. waren die Muslime dann zur Strafe für ein Aufbegehren zu Zehntausenden nach Süditalien umgesiedelt worden. Trotz dieser gewaltsamen Entwurzelung waren die Muslime Apuliens bald zu Getreuen des Staufers und seiner Dynastie geworden. Dementsprechend hatten sie gegen Karl I. von Anjou opponiert, als dieser 1266 das Königreich Sizilien von den Staufern eroberte. Noch 1268 hatten die Muslime zugunsten von Friedrichs II. Enkel Konradin (regn. 1254-1268) gemeinsam mit zahlreichen Christen gegen Karl I. Krieg geführt, was die Quelle als „Rebellion gegen unsere königliche Majestät“ anspricht. Acht Monate lang hatte Karl I. von Anjou den muslimischen Hauptort Lucera, eine gut gesicherte Stadt, belagern müssen, in die sich auch prominente christliche Stauferanhänger geflüchtet hatten.<ref name="ftn8">Dazu auch eingehend Göbbels, Krieg.</ref>  
[§7] Diese im Lateinischen als ''Sarraceni'' bezeichneten Muslime<ref name="ftn6">Vgl. [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/621:_Isidor_von_Sevilla_zum_Ursprung_des_Sarazenenbegriffs 621: Isidor von Sevilla zum Ursprung des Sarazenenbegriffs].</ref> lebten schon seit vier Jahrzehnten als religiöse Minderheit im christlich beherrschten Festlandsitalien, und zwar insbesondere in der Stadt Lucera (Prov. Foggia) im Norden Apuliens.<ref name="ftn7">Zum Folgenden insbes. Metcalfe, ''Muslims''<nowiki>; Egidi, Colonia; Taylor, </nowiki>''Muslims''<nowiki>; Engl, </nowiki>''Kultur''.</ref> Hierher hatte ein Vorgänger Karls von Anjou, der staufische Kaiser und sizilische König Friedrich II. (regn. 1198-1250), die Muslime deportiert. Die Umgesiedelten stammten von der Insel Sizilien, die seit der muslimischen Eroberung im frühen 3./9. Jahrhundert eine starke muslimische Bevölkerung aufwies. Im 5./11. Jahrhundert war diese Bevölkerung unter christliche Herrschaft geraten. In der Zeit Friedrichs II. waren die Muslime dann zur Strafe für ein Aufbegehren zu Zehntausenden nach Süditalien umgesiedelt worden. Trotz dieser gewaltsamen Entwurzelung waren die Muslime Apuliens bald zu Getreuen des Staufers und seiner Dynastie geworden. Dementsprechend hatten sie gegen Karl I. von Anjou opponiert, als dieser 1266 das Königreich Sizilien von den Staufern eroberte. Noch 1268 hatten die Muslime zugunsten von Friedrichs II. Enkel Konradin (regn. 1254-1268) gemeinsam mit zahlreichen Christen gegen Karl I. Krieg geführt, was die Quelle als „Rebellion gegen unsere königliche Majestät“ anspricht. Acht Monate lang hatte Karl I. von Anjou den muslimischen Hauptort Lucera, eine gut gesicherte Stadt, belagern müssen, in die sich auch prominente christliche Stauferanhänger geflüchtet hatten.<ref name="ftn8">Dazu auch eingehend Göbbels, Krieg.</ref>  


Im Zuge dieser Belagerung hatten Vorgänge stattgefunden, auf die die Quelle Bezug nimmt: Da ein Sturmangriff angesichts der militärischen Stärke der Muslime aussichtslos erschien, sah sich Karl I. von Anjou gezwungen, sie mühsam einzuschließen. Um die Belagerten von möglichen Nachschubwegen abzuschneiden und zugleich die Flucht von Kriegsmüden zu verhindern, wurde die Umgebung Luceras sukzessive abgeriegelt. Trotzdem gelangen den Muslimen noch monatelang Ausfälle zur Nahrungsmittelbeschaffung und zur Schädigung angiovinischer Parteigänger bis in die Nachbarprovinzen. Dies erscheint in der Quelle als „Beleidigungen, die sie uns [d.h. dem König] und unseren Getreuen zufügten“ beziehungsweise als „Untaten“, „geraubte Sachen oder (…) Besitztümer“, derentwegen die Muslime später hätten „gerichtlich oder außergerichtlich vorgeladen werden“ können.  
[§8] Im Zuge dieser Belagerung hatten Vorgänge stattgefunden, auf die die Quelle Bezug nimmt: Da ein Sturmangriff angesichts der militärischen Stärke der Muslime aussichtslos erschien, sah sich Karl I. von Anjou gezwungen, sie mühsam einzuschließen. Um die Belagerten von möglichen Nachschubwegen abzuschneiden und zugleich die Flucht von Kriegsmüden zu verhindern, wurde die Umgebung Luceras sukzessive abgeriegelt. Trotzdem gelangen den Muslimen noch monatelang Ausfälle zur Nahrungsmittelbeschaffung und zur Schädigung angiovinischer Parteigänger bis in die Nachbarprovinzen. Dies erscheint in der Quelle als „Beleidigungen, die sie uns [d.h. dem König] und unseren Getreuen zufügten“ beziehungsweise als „Untaten“, „geraubte Sachen oder (…) Besitztümer“, derentwegen die Muslime später hätten „gerichtlich oder außergerichtlich vorgeladen werden“ können.  


Am 27. August 1269 fiel dann Lucera, das Widerstandszentrum der Muslime, wie eine Genueser Parallelüberlieferung berichtet: „Nachdem [Karl I. von Anjou] mehrere Monate vor der Stadt gestanden und sie sehr in die Enge getrieben hatte, übergaben ihm (…) die Sarazenen sich und ihre Stadt, wegen Mangels an Lebensmitteln und erschöpft durch die vielfachen Kämpfe“<ref name="ftn9">Nicolaus Guercius u.a., ''Annales Ianuenses, ann. MCCLXVII–MCCLXIX'', in: Annali Genovesi di Caffaro e de’ suoi continuatori dal MCCLI al MCCLXXIX, Bd. 4, ed. Cesare Imperiale di Sant’ Angelo (Fonti per la Storia d’Italia 13), Rom: Tipografia del Senato, 1926, S. 95-126, hier S. 114: „(…) cum autem in obsidione dicte ciuitatis stetisset per multos menses et eos multum artasset, et predicti Sarraceni propter penuriam uictualium et diuersis generibus preliorum grauari (cepissent), die XXVII. augusti anni presentis, se cum ciuitate ipsorum dicto regi reddiderunt“; die Übersetzung nach: ''Die Jahrbücher von Genua'', Bd. 2, auszugsweise übers. von Georg Grandaur, mit Berichtigungen und Register versehen von Oswald Holder-Egger (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit. Zweite Gesamtausgabe 77), Leipzig: Verlag der Dykschen Buchhandlung, 1898, S. 68''.''</ref>. Zu dieser Übergabe, die das künftige Verhältnis zwischen christlichem Königtum und muslimischer Bevölkerung bestimmte, gibt der zitierte Patentbrief überraschenden Aufschluss: Die Muslime kamen „zu Füßen“ des Königs, wobei sie laut einem weiteren Kanzleiregistereintrag, einem Mandat vom 28.08.1269, „an der Kehle mit Riemen gebunden und zur Erde geworfen, ihre Nacken unserem [d.h. dem königlichen] Joch beugten, hoch und niedrig, gemäß dem Belieben unseres Willens“.<ref name="ftn10">''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', Bd. 2: 1265–1281, ed. Riccardo Filangieri u.a., Neapel: presso l’Accademia, 1951, no. 606, S. 156: „Cum Sarraceni Lucerie, ligatis in gula corrigiis, prostrati ad terram, colla ipsorum nostro jugo submiserint, alte et basse, iuxta nostre beneplacita voluntatis, (…).“
[§9] Am 27. August 1269 fiel dann Lucera, das Widerstandszentrum der Muslime, wie eine Genueser Parallelüberlieferung berichtet: „Nachdem [Karl I. von Anjou] mehrere Monate vor der Stadt gestanden und sie sehr in die Enge getrieben hatte, übergaben ihm (…) die Sarazenen sich und ihre Stadt, wegen Mangels an Lebensmitteln und erschöpft durch die vielfachen Kämpfe“<ref name="ftn9">Nicolaus Guercius u.a., ''Annales Ianuenses, ann. MCCLXVII–MCCLXIX'', in: Annali Genovesi di Caffaro e de’ suoi continuatori dal MCCLI al MCCLXXIX, Bd. 4, ed. Cesare Imperiale di Sant’ Angelo (Fonti per la Storia d’Italia 13), Rom: Tipografia del Senato, 1926, S. 95-126, hier S. 114: „(…) cum autem in obsidione dicte ciuitatis stetisset per multos menses et eos multum artasset, et predicti Sarraceni propter penuriam uictualium et diuersis generibus preliorum grauari (cepissent), die XXVII. augusti anni presentis, se cum ciuitate ipsorum dicto regi reddiderunt“; die Übersetzung nach: ''Die Jahrbücher von Genua'', Bd. 2, auszugsweise übers. von Georg Grandaur, mit Berichtigungen und Register versehen von Oswald Holder-Egger (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit. Zweite Gesamtausgabe 77), Leipzig: Verlag der Dykschen Buchhandlung, 1898, S. 68''.''</ref>. Zu dieser Übergabe, die das künftige Verhältnis zwischen christlichem Königtum und muslimischer Bevölkerung bestimmte, gibt der zitierte Patentbrief überraschenden Aufschluss: Die Muslime kamen „zu Füßen“ des Königs, wobei sie laut einem weiteren Kanzleiregistereintrag, einem Mandat vom 28.08.1269, „an der Kehle mit Riemen gebunden und zur Erde geworfen, ihre Nacken unserem [d.h. dem königlichen] Joch beugten, hoch und niedrig, gemäß dem Belieben unseres Willens“.<ref name="ftn10">''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', Bd. 2: 1265–1281, ed. Riccardo Filangieri u.a., Neapel: presso l’Accademia, 1951, no. 606, S. 156: „Cum Sarraceni Lucerie, ligatis in gula corrigiis, prostrati ad terram, colla ipsorum nostro jugo submiserint, alte et basse, iuxta nostre beneplacita voluntatis, (…).“




</ref> Dann erkannten sie – nun wieder laut dem zitierten Patentbrief – die durch ihre Rebellion zugefügte Beleidigung der königlichen Majestät an, „versicherten, fortan zu Gehorsam (…) in allem und durch alles (…) bereit zu sein“ und forderten „Erbarmen bezüglich der Vergehen“. Gerade solches Erbarmen aber war bei einem wiederholten Aufruhr eigentlich unüblich, zumal im Königreich Sizilien Rebellionen strenger geahndet zu werden pflegten als etwa nördlich der Alpen.<ref name="ftn11">Vgl. insbes. Althoff, Privileg, S. 101-102, 122; Broekmann, ''‚Rigor iustitiae‘''.</ref> Zudem war der Krieg Karls I. von Anjou gegen die Muslime und Stauferanhänger als vollgültiger Kreuzzug mit päpstlich initiierten Predigten und Ablassversprechen geführt worden, mit dem expliziten Ziel der „totalen und endgültigen Vernichtung der Sarazenen von Lucera, der Verräter“ am König und „Feinde des christlichen Glaubens“<ref name="ftn12">''I registri della cancelleria angioina'', Bd. 2, ed. Filangieri u.a., no. 71, S. 22-23: „Quamquam pro totali et finali exterminio Sarracenorum Lucerie, proditorum nostrorum, inimicorum fidei christiane, mandavimus (...) nostrum felicem exercitum congregari (...).“<nowiki>; bzw. ebd., no. 193-194, S. 53-52; vgl. </nowiki>''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', Bd. 1: 1265–1269, ed. Riccardo Filangieri u.a., Neapel: presso l’Accademia, 1950, no. 16-17, S. 201; zur päpstlich angeordneten Predigt und entsprechendem Ablass: ''Die Briefe Papst Clemens’ IV. (1265–1268). Vorläufige Edition'', ed. Matthias Thumser, o.O. 2015, URL: [http://www.mgh.de/fileadmin/Downloads/pdf/clemens_2015.pdf http://www.mgh.de/fileadmin/Downloads/pdf/clemens_2015.pdf] (Zugriff: 28.07.2020), no. 442, S. 291-292, bzw. Martène, Edmond, Durand, Ursin, ''Thesaurus novus anecdotorum'', Bd. 2, Paris: Sumptibus Florentini Delaulne u.a., 1717, 605, Sp. 575-576<nowiki>; </nowiki>Maier, Crusade, S. 350-375..</ref>.  
</ref> Dann erkannten sie – nun wieder laut dem zitierten Patentbrief – die durch ihre Rebellion zugefügte Beleidigung der königlichen Majestät an, „versicherten, fortan zu Gehorsam (…) in allem und durch alles (…) bereit zu sein“ und forderten „Erbarmen bezüglich der Vergehen“. Gerade solches Erbarmen aber war bei einem wiederholten Aufruhr eigentlich unüblich, zumal im Königreich Sizilien Rebellionen strenger geahndet zu werden pflegten als etwa nördlich der Alpen.<ref name="ftn11">Vgl. insbes. Althoff, Privileg, S. 101-102, 122; Broekmann, ''‚Rigor iustitiae‘''.</ref> Zudem war der Krieg Karls I. von Anjou gegen die Muslime und Stauferanhänger als vollgültiger Kreuzzug mit päpstlich initiierten Predigten und Ablassversprechen geführt worden, mit dem expliziten Ziel der „totalen und endgültigen Vernichtung der Sarazenen von Lucera, der Verräter“ am König und „Feinde des christlichen Glaubens“<ref name="ftn12">''I registri della cancelleria angioina'', Bd. 2, ed. Filangieri u.a., no. 71, S. 22-23: „Quamquam pro totali et finali exterminio Sarracenorum Lucerie, proditorum nostrorum, inimicorum fidei christiane, mandavimus (...) nostrum felicem exercitum congregari (...).“<nowiki>; bzw. ebd., no. 193-194, S. 53-52; vgl. </nowiki>''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', Bd. 1: 1265–1269, ed. Riccardo Filangieri u.a., Neapel: presso l’Accademia, 1950, no. 16-17, S. 201; zur päpstlich angeordneten Predigt und entsprechendem Ablass: ''Die Briefe Papst Clemens’ IV. (1265–1268). Vorläufige Edition'', ed. Matthias Thumser, o.O. 2015, URL: [http://www.mgh.de/fileadmin/Downloads/pdf/clemens_2015.pdf http://www.mgh.de/fileadmin/Downloads/pdf/clemens_2015.pdf] (Zugriff: 28.07.2020), no. 442, S. 291-292, bzw. Martène, Edmond, Durand, Ursin, ''Thesaurus novus anecdotorum'', Bd. 2, Paris: Sumptibus Florentini Delaulne u.a., 1717, 605, Sp. 575-576<nowiki>; </nowiki>Maier, Crusade, S. 350-375..</ref>.  


So war eigentlich das Ende der traditionsreichen interreligiösen Kopräsenz in Süditalien zu erwarten. Doch geschah das Erstaunliche: „Nach Beratung mit (…) Grafen und Baronen“ nahm Karl I. von Anjou das Gros der Muslime ein weiteres Mal „aus königlicher Großzügigkeit in (…) Gnade auf“. Über die Konditionen dieser Unterwerfung berichtet der zitierte Patentbrief Näheres: Die Muslime hatten dem christlichen König und seinen Erben gehorsam zu sein und sich in ihren hergebrachten Status als ''servi regis'' zu fügen. Letzteres bedeutete laut Parallelquellen unter anderem eingeschränkte Freizügigkeit und die Zahlung einer speziellen Kopfsteuer, die in Analogie zur entsprechenden Steuer geduldeter religiöser Minderheiten in muslimischen Herrschaftsgebieten (''ğizya'') lateinisch ''gesia'' oder ''gisia'' hieß.<ref name="ftn13">Dazu jüngst Engl, ''Kultur'', S. 149-150, 153, mit Quellen- und Literaturverweisen.</ref> Im Gegenzug erhielten die unterworfenen Muslime physisch, materiell, rechtlich und religiös den königlichen Schutz zugesichert: „Ihr Leben und ihre Glieder“ sollten im ganzen Königreich ebenso sicher sein wie ihre „Sachen“, die Muslime sollten „in keiner Angelegenheit gegen die Gerechtigkeit belästigt werden“, und „nicht gezwungen werden, eine andere als ihre Religion anzunehmen und zu glauben“.
[§10] So war eigentlich das Ende der traditionsreichen interreligiösen Kopräsenz in Süditalien zu erwarten. Doch geschah das Erstaunliche: „Nach Beratung mit (…) Grafen und Baronen“ nahm Karl I. von Anjou das Gros der Muslime ein weiteres Mal „aus königlicher Großzügigkeit in (…) Gnade auf“. Über die Konditionen dieser Unterwerfung berichtet der zitierte Patentbrief Näheres: Die Muslime hatten dem christlichen König und seinen Erben gehorsam zu sein und sich in ihren hergebrachten Status als ''servi regis'' zu fügen. Letzteres bedeutete laut Parallelquellen unter anderem eingeschränkte Freizügigkeit und die Zahlung einer speziellen Kopfsteuer, die in Analogie zur entsprechenden Steuer geduldeter religiöser Minderheiten in muslimischen Herrschaftsgebieten (''ğizya'') lateinisch ''gesia'' oder ''gisia'' hieß.<ref name="ftn13">Dazu jüngst Engl, ''Kultur'', S. 149-150, 153, mit Quellen- und Literaturverweisen.</ref> Im Gegenzug erhielten die unterworfenen Muslime physisch, materiell, rechtlich und religiös den königlichen Schutz zugesichert: „Ihr Leben und ihre Glieder“ sollten im ganzen Königreich ebenso sicher sein wie ihre „Sachen“, die Muslime sollten „in keiner Angelegenheit gegen die Gerechtigkeit belästigt werden“, und „nicht gezwungen werden, eine andere als ihre Religion anzunehmen und zu glauben“.


Die damit vollzogene politische Kehrtwende Karls I. von Anjou gegenüber den süditalienischen Muslimen dokumentiert der hier behandelte Patentbrief. Er diente dazu, elf Tage nach der Unterwerfung die Amtsträger des Reiches auf die neue Politik zu verpflichten. Dabei spricht er die gesamte Reichsverwaltung an – die obersten provinziellen Exekutiv- und Justizbeauftragten (Justitiare), die Finanzverwalter (Sekreten und Vizesekreten) und Hüter der Kastelle (Kastellane) sowie die lokalen Justiz- und Finanzverwalter (Baillis) und Amtsträger mit polizeilichen Aufgaben (''magistri iurati''); aber auch alle Einwohner des Königreiches sollten das Schreiben beachten. Sie alle, Amtsträger wie Bevölkerung, die zuvor zur Bekämpfung der Muslime verpflichtet gewesen waren, wurden nun auf deren Schutz eingeschworen: Die Muslime seien „gemeinsam und einzeln an Personen und Sachen überall“ zu verteidigen.  
[§11] Die damit vollzogene politische Kehrtwende Karls I. von Anjou gegenüber den süditalienischen Muslimen dokumentiert der hier behandelte Patentbrief. Er diente dazu, elf Tage nach der Unterwerfung die Amtsträger des Reiches auf die neue Politik zu verpflichten. Dabei spricht er die gesamte Reichsverwaltung an – die obersten provinziellen Exekutiv- und Justizbeauftragten (Justitiare), die Finanzverwalter (Sekreten und Vizesekreten) und Hüter der Kastelle (Kastellane) sowie die lokalen Justiz- und Finanzverwalter (Baillis) und Amtsträger mit polizeilichen Aufgaben (''magistri iurati''); aber auch alle Einwohner des Königreiches sollten das Schreiben beachten. Sie alle, Amtsträger wie Bevölkerung, die zuvor zur Bekämpfung der Muslime verpflichtet gewesen waren, wurden nun auf deren Schutz eingeschworen: Die Muslime seien „gemeinsam und einzeln an Personen und Sachen überall“ zu verteidigen.  


== Kontextualisierung, Analyse & Interpretation:  ==
== Kontextualisierung, Analyse & Interpretation:  ==
Die Quelle erscheint in dreierlei Hinsicht relevant: Erstens legt sie wesentliche Aspekte der rechtlichen Basis offen, die das christlich-muslimische Zusammenleben im Süditalien des späteren 13. Jahrhunderts regelte. Zweitens gibt sie im Verein mit dem zitierten parallelen Mandat vom 28.08.1269<ref name="ftn14">Vgl. oben bei Anm. 10.</ref> über das Zustandekommen dieser Bestimmungen Auskunft; damit wird ein typischer interreligiöser Konfliktlösungsprozess ersichtlich, inklusive seiner verbalen und nonverbalen Kommunikationsmechanismen und späteren Deutung. Drittens stellt der Patentbrief auf übergeordneter Ebene Vergleichsmaterial zur Einschätzung der Entwicklung interreligiöser Beziehungen im Umfeld eines entscheidenden Herrschaftsumbruchs dar und macht damit den Wandel im Verhältnis der Religionsgruppen im zentralen Mittelmeerraum exemplarischer Beurteilung zugänglich. Interessant ist dabei, dass die Quelle in Kombination mit weiterer Überlieferung das Überdenken älterer Forschungspositionen zu den genannten Themenfeldern erlaubt.  
[§12] Die Quelle erscheint in dreierlei Hinsicht relevant: Erstens legt sie wesentliche Aspekte der rechtlichen Basis offen, die das christlich-muslimische Zusammenleben im Süditalien des späteren 13. Jahrhunderts regelte. Zweitens gibt sie im Verein mit dem zitierten parallelen Mandat vom 28.08.1269<ref name="ftn14">Vgl. oben bei Anm. 10.</ref> über das Zustandekommen dieser Bestimmungen Auskunft; damit wird ein typischer interreligiöser Konfliktlösungsprozess ersichtlich, inklusive seiner verbalen und nonverbalen Kommunikationsmechanismen und späteren Deutung. Drittens stellt der Patentbrief auf übergeordneter Ebene Vergleichsmaterial zur Einschätzung der Entwicklung interreligiöser Beziehungen im Umfeld eines entscheidenden Herrschaftsumbruchs dar und macht damit den Wandel im Verhältnis der Religionsgruppen im zentralen Mittelmeerraum exemplarischer Beurteilung zugänglich. Interessant ist dabei, dass die Quelle in Kombination mit weiterer Überlieferung das Überdenken älterer Forschungspositionen zu den genannten Themenfeldern erlaubt.  


Zunächst zu den rechtlichen Regelungen, die der Patentbrief erwähnt: Sie lassen sich als königliche Schutzherrschaft über die Muslime fassen, die in spiegelbildlicher Analogie zur ''ḏimma'' stand, d.h. der Eingliederung von Anhängern nichtislamischer Buchreligionen in islamischen Reichen:<ref name="ftn15">Vgl. ebd.; zur ''ḏimma'' einführend beispielsweise Friedman, Dhimma.</ref> Im Gegenzug zur steuerpflichtigen Unterwerfung der süditalienischen Muslime unter den König gewährleistete dieser den Schutz von Leib und Leben, ihren Besitz und ihre Religionsausübung. Auf diese Weise hatten die süditalienischen Muslime schon in der Stauferzeit gelebt. Der Patentbrief dokumentiert somit, dass Karl ungeachtet des zweimaligen muslimischen Aufbegehrens, seines Kreuzzuges und seiner erbitterten Feindschaft zu den Staufern ausgerechnet die Regelung seiner bekämpften Vorgänger zur Eingliederung der religiösen Minderheit in sein Reich beibehielt. Daran ändert auch wenig, dass die Quelle eine kleine Verschlechterung bezeugt: Die Güter der Muslime sollten fortan nur mehr insofern geschützt sein, als sie eigentlich dem König gehörten. Damit war erstmals ein Obereigentum formuliert, das drei Jahrzehnte später einer Enteignung der Muslime zum Vorwand diente.<ref name="ftn16">Dazu insbes. Egidi, Colonia 39 (1914), S. 132-135, mit Quellenverweisen; Abulafia, Monarchs, S. 244f.; Abulafia, Caduta, S. 182-183; Abulafia, Servitude, S. 704.</ref> Vorerst aber hatte dies keine praktischen Auswirkungen. Hinzu kamen laut Parallelquellen noch einige weitere Wermutstropfen für die Muslime:<ref name="ftn17">Dazu insbes. Egidi, Colonia 36 (1911), S. 644-647; Engl, ''Kultur'', S. 255-257; demnächst Engl, Resilienz.</ref> Ihre Bevölkerungsmehrheit musste die prostaufischen muslimischen Großen und christlichen Rebellen zur Hinrichtung ausliefern, das innerstädtische Kastell an Karl übergeben und die Stadtbefestigungen vorübergehend schleifen. Zudem war ein erheblicher Tribut von 4000 Goldunzen zu entrichten, etwa das Vierfache des jährlichen Steueraufkommens von Lucera, was allerdings in Anbetracht ‚guter Führung‘ bald auf die Hälfte reduziert wurde.  
[§13] Zunächst zu den rechtlichen Regelungen, die der Patentbrief erwähnt: Sie lassen sich als königliche Schutzherrschaft über die Muslime fassen, die in spiegelbildlicher Analogie zur ''ḏimma'' stand, d.h. der Eingliederung von Anhängern nichtislamischer Buchreligionen in islamischen Reichen:<ref name="ftn15">Vgl. ebd.; zur ''ḏimma'' einführend beispielsweise Friedman, Dhimma.</ref> Im Gegenzug zur steuerpflichtigen Unterwerfung der süditalienischen Muslime unter den König gewährleistete dieser den Schutz von Leib und Leben, ihren Besitz und ihre Religionsausübung. Auf diese Weise hatten die süditalienischen Muslime schon in der Stauferzeit gelebt. Der Patentbrief dokumentiert somit, dass Karl ungeachtet des zweimaligen muslimischen Aufbegehrens, seines Kreuzzuges und seiner erbitterten Feindschaft zu den Staufern ausgerechnet die Regelung seiner bekämpften Vorgänger zur Eingliederung der religiösen Minderheit in sein Reich beibehielt. Daran ändert auch wenig, dass die Quelle eine kleine Verschlechterung bezeugt: Die Güter der Muslime sollten fortan nur mehr insofern geschützt sein, als sie eigentlich dem König gehörten. Damit war erstmals ein Obereigentum formuliert, das drei Jahrzehnte später einer Enteignung der Muslime zum Vorwand diente.<ref name="ftn16">Dazu insbes. Egidi, Colonia 39 (1914), S. 132-135, mit Quellenverweisen; Abulafia, Monarchs, S. 244f.; Abulafia, Caduta, S. 182-183; Abulafia, Servitude, S. 704.</ref> Vorerst aber hatte dies keine praktischen Auswirkungen. Hinzu kamen laut Parallelquellen noch einige weitere Wermutstropfen für die Muslime:<ref name="ftn17">Dazu insbes. Egidi, Colonia 36 (1911), S. 644-647; Engl, ''Kultur'', S. 255-257; demnächst Engl, Resilienz.</ref> Ihre Bevölkerungsmehrheit musste die prostaufischen muslimischen Großen und christlichen Rebellen zur Hinrichtung ausliefern, das innerstädtische Kastell an Karl übergeben und die Stadtbefestigungen vorübergehend schleifen. Zudem war ein erheblicher Tribut von 4000 Goldunzen zu entrichten, etwa das Vierfache des jährlichen Steueraufkommens von Lucera, was allerdings in Anbetracht ‚guter Führung‘ bald auf die Hälfte reduziert wurde.  


Somit war die Unterwerfung der Muslime unter Karl I. von Anjou 1269 durchaus mit gewissen Härten verbunden, die die günstigere Situation der vorangegangenen späten Stauferzeit eintrübten.<ref name="ftn18">Dies entgegen Metcalfe, ''Muslims'', S. 293, demzufolge der „status quo ante was restored“, sowie Scheller, Assimilation, S. 152, demzufolge das muslimische Lucera „unter Karl I. und zunächst auch unter Karl II. (...) seine eigentliche Blüte“ erlebt habe.</ref> Trotzdem waren die Muslime noch keine Kammerknechte, wie fast die gesamte bisherige Forschung annahm:<ref name="ftn19">So insbes. Taylor, ''Muslims'', S. 51 und 67; Metcalfe, ''Muslims'', S. 283; Nef, Déportation, S. 467; Vanoli, ''Sicilia'', S. 216; mit Belegen ab 1289 konstatiert zwar Scheller, Assimilation, S. 148, 152, das Fehlen des Begriffes bis 1269, er hält dies aber für Überlieferungszufall.</ref> In der Quelle ist lediglich von ''servi regis'' die Rede, während der für die Juden unter Friedrich II. bekannte Begriff ''servi camere regis'' für die muslimische Bevölkerung erst ab 1289 begegnet. Insgesamt lässt sich damit konstatieren, dass die Muslime 1269 zwar Einbußen ihrer militärischen Stärke und Finanzkraft hinnehmen mussten, ihre Siedlungsmöglichkeiten und Freiheiten islamischer Religionsausübung im christlichen Reich aber ungeschmälert blieben. Offenbar dienten diese Bedingungen eher der Verhinderung neuer Rebellion und der angiovinischen Herrschaftsstabilisierung als der Bekehrung oder Vertreibung der Muslime.
[§14] Somit war die Unterwerfung der Muslime unter Karl I. von Anjou 1269 durchaus mit gewissen Härten verbunden, die die günstigere Situation der vorangegangenen späten Stauferzeit eintrübten.<ref name="ftn18">Dies entgegen Metcalfe, ''Muslims'', S. 293, demzufolge der „status quo ante was restored“, sowie Scheller, Assimilation, S. 152, demzufolge das muslimische Lucera „unter Karl I. und zunächst auch unter Karl II. (...) seine eigentliche Blüte“ erlebt habe.</ref> Trotzdem waren die Muslime noch keine Kammerknechte, wie fast die gesamte bisherige Forschung annahm:<ref name="ftn19">So insbes. Taylor, ''Muslims'', S. 51 und 67; Metcalfe, ''Muslims'', S. 283; Nef, Déportation, S. 467; Vanoli, ''Sicilia'', S. 216; mit Belegen ab 1289 konstatiert zwar Scheller, Assimilation, S. 148, 152, das Fehlen des Begriffes bis 1269, er hält dies aber für Überlieferungszufall.</ref> In der Quelle ist lediglich von ''servi regis'' die Rede, während der für die Juden unter Friedrich II. bekannte Begriff ''servi camere regis'' für die muslimische Bevölkerung erst ab 1289 begegnet. Insgesamt lässt sich damit konstatieren, dass die Muslime 1269 zwar Einbußen ihrer militärischen Stärke und Finanzkraft hinnehmen mussten, ihre Siedlungsmöglichkeiten und Freiheiten islamischer Religionsausübung im christlichen Reich aber ungeschmälert blieben. Offenbar dienten diese Bedingungen eher der Verhinderung neuer Rebellion und der angiovinischen Herrschaftsstabilisierung als der Bekehrung oder Vertreibung der Muslime.


Wie diese eher glimpfliche Unterwerfung zustande kam, kann gegenüber der bisherigen Forschung eingehender rekonstruiert werden.<ref name="ftn20">Vgl. auch Engl, ''Kultur'', S. 253-255; demnächst Engl, Resilienz.</ref> Schließlich dokumentiert der Patentbrief gemeinsam mit dem oben zitierten Mandat vom 28.8.1269<ref name="ftn21">Vgl. oben bei Anm. 10.</ref> einen detaillierten Ablauf nonverbaler und verbaler Akte und gibt damit zum zweiten angesprochenen Themenfeld, den Konfliktlösungsmechanismen, Auskunft: Auf eine besonders schmähliche Selbstdemütigung der Muslime mit Stricken um den Hals und Fußfall vor dem Herrscher folgten ein Schuldeingeständnis, Versprechen der Besserung und Bitte um Gnade, die nach kurzer Beratung Karls I. mit seinen führenden Adeligen auch gewährt wurde. Jene Elemente entsprechen genau der Abfolge einer sogenannten ''deditio'': diese war das typische Unterwerfungsritual, mit dem Rebellen einem Herrscher Genugtuung gaben und ihm so das ehrenvolle Gewähren seiner Verzeihung ermöglichen konnten.<ref name="ftn22">Dazu allgemein Althoff, Privileg; vgl. auch Althoff, Genugtuung, S. 252.</ref> Das Tragen von Stricken um den Hals verdeutlichte dabei das Eingeständnis, eigentlich die Todesstrafe verdient zu haben,<ref name="ftn23">Vgl. Moeglin, Harmiscara, S. 44-65.</ref> der Fußfall stellte die Anerkennung der bislang negierten Herrscherautorität vor Augen. Durch öffentliche Rede wurde all dies bestätigt, wobei die Auslieferung an die Willkür des Herrschers nur inszeniert und die Gewährung seiner Verzeihung vorab vereinbart war.<ref name="ftn24">Vgl. wiederum Althoff, Privileg.</ref>  
[§15] Wie diese eher glimpfliche Unterwerfung zustande kam, kann gegenüber der bisherigen Forschung eingehender rekonstruiert werden.<ref name="ftn20">Vgl. auch Engl, ''Kultur'', S. 253-255; demnächst Engl, Resilienz.</ref> Schließlich dokumentiert der Patentbrief gemeinsam mit dem oben zitierten Mandat vom 28.8.1269<ref name="ftn21">Vgl. oben bei Anm. 10.</ref> einen detaillierten Ablauf nonverbaler und verbaler Akte und gibt damit zum zweiten angesprochenen Themenfeld, den Konfliktlösungsmechanismen, Auskunft: Auf eine besonders schmähliche Selbstdemütigung der Muslime mit Stricken um den Hals und Fußfall vor dem Herrscher folgten ein Schuldeingeständnis, Versprechen der Besserung und Bitte um Gnade, die nach kurzer Beratung Karls I. mit seinen führenden Adeligen auch gewährt wurde. Jene Elemente entsprechen genau der Abfolge einer sogenannten ''deditio'': diese war das typische Unterwerfungsritual, mit dem Rebellen einem Herrscher Genugtuung gaben und ihm so das ehrenvolle Gewähren seiner Verzeihung ermöglichen konnten.<ref name="ftn22">Dazu allgemein Althoff, Privileg; vgl. auch Althoff, Genugtuung, S. 252.</ref> Das Tragen von Stricken um den Hals verdeutlichte dabei das Eingeständnis, eigentlich die Todesstrafe verdient zu haben,<ref name="ftn23">Vgl. Moeglin, Harmiscara, S. 44-65.</ref> der Fußfall stellte die Anerkennung der bislang negierten Herrscherautorität vor Augen. Durch öffentliche Rede wurde all dies bestätigt, wobei die Auslieferung an die Willkür des Herrschers nur inszeniert und die Gewährung seiner Verzeihung vorab vereinbart war.<ref name="ftn24">Vgl. wiederum Althoff, Privileg.</ref>  


In zweierlei Hinsicht werden dadurch ältere Forschungsmeinungen in Frage gestellt: Erstens herrschte seit Theo Broekmanns maßgeblicher Studie die Meinung, im streng regierten Königreich Sizilien habe „das Ritual als Konfliktlösungsstrategie (…) in den neun Jahren von 1130–1139 seine Rolle ausgespielt“<ref name="ftn25">Broekmann, ''‚Rigor iustitiae‘'', S. 195.</ref>. Doch lehrt die hier dokumentierte Unterwerfung in Verbindung mit analogen Belegen aus der Stauferzeit,<ref name="ftn26">Vgl. Engl, ''Kultur'', S. 118, 190-191; Engl, Dynamiken, S. 204-205.</ref> dass die Ausgleichsmöglichkeit der ''deditio'' nicht nur den Christen, sondern auch den Muslimen Süditaliens weiterhin offenstand. Damit hatten auch Letztere Anteil an einer Ritualkultur, die durch selbstverpflichtende Kommunikationsakte Vertrauen stiftete.<ref name="ftn27">Zum vertrauensstiftenden Charakter entsprechender Rituale beispielsweise Althoff, Vertrauensbildung, S. 248-249.</ref> Faszinierend ist dabei, dass der Patentbrief den Vorgang sogar in Anspielung auf eine kirchliche Buße interpretiert: die Kombination der Begriffe „Zerknirschung des Herzens“ (''cordis contrictionem)'' und „Bekenntnis des Mundes“ (''oris confexionem'') mit anschließendem „Vergeben“ (''remittimus'') ist kaum anders zu deuten.<ref name="ftn28">Zu ''contritio cordis'', ''confessio oris'', ''satisfactio'' und ''remissio'' als konstituierenden Bestandteilen der Buße beispielsweise Benrath, Buße.</ref> Offenbar rechtfertigte das Schreiben Karl von Anjous Politikwechsel gegenüber den sizilischen Muslimen dadurch, dass es diese wie reuige christliche Sünder erscheinen ließ. Es war demnach nicht abwegig, die Muslime als Teilhaber an allgemeinverständlichen Ritualen mit christlicher Symbolik zu sehen.
[§16] In zweierlei Hinsicht werden dadurch ältere Forschungsmeinungen in Frage gestellt: Erstens herrschte seit Theo Broekmanns maßgeblicher Studie die Meinung, im streng regierten Königreich Sizilien habe „das Ritual als Konfliktlösungsstrategie (…) in den neun Jahren von 1130–1139 seine Rolle ausgespielt“<ref name="ftn25">Broekmann, ''‚Rigor iustitiae‘'', S. 195.</ref>. Doch lehrt die hier dokumentierte Unterwerfung in Verbindung mit analogen Belegen aus der Stauferzeit,<ref name="ftn26">Vgl. Engl, ''Kultur'', S. 118, 190-191; Engl, Dynamiken, S. 204-205.</ref> dass die Ausgleichsmöglichkeit der ''deditio'' nicht nur den Christen, sondern auch den Muslimen Süditaliens weiterhin offenstand. Damit hatten auch Letztere Anteil an einer Ritualkultur, die durch selbstverpflichtende Kommunikationsakte Vertrauen stiftete.<ref name="ftn27">Zum vertrauensstiftenden Charakter entsprechender Rituale beispielsweise Althoff, Vertrauensbildung, S. 248-249.</ref> Faszinierend ist dabei, dass der Patentbrief den Vorgang sogar in Anspielung auf eine kirchliche Buße interpretiert: die Kombination der Begriffe „Zerknirschung des Herzens“ (''cordis contrictionem)'' und „Bekenntnis des Mundes“ (''oris confexionem'') mit anschließendem „Vergeben“ (''remittimus'') ist kaum anders zu deuten.<ref name="ftn28">Zu ''contritio cordis'', ''confessio oris'', ''satisfactio'' und ''remissio'' als konstituierenden Bestandteilen der Buße beispielsweise Benrath, Buße.</ref> Offenbar rechtfertigte das Schreiben Karl von Anjous Politikwechsel gegenüber den sizilischen Muslimen dadurch, dass es diese wie reuige christliche Sünder erscheinen ließ. Es war demnach nicht abwegig, die Muslime als Teilhaber an allgemeinverständlichen Ritualen mit christlicher Symbolik zu sehen.


Daraus ergibt sich eine zweite Konsequenz: Da ''deditiones'' üblicherweise vorher ausgehandelt wurden, ist entgegen älteren Forschungsmeinungen nicht mehr von einer bedingungslosen Kapitulation der Muslime im Jahr 1269 auszugehen.<ref name="ftn29">So aber insbes. Egidi, Colonia 36 (1911), S. 644; Haseloff, ''Bauten'', S. 123; Göbbels, ''Militärwesen'', S. 119; Göbbels, Krieg, S. 400.</ref> Vielmehr schloss Luceras Bevölkerungsmehrheit einen Kompromiss mit Karl von Anjou, was der Chronist Thomas von Pavia bestätigt: Ihm zufolge „gab es keinen anderen Grund [für Karl I. von Anjou], die Leute auf diese Weise anzunehmen, als dass die Stadt [Lucera], die sehr stark war, mit Gewalt nicht eingenommen werden konnte.“<ref name="ftn30">Vgl. Thomas [von Pavia], ''Gesta imperatorum et pontificum'', ed. Ernst Ehrenfeuchter (MGH SS 22), Hannover: Hahn, 1872, S. 490-528, hier S. 523: „Nuceria vero Sarracenica civitas (…) traditis proditoribus fugitivis, salvis rebus omnibus et personis, regis ditioni se tradidit. Nec alia causa recipiendi homines huiusmodi causa fuit, nisi, cum esset civitas nimis fortis, vi non poterat optineri.“</ref> So habe der Angiovine ertragen, „dass sie dort wohnten, wobei er ihnen die Verträge ungeschmälert erhielt, die er versprochen hatte.“<ref name="ftn31">Vgl. Thomas [von Pavia], ''Gesta imperatorum et pontificum'', ed. Ehrenfeuchter, S. 523: „(…) eos ibi habitare substinuit, pacta illibata illis retinens, que promisit.“</ref> Folglich ist festzuhalten, dass die Muslime Süditaliens selbst im Moment ihrer erneuten Niederlage noch genug militärisches und politisches Gewicht besaßen, um dem christlichen König einen Kompromiss abringen zu können.  
[§17] Daraus ergibt sich eine zweite Konsequenz: Da ''deditiones'' üblicherweise vorher ausgehandelt wurden, ist entgegen älteren Forschungsmeinungen nicht mehr von einer bedingungslosen Kapitulation der Muslime im Jahr 1269 auszugehen.<ref name="ftn29">So aber insbes. Egidi, Colonia 36 (1911), S. 644; Haseloff, ''Bauten'', S. 123; Göbbels, ''Militärwesen'', S. 119; Göbbels, Krieg, S. 400.</ref> Vielmehr schloss Luceras Bevölkerungsmehrheit einen Kompromiss mit Karl von Anjou, was der Chronist Thomas von Pavia bestätigt: Ihm zufolge „gab es keinen anderen Grund [für Karl I. von Anjou], die Leute auf diese Weise anzunehmen, als dass die Stadt [Lucera], die sehr stark war, mit Gewalt nicht eingenommen werden konnte.“<ref name="ftn30">Vgl. Thomas [von Pavia], ''Gesta imperatorum et pontificum'', ed. Ernst Ehrenfeuchter (MGH SS 22), Hannover: Hahn, 1872, S. 490-528, hier S. 523: „Nuceria vero Sarracenica civitas (…) traditis proditoribus fugitivis, salvis rebus omnibus et personis, regis ditioni se tradidit. Nec alia causa recipiendi homines huiusmodi causa fuit, nisi, cum esset civitas nimis fortis, vi non poterat optineri.“</ref> So habe der Angiovine ertragen, „dass sie dort wohnten, wobei er ihnen die Verträge ungeschmälert erhielt, die er versprochen hatte.“<ref name="ftn31">Vgl. Thomas [von Pavia], ''Gesta imperatorum et pontificum'', ed. Ehrenfeuchter, S. 523: „(…) eos ibi habitare substinuit, pacta illibata illis retinens, que promisit.“</ref> Folglich ist festzuhalten, dass die Muslime Süditaliens selbst im Moment ihrer erneuten Niederlage noch genug militärisches und politisches Gewicht besaßen, um dem christlichen König einen Kompromiss abringen zu können.  


Daraus ergeben sich zuletzt Erkenntnisse zu einem dritten Thema, der Gesamtentwicklung des Verhältnisses von Christen und Muslimen im Süditalien des ‚langen‘ 13. Jahrhunderts. Eine Vielzahl bisheriger Historikerinnen und Historiker sah diesen Prozess als geradezu unausweichlichen Niedergang:<ref name="ftn32">Vgl. besonders explizit Abulafia, End; Koller, Toleranz, S. 183-185; Feniello, Segno, S. 211-255; Dalli, Coexistence, S. 37-39, stellvertretend für weitere Publikationen; weniger teleologisch und monokausal, aber doch im Sinne einer kontinuierlichen Verfallsgeschichte Metcalfe, ''Muslims'', S. 141-142.</ref> Die Muslime seien bereits im Sizilien des späteren 12. Jahrhunderts aus religiösen Gründen unterdrückt und schließlich in verzweifelten, aber strukturell aussichtslosen Widerstand gegen die Christen getrieben worden, mit der notwendigen Folge der Deportation auf das süditalienische Festland im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts. Auch hier habe der Verfall seine Fortsetzung genommen: Isoliert von ihren Glaubensgenossen hätten die Muslime in der Enklave Lucera vollkommen von der Gnade des christlichen Herrschers abhängig gelebt. Ihre endgültige Vertreibung und weitgehende Versklavung, die im Jahr 1300 stattfand, sei quasi vorgezeichnet gewesen.  
[§18] Daraus ergeben sich zuletzt Erkenntnisse zu einem dritten Thema, der Gesamtentwicklung des Verhältnisses von Christen und Muslimen im Süditalien des ‚langen‘ 13. Jahrhunderts. Eine Vielzahl bisheriger Historikerinnen und Historiker sah diesen Prozess als geradezu unausweichlichen Niedergang:<ref name="ftn32">Vgl. besonders explizit Abulafia, End; Koller, Toleranz, S. 183-185; Feniello, Segno, S. 211-255; Dalli, Coexistence, S. 37-39, stellvertretend für weitere Publikationen; weniger teleologisch und monokausal, aber doch im Sinne einer kontinuierlichen Verfallsgeschichte Metcalfe, ''Muslims'', S. 141-142.</ref> Die Muslime seien bereits im Sizilien des späteren 12. Jahrhunderts aus religiösen Gründen unterdrückt und schließlich in verzweifelten, aber strukturell aussichtslosen Widerstand gegen die Christen getrieben worden, mit der notwendigen Folge der Deportation auf das süditalienische Festland im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts. Auch hier habe der Verfall seine Fortsetzung genommen: Isoliert von ihren Glaubensgenossen hätten die Muslime in der Enklave Lucera vollkommen von der Gnade des christlichen Herrschers abhängig gelebt. Ihre endgültige Vertreibung und weitgehende Versklavung, die im Jahr 1300 stattfand, sei quasi vorgezeichnet gewesen.  


Die Betrachtung von Situationen wie der Unterwerfung von 1269 mahnt allerdings zu Vorsicht gegenüber solch teleologischen Narrativen: Erstens ordneten der König wie die Muslime die vermeintlich dominierenden religiösen Motive politischen Notwendigkeiten unter: Karl I. von Anjou kümmerte die Konsolidierung seiner Herrschaft ersichtlich mehr als die Bekehrung oder Vertreibung der Andersgläubigen; und auch diese waren offenbar nicht durch die Religion geeint, als ihre friedenswillige Mehrheitsbevölkerung die eigenen prostaufischen Eliten auslieferte. Zum Zweiten verblieben den Muslimen weiterhin gewisse Handlungsoptionen, immerhin konnten sie trotz wiederholter Rebellion ein ausgehandeltes Unterwerfungsritual erwirken. Die Möglichkeit zu derart gelingender Kommunikation war die Vorrausetzung einer neuen, drei Jahrzehnte andauernden Koexistenzperiode. Über deren Auftakt und die zugrundeliegenden Mechanismen verrät die Quelle also Interessantes.|6=''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', Bd. 7: 1269–1272, ed. Iole Mazzoleni, Neapel: presso l’Accademia, 1960.|7=Abulafia, David: La caduta di Lucera Saracenorum, in: ''Per la storia del Mezzogiorno medievale e moderno. Studi in memoria di Jole Mazzoleni'', Neapel: Ministero per i beni culturali e ambientali, 1998, S. 171-186.  
[§19] Die Betrachtung von Situationen wie der Unterwerfung von 1269 mahnt allerdings zu Vorsicht gegenüber solch teleologischen Narrativen: Erstens ordneten der König wie die Muslime die vermeintlich dominierenden religiösen Motive politischen Notwendigkeiten unter: Karl I. von Anjou kümmerte die Konsolidierung seiner Herrschaft ersichtlich mehr als die Bekehrung oder Vertreibung der Andersgläubigen; und auch diese waren offenbar nicht durch die Religion geeint, als ihre friedenswillige Mehrheitsbevölkerung die eigenen prostaufischen Eliten auslieferte. Zum Zweiten verblieben den Muslimen weiterhin gewisse Handlungsoptionen, immerhin konnten sie trotz wiederholter Rebellion ein ausgehandeltes Unterwerfungsritual erwirken. Die Möglichkeit zu derart gelingender Kommunikation war die Vorrausetzung einer neuen, drei Jahrzehnte andauernden Koexistenzperiode. Über deren Auftakt und die zugrundeliegenden Mechanismen verrät die Quelle also Interessantes.|6=''I registri della cancelleria angioina ricostruiti da Riccardo Filangieri con la collaborazione degli archivisti napoletani'', Bd. 7: 1269–1272, ed. Iole Mazzoleni, Neapel: presso l’Accademia, 1960.|7=Abulafia, David: La caduta di Lucera Saracenorum, in: ''Per la storia del Mezzogiorno medievale e moderno. Studi in memoria di Jole Mazzoleni'', Neapel: Ministero per i beni culturali e ambientali, 1998, S. 171-186.  


Abulafia, David: Monarchs and Minorities in the Christian Western Mediterranean around 1300. Lucera and its Analogues, in: Scott L. Waugh, Peter D. Diehl (Hrsg.), ''Christendom and its Discontents. Exclusion, Persecution, and Rebellion, 1000–1500'', Cambridge: Cambridge University Press, 1996, S. 234-263.
Abulafia, David: Monarchs and Minorities in the Christian Western Mediterranean around 1300. Lucera and its Analogues, in: Scott L. Waugh, Peter D. Diehl (Hrsg.), ''Christendom and its Discontents. Exclusion, Persecution, and Rebellion, 1000–1500'', Cambridge: Cambridge University Press, 1996, S. 234-263.
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