694: Der Vorwurf jüdischer Kollaboration in den Akten des 17. Konzils von Toledo: Unterschied zwischen den Versionen

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Ferner sind für dieselbe Periode der 630er und 640er Vorwürfe zu verzeichnen, Juden hätten mit den expandierenden Muslimen in Nordafrika kollaboriert. In Nordafrika stationiert, kritisierte der Mönch Maximus Confessor zwischen 634 und 640 zwar die von Herakleios angeordneten Zwangstaufen, zu denen der Befehl in Carthago wohl um 632 erging. Dennoch warf er den Juden vor, das Kommen der Muslime zu begrüßen und auch aktiv zu unterstützen.<ref name="ftn14">Kaegi, ''Muslim Expansion'', S. 84-85, mit ausführlichem Quellenzitat in englischer Übersetzung. </ref> Ähnliches impliziert auch die wahrscheinlich um 634 verfasste ''Doctrina Jacobi nuper baptizati''. Bei dieser handelt es sich um einen griechischen Text, der angeblich von einem kürzlich zum Christentum konvertierten Juden verfasst worden sein soll. Hier wird z. B. von der Freude einiger Juden über die Ermordung eines byzantinischen Funktionärs durch die Muslime berichtet und behauptet, dass Juden das Byzantinische Reich mit der vierten Bestie in der Vision des Propheten Daniel identifizierten und außerdem deutlich betont, dass es sich bei Muḥammad, beschrieben als bewaffneter falscher Prophet aus der Wüste, in keinem Falle um den Messias handeln könne, die Juden also wohl doch Jesus Christus als den echten Messias anerkennen müssten.<ref name="ftn15">Edition und französische Übersetzung bei Dagron und Déroche, ''Juifs et chrétiens'', S. 17-248. Zur Quelle vgl. Kaegi, Initial Byzantine Reactions, S. 141-142; Hoyland, ''Seeing Islam'', S. 55-61.</ref> Auch im Zusammenhang mit der Iberischen Halbinsel gibt es jenseits der Verschwörungstheorie des Toledaner Konzils von 694 Hinweise auf eine mögliche Kollaboration westgotischer Juden und der expandierenden Muslime. Der anonymen und bezüglich ihrer Datierung stark umstrittenen Chronik ''Aḫbār maǧmūʿa ''zufolge handelten die Muslime nach ihrem Einzug in iberische Städte folgendermaßen: “Wenn sie Juden in einer Siedlung fanden, dann brachten sie sie in die regionale Hauptstadt und ließen eine Gruppe von Muslimen mit ihnen, während die meisten weiterzogen. Dies machten sie so in Granada, Elvira, aber nicht in Málaga oder Rayya, weil sie dort keine Juden fanden.”<ref name="ftn16">''Aḫbār maǧmūʿa'', ed./transl. Lafuente y Alcántara, p. 12 (AR): “wa-kānū iḏā alqū l-yahūd bi-balda ḍammūhum ilā madīnat al-balad wa-tarakū maʿahum min al-muslimīn ṭāʾifa wa-maḍā ʿaẓam al-nās fa-faʿalū ḏālika bi-Ġarnāṭa madīnat al-Bīra wa-lam yafʿalū ḏālika bi-Māliqa madīnat Rayya li-annahum lam yaǧidū bi-hā Yahūdan (...).”</ref>
Ferner sind für dieselbe Periode der 630er und 640er Vorwürfe zu verzeichnen, Juden hätten mit den expandierenden Muslimen in Nordafrika kollaboriert. In Nordafrika stationiert, kritisierte der Mönch Maximus Confessor zwischen 634 und 640 zwar die von Herakleios angeordneten Zwangstaufen, zu denen der Befehl in Carthago wohl um 632 erging. Dennoch warf er den Juden vor, das Kommen der Muslime zu begrüßen und auch aktiv zu unterstützen.<ref name="ftn14">Kaegi, ''Muslim Expansion'', S. 84-85, mit ausführlichem Quellenzitat in englischer Übersetzung. </ref> Ähnliches impliziert auch die wahrscheinlich um 634 verfasste ''Doctrina Jacobi nuper baptizati''. Bei dieser handelt es sich um einen griechischen Text, der angeblich von einem kürzlich zum Christentum konvertierten Juden verfasst worden sein soll. Hier wird z. B. von der Freude einiger Juden über die Ermordung eines byzantinischen Funktionärs durch die Muslime berichtet und behauptet, dass Juden das Byzantinische Reich mit der vierten Bestie in der Vision des Propheten Daniel identifizierten und außerdem deutlich betont, dass es sich bei Muḥammad, beschrieben als bewaffneter falscher Prophet aus der Wüste, in keinem Falle um den Messias handeln könne, die Juden also wohl doch Jesus Christus als den echten Messias anerkennen müssten.<ref name="ftn15">Edition und französische Übersetzung bei Dagron und Déroche, ''Juifs et chrétiens'', S. 17-248. Zur Quelle vgl. Kaegi, Initial Byzantine Reactions, S. 141-142; Hoyland, ''Seeing Islam'', S. 55-61.</ref> Auch im Zusammenhang mit der Iberischen Halbinsel gibt es jenseits der Verschwörungstheorie des Toledaner Konzils von 694 Hinweise auf eine mögliche Kollaboration westgotischer Juden und der expandierenden Muslime. Der anonymen und bezüglich ihrer Datierung stark umstrittenen Chronik ''Aḫbār maǧmūʿa ''zufolge handelten die Muslime nach ihrem Einzug in iberische Städte folgendermaßen: “Wenn sie Juden in einer Siedlung fanden, dann brachten sie sie in die regionale Hauptstadt und ließen eine Gruppe von Muslimen mit ihnen, während die meisten weiterzogen. Dies machten sie so in Granada, Elvira, aber nicht in Málaga oder Rayya, weil sie dort keine Juden fanden.”<ref name="ftn16">''Aḫbār maǧmūʿa'', ed./transl. Lafuente y Alcántara, p. 12 (AR): “wa-kānū iḏā alqū l-yahūd bi-balda ḍammūhum ilā madīnat al-balad wa-tarakū maʿahum min al-muslimīn ṭāʾifa wa-maḍā ʿaẓam al-nās fa-faʿalū ḏālika bi-Ġarnāṭa madīnat al-Bīra wa-lam yafʿalū ḏālika bi-Māliqa madīnat Rayya li-annahum lam yaǧidū bi-hā Yahūdan (...).”</ref>


Vor dem Hintergrund der im Byzantinischen Reich stattgefundenen Zwangstaufen und der überaus harten westgotischen Gesetzgebung gegenüber Juden halten die meisten Forscher es für plausibel, dass die Juden Nordafrikas und der Iberischen Halbinsel die muslimische Herrschaftsübernahme wenn nicht begrüßten und unterstützten, so doch zumindest nichts dazu taten, sie aktiv zu verhindern.<ref name="ftn17">Dubnov, ''History'', S. 524-527; Muʾnis, ''Faǧr al-Andalus'', S. 410-412;'' ''Thompson, ''Goths in Spain'', S. 319; Kaegi, ''Muslim Expansion'', S. 84; </ref> Lediglich Norman Roth sieht hier eine Form der letztlich antisemitischen Mythologie, die – gerade in nationalistischen spanischen Diskursen späterer Perioden – den Juden die Schuld an der muslimischen Invasion der Iberischen Halbinsel in die Schuhe schieben will.<ref name="ftn18">Roth, The Jews and the Muslim Invasion, S. 145.</ref> Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass mangelnder Widerstand gegen die muslimische Herrschaftsübernahme und Kollaboration mit den neuen Eliten seitens einiger Juden angesichts des byzantinischen und westgotischen Umgangs mit jüdischen Bevölkerungsgruppen nicht nur völlig verständlich wäre, sondern v. a. auch für zahlreiche nichtjüdische Bevölkerungsgruppen zu verzeichnen ist. Griechische, lateinische und arabische Quellen unterschiedlichster Couleur machen immer wieder deutlich, dass Kollaboration mit den neuen Eliten als ein essenzieller Faktor für den Erfolg der muslimischen Expansion gesehen werden muss, der neben weitere Erklärungsversuche zu stellen ist.<ref name="ftn19">Zu Kollaboration als Faktor der muslimischen Expansion u. a. König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 47, ferner Verweis auf „711-Julian“, „711-Ibn-al-Qūṭiyya“. Zu verschiedenen Erklärungsmodellen für den Erfolg der muslimischen Expansion siehe Kennedy, ''The Great Arab Conquests'', S. 48-65; Noth, Der Frühe Islam, S. 58-73; Donner, The Islamic Conquests, S. 28-50; Collins, ''The Arab Conquest'', S. 5-7.</ref>|6=<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Concilium Toletanum XVII (694), in: José Vives, ''Concilios visigóticos e hispano-romanos'', ed. José Vives, Tomás Marín Martínez, Gonzalo Martínez Díez, Barcelona, Madrid: CSIC, 1963, S. 524-536.</div>|7=<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Claude, Dietrich: Untersuchungen zum Untergang des Westgotenreiches (711‒725), in: ''Historisches Jahrbuch ''108 (1988), S. 329–58.</div>
Vor dem Hintergrund der im Byzantinischen Reich stattgefundenen Zwangstaufen und der überaus harten westgotischen Gesetzgebung gegenüber Juden halten die meisten Forscher es für plausibel, dass die Juden Nordafrikas und der Iberischen Halbinsel die muslimische Herrschaftsübernahme wenn nicht begrüßten und unterstützten, so doch zumindest nichts dazu taten, sie aktiv zu verhindern.<ref name="ftn17">Dubnov, ''History'', S. 524-527; Muʾnis, ''Faǧr al-Andalus'', S. 410-412;'' ''Thompson, ''Goths in Spain'', S. 319; Kaegi, ''Muslim Expansion'', S. 84; </ref> Lediglich Norman Roth sieht hier eine Form der letztlich antisemitischen Mythologie, die – gerade in nationalistischen spanischen Diskursen späterer Perioden – den Juden die Schuld an der muslimischen Invasion der Iberischen Halbinsel in die Schuhe schieben will.<ref name="ftn18">Roth, The Jews and the Muslim Invasion, S. 145.</ref> Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass mangelnder Widerstand gegen die muslimische Herrschaftsübernahme und Kollaboration mit den neuen Eliten seitens einiger Juden angesichts des byzantinischen und westgotischen Umgangs mit jüdischen Bevölkerungsgruppen nicht nur völlig verständlich wäre, sondern v. a. auch für zahlreiche nichtjüdische Bevölkerungsgruppen zu verzeichnen ist. Griechische, lateinische und arabische Quellen unterschiedlichster Couleur machen immer wieder deutlich, dass Kollaboration mit den neuen Eliten als ein essenzieller Faktor für den Erfolg der muslimischen Expansion gesehen werden muss, der neben weitere Erklärungsversuche zu stellen ist.<ref name="ftn19">Zu Kollaboration als Faktor der muslimischen Expansion u. a. König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 47, ferner Verweis auf „711-Julian“, „711-Ibn-al-Qūṭiyya“. Zu verschiedenen Erklärungsmodellen für den Erfolg der muslimischen Expansion siehe Kennedy, ''The Great Arab Conquests'', S. 48-65; Noth, ''Der Frühe Islam'', S. 58-73; Donner, ''The Early Islamic Conquests'', S. 28-50; Collins, ''The Arab Conquest'', S. 5-7.</ref>|6=<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Concilium Toletanum XVII (694), in: José Vives, ''Concilios visigóticos e hispano-romanos'', ed. José Vives, Tomás Marín Martínez, Gonzalo Martínez Díez, Barcelona, Madrid: CSIC, 1963, S. 524-536.</div>|7=<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Claude, Dietrich: Untersuchungen zum Untergang des Westgotenreiches (711‒725), in: ''Historisches Jahrbuch ''108 (1988), S. 329–58.</div>


<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Dagron, Gilbert; Déroche, Vincent: ''Juifs et Chrétiens en Orient byzantin'', Paris: Association des amis du Centre d'histoire et civilisation de Byzance, 2010.</div>
<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Dagron, Gilbert; Déroche, Vincent: ''Juifs et Chrétiens en Orient byzantin'', Paris: Association des amis du Centre d'histoire et civilisation de Byzance, 2010.</div>
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