711-745: Ibn al-Qūṭiyya zur Kooperation seiner westgotischen Vorfahren mit den muslimischen Eroberern: Unterschied zwischen den Versionen

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{{Kapitel AR-DE TAB-3|Daniel G. König|Ibn al-Qūṭiyya, ''Tariḫ iftitaḥ al-Andalus'' [Geschichte der Eroberung von al-Andalus], ed. Ibrāhīm al-Ibyārī, Beirut / Kairo: Dār al-kitāb al-lubnānī, 1989, S. 29-32, übers. Daniel G. König.|5===Autor/in & Werk==
{{Kapitel AR-DE TAB-3|Daniel G. König|Ibn al-Qūṭiyya, ''Tariḫ iftitaḥ al-Andalus'' [Geschichte der Eroberung von al-Andalus], ed. Ibrāhīm al-Ibyārī, Beirut / Kairo: Dār al-kitāb al-lubnānī, 1989, S. 29-32, übers. Daniel G. König.|5===Autor/in & Werk==


Bei Ibn al-Qūṭiyya (gest. 367/977) handelt es sich um einen in Sevilla geborenen und ausgebildeten muslimischen Gelehrten und einen in al-Andalus bekannten Autor von Gedichten, Werken zu Grammatik und Lexikographie, der in Córdoba auch das Amt eines Richters (''qāḍī'') innehatte.<ref name="ftn1">Bosch-Vilà, Ibn al-Ḳūṭiyya, S. 847.</ref> Im Allgemeinen wird er als Autor der hier zitierten "Geschichte der Eroberung von al-Andalus" (''Tārīḫ iftitāḥ al-Andalus'') angesehen. Am Ende des einzigen überlieferten Manuskriptes wird das Werk als "Geschichte des Ibn al-Qūṭiyya" (''Tārīḫ Ibn al-Qūṭiyya'') bezeichnet. Dieses wird zu Anfang mit der Phrase eingeleitet „Es berichtete uns Abū Bakr Muḥammad b. ʿUmar b. ʿAbd al-ʿAzīz [b. al-Qūṭiyya].“<ref name="ftn2">Ibn al-Qūṭiyya, ''Tārīḫ'', ed. al-Ibyārī, S. 29, 127.</ref> Diese Form der Einleitung impliziert, dass es sich bei dem erhaltenen Manuskript um eine von einem oder mehreren Schülern getätigte Abschrift des Werkes bzw. eine Form von "Vorlesungsmitschriften" handelt, von denen allerdings nicht klar ist, ob sie vom Autor selbst authentifiziert wurden. Die Tatsache, dass einige Zitate des Werkes bei späteren arabisch-islamischen Geschichtsschreibern im einzigen erhaltenen Manuskript nicht wiederzufinden sind, impliziert, dass wohl mehrere Varianten des Werkes in Umlauf waren. Damit stellt sich die Frage, ob man hier in der üblichen Weise von einer Autorenschaft sprechen kann. Soweit eine Datierung des Manuskriptes möglich ist, handelt es sich um eine korrumpierte Kurzversion einer Mit- oder Abschrift, die im oder nach dem 11. Jahrhundert hergestellt wurde.<ref name="ftn3">Ibn al-Qūṭīya, ''History'', übers. James, S. 18; König, Rückbindung, S. 132-133.</ref> </div>
[§1] Bei Ibn al-Qūṭiyya (gest. 367/977) handelt es sich um einen in Sevilla geborenen und ausgebildeten muslimischen Gelehrten und einen in al-Andalus bekannten Autor von Gedichten, Werken zu Grammatik und Lexikographie, der in Córdoba auch das Amt eines Richters (''qāḍī'') innehatte.<ref name="ftn1">Bosch-Vilà, Ibn al-Ḳūṭiyya, S. 847.</ref> Im Allgemeinen wird er als Autor der hier zitierten "Geschichte der Eroberung von al-Andalus" (''Tārīḫ iftitāḥ al-Andalus'') angesehen. Am Ende des einzigen überlieferten Manuskriptes wird das Werk als "Geschichte des Ibn al-Qūṭiyya" (''Tārīḫ Ibn al-Qūṭiyya'') bezeichnet. Dieses wird zu Anfang mit der Phrase eingeleitet „Es berichtete uns Abū Bakr Muḥammad b. ʿUmar b. ʿAbd al-ʿAzīz [b. al-Qūṭiyya].“<ref name="ftn2">Ibn al-Qūṭiyya, ''Tārīḫ'', ed. al-Ibyārī, S. 29, 127.</ref> Diese Form der Einleitung impliziert, dass es sich bei dem erhaltenen Manuskript um eine von einem oder mehreren Schülern getätigte Abschrift des Werkes bzw. eine Form von "Vorlesungsmitschriften" handelt, von denen allerdings nicht klar ist, ob sie vom Autor selbst authentifiziert wurden. Die Tatsache, dass einige Zitate des Werkes bei späteren arabisch-islamischen Geschichtsschreibern im einzigen erhaltenen Manuskript nicht wiederzufinden sind, impliziert, dass wohl mehrere Varianten des Werkes in Umlauf waren. Damit stellt sich die Frage, ob man hier in der üblichen Weise von einer Autorenschaft sprechen kann. Soweit eine Datierung des Manuskriptes möglich ist, handelt es sich um eine korrumpierte Kurzversion einer Mit- oder Abschrift, die im oder nach dem 11. Jahrhundert hergestellt wurde.<ref name="ftn3">Ibn al-Qūṭīya, ''History'', übers. James, S. 18; König, Rückbindung, S. 132-133.</ref> </div>


Das Geschichtswerk enthält keine eigenständige Behandlung der vorislamischen Geschichte des spanischen Westgotenreiches in einem gesonderten Kapitel, sondern beginnt direkt mit dem oben angeführten Zitat, also mit einer Erklärung der Begleitumstände der muslimischen Invasion. Hierauf folgen Ausführungen zu einem gewissen Arṭabāš, definiert als Sohn des vorletzten Westgotenkönigs Witiza, dann zu den Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern der ersten arabisch-berberischen Einwanderungswelle und der Gruppe von Syrern, die sich in den 740ern anlässlich der Niederschlagung der großen Berberrevolte in Nordafrika und al-Andalus auf der Iberischen Halbinsel niederließen. Daraufhin erzählt das Werk eine Geschichte des umayyadischen al-Andalus bis zur Herrschaft des ʿAbd Allāh b. Muḥammad (regn. 275-300/888-912). Anders als das mehrbändige spätere Geschichtswerk des Ibn Ḥayyān (gest. 469/1076) handelt es sich bei dem Werk des Ibn al-Qūṭiyya allerdings nicht um eine möglichst vollständige politische Geschichte der Iberischen Halbinsel unter muslimischer Herrschaft, sondern um eine Sammlung von Anekdoten, die subtil moralisierend die Herrschaftsverhältnisse unter der Umayyadendynastie beleuchten.<ref name="ftn4">Ibn al-Qūṭīya, ''History'', übers. James, S. 41.</ref> Dieser eher freie Umgang mit historischer Überlieferung hat Ibn al-Qūṭiyya bei späteren Gelehrten wie Ibn al-Faraḍī (gest. 403/1018) den Ruf eingebracht, bei der Überlieferung historischer Traditionen nicht ganz sauber zu arbeiten.<ref name="ftn5">Vgl. König, Rückbindung, S. 130.</ref> Diese Hintergrundinformationen sind von Relevanz, sobald man sich der im hier zitierten Exzerpt dargestellten westgotischen Genealogie des Ibn al-Qūṭiyya zuwendet.</div>
Das Geschichtswerk enthält keine eigenständige Behandlung der vorislamischen Geschichte des spanischen Westgotenreiches in einem gesonderten Kapitel, sondern beginnt direkt mit dem oben angeführten Zitat, also mit einer Erklärung der Begleitumstände der muslimischen Invasion. Hierauf folgen Ausführungen zu einem gewissen Arṭabāš, definiert als Sohn des vorletzten Westgotenkönigs Witiza, dann zu den Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern der ersten arabisch-berberischen Einwanderungswelle und der Gruppe von Syrern, die sich in den 740ern anlässlich der Niederschlagung der großen Berberrevolte in Nordafrika und al-Andalus auf der Iberischen Halbinsel niederließen. Daraufhin erzählt das Werk eine Geschichte des umayyadischen al-Andalus bis zur Herrschaft des ʿAbd Allāh b. Muḥammad (regn. 275-300/888-912). Anders als das mehrbändige spätere Geschichtswerk des Ibn Ḥayyān (gest. 469/1076) handelt es sich bei dem Werk des Ibn al-Qūṭiyya allerdings nicht um eine möglichst vollständige politische Geschichte der Iberischen Halbinsel unter muslimischer Herrschaft, sondern um eine Sammlung von Anekdoten, die subtil moralisierend die Herrschaftsverhältnisse unter der Umayyadendynastie beleuchten.<ref name="ftn4">Ibn al-Qūṭīya, ''History'', übers. James, S. 41.</ref> Dieser eher freie Umgang mit historischer Überlieferung hat Ibn al-Qūṭiyya bei späteren Gelehrten wie Ibn al-Faraḍī (gest. 403/1018) den Ruf eingebracht, bei der Überlieferung historischer Traditionen nicht ganz sauber zu arbeiten.<ref name="ftn5">Vgl. König, Rückbindung, S. 130.</ref> Diese Hintergrundinformationen sind von Relevanz, sobald man sich der im hier zitierten Exzerpt dargestellten westgotischen Genealogie des Ibn al-Qūṭiyya zuwendet.</div>


== Inhalt & Quellenkontext ==
== Inhalt & Quellenkontext ==
Dem Geschichtswerk zufolge ist ein Zwist zwischen Vertretern der westgotischen Elite zumindest teilweise für den Erfolg der muslimischen Invasion verantwortlich. Nach dem Tod des vorletzten Westgotenkönigs Witiza hatte dessen Frau für Witizas minderjährige Söhne Almund, Waqala und Arṭabāš die Herrschaft geführt, war aber vom Usurpator Roderich entmachtet worden. Vor diesem Hintergrund entschieden sich die Söhne Witizas für eine Kollaboration mit dem muslimischen Eroberer Ṭāriq b. Ziyād und trugen damit zum Fall Roderichs wie auch der westgotischen Herrschaft insgesamt bei. Als Gegenleistung erwirkten sie von Seiten Ṭāriqs, seines Vorgesetzten Mūsā b. Nuṣayr und sogar des umayyadischen Kalifen al-Walīd (regn. 86-96/705-715) eine Bestätigung ihres als "Krongüter" bezeichneten Besitzes, die sie zu Neutralität nach innen und außen verpflichtete. Der Kalif in Damaskus, in diesem Fall Hišām b. ʿAbd al-Malik (regn. 105-25/724-43), griff nochmals in die Familienverhältnisse ein, als Witizas Sohn Arṭabāš sich nach dem Tod seines Bruders Almund bemühte, seine Nichte Sāra "die Gotin" (''al-Qūṭiyya'') zu enteignen. Bei einer Audienz in Damaskus erwirkte sie ein offizielles Schreiben, das den Gouverneur von al-Andalus, Abū l-Ḫaṭṭāb al-Kalbī (regn. 125-127/743-745) zur Restitution ihres entwendeten Besitzes veranlasste. Während ihres Aufenthaltes in Damaskus ging sie zudem die Ehe mit dem umayyadischen Klienten ʿĪsā b. Muzāḥim ein und lernte den Enkel des Kalifen Hišam, den späteren Emir von al-Andalus, ʿAbd al-Raḥmān b. Muʿāwiya b. Hišam (regn. 138-72/756-88) kennen. Sāra wurde damit Teil der umayyadisch geprägten muslimischen Herrschaftselite von al-Andalus. Anders als die Nachfahren ihrer Onkel, in deren Reihen das Geschichtswerk weiter Christen wie etwa den erwähnten Ḥafṣ b. Albar al-Qūṭī<ref name="ftn6">Vgl. die noch zu behandelnde arabisch Psalterübersetzung desselben.</ref> verzeichnet, gebar sie ihrem ersten sowie ihrem zweiten Mann eine Reihe muslimischer Kinder, von denen einer Vorfahr des hier zitierten Autors, Ibn al-Qūṭiyya, war. Dem Werk zufolge war Ibn al-Qūṭiyya somit direkter Nachfahre des Westgotenkönigs Witiza, wahrscheinlich in der sechsten Generation (Ġaytaša-Witiza > Almund > Sāra > Ibrāhīm > ʿAbd al-ʿAzīz > ʿUmar > Muḥammad b. ʿUmar).
[§2] Dem Geschichtswerk zufolge ist ein Zwist zwischen Vertretern der westgotischen Elite zumindest teilweise für den Erfolg der muslimischen Invasion verantwortlich. Nach dem Tod des vorletzten Westgotenkönigs Witiza hatte dessen Frau für Witizas minderjährige Söhne Almund, Waqala und Arṭabāš die Herrschaft geführt, war aber vom Usurpator Roderich entmachtet worden. Vor diesem Hintergrund entschieden sich die Söhne Witizas für eine Kollaboration mit dem muslimischen Eroberer Ṭāriq b. Ziyād und trugen damit zum Fall Roderichs wie auch der westgotischen Herrschaft insgesamt bei. Als Gegenleistung erwirkten sie von Seiten Ṭāriqs, seines Vorgesetzten Mūsā b. Nuṣayr und sogar des umayyadischen Kalifen al-Walīd (regn. 86-96/705-715) eine Bestätigung ihres als "Krongüter" bezeichneten Besitzes, die sie zu Neutralität nach innen und außen verpflichtete. Der Kalif in Damaskus, in diesem Fall Hišām b. ʿAbd al-Malik (regn. 105-25/724-43), griff nochmals in die Familienverhältnisse ein, als Witizas Sohn Arṭabāš sich nach dem Tod seines Bruders Almund bemühte, seine Nichte Sāra "die Gotin" (''al-Qūṭiyya'') zu enteignen. Bei einer Audienz in Damaskus erwirkte sie ein offizielles Schreiben, das den Gouverneur von al-Andalus, Abū l-Ḫaṭṭāb al-Kalbī (regn. 125-127/743-745) zur Restitution ihres entwendeten Besitzes veranlasste. Während ihres Aufenthaltes in Damaskus ging sie zudem die Ehe mit dem umayyadischen Klienten ʿĪsā b. Muzāḥim ein und lernte den Enkel des Kalifen Hišam, den späteren Emir von al-Andalus, ʿAbd al-Raḥmān b. Muʿāwiya b. Hišam (regn. 138-72/756-88) kennen. Sāra wurde damit Teil der umayyadisch geprägten muslimischen Herrschaftselite von al-Andalus. Anders als die Nachfahren ihrer Onkel, in deren Reihen das Geschichtswerk weiter Christen wie etwa den erwähnten Ḥafṣ b. Albar al-Qūṭī<ref name="ftn6">Vgl. die noch zu behandelnde arabisch Psalterübersetzung desselben.</ref> verzeichnet, gebar sie ihrem ersten sowie ihrem zweiten Mann eine Reihe muslimischer Kinder, von denen einer Vorfahr des hier zitierten Autors, Ibn al-Qūṭiyya, war. Dem Werk zufolge war Ibn al-Qūṭiyya somit direkter Nachfahre des Westgotenkönigs Witiza, wahrscheinlich in der sechsten Generation (Ġaytaša-Witiza > Almund > Sāra > Ibrāhīm > ʿAbd al-ʿAzīz > ʿUmar > Muḥammad b. ʿUmar).


Inwieweit es sich hierbei um eine authentische Genealogie handelt, ist in der Forschung umstritten, nicht zuletzt, weil die Geschichte einige Ungereimtheiten enthält. Zum einen ist nicht ersichtlich, wie die beim Tod Witizas (regn. ca. 701-710) minderjährigen Königssöhne im Jahr der muslimischen Invasion 711, also nur ein Jahr später, schon ausgewachsene Männer gewesen sein können.<ref name="ftn7">Manzano Moreno, ''Conquistadores'', S. 45.</ref> Nicht logisch erscheint ferner, dass Mūsā b. Nuṣayr, dessen Eifersucht auf Ṭāriq b. Ziyād in allen arabisch-islamischen Geschichtswerken erwähnt wird, einer Gruppe westgotischer Adliger erlaubt haben soll, nach Damaskus zu reisen, um dort den Kalifen über die Eroberungsleistungen seines Klienten zu informieren.<ref name="ftn8">Martinez-Gros, Adoption, S. 19; Chalmeta, ''Invasión'', S. 140-142.</ref> Angesichts anderer überlieferter Erklärungen für den Erfolg der muslimischen Invasion, darunter die Kollaboration der Nordafrikaner Julian, Urbanus sowie nordafrikanischer und westgotischer Juden<ref name="ftn9">Vgl. [[694: Der Vorwurf jüdischer Kollaboration in den Akten des 17. Konzils von Toledo]] sowie [[711: Ibn ʿAbd al-Ḥakam zur Kollaboration Julians bei der muslimischen Invasion der Iberischen Halbinsel]].</ref>, erscheint es verwunderlich, dass Ibn al-Qūṭiyya den Söhnen Witizas eine solch entscheidende Sonderrolle einräumt, zumal auch im so genannten „Pakt des Tudmir“ durch den frühen Gouverneur ʿAbd al-ʿAzīz b. Mūsā (regn. 95-97/714-16) vergleichbare Besitzbestätigungen gegeben wurden.<ref name="ftn10">Chalmeta, ''Invasión'', S. 140-142. Vgl. [[713: Der Vertrag von Tudmīr als Zeugnis der muslimischen Unterwerfung der Iberischen Halbinsel]].</ref> Auffällig ist auch, dass die bei Ibn al-Qūṭiyya verzeichneten Namen der Witiza-Söhne nicht mit denjenigen in anderen Quellen übereinstimmen. Die der Invasionsperiode zeitgenössische ''Chronik von 754'' kennt keinerlei Witiza-Söhne, sondern erwähnt nur einen Kollaborateur namens Oppa, der als Sohn des Westgotenkönigs Egica und damit als Bruder Witizas identifiziert wird und mit Mūsā b. Nuṣayr gegen einige ''seniores nobiles uiros'' des Westgotenreiches vorgegangen sein soll.<ref name="ftn11">''Continuatio hispana'', ed. Theodor Mommsen (MGH Auct. Ant., 11), Berlin: Weidmann, 1894, § 70, S. 353; bzw. ''Chronica muzarabica'', ed. Juan Gil (Corpus Scriptorum Muzarabicorum 1), Madrid: CSIC, 1973, § 45, S. 32: "per Oppam filium Egiche regis".</ref> Andere arabisch-islamische Quellen dagegen erwähnen zwar Söhne Witizas, nennen sie aber entweder Oppa (''Ubbah'') und Sisbert (''Šišbart'') oder Oppa (''Wabba''), Arṭabāš und Sīda.<ref name="ftn12">Vgl. König, Rückbindung, S. 130, mit Quellenangaben.</ref> Schließlich verwundert es, dass Ibn al-Qūṭiyya – anders als zahlreiche arabisch-islamische Geschichtswerke des 11. Jahrhunderts – nicht mehr über westgotische Geschichte weiß und sich sogar im Zusammenhang mit seiner Genealogie auf arabisch-islamische Autoritäten anstatt auf eine eigenständige Familientradition beruft.<ref name="ftn13">Vgl. Fierro, Obra historica, S. 501; König, Rückbindung, S. 130-131; König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 160-169.</ref></div>
[§3] Inwieweit es sich hierbei um eine authentische Genealogie handelt, ist in der Forschung umstritten, nicht zuletzt, weil die Geschichte einige Ungereimtheiten enthält. Zum einen ist nicht ersichtlich, wie die beim Tod Witizas (regn. ca. 701-710) minderjährigen Königssöhne im Jahr der muslimischen Invasion 711, also nur ein Jahr später, schon ausgewachsene Männer gewesen sein können.<ref name="ftn7">Manzano Moreno, ''Conquistadores'', S. 45.</ref> Nicht logisch erscheint ferner, dass Mūsā b. Nuṣayr, dessen Eifersucht auf Ṭāriq b. Ziyād in allen arabisch-islamischen Geschichtswerken erwähnt wird, einer Gruppe westgotischer Adliger erlaubt haben soll, nach Damaskus zu reisen, um dort den Kalifen über die Eroberungsleistungen seines Klienten zu informieren.<ref name="ftn8">Martinez-Gros, Adoption, S. 19; Chalmeta, ''Invasión'', S. 140-142.</ref> Angesichts anderer überlieferter Erklärungen für den Erfolg der muslimischen Invasion, darunter die Kollaboration der Nordafrikaner Julian, Urbanus sowie nordafrikanischer und westgotischer Juden<ref name="ftn9">Vgl. [[694: Der Vorwurf jüdischer Kollaboration in den Akten des 17. Konzils von Toledo]] sowie [[711: Ibn ʿAbd al-Ḥakam zur Kollaboration Julians bei der muslimischen Invasion der Iberischen Halbinsel]].</ref>, erscheint es verwunderlich, dass Ibn al-Qūṭiyya den Söhnen Witizas eine solch entscheidende Sonderrolle einräumt, zumal auch im so genannten „Pakt des Tudmir“ durch den frühen Gouverneur ʿAbd al-ʿAzīz b. Mūsā (regn. 95-97/714-16) vergleichbare Besitzbestätigungen gegeben wurden.<ref name="ftn10">Chalmeta, ''Invasión'', S. 140-142. Vgl. [[713: Der Vertrag von Tudmīr als Zeugnis der muslimischen Unterwerfung der Iberischen Halbinsel]].</ref> Auffällig ist auch, dass die bei Ibn al-Qūṭiyya verzeichneten Namen der Witiza-Söhne nicht mit denjenigen in anderen Quellen übereinstimmen. Die der Invasionsperiode zeitgenössische ''Chronik von 754'' kennt keinerlei Witiza-Söhne, sondern erwähnt nur einen Kollaborateur namens Oppa, der als Sohn des Westgotenkönigs Egica und damit als Bruder Witizas identifiziert wird und mit Mūsā b. Nuṣayr gegen einige ''seniores nobiles uiros'' des Westgotenreiches vorgegangen sein soll.<ref name="ftn11">''Continuatio hispana'', ed. Theodor Mommsen (MGH Auct. Ant., 11), Berlin: Weidmann, 1894, § 70, S. 353; bzw. ''Chronica muzarabica'', ed. Juan Gil (Corpus Scriptorum Muzarabicorum 1), Madrid: CSIC, 1973, § 45, S. 32: "per Oppam filium Egiche regis".</ref> Andere arabisch-islamische Quellen dagegen erwähnen zwar Söhne Witizas, nennen sie aber entweder Oppa (''Ubbah'') und Sisbert (''Šišbart'') oder Oppa (''Wabba''), Arṭabāš und Sīda.<ref name="ftn12">Vgl. König, Rückbindung, S. 130, mit Quellenangaben.</ref> Schließlich verwundert es, dass Ibn al-Qūṭiyya – anders als zahlreiche arabisch-islamische Geschichtswerke des 11. Jahrhunderts – nicht mehr über westgotische Geschichte weiß und sich sogar im Zusammenhang mit seiner Genealogie auf arabisch-islamische Autoritäten anstatt auf eine eigenständige Familientradition beruft.<ref name="ftn13">Vgl. Fierro, Obra historica, S. 501; König, Rückbindung, S. 130-131; König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 160-169.</ref></div>


Für die Authentizität der Genealogie gibt es allerdings auch einige Argumente: Der die genealogische Anbindung an die Westgoten implizierende Name "Sohn der Gotin" (''Ibn al-Qūṭiyya'') wird von allen späteren arabisch-islamischen Gelehrten akzeptiert, die königliche Genealogie des Autors teilweise auch reproduziert.<ref name="ftn14">Manzano Moreno, ''Conquistadores'', S. 46; Ibn al-Qūṭīya, ''History'', übers. James, S. 38; König, Rückbindung, S. 131.</ref> Die Genealogie ist durchaus originell, verweist dabei aber auf plausible Integrationsmechanismen in die neue Herrschaftselite. Ibn al-Qūṭiyyas mangelndes Wissen über die vorislamische Geschichte von al-Andalus wiederum könnte mit einem, in der sechsten Generation geschwundenen Familiengedächtnis, seine Zitierung arabisch-islamischer Gelehrten mit der Erwartungshaltung der von ihm vertretenen Gelehrtenkultur erklärt werden.<ref name="ftn15">König, Rückbindung, S. 132.</ref>
[§4] Für die Authentizität der Genealogie gibt es allerdings auch einige Argumente: Der die genealogische Anbindung an die Westgoten implizierende Name "Sohn der Gotin" (''Ibn al-Qūṭiyya'') wird von allen späteren arabisch-islamischen Gelehrten akzeptiert, die königliche Genealogie des Autors teilweise auch reproduziert.<ref name="ftn14">Manzano Moreno, ''Conquistadores'', S. 46; Ibn al-Qūṭīya, ''History'', übers. James, S. 38; König, Rückbindung, S. 131.</ref> Die Genealogie ist durchaus originell, verweist dabei aber auf plausible Integrationsmechanismen in die neue Herrschaftselite. Ibn al-Qūṭiyyas mangelndes Wissen über die vorislamische Geschichte von al-Andalus wiederum könnte mit einem, in der sechsten Generation geschwundenen Familiengedächtnis, seine Zitierung arabisch-islamischer Gelehrten mit der Erwartungshaltung der von ihm vertretenen Gelehrtenkultur erklärt werden.<ref name="ftn15">König, Rückbindung, S. 132.</ref>


== Kontextualisierung, Analyse, Interpretation ==
== Kontextualisierung, Analyse, Interpretation ==


Vor diesem Hintergrund ist die Forschung zu sehr unterschiedlichen Bewertungen der Genealogie gekommen. Manche sehen in ihr nicht unbedingt Ausdruck einer bestimmten Zielsetzung des Autors, sondern ein weiteres Beispiel für die hohe Bedeutung von Genealogien im arabisch-islamischen Schrifttum.<ref name="ftn16">Christys, ''Christians'', S. 168-170; Christys, History, S. 338; Ibn al-Qūṭīya, ''History'', übers. James, S. 38.</ref> Dennoch ist die Prominenz dieser Genealogie innerhalb und zu Anfang eines Geschichtswerks, nicht einer Biographiensammlung, ungewöhnlich. Folglich schreibt der Großteil der Forschung Ibn al-Qūṭiyya unterschiedliche Motivationen zu, eine königliche Abkunft zu behaupten oder – sollte sie authentisch sein – sie an so prominente Stelle zu stellen:<ref name="ftn17">Zusammenfassend: König, Rückbindung, S. 134-136.</ref> Wenig überraschend ist die Überlegung, Ibn al-Qūṭiyya habe mit der Dokumentation dieser Genealogie bewusst oder unbewusst seinen sozialen Status demonstrieren oder aufwerten wollen.<ref name="ftn18">Vgl. etwa Collins, ''Early Medieval Spain'', S. 190.</ref> Bezüglich der jeweiligen Motivationen wird spekuliert, Ibn al-Qūṭiyya habe seine Abstammung von einer Königsfamilie sowie die Beziehungen seiner Vorfahren zu den Umayyaden in Szene setzen<ref name="ftn19">Barkai, ''Enemigo'', S. 64-65; Manzano Moreno, ''Conquistadores'', S. 40.</ref> oder gar behaupten wollen, seine Familie habe den Umayyaden die Herrschaft über die Iberische Halbinsel übergeben.<ref name="ftn20">Martinez-Gros, Adoption, S. 19.</ref> Andere sehen in der Genealogie ein soziopolitisches Manifest, das der Aufwertung der so genannten ''muwalladūn'', also zum Islam konvertierter autochthoner Familien dienen solle, unter denen gerade im 10. Jahrhundert, also zur Entstehungszeit dieses Dokuments, vielfach Unzufriedenheit herrschte.<ref name="ftn21">Fierro, La obra histórica, S. 510-511; García Moreno, Spanish Gothic Consciousness, S. 311-312; Barkai, ''Enemigo'', S. 64-65.</ref> Egal wie man sich zu diesen Spekulationen positioniert: Anhand der Genealogie wird in jedem Falle deutlich, dass die Rolle, die eine Familie im Rahmen der Eroberung eingenommen hatte, für einen andalusischen Muslim zwei Jahrhunderte nach der Invasion immer noch von Bedeutung sein konnte. Sie deutet auch darauf hin, dass Familien, die an dieser Invasion in irgendeiner Weise beteiligt waren, eine gewisse Erinnerung an diese Ereignisse pflegten. Mit ihrer zunehmenden Integration dieser Familien in die muslimische Gesellschaft von al-Andalus wurde diese Erinnerung zu einen Bestandteil der muslimischen Erinnerungskultur, ging aber auch sukzessive verloren, wenn sie nicht schriftlich festgehalten wurde.<ref name="ftn22">König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 160-161.</ref>|6=Ibn al-Qūṭiyya, ''Tariḫ iftitaḥ al-Andalus'', ed. Ibrāhīm al-Ibyārī, Beirut / Kairo 1989, S. 29-32.
[§5] Vor diesem Hintergrund ist die Forschung zu sehr unterschiedlichen Bewertungen der Genealogie gekommen. Manche sehen in ihr nicht unbedingt Ausdruck einer bestimmten Zielsetzung des Autors, sondern ein weiteres Beispiel für die hohe Bedeutung von Genealogien im arabisch-islamischen Schrifttum.<ref name="ftn16">Christys, ''Christians'', S. 168-170; Christys, History, S. 338; Ibn al-Qūṭīya, ''History'', übers. James, S. 38.</ref> Dennoch ist die Prominenz dieser Genealogie innerhalb und zu Anfang eines Geschichtswerks, nicht einer Biographiensammlung, ungewöhnlich. Folglich schreibt der Großteil der Forschung Ibn al-Qūṭiyya unterschiedliche Motivationen zu, eine königliche Abkunft zu behaupten oder – sollte sie authentisch sein – sie an so prominente Stelle zu stellen:<ref name="ftn17">Zusammenfassend: König, Rückbindung, S. 134-136.</ref> Wenig überraschend ist die Überlegung, Ibn al-Qūṭiyya habe mit der Dokumentation dieser Genealogie bewusst oder unbewusst seinen sozialen Status demonstrieren oder aufwerten wollen.<ref name="ftn18">Vgl. etwa Collins, ''Early Medieval Spain'', S. 190.</ref> Bezüglich der jeweiligen Motivationen wird spekuliert, Ibn al-Qūṭiyya habe seine Abstammung von einer Königsfamilie sowie die Beziehungen seiner Vorfahren zu den Umayyaden in Szene setzen<ref name="ftn19">Barkai, ''Enemigo'', S. 64-65; Manzano Moreno, ''Conquistadores'', S. 40.</ref> oder gar behaupten wollen, seine Familie habe den Umayyaden die Herrschaft über die Iberische Halbinsel übergeben.<ref name="ftn20">Martinez-Gros, Adoption, S. 19.</ref> Andere sehen in der Genealogie ein soziopolitisches Manifest, das der Aufwertung der so genannten ''muwalladūn'', also zum Islam konvertierter autochthoner Familien dienen solle, unter denen gerade im 10. Jahrhundert, also zur Entstehungszeit dieses Dokuments, vielfach Unzufriedenheit herrschte.<ref name="ftn21">Fierro, La obra histórica, S. 510-511; García Moreno, Spanish Gothic Consciousness, S. 311-312; Barkai, ''Enemigo'', S. 64-65.</ref> Egal wie man sich zu diesen Spekulationen positioniert: Anhand der Genealogie wird in jedem Falle deutlich, dass die Rolle, die eine Familie im Rahmen der Eroberung eingenommen hatte, für einen andalusischen Muslim zwei Jahrhunderte nach der Invasion immer noch von Bedeutung sein konnte. Sie deutet auch darauf hin, dass Familien, die an dieser Invasion in irgendeiner Weise beteiligt waren, eine gewisse Erinnerung an diese Ereignisse pflegten. Mit ihrer zunehmenden Integration dieser Familien in die muslimische Gesellschaft von al-Andalus wurde diese Erinnerung zu einen Bestandteil der muslimischen Erinnerungskultur, ging aber auch sukzessive verloren, wenn sie nicht schriftlich festgehalten wurde.<ref name="ftn22">König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 160-161.</ref>|6=Ibn al-Qūṭiyya, ''Tariḫ iftitaḥ al-Andalus'', ed. Ibrāhīm al-Ibyārī, Beirut / Kairo 1989, S. 29-32.


''Historia de la conquista de España de Abenalcotía el cordobès'', ed. Julián Ribera y Tarragó, Madrid: Tipografía de la Revista de los Archivos, 1926.
''Historia de la conquista de España de Abenalcotía el cordobès'', ed. Julián Ribera y Tarragó, Madrid: Tipografía de la Revista de los Archivos, 1926.
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