903-906: Die Raffelstettener Zollordnung und der Export slawischer Sklaven in die islamische Sphäre: Unterschied zwischen den Versionen

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# <div style="margin-left:1.27cm;margin-right:0cm;">ferner zugereiste Slawen (''Sclavi'') wie Böhmen (''Boemani'') und Rugier bzw. Rūs (''Rugii''),  
# <div style="margin-left:1.27cm;margin-right:0cm;">ferner zugereiste Slawen (''Sclavi'') wie Böhmen (''Boemani'') und Rugier bzw. Rūs (''Rugii''),  
# <div style="margin-left:1.27cm;margin-right:0cm;">schließlich lokale (''de ista patria'') als auch aus anderen Gebieten (''de aliis patriis'') zugereiste Juden (''Iudei'') und undefinierte Berufskaufleute (''mercatores'').  
# <div style="margin-left:1.27cm;margin-right:0cm;">schließlich lokale (''de ista patria'') als auch aus anderen Gebieten (''de aliis patriis'') zugereiste Juden (''Iudei'') und undefinierte Berufskaufleute (''mercatores'').  


[§7] Je nach geographischer, ethnischer oder beruflicher Zugehörigkeit galten für Händler unterschiedliche Regeln. Die lokalen bzw. regionalen Händler aus der ostbayrischen Mark wurden dabei privilegiert: Bayern oder Slawen „aus diesem Land“ (''de ista patria'') mussten generell keine Zollabgaben für ihre Einkäufe zahlen. Schiffe aus den westlichen Gegenden hatten dagegen je nach verzolltem Produkt Geld oder Salz, Slawen aus den Gebieten der Böhmen und Rūs/Rugier Geld oder Wachs abzutreten. Professionelle Kaufleute und Juden schuldeten schließlich einen nicht weiter definierten „rechtmäßigen Zoll“ (''iustum theloneum'').<ref name="ftn5">Dopsch, Raffelstettener Zollordnung, Sp. 357.</ref>
[§7] Je nach geographischer, ethnischer oder beruflicher Zugehörigkeit galten für Händler unterschiedliche Regeln. Die lokalen bzw. regionalen Händler aus der ostbayrischen Mark wurden dabei privilegiert: Bayern oder Slawen „aus diesem Land“ (''de ista patria'') mussten generell keine Zollabgaben für ihre Einkäufe zahlen. Schiffe aus den westlichen Gegenden hatten dagegen je nach verzolltem Produkt Geld oder Salz, Slawen aus den Gebieten der Böhmen und Rūs/Rugier Geld oder Wachs abzutreten. Professionelle Kaufleute und Juden schuldeten schließlich einen nicht weiter definierten „rechtmäßigen Zoll“ (''iustum theloneum'').<ref name="ftn5">Dopsch, Raffelstettener Zollordnung, Sp. 357.</ref>
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[§14] Die von Heinrich I. danach anvisierte Stadt Prag wird in dem – beim arabisch-islamischen Geographen al-Bakrī (gest. 456/1094) dokumentierten – Reisebericht des andalusischen Juden Ibrāhīm b. Yaʿqūb al-Isrāʾīlī al-Ṭarṭūšī als Umschlagplatz des Sklavenhandels beschrieben. Dem Reisebericht zufolge wurden Sklaven allerdings nicht nach Westen bzw. Süden, also in Richtung des etwa 250 Kilometer entfernt gelegenen Raffelstetten, sondern nach Osten exportiert. Prag, so der Reisebericht, sei
[§14] Die von Heinrich I. danach anvisierte Stadt Prag wird in dem – beim arabisch-islamischen Geographen al-Bakrī (gest. 456/1094) dokumentierten – Reisebericht des andalusischen Juden Ibrāhīm b. Yaʿqūb al-Isrāʾīlī al-Ṭarṭūšī als Umschlagplatz des Sklavenhandels beschrieben. Dem Reisebericht zufolge wurden Sklaven allerdings nicht nach Westen bzw. Süden, also in Richtung des etwa 250 Kilometer entfernt gelegenen Raffelstetten, sondern nach Osten exportiert. Prag, so der Reisebericht, sei


<div style="margin-left:0.199cm;margin-right:0.199cm;">''„der größte Handelsplatz jener Länder, wohin aus der Stadt Krakau Rūs und Slawen (al-Ṣaqāliba) mit ihren Waren kommen und wohin aus den Ländern der Türken und des Islam Juden und Türken mit Waren und gangbaren Münzen kommen. Sie führen von dort Sklaven (al-raqīq), Zinn und Felle aus.<ref name="ftn13">''Al-Bakrī, Kitāb al-masālik wa-l-mamālik, ed. van Leeuwen and Ferré, § 545–46, S. 332: „wa-hiya akṯar al-bilād matāǧir taʾtīhā min madīnat Krākū al-Rūs wa-l-Ṣaqāliba bi-l-matāǧir, wa-yaʾtīhim min bilād al-Atrāk wa-l-islām al-Yahūd wa-l-Turk bi-l-matāǧir ayḍan wa-l-maṯāqīl al-muraqqatiyya, wa-yaḥmalūna min ʿindihim al-raqīq wa-l-qazdīr wa-ḍurūb al-awbār.“ Übersetzung adaptiert von Georg Jacob, Arabische Berichte von Gesandten an germanische Fürstenhöfe im 9. und 10. Jahrhundert, Leipzig, Berlin: Walter de Gruyter, 1927, S. 12-13.''</ref></div>
<div style="margin-left:0.25cm;margin-right:0.25cm;">„der größte Handelsplatz jener Länder, wohin aus der Stadt Krakau Rūs und Slawen (''al-Ṣaqāliba'') mit ihren Waren kommen und wohin aus den Ländern der Türken und des Islam Juden und Türken mit Waren und gangbaren Münzen kommen. Sie führen von dort Sklaven (''al-raqīq''), Zinn und Felle aus."<ref name="ftn13">''Al-Bakrī, Kitāb al-masālik wa-l-mamālik, ed. van Leeuwen and Ferré, § 545–46, S. 332: „wa-hiya akṯar al-bilād matāǧir taʾtīhā min madīnat Krākū al-Rūs wa-l-Ṣaqāliba bi-l-matāǧir, wa-yaʾtīhim min bilād al-Atrāk wa-l-islām al-Yahūd wa-l-Turk bi-l-matāǧir ayḍan wa-l-maṯāqīl al-muraqqatiyya, wa-yaḥmalūna min ʿindihim al-raqīq wa-l-qazdīr wa-ḍurūb al-awbār.“ Übersetzung adaptiert von Georg Jacob, Arabische Berichte von Gesandten an germanische Fürstenhöfe im 9. und 10. Jahrhundert, Leipzig, Berlin: Walter de Gruyter, 1927, S. 12-13.''</ref></div>


[§15] Dass Sklaven aus slawischen Siedlungsgebieten sowohl nach Osten als auch nach Westen exportiert wurden, bestätigt auch der arabisch-islamische Geograph Ibn Ḥawqal (gest. nach 378/988). Die Slawen, so Ibn Ḥawqal, stammten dabei aus einem riesigen Gebiet, das im Osten von Chorasan (''Ḫurāsān''), im Westen von den Gebieten Galiciens (''Ǧillīqiyya''), des Frankenreiches (''Ifranǧa''), der Langobarden (''Ankaburda'') und Kalabriens (''Qulūriyya'') begrenzt sei. Von beiden Seiten würden regelmäßig Razzien in das slawische Gebiet ausgeführt. Im Osten liefen diese über die Gebiete der Bulgaren (''min nāḥiyat al-Bulġār''), von Westen aus würden aber häufiger und mehr Gefangene gemacht.<ref name="ftn14">Ibn Ḥawqal, ''Kitāb Ṣūrat al-arḍ'', ed. Johannes H. Kramers, Leiden: Brill, 1938, S. 97, 110. Französische Übersetzung: Ibn Hauqal, ''Configuration de la terre'', übers. Johannes H. Kramers, Gaston Wiet, Paris: Maisonneuve et Larose, 1964, Bd. 1, S. 109.</ref>
[§15] Dass Sklaven aus slawischen Siedlungsgebieten sowohl nach Osten als auch nach Westen exportiert wurden, bestätigt auch der arabisch-islamische Geograph Ibn Ḥawqal (gest. nach 378/988). Die Slawen, so Ibn Ḥawqal, stammten dabei aus einem riesigen Gebiet, das im Osten von Chorasan (''Ḫurāsān''), im Westen von den Gebieten Galiciens (''Ǧillīqiyya''), des Frankenreiches (''Ifranǧa''), der Langobarden (''Ankaburda'') und Kalabriens (''Qulūriyya'') begrenzt sei. Von beiden Seiten würden regelmäßig Razzien in das slawische Gebiet ausgeführt. Im Osten liefen diese über die Gebiete der Bulgaren (''min nāḥiyat al-Bulġār''), von Westen aus würden aber häufiger und mehr Gefangene gemacht.<ref name="ftn14">Ibn Ḥawqal, ''Kitāb Ṣūrat al-arḍ'', ed. Johannes H. Kramers, Leiden: Brill, 1938, S. 97, 110. Französische Übersetzung: Ibn Hauqal, ''Configuration de la terre'', übers. Johannes H. Kramers, Gaston Wiet, Paris: Maisonneuve et Larose, 1964, Bd. 1, S. 109.</ref>
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[§18] Sklaven aus Europa wurden nicht nur über Prag und Venedig, sondern auch über das Frankenreich ausgeführt. Der arabisch-islamische Geograph Ibn Ḫurdāḏbah (gest. ca. 300/911) berichtet im Zusammenhang mit den so genannten radhanitischen Juden (''al-Yahūd al-Rāḏāniyya''), dass sie u. a. weibliche und männliche Sklaven (''al-ḫadam wa-l-ǧawārī wa-l-ġulmān'') aus dem Frankenreich im Westmeer (''min Firanǧa fī l-baḥr al-ġarbī'') nach Osten brächten.<ref name="ftn28">Ibn Ḫurdāḏbah, ''Kitāb al-Masālik wa-l-mamālik'', ed. Michael de Goeje, Leiden: Brill, 1896, S. 153.</ref> Liutprand von Cremona (gest. vor 972) berichtet bezüglich seiner im Jahre 949 im Auftrag König Berengars II. von Ivrea (regn. 950-966) durchgeführten Gesandtschaft nach Konstantinopel, dass er dem Kaiser Konstantin VII. (regn. 913-959, ab 945 als Alleinherrscher) u. a. vier „carzimasische“ Sklaven (''mancipia IIII<sup>or</sup> carzimasia'') als Gastgeschenk übergeben habe, von denen Henning aufgrund ihrer Bezeichnung vermutet, dass sie ursprünglich aus dem zentralasiatischen Choresmien (''Ḫwārazm'') stammten.<ref name="ftn29">Henning, Gefangenenfesseln, S. 417.</ref> „Carzimasier“, so Liutprand,  
[§18] Sklaven aus Europa wurden nicht nur über Prag und Venedig, sondern auch über das Frankenreich ausgeführt. Der arabisch-islamische Geograph Ibn Ḫurdāḏbah (gest. ca. 300/911) berichtet im Zusammenhang mit den so genannten radhanitischen Juden (''al-Yahūd al-Rāḏāniyya''), dass sie u. a. weibliche und männliche Sklaven (''al-ḫadam wa-l-ǧawārī wa-l-ġulmān'') aus dem Frankenreich im Westmeer (''min Firanǧa fī l-baḥr al-ġarbī'') nach Osten brächten.<ref name="ftn28">Ibn Ḫurdāḏbah, ''Kitāb al-Masālik wa-l-mamālik'', ed. Michael de Goeje, Leiden: Brill, 1896, S. 153.</ref> Liutprand von Cremona (gest. vor 972) berichtet bezüglich seiner im Jahre 949 im Auftrag König Berengars II. von Ivrea (regn. 950-966) durchgeführten Gesandtschaft nach Konstantinopel, dass er dem Kaiser Konstantin VII. (regn. 913-959, ab 945 als Alleinherrscher) u. a. vier „carzimasische“ Sklaven (''mancipia IIII<sup>or</sup> carzimasia'') als Gastgeschenk übergeben habe, von denen Henning aufgrund ihrer Bezeichnung vermutet, dass sie ursprünglich aus dem zentralasiatischen Choresmien (''Ḫwārazm'') stammten.<ref name="ftn29">Henning, Gefangenenfesseln, S. 417.</ref> „Carzimasier“, so Liutprand,  


<div style="margin-left:0.199cm;margin-right:0.199cm;">''„aber nennen die Griechen jungfräuliche Eunuchen, deren männliche Geschlechtsteile amputiert worden sind. Diese pflegen die Kaufleute von Verdun aufgrund des unermesslichen Gewinns herzustellen (facere) und nach Spanien (in Hispaniam) auszuführen.“<ref name="ftn30">''Liutprandus, Antapodosis, ed. Joseph Becker (MGH SS rerum Germanicarum in usum scholarum, 41), Hannover, Leipzig: Hahn, 1915, lib. VI, cap. 6, S. 155-56: „Carzimasium autem Greci vocant amputatis virilibus et virga puerum eunuchum; quod Verdunenses mercatores ob inmensum lucrum facere et in Hispaniam ducere solent.“ Übersetzung adaptiert von: Aus Liutprand’s Werken, übers. Karl v. d. Osten-Sacken, neu bearb. von W. Wattenbach (Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, 29), 5. Aufl., Leipzig: Dyk, 1940, lib. VI, cap. 6, S. 97.''</ref>
<div style="margin-left:0.25cm;margin-right:0.25cm;">„aber nennen die Griechen jungfräuliche Eunuchen, deren männliche Geschlechtsteile amputiert worden sind. Diese pflegen die Kaufleute von Verdun aufgrund des unermesslichen Gewinns herzustellen (''facere'') und nach Spanien (''in Hispaniam'') auszuführen.“<ref name="ftn30">''Liutprandus, Antapodosis, ed. Joseph Becker (MGH SS rerum Germanicarum in usum scholarum, 41), Hannover, Leipzig: Hahn, 1915, lib. VI, cap. 6, S. 155-56: „Carzimasium autem Greci vocant amputatis virilibus et virga puerum eunuchum; quod Verdunenses mercatores ob inmensum lucrum facere et in Hispaniam ducere solent.“ Übersetzung adaptiert von: Aus Liutprand’s Werken, übers. Karl v. d. Osten-Sacken, neu bearb. von W. Wattenbach (Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, 29), 5. Aufl., Leipzig: Dyk, 1940, lib. VI, cap. 6, S. 97.''</ref></div>


[§19] Die im Westfrankenreich gelegene Stadt Verdun wird u. a. auch in der ''Vita Iohannis abbatis Gorziensis'' als Stadt erwähnt, die besondere Beziehungen in das umayyadische Spanien pflegte. Als Otto I. in Reaktion auf eine Gesandtschaft ʿAbd al-Raḥmāns III. im Jahre 953 den Mönch Johannes nach Córdoba entsandte, diente ihm “ein Mann aus Verdun, der sich in Spanien auskannte” als Führer, dessen Name dann als Ermenhard angegeben wird.<ref name="ftn31">Iohannes sancti Arnulfi, ''Vita Iohannis abbatis Gorziensis'', ed. Peter Christian Jacobsen (MGH SS in rer. Germ. in us. schol. 81), § 116-117, S. 420-422: „ad hoc et quo Virdunensis quidam, gnarus partium Hispanarum, qui eos iussus erat deducere (…). Imperator (…) mandata cum litteris seu muneribus imperatoris ei committit, predictumque Virdunensem, cui nomen erat Ermenhardo, socium ob locorum regionumque notitiam facit (…).</ref> Auch wenn sich dies nicht verifizieren lässt, hat die Forschung wiederholt behauptet, es habe sich bei diesem Ermenhard um einen Sklavenhändler gehandelt.<ref name="ftn32">Borst, ''Lebensformen'', S. 829; Walther, Der gescheiterte Dialog, S. 31; dazu kritisch: Jacobsen, ''Die Geschichte'','' ''S. 44 FN 92, 422-423 FN 629, mit weiterer Literatur. </ref>
[§19] Die im Westfrankenreich gelegene Stadt Verdun wird u. a. auch in der ''Vita Iohannis abbatis Gorziensis'' als Stadt erwähnt, die besondere Beziehungen in das umayyadische Spanien pflegte. Als Otto I. in Reaktion auf eine Gesandtschaft ʿAbd al-Raḥmāns III. im Jahre 953 den Mönch Johannes nach Córdoba entsandte, diente ihm “ein Mann aus Verdun, der sich in Spanien auskannte” als Führer, dessen Name dann als Ermenhard angegeben wird.<ref name="ftn31">Iohannes sancti Arnulfi, ''Vita Iohannis abbatis Gorziensis'', ed. Peter Christian Jacobsen (MGH SS in rer. Germ. in us. schol. 81), § 116-117, S. 420-422: „ad hoc et quo Virdunensis quidam, gnarus partium Hispanarum, qui eos iussus erat deducere (…). Imperator (…) mandata cum litteris seu muneribus imperatoris ei committit, predictumque Virdunensem, cui nomen erat Ermenhardo, socium ob locorum regionumque notitiam facit (…).</ref> Auch wenn sich dies nicht verifizieren lässt, hat die Forschung wiederholt behauptet, es habe sich bei diesem Ermenhard um einen Sklavenhändler gehandelt.<ref name="ftn32">Borst, ''Lebensformen'', S. 829; Walther, Der gescheiterte Dialog, S. 31; dazu kritisch: Jacobsen, ''Die Geschichte'','' ''S. 44 FN 92, 422-423 FN 629, mit weiterer Literatur. </ref>
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