973: Ibn Ḥawqal über christlich-muslimische Ehen auf Sizilien: Unterschied zwischen den Versionen

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{{Kapitel AR-DE|Theresa Jäckh|Ibn Ḥawqal, ''Kitāb ṣūrat al-arḍ'' [Buch vom Bild der Erde], ed. von Michael J. De Goeje, bearb. von Johannes H. Kramers (Bibliotheca geographorum Arabicorum&nbsp;2a), Leipzig: Harrasowitz, 1938, S. 129, übers. Theresa Jäckh.</div>|المشعمذون اكثر اهل حصونهم وباديتهم وضياعهم، رأيتهم التزويج الى النصارى على ان ما كان بينهم من ولدٍ ذكر لحق بأبيه من المشعمذون وما كانت من انثى فنصرانية مع امها، لايصلّون ولا يتطهرون ولا يزكون ولا يحجّون. وفيهم من يصوم شهر الرمضان ويغتسلون اذا صاموا من الجنابة. وهذه منقبةٌ لا يشَركهم أحد وفضيلة دون جميع الخلق، احرزوا بها في الجهل قصب السبق|Die meisten Bewohner der Festungen, der ländlichen Gegenden und Dörfern sind ''al- mušaʿmiḏūn''. Ich habe gesehen, dass sie die Ehe mit Christinnen eingehen, was dazu führt, dass die Jungen ihren Vätern als ''al-mušʿamiḏūn'' zugeordnet sind und dass die Mädchen Christinnen werden mit ihren Müttern. Sie beten nicht, sie vollziehen keine rituellen Reinigungsakte, sie zahlen keine Almosensteuer und gehen auch nicht auf Pilgerfahrt. Einige von ihnen fasten im Monat Ramaḍān und erreichen so eine Reinigung nach großer ritueller Unreinheit (''al-ğanāba''). Dies[e Praxis] ist eine Merkwürdigkeit, die sie mit niemandem sonst auf der Welt teilen und mit dieser Eigenschaft haben sie den Pokal im Wettrennen der Dummheit gewonnen.|5=== Autor/in & Werk  ==
{{Kapitel AR-DE|Theresa Jäckh|Ibn Ḥawqal, ''Kitāb ṣūrat al-arḍ'' [Buch vom Bild der Erde], ed. von Michael J. De Goeje, bearb. von Johannes H. Kramers (Bibliotheca geographorum Arabicorum&nbsp;2a), Leipzig: Harrasowitz, 1938, S. 129, übers. Theresa Jäckh.</div>|المشعمذون اكثر اهل حصونهم وباديتهم وضياعهم، رأيتهم التزويج الى النصارى على ان ما كان بينهم من ولدٍ ذكر لحق بأبيه من المشعمذون وما كانت من انثى فنصرانية مع امها، لايصلّون ولا يتطهرون ولا يزكون ولا يحجّون. وفيهم من يصوم شهر الرمضان ويغتسلون اذا صاموا من الجنابة. وهذه منقبةٌ لا يشَركهم أحد وفضيلة دون جميع الخلق، احرزوا بها في الجهل قصب السبق|Die meisten Bewohner der Festungen, der ländlichen Gegenden und Dörfern sind ''al- mušaʿmiḏūn''. Ich habe gesehen, dass sie die Ehe mit Christinnen eingehen, was dazu führt, dass die Jungen ihren Vätern als ''al-mušʿamiḏūn'' zugeordnet sind und dass die Mädchen Christinnen werden mit ihren Müttern. Sie beten nicht, sie vollziehen keine rituellen Reinigungsakte, sie zahlen keine Almosensteuer und gehen auch nicht auf Pilgerfahrt. Einige von ihnen fasten im Monat Ramaḍān und erreichen so eine Reinigung nach großer ritueller Unreinheit (''al-ğanāba''). Dies[e Praxis] ist eine Merkwürdigkeit, die sie mit niemandem sonst auf der Welt teilen und mit dieser Eigenschaft haben sie den Pokal im Wettrennen der Dummheit gewonnen.|5=== Autor/in & Werk  ==


<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Ibn Ḥawqal stammte aus Nisibis im nördlichen Mesopotamien (heutiges Nuṣaybin in der südl. Türkei). Im Mai 943 (7. Ramaḍān 331) begab er sich von Baġdād aus nach al-Mahdiyya, der Hauptstadt der Fatimiden, an deren Hof Ibn Ḥawqal weilte, bevor er auf langjährige Reisen aufbrach, die ihn zunächst nach al-Andalus, Nordafrika und in die südliche Sahara führten (336-40/947-51). Danach gelangte er im Osten bis nach Armenien und Azerbaijan (ca. 344/955) und weiter nach Persien und Transoxanien (350-8/961-9 bzw. 358/969). Als letzte Station besuchte Ibn Ḥawqal im Jahr 973/363 die sich zu dieser Zeit unter fatimidischer Vorherrschaft befindliche Insel Sizilien. Spekuliert wurde, ob Ibn Ḥawqal im Auftrag der fatimidischen Kalifen reiste und in wie weit eine Nähe zu der schiitisch-ismailitischen Dynastie seiner Berichterstattung eine entsprechende ideologische Färbung verliehen habe.<ref name="ftn1">Wiet, L’importance; Miquel, Art. Ibn Ḥawqal<nowiki>; kritisch zuletzt: Benchejroun, Requiem.</nowiki></ref> Über die bereisten Gebiete verfasste Ibn Ḥawqal ein umfangreiches geographisches Werk, das in der Tradition der Balḫī-Schule steht und darauf zielte, die Regionen (''iqlīm'','' ''Pl.'' aqālīm'') der Welt und ihre Grenzen zu erfassen und außerdem ihre Bewohner und Gebräuche auf Grundlage eigener Beobachtung (''ʿiyān'') zu beschreiben. Ibn Ḥawqal’s Werk liegt in drei Versionen vor, die in unterschiedliche Dekaden datieren. Die Standardedition von Kramer bietet eine Kombination der drei Texttraditionen. Eine davon ist bekannt unter dem Namen ''Kitāb al-masālik wa-l-mamālik'' und orientiert sich – allein dem Titel nach – noch stark an dem Geographen al-Iṣtaḫrī (gest. mittleres 4./10. Jh.), von dem er während seiner Lehrjahre wichtige Anregungen erhalten hatte. Eine spätere Version trägt den Titel ''Ṣūrat al-arḍ'', wurde zwischen 367/978 und 378/988 verfasst und einem nicht näher bekannten Abū l-Sarī al-Ḥasan b. al-Faḍl al-Iṣfahānī gewidmet. Eine weitere Redaktion des Werkes ist dem ḥamdānidischen Herrscher von Aleppo, Sayf al-Dawla (gest. 356/967), zugedacht, der allerdings schon verstorben gewesen sein muss, denn Ibn Ḥawqal erwähnt darin Entwicklungen, die sich lange nach dessen Tod ereignet hatten. Hervorzuheben sind die zwanzig bzw. einundzwanzig kartographischen Darstellungen, die Teil der späteren Redaktionen sind.</div>
<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Ibn Ḥawqal stammte aus Nisibis im nördlichen Mesopotamien (heutiges Nuṣaybin in der südl. Türkei). Im Mai 943 (7. Ramaḍān 331) begab er sich von Baġdād aus nach al-Mahdiyya, der Hauptstadt der Fatimiden, an deren Hof Ibn Ḥawqal weilte, bevor er auf langjährige Reisen aufbrach, die ihn zunächst nach al-Andalus, Nordafrika und in die südliche Sahara führten (336-340/947-951). Danach gelangte er im Osten bis nach Armenien und Azerbaijan (ca. 344/955) und weiter nach Persien und Transoxanien (350-358/961-969 bzw. 358/969). Als letzte Station besuchte Ibn Ḥawqal im Jahr 363/973 die sich zu dieser Zeit unter fatimidischer Vorherrschaft befindliche Insel Sizilien. Spekuliert wurde, ob Ibn Ḥawqal im Auftrag der fatimidischen Kalifen reiste und in wie weit eine Nähe zu der schiitisch-ismailitischen Dynastie seiner Berichterstattung eine entsprechende ideologische Färbung verliehen habe.<ref name="ftn1">Wiet, L’importance; Miquel, Art. Ibn Ḥawqal<nowiki>; kritisch zuletzt: Benchejroun, Requiem.</nowiki></ref> Über die bereisten Gebiete verfasste Ibn Ḥawqal ein umfangreiches geographisches Werk, das in der Tradition der Balḫī-Schule steht und darauf zielte, die Regionen (''iqlīm'','' ''Pl.'' aqālīm'') der Welt und ihre Grenzen zu erfassen und außerdem ihre Bewohner und Gebräuche auf Grundlage eigener Beobachtung (''ʿiyān'') zu beschreiben. Ibn Ḥawqal’s Werk liegt in drei Versionen vor, die in unterschiedliche Dekaden datieren. Die Standardedition von Kramer bietet eine Kombination der drei Texttraditionen. Eine davon ist bekannt unter dem Namen ''Kitāb al-masālik wa-l-mamālik'' und orientiert sich – allein dem Titel nach – noch stark an dem Geographen al-Iṣtaḫrī (gest. mittleres 4./10. Jh.), von dem er während seiner Lehrjahre wichtige Anregungen erhalten hatte. Eine spätere Version trägt den Titel ''Ṣūrat al-arḍ'', wurde zwischen 367/978 und 378/988 verfasst und einem nicht näher bekannten Abū l-Sarī al-Ḥasan b. al-Faḍl al-Iṣfahānī gewidmet. Eine weitere Redaktion des Werkes ist dem ḥamdānidischen Herrscher von Aleppo, Sayf al-Dawla (regn. 333-356/945-967), zugedacht, der allerdings schon verstorben gewesen sein muss, denn Ibn Ḥawqal erwähnt darin Entwicklungen, die sich lange nach dessen Tod ereignet hatten. Hervorzuheben sind die zwanzig bzw. einundzwanzig kartographischen Darstellungen, die Teil der späteren Redaktionen sind.</div>
== Inhalt & Quellenkontext  ==
== Inhalt & Quellenkontext  ==


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<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Neben all der ideologischen Färbung und der daraus resultierenden Verzerrung der Darstellung ist es durchaus wahrscheinlich, dass es im islamischen Sizilien zu komplexen und zumal lokal differierenden Formen religiöser und sozialer Assimilation oder „Transkulturalität“ gekommen war, die nicht mit eindeutigen Kategorien zu erfassen sind<ref name="ftn6">Epstein, Hybridity.</ref> und von Ibn Ḥawqal im Kontext interreligiöser Eheschließung mit dem Begriff ''al-mušaʿmiḏūn'' beschrieben wurden. Dieser Begriff, der auf keine arabische Wurzel zurückzuführen ist und standardmäßig bisher als „Bastarde“ übersetzt wurde,<ref name="ftn7">Erstmals als „bastardi“ übersetzt von Gabrieli, Ibn Ḥawqal, S. 249; ähnlich die französische Übersetzung: Kramers / Wiet, ''Configuration'', S. 128 „bâtards“; Metcalfe, ''Arabic speakers'', S.&nbsp;16 übersetzt „bastardised Muslim“ und fügt in der dazugehörigen Fußnote 51 aber hinzu, [t]he translation in English seems to lie somewhere between mongrels, half-castes, buffoons and imposters“; die Auffassung der Vortäuschung findet sich als „trickster“ auch bei Lewis, Ibn Hauqal, S. 99.</ref> bedarf einer ausführlicheren Kontextualisierung. Alex Metcalfe hat als erster darauf hingewiesen, dass sich ''al-mušaʿmiḏūn'' vom Hebräischen ''meshumadim'' ableitet; Giuseppe Mandalà referenzierte diese Aussage mit einigen Belegen und folgerte, dass der Terminus Apostaten bezeichnen würde.<ref name="ftn8">Metcalfe, Wandel, S. 72 und ders., Normans, S.108-109; Mandalà, Minoranze, S. 107-109.</ref> Aus der Perspektive des jüdischen Rechts ist die Sache jedoch etwas komplizierter:<ref name="ftn9">Vgl. die Forschungsdebatten bei Zeitlin, Mumar; Teppler, ''Birkat''<nowiki>;</nowiki>'' ''Langer, ''Cursing.''</ref> Die auf hebräischen und aramäischen Ursprung zurückzuführende Wurzel ''sh''-''m''-''d'' (verderben, zu Grunde gehen) taucht an mehreren Stellen im Tanach, der Hebräischen Bibel auf, wenn Yahweh Ungläubige oder Aufrührer mit Zerstörung bestraft (חשמיד/ ''hishmīd'', er hat zerstört).<ref name="ftn10">2 Kön 21, 9; Deut 2, 22; 1 Chron 5, 25; die Grundbedeutung der Wurzel heißt hingegen „verderben“.</ref> Im Babylonischen Talmud bezeichnet der Begriff ''meshumad'' (Pl. ''meshumadim'') Juden, die die religionsrechtlichen Grenzen – wissentlich, teilweise aus Zwang, bisweilen sogar freiwillig – überschreiten.<ref name="ftn11">Talmud Bavli Chullin 5a:10, 11, 13, 14; Chullin 5b:1; Avodah Zarah 26b:1-3, Horayot 2a:15; Horayot 11a:12.</ref> Die ''meshumadim'' sind talmudisch gesehen dabei aber keine Apostaten im Sinne einer ''apostasia a fide'' (Glaubensabfall), sondern in Teilen ihrer religiösen Praxis korrumpierte Juden, die noch als Teil der jüdischen Gemeinschaft anzusehen sind. Die der Wurzel innewohnende Bedeutung der Verdorbenheit oder Zerstörung bleibt dabei gewissermaßen als moralisches Urteil bestehen. </div>
<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Neben all der ideologischen Färbung und der daraus resultierenden Verzerrung der Darstellung ist es durchaus wahrscheinlich, dass es im islamischen Sizilien zu komplexen und zumal lokal differierenden Formen religiöser und sozialer Assimilation oder „Transkulturalität“ gekommen war, die nicht mit eindeutigen Kategorien zu erfassen sind<ref name="ftn6">Epstein, Hybridity.</ref> und von Ibn Ḥawqal im Kontext interreligiöser Eheschließung mit dem Begriff ''al-mušaʿmiḏūn'' beschrieben wurden. Dieser Begriff, der auf keine arabische Wurzel zurückzuführen ist und standardmäßig bisher als „Bastarde“ übersetzt wurde,<ref name="ftn7">Erstmals als „bastardi“ übersetzt von Gabrieli, Ibn Ḥawqal, S. 249; ähnlich die französische Übersetzung: Kramers / Wiet, ''Configuration'', S. 128 „bâtards“; Metcalfe, ''Arabic speakers'', S.&nbsp;16 übersetzt „bastardised Muslim“ und fügt in der dazugehörigen Fußnote 51 aber hinzu, [t]he translation in English seems to lie somewhere between mongrels, half-castes, buffoons and imposters“; die Auffassung der Vortäuschung findet sich als „trickster“ auch bei Lewis, Ibn Hauqal, S. 99.</ref> bedarf einer ausführlicheren Kontextualisierung. Alex Metcalfe hat als erster darauf hingewiesen, dass sich ''al-mušaʿmiḏūn'' vom Hebräischen ''meshumadim'' ableitet; Giuseppe Mandalà referenzierte diese Aussage mit einigen Belegen und folgerte, dass der Terminus Apostaten bezeichnen würde.<ref name="ftn8">Metcalfe, Wandel, S. 72 und ders., Normans, S.108-109; Mandalà, Minoranze, S. 107-109.</ref> Aus der Perspektive des jüdischen Rechts ist die Sache jedoch etwas komplizierter:<ref name="ftn9">Vgl. die Forschungsdebatten bei Zeitlin, Mumar; Teppler, ''Birkat''<nowiki>;</nowiki>'' ''Langer, ''Cursing.''</ref> Die auf hebräischen und aramäischen Ursprung zurückzuführende Wurzel ''sh''-''m''-''d'' (verderben, zu Grunde gehen) taucht an mehreren Stellen im Tanach, der Hebräischen Bibel auf, wenn Yahweh Ungläubige oder Aufrührer mit Zerstörung bestraft (חשמיד/ ''hishmīd'', er hat zerstört).<ref name="ftn10">2 Kön 21, 9; Deut 2, 22; 1 Chron 5, 25; die Grundbedeutung der Wurzel heißt hingegen „verderben“.</ref> Im Babylonischen Talmud bezeichnet der Begriff ''meshumad'' (Pl. ''meshumadim'') Juden, die die religionsrechtlichen Grenzen – wissentlich, teilweise aus Zwang, bisweilen sogar freiwillig – überschreiten.<ref name="ftn11">Talmud Bavli Chullin 5a:10, 11, 13, 14; Chullin 5b:1; Avodah Zarah 26b:1-3, Horayot 2a:15; Horayot 11a:12.</ref> Die ''meshumadim'' sind talmudisch gesehen dabei aber keine Apostaten im Sinne einer ''apostasia a fide'' (Glaubensabfall), sondern in Teilen ihrer religiösen Praxis korrumpierte Juden, die noch als Teil der jüdischen Gemeinschaft anzusehen sind. Die der Wurzel innewohnende Bedeutung der Verdorbenheit oder Zerstörung bleibt dabei gewissermaßen als moralisches Urteil bestehen. </div>


<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">In der rabbinischen Literatur wurden Derivate der Wurzel ''sh-m-d'' außerdem verwendet, um jene Juden zu bezeichnen, die tatsächlich vom Judentum abfielen, und zwar durch äußeren Druck oder Verfolgung. Ein Beleg dafür findet sich im Jerusalemer Talmud, wo die Herrschaftszeit Kaiser Hadrians (gest. 138) als „Die Zeit der Unterdrückung” bezeichnet wird, auf Hebräisch ''she’at ha-shemad''.<ref name="ftn12">Talmud Yerushalmi, Yevamot VIII: 9d; laut keine zeitgenössische Bezeichnung Grossberg, ''Heresy'', S. 120f. </ref> Wenn ''ha-shemad'' als Unterdrückung oder Verfolgung gilt, wären die ''meshumadim'' zunächst als solche zu verstehen, die wegen repressiver politischer Maßnahmen vom Judentum abließen.<ref name="ftn13">Teppler, ''Birkat'' S. 67. </ref> In ähnlicher Weise tauchen die ''shemad'' und ''meshumadim'' auch bei Maimonides (gest. 1204) auf, namentlich in seinem „Brief zur Unterdrückung“ (''Iggeret ha-shemad''), mit dem er sich nach 1161 an die unter almohadischer Herrschaft lebenden Juden wandte.<ref name="ftn14">Kraemer, ''Maimonides'', S. 104-111.</ref> Eine besondere und für die oben zitierte Quellenstelle womöglich nicht unbedeutende Rolle nehmen die ''meshumadim'' in den Gebeten arabischsprachiger Juden im östlichen und zentralen Mittelmeerraum ein. Dies zeigen Fragmente des 10. bis 13. Jahrhunderts aus der Geniza der Ben Ezra Synagoge in Kairo. Einer der achtzehn Segenssprüche (''brachot'') der Amida (das zentrale Gebet im Judentum), verdammt Konvertiten. Der unter dem Namen ''Birkat ha-minim'' („Gebet für die Konvertiten“) bekannte Segen war ursprünglich wohl gegen Juden gerichtet, die sich dem Christentum angeschlossen hatten (sogenannte Judenchristen).<ref name="ftn15">Vgl. die grundlegenden Studien zu diesem Gebet von Langer, ''Cursing''<nowiki>; Teppler, </nowiki>''Birkat''.</ref> In den Gebeten der babylonischen Kongregation Ben Ezra ist das für Konvertiten üblicherweise verwendete Wort ''minim'' durch ''meshumadim'' ersetzt worden. Einige judäoarabische Gelehrte des 11. und 12. Jahrhunderts erklärten dies damit, dass ''meshumad'' durch eine Lautverschiebung von ʿ''ayn'' zu ''šīn'' etymologisch mit dem Arabischen ''al-maʿmūdīya'' verwandt sei, was Taufe heißt.<ref name="ftn16">Langer, ''Cursing'', S. 48. Die Lautverschiebung von ''ʿayn'' zu ''šīn'' sei im Judäoarabischen dabei nicht unüblich. </ref> Obwohl die Forschung diese Schlussfolgerung als Fehlinterpretation ansieht, würde sie darauf hindeuten, dass die ''meshumadim'' von den in der arabisch-islamischen Sphäre lebenden Juden dezidiert als zum Christentum abgefallene Glaubensbrüder verstanden worden sind.<ref name="ftn17">Langer, ebd.</ref> </div>
<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">In der rabbinischen Literatur wurden Derivate der Wurzel ''sh-m-d'' außerdem verwendet, um jene Juden zu bezeichnen, die tatsächlich vom Judentum abfielen, und zwar durch äußeren Druck oder Verfolgung. Ein Beleg dafür findet sich im Jerusalemer Talmud, wo die Herrschaftszeit Kaiser Hadrians (regn. 117-138) als „Die Zeit der Unterdrückung” bezeichnet wird, auf Hebräisch ''she’at ha-shemad''.<ref name="ftn12">Talmud Yerushalmi, Yevamot VIII: 9d; laut keine zeitgenössische Bezeichnung Grossberg, ''Heresy'', S. 120f. </ref> Wenn ''ha-shemad'' als Unterdrückung oder Verfolgung gilt, wären die ''meshumadim'' zunächst als solche zu verstehen, die wegen repressiver politischer Maßnahmen vom Judentum abließen.<ref name="ftn13">Teppler, ''Birkat'' S. 67. </ref> In ähnlicher Weise tauchen die ''shemad'' und ''meshumadim'' auch bei Maimonides (gest. 601/1204) auf, namentlich in seinem „Brief zur Unterdrückung“ (''Iggeret ha-shemad''), mit dem er sich nach 1161 an die unter almohadischer Herrschaft lebenden Juden wandte.<ref name="ftn14">Kraemer, ''Maimonides'', S. 104-111.</ref> Eine besondere und für die oben zitierte Quellenstelle womöglich nicht unbedeutende Rolle nehmen die ''meshumadim'' in den Gebeten arabischsprachiger Juden im östlichen und zentralen Mittelmeerraum ein. Dies zeigen Fragmente des 10. bis 13. Jahrhunderts aus der Geniza der Ben Ezra Synagoge in Kairo. Einer der achtzehn Segenssprüche (''brachot'') der Amida (das zentrale Gebet im Judentum), verdammt Konvertiten. Der unter dem Namen ''Birkat ha-minim'' („Gebet für die Konvertiten“) bekannte Segen war ursprünglich wohl gegen Juden gerichtet, die sich dem Christentum angeschlossen hatten (sogenannte Judenchristen).<ref name="ftn15">Vgl. die grundlegenden Studien zu diesem Gebet von Langer, ''Cursing''<nowiki>; Teppler, </nowiki>''Birkat''.</ref> In den Gebeten der babylonischen Kongregation Ben Ezra ist das für Konvertiten üblicherweise verwendete Wort ''minim'' durch ''meshumadim'' ersetzt worden. Einige judäoarabische Gelehrte des 11. und 12. Jahrhunderts erklärten dies damit, dass ''meshumad'' durch eine Lautverschiebung von ʿ''ayn'' zu ''šīn'' etymologisch mit dem Arabischen ''al-maʿmūdīya'' verwandt sei, was Taufe heißt.<ref name="ftn16">Langer, ''Cursing'', S. 48. Die Lautverschiebung von ''ʿayn'' zu ''šīn'' sei im Judäoarabischen dabei nicht unüblich. </ref> Obwohl die Forschung diese Schlussfolgerung als Fehlinterpretation ansieht, würde sie darauf hindeuten, dass die ''meshumadim'' von den in der arabisch-islamischen Sphäre lebenden Juden dezidiert als zum Christentum abgefallene Glaubensbrüder verstanden worden sind.<ref name="ftn17">Langer, ebd.</ref> </div>


<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Die Übersetzung „Bastarde“ für ''al-mušaʿmiḏūn'' ist damit sprachgeschichtlich gesehen nicht haltbar und trifft letztlich auch nicht die Implikation Ibn Ḥawqals Aussage, da als „Bastard“ eigentlich ein Kind aus einer nicht legitim geschlossenen Verbindung bezeichnet wird. Koranisch ist die Ehe zwischen Muslimen und Christinnen aber als unverwerflich einzustufen,<ref name="ftn18">Gemäß Q 5:5; zum Verbot für muslimische Frauen nicht-muslimische Männer zu ehelichen, siehe Q 2:221; 60:10; 4:141.</ref> nicht zuletzt weil nach islamischem Recht die Kinder solcher Ehen ausnahmslos der Religion des Vaters angehören. Als Normverstoß wäre in der Perspektive Ibn Ḥawqals demnach erstens die Handhabung anzusehen, dass die aus christlich-muslimischen Ehen geborenen Mädchen auf Sizilien nicht Musliminnen, sondern Christinnen wurden sowie zweitens der Umstand, dass die ''mušaʿmiḏūn'' den Vollzug islamischer Pflichten nicht leisteten. Die „Bastardisierung“ bezieht sich ‒ entsprechend der talmudischen Bedeutung von ''meshumadim'' ‒ also nicht auf die Abstammung, sondern auf die Korruption korrekter religiöser Praxis. Statt einer fortlaufenden Islamisierung sei es auf Sizilien demnach zu der „Produktion“ von Christinnen und ''mušaʿmiḏūn'', nicht aber von Muslimen gekommen. Interessant ist, dass diese Ehepraxis, die auch in anderen Sizilien betreffenden Quellen greifbar wird,<ref name="ftn19">Siehe dazu Metcalfe, Transkultureller Wandel, S.&nbsp;79-81.</ref> mit ihrer geschlechterspezifischen Regulierung der Religionszugehörigkeit innerhalb Siziliens offenbar konfliktfrei geblieben ist,<ref name="ftn20">Zu Kindern interreligiöser Ehe siehe außerdem König: Caught between cultures, S. 65-68 mit dem Vergleich zu den Märtyrern von Córdoba und den Turkopolen (τουρκόπουλοι) sowie ders., ''Transkulturelle Verflechtungen'', S. 84-90.</ref> während eine Empörung über den Normverstoß nur durch die Außenperspektive des Reisenden gespiegelt wird – und zwar mit einem Wort, das von arabischsprachigen Juden der Zeit wohl nicht bloß mit laxer Glaubenspraxis, sondern sogar mit einer ideologischen Nähe zum Christentum verbunden wurde. In Anbetracht der Biographie und des Reiseitinerars Ibn Ḥawqals ist es durchaus vorstellbar, dass er die Bezeichnung ''meshumadin''/ ''mušaʿmiḏūn'' durch persönlichen Kontakt zu arabischsprachigen Juden kennenlernte und so in sein Vokabular aufnahm.</div>
<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Die Übersetzung „Bastarde“ für ''al-mušaʿmiḏūn'' ist damit sprachgeschichtlich gesehen nicht haltbar und trifft letztlich auch nicht die Implikation Ibn Ḥawqals Aussage, da als „Bastard“ eigentlich ein Kind aus einer nicht legitim geschlossenen Verbindung bezeichnet wird. Koranisch ist die Ehe zwischen Muslimen und Christinnen aber als unverwerflich einzustufen,<ref name="ftn18">Gemäß Q 5:5; zum Verbot für muslimische Frauen nicht-muslimische Männer zu ehelichen, siehe Q 2:221; 60:10; 4:141.</ref> nicht zuletzt weil nach islamischem Recht die Kinder solcher Ehen ausnahmslos der Religion des Vaters angehören. Als Normverstoß wäre in der Perspektive Ibn Ḥawqals demnach erstens die Handhabung anzusehen, dass die aus christlich-muslimischen Ehen geborenen Mädchen auf Sizilien nicht Musliminnen, sondern Christinnen wurden sowie zweitens der Umstand, dass die ''mušaʿmiḏūn'' den Vollzug islamischer Pflichten nicht leisteten. Die „Bastardisierung“ bezieht sich ‒ entsprechend der talmudischen Bedeutung von ''meshumadim'' ‒ also nicht auf die Abstammung, sondern auf die Korruption korrekter religiöser Praxis. Statt einer fortlaufenden Islamisierung sei es auf Sizilien demnach zu der „Produktion“ von Christinnen und ''mušaʿmiḏūn'', nicht aber von Muslimen gekommen. Interessant ist, dass diese Ehepraxis, die auch in anderen Sizilien betreffenden Quellen greifbar wird,<ref name="ftn19">Siehe dazu Metcalfe, Transkultureller Wandel, S.&nbsp;79-81.</ref> mit ihrer geschlechterspezifischen Regulierung der Religionszugehörigkeit innerhalb Siziliens offenbar konfliktfrei geblieben ist,<ref name="ftn20">Zu Kindern interreligiöser Ehe siehe außerdem König: Caught between cultures, S. 65-68 mit dem Vergleich zu den Märtyrern von Córdoba und den Turkopolen (τουρκόπουλοι) sowie ders., ''Transkulturelle Verflechtungen'', S. 84-90.</ref> während eine Empörung über den Normverstoß nur durch die Außenperspektive des Reisenden gespiegelt wird – und zwar mit einem Wort, das von arabischsprachigen Juden der Zeit wohl nicht bloß mit laxer Glaubenspraxis, sondern sogar mit einer ideologischen Nähe zum Christentum verbunden wurde. In Anbetracht der Biographie und des Reiseitinerars Ibn Ḥawqals ist es durchaus vorstellbar, dass er die Bezeichnung ''meshumadin''/ ''mušaʿmiḏūn'' durch persönlichen Kontakt zu arabischsprachigen Juden kennenlernte und so in sein Vokabular aufnahm.</div>
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