"Saget mir ieman, waz ist minne?" (Walther von der Vogelweide, 44)

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Walther von der Vogelweide - "Saget mir ieman, waz ist minne" [1][2]


I

Saget mir ieman, waz ist minne?
weiz ich des ein teil, sô west ich es gerne mê.
der sich baz denne ich versinne,
der berihte mich, durch waz sie tuot sô wê.
Minne ist minne, tuot sie wol;
tuot sie wê, sô heizet sie niht rehte minne.
sus enweiz ich, wie sie denne heizen soll.

II

Ob ich rehte râten kunne,
waz die minne sî, sô sprechet denne jâ.
minne ist zweier herzen wunne:
teilent sie gelîche, sô ist die minne dâ.
Sol sie aber ungeteilet sîn,
sône kan sie ein herze aleine niht enthalden.
owê, woltestû mir helfen, vrouwe mîn!

III

Vrouwe, ich trage ein teil zuo swære,
wellest dû mir helfen, sô hilf an der zît.
sî aber ich dir gar unmaere,
daz sprich endeclîche, sô lâz ich den strît
Und bin von dir ein ledic man.
dû solt aber einez rehte wizzen, <vrouwe>,
daz dich lützel ieman baz geloben kan.

IV

Ich wil alsô singen immer,
daz sie danne sprechen: >erne sanc nie baz<.
desne gedankestû mir nimmer!
daz verwîz ich dir alrêst, sô denne daz.
Weistû, wie sie wünschen dir?
>daz sie sælic sî, durch die man uns sus singet!<
sich, vrouwe, den gemeinen wunsch hâstû ouch von mir!

V

Kan mîn vrouwe süeze siuren?
wænet sie, daz ich ir liep gebe umbe leit?
solt ich sie dar umbe tiuren,
daz sie sich kêre an mîn unwerdekeit?
Sô kunde ich unrehte sprechen.
wê, waz rede ich ôrlôser und ougen âne?
swen die minne blendet, wie mac der gesehen?



Ein Übersetzungsvorschlag zu Walthers "Saget mir ieman, waz ist minne?"[3]


I

Kann mir jemand sagen, was Minne ist?
Verstehe ich auch etwas davon, so wüsste ich gerne mehr.
Wer sich besser als ich darauf versteht,
der möge mich belehren, weswegen sie so schmerzt.
Minne ist Minne, wenn sie gut tut;
tut sie aber weh, so heißt sie zu unrecht Minne.
So aber weiß ich nicht, wie sie sonst heißen soll.

II

Wenn ich es vermag, richtig zu raten,
was die Minne sei, so stimmt mir zu. (ruft sodann "Jâ")[4]
Minne ist ist die Freude zweier Herzen:
teilt man sie gleichermaßen, so ist die Minne da.
Ist sie aber ungeteilt sein,
so kann sie ein Herz alleine nicht aufrecht erhalten.
Weh mir! Meine Herrin, würdest du mir doch helfen wollen!

III

Herrin, ich trage die Last von Zweien,
wenn du mir helfen willst, so hilf mir bald.
Bin ich dir aber völlig gleichgültig,
sprich es rasch, so lasse ich ab von meinem Kampfe.
Und bin frei von dir.
Eines sollst du aber wahrhaft wissen, Herrin,
Niemand kann dich jemals besser loben.

IV

Ich werde so immer singen,
dass sie sagen werden: "Er sang nie besser!".
Worauf du mir niemals Dank erwidern wirst!
Zurecht werfe ich dir dies vor, und so auch das Folgende.
Weißt du, was sie dir wünschen?
"Gesegnet sei jene, derentwegen man uns so vorsingt!"
Siehe, Herrin, den gemeinen Wunsch verdankst du mir auch.

V

Kann meine Herrin Süßes verbittern?
Glaubt sie, dass ich ihr Freude schenke, um Leid zu empfangen?
Sollte ich sie darum höher schätzen,
dafür dass sie sich meiner Wenigkeit zuwendet?
Dann besäße ich keinen Verstand.
O weh, was rede ich Tauber und Blinder?
Wen auch immer die Minne blendet, wie vermag der zu sehen?



  1. Der Primärtext ist zitiert nach: Walther von der Vogelweide: Leich, Lieder, Sangsprüche. 14., völlig neubearb. Aufl. der Ausg. Karl Lachmanns mit Beiträgen von Thomas Bein und Horst Brunner, hg. con Christoph Cormeau, Berlin/New York 1996.
  2. Zur weiteren Vertiefung, bzw. Interpretation: "Gegenseitigkeit als Argument in Walthers Minnesang" (nach Ralf-Henning Steinmetz).
  3. Übersetzt nach Cormeau, 44.
  4. Die mittelalterliche Aufführungspraxis der Performanz, bzw. der oftmals interaktiven Einbeziehung der Rezipienten, lässt eine textnahe Übersetzung an dieser Stelle plausibel erscheinen.