Der Erzähler (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Der Erzähler in Wolframs von Eschenbach Parzival nennt sich selbst Wolfram von Eschenbach, ist aber in keiner Weise mit dem historischen Autor in Verbindung zu bringen. Auch wenn das, was der Erzähler über sich selbst sagt, oft autobiographisch ausgelegt wurde. Der Erzähler berichtet mit souveränem Überblick,erzählt extradiegetisch, heterodiegetisch und scheint auf den ersten Blick nicht in die Geschichte involviert zu sein. Trotzdem lässt er sich des Öfteren zu Kommentaren verleiten, die annehmen lassen, er kenne die Figuren persönlich. Außerdem liefert er immer wieder Hinweise für den Fortlauf der Geschichte.


Die Erzählerrolle(n)

Die Erzählerrolle im Parzival ist sehr dominant. Sie ist beinahe so präsent, dass "man ihn für die Hauptperson der Dichtung halten könnte". [Bumke 1997: S. 128]

Er wirkt, wie alle anderen Figuren auch, teilweise ambivalent. Er ist ein übergeordneter, allwissender Erzähler, gibt sich jedoch unwissend über den Fortlauf der Haupthandlung nachdem er über Gawan berichtet hat. Er wird schließlich von Frau Aventiure persönlich wieder zu Parzivals Aventiure zurückgebracht und aufgeklärt und wird dabei selbst zum Zuhörer.

Des Weiteren klagt er sich oft selbst an, nachdem er das Geschehene erst kurz zuvor ironisiert hat. Der Erzähler verlangt von den Rezipienten einerseits etwas, andereseits hält er sich jedoch selbst nicht daran. Beispielsweise verlangt er vom Leser, er solle Verständnis für Orgeluse zeigen, aber warnt wiederum davor, sich ein zu schnelles Urteil zu bilden: "niemen sich verspreche, ern wizze e waz er reche, unz er gewinne küende wiez umb ir herze stüende" (516,5 f. [1]  : Es soll mir keiner zu früh losplappern, wenn er noch gar nicht weiß, wofür er sie bestraft, und ehe er weiß, wie es um ihr Herz stand.) Selbst hält er sich nicht an diesen Rat.

Am Ende der Erzählung nimmt man erst an, der Erzähler wolle sich bescheiden verabschieden und nicht weiter auffallen, doch kehrt er schon im nächsten Moment zurück in den Mittelpunkt, als er hofft, Frauenpreis zu erhalten, da er "diz maer volsprochen" (831,28 : die Geschichte zu Ende erzählt) hat.

Nicht nur im Hinblick auf die Erzähltechnik erscheint der Erzähler in wechselnden Rollen, sondern auch in Bezug auf seine eigenen Lebensverhältnisse und persönlichen Erfahrungen, die in seinen Selbstdarstellungen oft unterschiedlich dargestellt werden. Er bezeichnet sich als selbstbewussten Ritter, erscheint aber oft ängstlich. Des Weiteren möchte er "mitschilde und ouch mit sper" (115,16) für Liebeslohn kämpfen, erzielt aber in der Liebe keine Erfolge. Er behauptet, in ärmlichen Verhältnissen zu leben, steht jedoch angeblich einem großen Fürsten wie Herrmann von Thüringen als Berater zur Seite.


Fiktionalität des Erzählers

"Parzival" ist ein Roman im modernen Sinne mit einem besonderen Autorbewusstsein, das durch Ironie und Humor das Werk objektiviert und relativiert, es vom direkten Sprechen des Autors scheidet, womit natürlich auch die Fiktion angesprochen ist. In den "poetologischen Selbstaussagen" des Autors liegt der Schlüssel für Wolframs literaturtheoretisches Konzept, von dem man, so modern der Begriff auch erscheinen mag, sprechen muss. Der Prolog, das Elsternbild, das Bogengleichnis und, neben zahlreichen weiteren Erzählereinschüben zu den Besonderheiten der Darstellung, vor allem das Gespräch mit Frau Aventiure am Beginn des neunten Buches enthalten Elemente für eine Literaturtheorie, wie sie zuvor noch nie formuliert wurde. [Dallapiazza 2009: S. 128]

Viele Eigenheiten des Erzählers selbst, etwa das Wechseln der Perspektive, Verrätselungen, die erst später und in der Rückschau erhellt werden, Gegenüberstellungen von in sich widersprüchlichen Figurenreden, wie bei Cundrie und Trevrizent, die dem Publikum bewusst eine Deutung vorenthalten und das Werk in jedem Sinne offen belassen, sprechen von einem sehr klaren Bewusstsein von erkannten neuen narrativen Möglichkeiten. Damit verbunden ist die besondere Erzählinstanz, die Erzählerrolle, mit der nicht nur das Publikum geleitet werden soll, sondern das Werk objektiviert und damit auf eine ihm eigene Wahrheit hin erzählt wird, und diese Wahrheit ist die der Fiktion.

Wolfgang trennt den Erzähler vom implizierten Autor. Das im "Parzival" artikulierte Ich lässt sich nicht mit dem Autor Wolfram von Eschenbach identifizieren, auch wenn in diesem sich oft mit Stolz, meist aber mit Ironie äußernden Erzähler-Ich das zu finden ist, was man historische Subjektivität nennen kann. [Dallapiazza 2009: S. 129] Diese wird gerade durch die aufgebaute Erzählerfiktion greifbar, eben das Trennen des Werks, dessen Teil der Erzähler ist, vom direkten Sprechen des Autors. Der Erzähler ist eine Figur, eine poetische Konstruktion. Wolfram entfacht ein Spiel zwischen Erzähler, Erzähltem und Publikum - und natürlich dem Autor.

Art des Erzählens

Der Erzähler berichtet außerhalb des Geschehens. Er gibt Kommentare und beurteilt Situationen. Von Zeit zu Zeit wirkt er dadurch nicht mehr wie der auktoriale, neutrale Erzähler, sondern begibt sich auf eine fast emotional wirkende Ebene. Er motiviert Parzival, bemitleidet ihn, bangt mit, wenn sich der Held in einer kritischen Situation befindet. Zudem sorgt er sich über den Fortlauf, auch wenn er den Ausgang der Geschichte kennt und dies auch des Öfteren einfließen lässt, indem er Hinweise darauf gibt.

Durch die Erläuterungen und Kommentare des Erzählers entstehen häufig Unterbrechungen, die zu einer Störung des Erzählflusses führen. Dafür verwendet er ganz unterschiedliche Mittel des Erzählens. Durch Erläuterungen beispielsweise sollen Umstände erklärt werden, die noch unklar sind, dann allerdings von der Haupthandlung abhalten.

Auch Beschreibungen nehmen einen wichtigen Teil der Erzählung ein, allerdings beschreibt Wolfram weniger höfisch vorbildliche Personen, Gegenstände, Vorgänge oder Ähnliches, wie es üblich wäre (vgl. z. B. Veldeke), sondern beschränkt sich auf die Darstellung des Ausgefallenen (z. B. Hungersnot in Belrapeire), des Grotesken (z. B. die Hässlichkeit der Gralbotin Cundrie) oder des Geheimnisvollen (z. B. das Gralsritual).

Die Erzählung lebt zudem von einer vielseitigen Bildlichkeit, die durch Metaphern, Vergleiche und Umschreibungen erzeugt wird. Das wichtigste und wohl auch am häufigsten verwendete Stilmittel ist die Komik.


Der Kontakt zwischen Erzähler und Rezipienten

Die Adressaten in Wolframs von Eschenbach Parzival sind Ritter, welche die Ideale und Tugenden des Rittertums hochhalten sollen und Damen, die lernen sollen, wem sie Ehre und Minne schenken. Die Rezipienten gehen genauso wie der Erzähler zwar auf ein reales Konzept zurück, sind aber dennoch theoretisch fiktiv.

Das Publikum wird oft direkt angesprochen. Sowohl als Hörer: nu höret (110,10) als auch als Zuschauer: nu seht (120,24). Es wird also direkt an die Sinne appeliert. Außerdem schafft der Erzähler durch die direkte Ansprache an die Leser mit "wir" (vgl. 232, 22 und 16, 19) eine gewisse Nähe und Verbundenheit mit den Zuhörern. Er lenkt somit das Interesse und die Wahrnehmung des Publikums.

Der Erzähler beruft sich häufig auf seine Quellen und hat einen hohen Wahrheitsanspruch. Andererseits gibt er immer wieder kleine Kommentare, die annehmen lassen, dass er diesem Anspruch nicht gerecht werden kann (Vgl. 238,8-12). Er verweist zudem auf Zeugen, welche die Geschehnisse vielleicht sogar besser berichten können als er selbst. Teilweise geht er sogar soweit, die Rezipienten in die Erzählerrolle zu drängen, da er erwartet, sie wüssten mehr als er. Zudem fordert er sie an einer Stelle auf, einen Eid zu leisten, dass das, was er spricht, die Wahrheit ist. Er selbst wolle sich aber nicht für die Wahrheit dieser Aussage verbürgen und falls diese eine Lüge wäre, fordert er die Leser dazu auf, mit ihm gemeinsam zu lügen (vgl. 238, 11-12). Er untergräbt dadurch folglich seine Autorität. Die Leser sind jedoch auf seine Informationen angewiesen und von ihm abhängig. Dies macht aus ihm einen unzuverlässigen Erzähler, der an die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung seiner Rezipienten appelliert.


Verweise

  1. Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

Forschungsliteratur

Urscheler, Andreas: Kommunikation in Wolframs "Parzival" - Eine Untersuchung zu Form und Funktion der Dialoge, Bern, Berlin [u.a.] Lang 2002
[*Bumke 1997] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, Stuttgart Weimar 1997.
Schu, Cornelia: Vom erzählten Abenteuer zum Abenteuer des Erzählens. Überlegungen zur Romanhaftigkeit von Wolframs Parzival, Frankfurt a.M. [u.a.] 2002

Dallapiazza, Michael: Wolfram von Eschenbach: Parzival, Berlin 2009.