Der minne-Exkurs (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Der Minneexkurs ist der zweite [1] der vier großen Exkurse in Gottfrieds von Straßburg „Tristan“. Der Autor thematisiert hier ganz allgemein die falsche Haltung der Menschen in der minne.

Einordnung in den Handlungsverlauf

Nachdem Tristan und Isolde unbewusst den Minnetrank zu sich genommen haben (V. 11645-11706)[2], verfallen sie in Liebe zueinander, was beide anfangs jedoch nicht wahrhaben wollen (V. 11741-11871). Als Liebe sowie nôt (V. 11892) immer stärker werden, gestehen sich die Beiden nach ersten Annährungen schließlich ihre Liebe ein (V. 11875-12028). Brangäne, um die Wirkung des Minnetrankes wissend, bemerkt bald das veränderte Verhalten von Tristan und Isolde, stellt sie zur Rede und verspricht Unterstützung.
Tristan und Isolde sind nun glücklich vereint und es folgt der minne-Exkurs.
Mit der Ankunft in Cornwall beginnt im weiteren Verlauf der Leidensweg der Liebenden, da sie von nun an ständig zwischen triuwe gegenüber Marke und der minne hin-und hergerissen sind.
Den Übergang von glücklicher Vereinigung zum Leidensbeginn markiert Gottfried durch den minne-Exkurs, in welchem er, wie zu sehen sein wird, bereits auf die späteren Ereignisse eingeht.[Mazzadi 2000: 99]

Aufbau und Inhalt

Der minne-Exkurs lässt sich in vier Abschnitte gliedern:[3]
In den Versen 12187-12221 legt Gottfried seine Gedanken zu houte und minne dar und freut sich über das Glück Tristans und Isoldes. Kritik am falschen Verhalten der Menschen in der Minne ist das Hauptthema in den Versen 12222-12317, wobei der metaphorischen Beschreibung vom Säen und Ernten der minne (V. 12222-12244) besondere Bedeutung zukommt. Im dritten Abschnitt (V. 12318-12332) verweist Gottfried auf die Literatur als Bewahrerin der exemplarischen Liebe, bevor er in letzten Versen (V. 12333-12357) ein Wunschbild der Freude entwirft, die durch minne entstehen kann.

Verse 12187-12221

Gottfried leitet den Exkurs mit der Ankündigung ein, es folge nun eine rede von gouten minnen (V. 12185), die jedoch kurz sei, da ein langui rede von minnen (V. 12183) vornehme Menschen swaeret (V. 12184). Obwohl er selber kaum des lieben leides (V. 12187), des senften herzesmerzen/der innerhalp des herzen/so rehte sanfte unsanfte tout (V. 12190-12192.), konnte sich Gottfried [4], sage ihm doch sein Verstand, wie den zwein gelieben waere wol/und sanfte in ihr moute (V. 12194f.) als Ende ihrer leiden houte (V. 12196) eintrat. Tristan und Isolde können nun die minne richtig leben und kommen deshalb in den Genuss von wunder (V. 12210) und vröude (V. 12213). Die Gedanken daran beflügeln Gottfried, machen sein herze […] groezer danne Setmut (V. 12216). Doch die minne, so wie sie Tristan und Isolde ausführen, ist selten, weil daz meistic alle, die der lebent/an minnen hangent unde clebent/und ir doch nieman rehte tuot (V. 12219-1221).

Verse 12222-12317

Wir Menschen betreiben die minne in Wirklichkeit mit velschlîchen sachen/ wir nehmen der dinge unrehte war (V. 12226f.). Um seine Aussage zu erläutern, benutzt Gottfried das aus biblischer Tradition stammende Bild vom Ackerbau:[Kaschewski-Stolz 1983: 340] Wir alle wollen Liebe erfahren. Deshalb saejen [wir] bilsensâmen dar/und wellen danne, daz uns der/liljen unde rôsen ber (V. 12228). Doch weil wir das mit gegelletem sinne/mit valsche und mit âkust (V. 12238f.) machen, säen wir valscheit (V. 12251) und ernten dann natürlich ungout und unvruht unde unart (V. 12243), laste runde leit (V. 12253). Das tut weh, doch anstatt den Fehler bei uns selbst zu suchen, zîhen wir's die minne (V. 12248), die jedoch völlig schuldlos ist. Nach einer kurzen Erläuterung, was die richtige Voraussetzung für gute minne ist, nämlich staete vriundes mout (V. 12269), beschreibt Gottfried, was mit der von uns fälschlicherweise beschriebenen Minne passiert ist und benutzt dazu eine weitere Allegorie. Die minne ist getriben unde gejagte/in den endelesten ort (V. 12281f). Wie eine Bettlerin läuft sie von Haus zu Haus und bietet ir diube und ir bejac (V. 12294) zum Verkauf an. Sie ist wegen unseres Verhaltens so verkommen, sogar käuflich geworden, doch wir erkennen das nicht (V. 12297ff.-12999). Am Ende dieses zweiten Abschnittes erklärt Gottfried, dass die zu bedauernden valschen minnaere (V. 12311) ihr leben âne liep und âne guot (V. 12317) verbringen und daran selbst schuld sind (V. 12311-12317).

Verse 12318-12332

Im dritten Abschnitt greift Gottfried eine Thema des Prologes wieder auf, indem er die Wirkung der Literatur betont. Wenn wir eine schoener maere (V. 12320) hören, die von vriuntlîchen dingen (V. 12321) handelt, gît uns doch daz guoten muot (V. 12317), egal wie schlecht es jemandem geht. In der Literatur bleibt die ideale minne erhalten.[Mazzadi 2000: 181]

Verse 12333-12357

Nach all der negativen Klage über das falsche Verhalten der Menschen und den Zustand der minne selbst, beendet Gottfried den Exkurs mit einem Lob auf die minne. Der erste Grund für alles Negative sei das Fehlen der triuwe, diu von herzen gât (V. 12336). Wenn wir diese triuwe jedoch lieben, dann kann auch richtige minne entstehen und dann kann ein einfacher Kuss jede sorge und herzennot (V. 12357) auslöschen.

Der minne-Exkurs als Bußpredigt

In der Forschung wird der minne-Exkurs auch häufig als „Minnebußpredigt“ bezeichnet, da er sowohl inhaltliche als auch sprachliche Elemente dieses Predigtgenres enthält. Kennzeichen dafür sind etwa Klage um die menschliche Gebrechlichkeit, Zeitkritik oder die Absicht, Trost zu spenden.[Urbanek 1979: 344] Zusätzlich fällt der emphatische Ton,[Mazzadi 2000: 186] verbunden mit der Formulierung „wir“, sowie der hohen Dichte an Stilmitteln auf.[5]

Interpretationsansätze

Gottfried umrahmt also mit zwei die minne preisenden Aussagen einen längeren, den Zustand der minne beklagenden und die Menschen kritisierenden Abschnitt. Was will der Autor nun mit dem Exkurs bezwecken?
Ähnlich wie bei dem Prolog in Gottfrieds Tristan gibt es zum minne-Exkurs verschiedene Meinungen, die jedoch in der Themenbreite stärker differieren und daher schwerer in Gruppen zu fassen sind. Huber sieht den Minne-Exkurs als ein Bemühen Gottfrieds um allgemeine Kategorien einer personalen Anthropologie,[Huber 1988] Bertrau als ein Hinweis, welche Grenzen die Literatur aufzeigt,[Bertrau 1990: 18] und Urbanek meint gar, Kritik an der allgemeinen Ehepraxis des Mittelalters feststellen zu können.[Urbanek 1979: 358-371] Während dann Haug das Ineinander von Freude und Schmerz betont[Haug 1996: 183], sehen Keck und Eifler im Gegenteil ein Zeichen, dass Liebe und Leid eben nicht notwendig miteinander verbunden sind.[Eifler 2001: 121 ff.]und[Keck 1998: 214][6]

Fazit

Eine Absicht ist jedoch zweifelsfrei festzustellen, da mehrmals selbst Gottfried darauf hinweist:[7] Gottfried sieht die Kunst (in seinem Fall die Literatur) als Möglichkeit, den Menschen etwa bei Problemen zu helfen und die Welt zu verbessern, da in ihr Sachverhalte/Dinge/Gefühle beispielhaft dargestellt sind und dadurch bewahrt werden können. Der Leser kann diese Beispiele nachahmen oder als Warnung aufgreifen. Mit seinem Roman will Gottfried einerseits konkret Liebenden helfen, andererseits jedoch auch generell das Bild der wahren minne für die Menschen konservieren, indem er eben ein Beispiel für wahre minne darstellt. Diese wahre minne taucht nun mit der Vereinigung von Tristan und Isolde im Roman auf. Doch bevor er weiter über die minne-Beziehung der Beiden berichtet, konkretisiert er seine Meinung hinsichtlich des Zustands der minne und gibt damit auch dem Leser Hilfen zur Deutung der folgenden Entwicklungen in der Geschichte. Siehe auch [Wolf 1989: 193]

Anmerkungen

  1. Er kommt nach dem Literaturexkurs (V. 4555-4974) und vor der Grottenallegorese- (V. 16923-17099) und dem ''houte-Exkurs (V. 17858-18114)
  2. Sämtliche im Folgenden zitierte Versangaben stammen aus: Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Band 1-3. Stuttgart 1980
  3. Nach:[Mazzadi 2000: 172] und [Urbanek 1979: 147].
  4. Krohn sieht diese Behauptungen hier nichts als wahr, sondern als eine „rhetorische Formel der Bescheidenheit“ an.[Krohn 2008: 180].
  5. Vgl. dazu die Auflistung der Stilmittel in den Versen 12279-12317 bei Urbanek.[Urbanek 1979: 345f.]
  6. Die Auflistung nach [Tomasek 2007: 154f.]
  7. Etwa im Prolog (45ff.) oder auch im minne-Exkurs (12318ff.).


Literatur

  • [*Bertrau 1990] Bertrau, Karls: Literatur als Anit-Literatur? Zur sogenannten "Busßpredigt" in Gottfrieds "Tristan", in: Dallapiazza, Michaiel/ Schulze-Belli, Paola (Hrsg.): Il romanzo di Tristano nella letteratura del Medioevo. atti del convegno. Beiträge der Triester Tagung = Der "Tristan" in der Literatur des Mittelalters, Trieste 1990, S. 7-18.
  • [*Eifler 2001] Eifler, Günter: Das Carlisle-Fragment und Gottfried von Straßburg, Unterschiedliche Liebeskonzepte?, Iin: Haubrichs, Wolfgang [Hrsg.: Vox sermo res. Beiträge zur Sprachreflexion. Literatur- und Sprachgeschichte vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Festschrift Uwe Ruberg, Stuttgart/Leipzig 2001, S. 113-130.
  • [*Haug 1996] Haug, Walter: Erzählen als Suche nach personaler Identität, oder: Gottfrieds vin Straßburg Liebeskonzept im Spiegel des neuen Tristan-Fragments von Carlisle, in: Haferland, Harald (Hrsg.]: Erzählungen in Erzählungen, Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit, München 1996 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur; 19).
  • [*Huber 1988] Huber,Christoph: Die Aufnahme und Verarbeitung des Alanus ab Insulis in mittelhochdeutschen Dichtungen, Untersuchungen zu Thomasin von Zerklære, Gottfried von Straßburg, Frauenlob, Heinrich von Neustadt.,Heinrich von St. Gallen, Heinrich von Mügeln und Johannes von Tepl, München/Zürich 1988.
  • [*Kaschewski-Stolz 1983] Kaschewski-Stolz, Sigrun : Studien zu Form und Funktion der Bildlichkeit im 'Tristan' Gottfrieds von Straßburg, Göttingen 1983 (Göttinger Studien zur Germanistik, 403).
  • [*Keck 1998] Keck, Anna: Die Liebeskonzeption der mittelalterlichen Tristanromane. Zur Erzähllogik der Werke Bérouls, Eilharts, Thomas‘ und Gottfrieds, München 1998 (Beihefte zur Poetica, 22).
  • [*Krohn 2008] Gottfried von Straßburg: Tristan, Nach dem Text v. Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit e. Stellenkommentar u. e. Nachw. v. Rüdiger Krohn, Bd. 1–3 Stuttgart 1980.
  • [*Mazzadi 2000] Mazzadi, Patrizia: Autorreflexion zur Rezeption: Prolog und Exkurse in Goffrieds “Tristan“, Trieste 2000 (Quaderni di Hesperides. Serie Saggi 2).
  • [*Tomasek 1985] Tomasek, Tomas: Die Utopie im "Tristan" Gotfrids von Strassburg, Tübingen 1985 (Hermaea 49).
  • [*Tomasek 2007] Ders.: Gottfried von Straßburg, Stuttgart 2007.
  • [*Urbanek 1979] Urbanek, Ferdinand: Die drei Minne-Exkurse im "Tristan" Gottfrieds von Straßburg, in: ZfdPh, in: 98 (1979), S. 344-271.
  • [*Wolf 1989] Wolf, Alois: Gottfried von Strassburg und die Mythe von Tristan und Isolde, Darmstadt 1989.