Die Erzählstruktur im Parzival (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Der folgende Artikel beleuchtet die Erzählstruktur des Parzival. Hierzu wird zunächst der allgemeine Aufbau präsentiert, um anschließend genauer auf die einzelnen Handlungsstränge eingehen zu können. Anhand dieser ist dann zu untersuchen, inwiefern sich bei der Analyse der Erzählstruktur Rückschlüsse im Bezug auf eine Interpretation des Textes ergeben.


Allgemeiner Aufbau

Parzival ist in 16 Bücher unterteilt, wobei diese eine "inhaltlich gliedernde Funktion" [Bumke 2004: S. 195] haben, da sich zumeist zwischen den Büchern auch ein "Wechsel des Handlungsträgers" [Schirok 1972: S. 462] beziehungsweise ein Bruch in der Handlung findet. So liegt zum Beispiel der Fokus ab Beginn des zehnten Buches wieder deutlich bei Gawan und nicht bei Parzival, der im Zentrum des neunten Buchs war.

Diesem Wechsel des Handlungsträgers kommt eine wichtige Bedeutung zu: Auf der einen Seite erweist sich eine Analyse dieser sich verändernden Fokussierung als eine Interpretationshilfe, auf der anderen Seite ist Wolframs Parzival auf diese Weise in "sechs deutlich gegeneinander abgesetzte Handlungsblöcke" [Schirok 1972: S.462] unterteilt. Diese groben Handlungsblöcke können wie folgt dargestellt werden: [Bumke 2004: S. 194]

  • Gahmuret, Buch I-II
  • Parzival, Buch III-VI
  • Gawan, Buch VII-VIII
  • Parzival, Buch IX
  • Gawan, Buch X-XIV
  • Parzival, Buch XIV-XVI
  • Feirefiz, Buch XVI


Analyse der Handlungsstränge

Einstufungen der Handlungsträger

Es ist zunächst wichtig klarzustellen, dass trotz der hohen Präsenz von anderen Handlungsträgern Parzival der Protagonist bleibt. So hat Wolfram in seinem Text "Abstufungen in der Bedeutung der einzelnen Handlungsteile und ihrer Träger" [Schirok 1972: S. 462] einfließen lassen. So wird beispielsweise zu Beginn des siebten Buches deutlich Parzival als "des maeres hêrren" ("eigentliche[r] Held") (338,7) [1] beurteilt. [Schirok 1972: S. 463] Eine weitere Bemerkung findet sich im Gahmuret-Handlungsblock, hier hebt der Erzähler heraus, dass die Hauptfigur dieses Werks zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboren ist. Dies funktionalisiert die ersten beiden Bücher in eine Vorgeschichte der eigentlichen Handlung um, [Schirok 1972: S. 463] die sich auf Parzival konzentriert.

Die Funktion der Gawan-Handlung

Bei Betrachtung der oben angeführten Liste wird klar, dass die Gawan-Handlungsblöcke "Einschnitte in [die] Parzival-Handlung" [Bumke 2004: S.194] darstellen. Es gibt mehrere Ansätze zur Erklärung dieser Anordnung, von denen ich hier zwei vorstellen möchte.

Die beschriebene Verschachtelung kann zunächst als ein Mittel der Verlängerung gesehen werden: Immer wieder tritt Parzival während der Gawan-Erzählungen kurz in Erscheinung, allerdings eher als Nebenfigur. Dies soll den Leser daran erinnern, dass Parzival während der Abenteuer Gawans auf der ständigen Suche nach dem Gral ist. Indem dem Leser also die zahlreichen Erlebnisse von Gawan vor Augen gehalten werden, wird Parzivals zähe und stagnierende Suche des Grals herausgehoben. Letztendlich entsteht durch das Einschieben der Gawan-Handlung eine Verlängerung der Erzählzeit (Zeit die man benötigt, um einen Text zu lesen), die für den Leser ein tatsächliches Hinauszögern der Parzival-Handlung darstellt. Es wird durch diese Verlängerung also zusätzlich die Spannung gesteigert, da das eigentliche Interesse des Lesers vor allem der Suche Parzivals gilt.

Eine andere Herangehensweise beschreibt das Aussetzen der Handlung im Parzival als eine Verdeutlichung der Buße, die Parzival tut. Zum Verständnis dieses Ansatzes muss erwähnt werden, dass er auf der Vorstellung basiert, dass man während der Buße nicht sprechen darf. Dieses Schweigen wird durch die Gawan-Handlung verdeutlicht, die den Protagonisten für diese Zeit "zum Schweigen bringt".

Doppelungen

Ferner verweist die Erzählstruktur im Parzival auf das für den höfischen Roman typische "Prinzip der Wiederholung". [Hirschberg 1976: S. 144] Hierbei ragt zum einen die zweimalige Begegnung Parzivals mit dem Gral heraus, zum anderen können Gawan und Parzival als sich gegenüberstehende Figuren interpretiert werden.

Bei der ersten Szene auf Munsalvaesche wird zunächst in steigernder Form die Gralsprozession beschrieben, welche in der Erscheinung des Grals gipfelt. Sodann folgt die Stelle der versäumten Frage. Bei der zweiten Grals-Szene jedoch ist der Aufbau entgegengesetzt: zunächst steht Parzivals Mitleidsfrage "œheim, waz wirret dier?" ("Oheim, was tut dir weh?") (795,29) im Zentrum und dann folgt die Gralsprozession. Die Abfolge ist also umgekehrt. Die Struktur an dieser Stelle der Erzählung verdeutlicht, dass der Fokus "nicht mehr [auf der] geheimnisvolle[n] Selbstrepräsentation der Gralswelt" [Hirschberg 1976: S. 159] liegt, sondern vielmehr "die aktualisierte mitmenschliche 'helfe' der 'helfelîchen' stunde'" (788,19) wichtig ist und somit das Buch zu einem Ende findet.

Bei vorliegender Erzählstruktur drängt sich ein Vergleich von Parzival und Gawan geradezu auf. Die Gegenüberstellung der beiden Helden wird also durch den Aufbau des Werks gefördert. Es entsteht hierbei unter anderem die Beobachtung, dass Gawan als mustergültiger Ritter auftritt, die Parzival-Handlung hingegen von dessen Verfehlungen handelt. Die Erzählstruktur ist also so angelegt, dass Parzivals Misserfolg bei der Gralssuche geschickt in den Vordergrund gerückt wird.

Fazit

Abschließend kann festgehalten werden, dass die Erzählstruktur wesentlich von den wechselnden Handlungsträgern geprägt ist. Die Analyse und der Vergleich dieser einzelnen Handlungsblöcke führt zu einem besseren Verständnis des Textes, indem sie Parzivals langwierige und verzweifelte Suche nach dem Gral hervorhebt. Diese wird für den Leser durch die verlängerte Erzählzeit, die durch die Gawan-Blöcke entsteht, geradezu körperlich spürbar. Darüber hinaus ist die Struktur des Werkes charakterisiert von Doppelungen, die wiederum eine Interpretationshilfe darstellen. Besonders ein Vergleich von Parzival und Gawan betont Parzivals Erfolglosigkeit bezüglich seiner Suche nach dem Gral.

Quellennachweise

[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36).

[*Hirschberg 1976] Hirschberg, Dagmar: Untersuchungen zur Erzählstruktur von Wolframs "Parzival". Die Funktion erzählter Szene und Station für den doppelten Kursus, Göppingen 1976.

[*Schirok 1972] Schirok, Bernd: Der Aufbau von Wolframs ,Parzival'. Untersuchungen zur Handschriftengliederung, zur Handlungsführung und Erzähltechnik sowie zur Zahlenkomposition, Freiburg 1972.


  1. Alle Textstellen-Angaben aus Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.