Die Rolle des Fährmanns Plippalinot

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Der Fährmann Plippalinot muss innerhalb des Romans Parzival von Wolfram von Eschenbachs als widersprüchliche Figur eingeordnet werden. Dieser Artikel zeigt die Schlüsselrolle Plippalinots für Gawans[1] Reise nach Schastel marveile auf.

Gawan trifft auf Plippalinot

Auf dem Weg zu Schastel marveile zeigt Orgeluse Gawan den Weg durch einen Wald und wird dann vom Fährmann über den Fluss gesetzt, auf dessen anderer Seite sich das Schloss befindet. Gawan wird vom Ritter Lischoys Gwelljus angegriffen und besiegt diesen (536,10-543,26). Der Fährmann Plippalinot fordert darauf das Pferd von Lischoy ein und erhält überraschend den gefangenen Ritter selbst von Gawan, da dieser im erbeuteten Tier sein Eigenes erkennt. Als Gâwan dem Fährmann von seiner unerfüllten Liebe klagt, informiert ihn Plippalinot, dass hier alles abenteuerlich sei:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsche Übersetzung nach Peter Knecht
538, 3-12 dô sprach er 'hêrre, ez ist hier reht
ûfem plâne unt in dem fôreht
unt aldâ Chlinschor hêrre ist:
zagheit noch manlîch list
füegentz anders niht wan sô,
hiute riwec; morgen vrô,
est iu lîhte unbekant:
gar âventiure ist al diz lant:
sus wer ez naht und ouch den tac.
bî manheit sælde helfen mac.
Da sprach er: "Mein Herr, das ist halt, hier so Brauch,
auf der Wiese und im Wald
und überhaupt im ganzen Reich des Chlinschor;
feiges Nichtstun ändert daran nichts und ebensowenig Tapferkeit mit Kraft und Kunst,
so ist es eben: heute traurig, morgen froh.
Vielleicht wißt Ihr das noch nicht:
In diesem Land sind alle Wunder möglich,
es ist lauter Abenteuer bei Tag und bei Nacht.
Wo Mannheit ist, da kann das Glück helfen.

Plippalinot lädt Gawan erfreut zu sich ein und beherbergt ihn für eine Nacht. Bene, die Tochter des Fährmanns legt sich in der Nacht zu Gawan (549,10 ff.). Intim werden die beiden jedoch nicht, da Gawan sofort einschläft. Bene verlässt den Raum und verbringt die Nacht bei ihrer Mutter. Im Text heißt es dazu:

Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsche Übersetzung nach Peter Knecht
552,27-30 het er iht hin zir gegert,
ch wæn si hetes in gewert.
er sol ouch slâfen, ob er mac.
got hüete sîn, sô kom der tac.
Wenn er etwas von ihr gewollt hätte, ich glaube, sie hätte es ihm erlaubt. Es ist aber auch besser so - er soll schlafen, wenn er kann. Gott möge ihn beschützen an dem Tag, der dann anbricht.


Nach dem Aufwachen sieht Gawan die Burg und die sich darin befindenden Frauen. Er schläft noch einmal ein und findet Bene vor, als er erneut erwacht. Gawan fragt bei Bene nach den Frauen in der Burg, was diese zu Tränen rührt. Eine Antwort bleibt sie ihm schuldig. Plippalinot stößt dazu und nimmt an, Bene weine, weil Gawan mit ihr intim geworden sei. Dies klärt sich erst nach mehrmaligem Insistieren, als Plippalinot erklärt, die Burg sei ein Ort der Gefahr: "dâ ist nôt ob aller nôt" (556,16). Sowohl Plippalinot als auch Bene warnen Gawan ausdrücklich vor dem Unterfangen, Schastel marveile zu betreten (557,15-22). Gâwan folgt dem "ritterlichen Appell" am Ende jedoch trotzdem. [Mohr 1958]

Plippalinot und seine Tochter scheinen den Ritter insgeheim auf bevorstehende âventiuren vorbereiten zu wollen. Bene lässt Gawan seinen Schlaf und auch ihr Vater Plippalinot trifft Vorkehrungen für die Abenteuer von Gawan. So legt Bene Gawan seine Rüstung an und Plippalinot gibt ihm seinen Schild. Weiter erteilt Plippalinot Gawan klare Instruktionen zum Umgang mit dem Händler, den er vor Schastel marveile antreffen werde. Außerdem sagt ihm der Fährmann voraus, dass er in der Burg ein Bett, das lit marveile, vorfinden werde.

Plippalinots soziale Stellung

Otto hält fest, dass Plippalinot dank seiner adligen Herkunft zwar finanziell privilegiert ist, jedoch besteht "seine einzige Einnahmequelle im Zusammenhang mit dem Fährdienst". [Otto 1993: 209] Dass der Fährmann einer beruflichen Tätigkeit nachgeht, steht in einer elementaren Opposition zu dessen adligem Hintergrund. Otto verweist auf diesen Widerspruch, löst diesen aber wiederum auf, wenn er ausführt: "das Pferd des bezwungenen Lischoys (...) ist nicht die Gebühr für den Fährdienst, der Fährdienst ist nur mit seinem Lebensrecht gekoppelt." [Otto 1993: 263] Folglich stellt die Möglichkeit des Fährdiensts ein Privileg und nicht primär eine bezahlte Arbeit dar. Plippalinot ist als ritterlicher Fährmann einzuordnen. Er hat adlige Vorfahren (644,3-4), verkehrt jedoch nicht am Hof. Gawans Mahl im Haus des Fährmanns ist „bereits dem Gepräge und dem Stand seines Ausrichters nach ein höfisches. Doch der Ort, an dem es stattfindet, gehört nicht zur höfischen Lebenswelt.“ [Höhner 2015: 106] Das Mahl wird deutlich von höfischer Esskultur geprägt. [Höhner 2015: vgl. 107] Dieser Ausschnitt aus dem Roman verdeutlicht, was Höhner „das verzerrte Spiegelbild höfischer zuht“ nennt. [Höhner 2015: 107] Plippalinot ist Stellvertreter für die adligen Landsleute, welche durchaus im Stande sind, Gawan standesgemäß gegenüberzutreten. Gleichsam sind die beiden Welten voneinander getrennt. Als Gawan beim Mahl im Haus des Fährmanns um die Gesellschaft dessen Tochter Bene bittet, macht Plippalinot explizit auf den Standesunterschied aufmerksam (550,16-19).

Verweise auf höfisches Leben im Haus des Fährmanns

Die Wohnverhältnisse Plippalinots sind für einen Fährmann ausserordentlich ungewöhnlich. Sein Haus hat mehrere Zimmer, sowie eine kemenâte. Kemenaten sind beheizte Zimmer, welche sonst nur in Burgen als Frauengemach zu finden sind. [Höhner 2015: vgl. 107] Im Anwesen von Plippalinot finden sich eine Reihe von Luxusgütern, welche sich ein gewöhnlicher Fährmann unmöglich leisten könnte. Die Fenster sind verglast (553,5), was zu Wolframs Lebenszeiten höchst selten war. [Höhner 2015: vgl. 107] Gawans Lager und das Bett werden mit höfischen Stoffen gepolstert (549,23-30 sowie 552,7-39). Der Ritter erhält als Bettdecke den Mantel von Bene, welcher aus hermelîn gefertigt ist, sowie ein Federkissen (552,22 und 552,90).

Gawan und Bene

Auf die Beziehung zwischen Gawan und Bene wird bereits in einem bestehenden Artikel kurz eingegangen. Im Hinblick auf die soziale Stellung des Fährmanns ist die Art des Umgangs von Gawan mit Bene zentral. Der Ritter spricht Bene mit frouwe an. Diese Anredeform ist auch für eine adlige Tochter eines Fährmanns nicht angemessen.

Plippalinot als Brückenbauer

Ohne die Unterstützung des Fährmanns wäre Gawan nicht auf die Ereignisse in Schastel marveile vorbereitet. Der Besuch im Haus von Plippalinot ist als wichtige Station auf dem Weg ins Zauberschluss einzuordnen. Der Fährmann setzt Gawan nicht nur über den Fluss, sondern ermöglicht ihm auch eine geistige Annäherung an den unbekannten Ort. Es scheint, als wisse Plippalinot vom ersten Moment an, dass Gawan den Weg ins dorthin sowieso in Angriff nehmen wird. Anfänglich verschweigt der Fährmann Informationen über das Zauberschloss und die Schwierigkeiten auf dem Weg dorthin kategorisch. Gawan insistiert und fragt wiederholt nach dem Schloss und den dortigen Begebenheiten. Die klärenden Antworten erhält er erst, als der Fährmann befürchtet, seinen Gast in dessen Standesehre verletzt zu haben. Plippalinot nimmt an, seine Tochter Bene weine, weil Gawan mit ihr geschlafen habe und beschreibt ihm darauf in einem emotionsgeladenen Moment den Weg ins Schloss.

Als Gastgeber kümmert sich Plippalinot in seinem Haus sowohl um die physische als auch um die mentale Vorbereitung des Gastes, indem er nicht nur um dessen leibliches Wohl besorgt ist, sondern ihm auch noch diverse Annehmlichkeiten bietet und ihn mit Informationen versorgt, welche die bevorstehende aventiure erst möglich machen.

Der ambivalente Plippalinot

Der Fährmann stellt für Gawan eine Hilfe und einen Wegweiser auf seinem weiteren Weg dar. Gegenüber Parzival, der auf seiner Suche nach dem Gral zuvor auf Plippalinot stieß, erfüllt er diese Funktion jedoch nicht. Gawan insistiert, um die Informationen zu Schastel marveile und dem Wunderbett zu erhalten. Parzival demgegenüber, ist so sehr mit der Gralssuche beschäftigt, dass er Plippalinot gar nicht erst nach dem Schloss fragt. Später berichtet er Gawan von seinem Treffen mit Parzival (559,23-30). Unwissend also wird der Fährmann durch das Unterlassen der Erklärung zu einer Schwelle für Parzival. [Glaser 2004: vgl. 104-105]

Anmerkungen

  1. Dieser Artikel verwendet durchgehend die neuhochdeutsche Schreibweise für Eigennamen aus dem Parzival. Dies dient der Leserlichkeit. In Mittelhochdeutschen Originalstellen wird natürlich die originale (mittelhochdeutsche) Schreibweise angegeben.


Literaturverzeichnis

Textausgabe

Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York, 2003.

Sekundärliteratur

[*Glaser 2004] Glaser, Andrea: Der Held und sein Raum. Frankfurt am Main, 2004.
[*Höhner 2015] Höhner, Jens: Zu Tisch mit König Artus und Parzival: Mähler in epischen Texten des Mittelalters im Kontext höfischer Etikette, höfischer Kommunikationsformen und rhetorischer Darstellung. Hamburg 2015.
[*Mohr 1958] Mohr, Wolfgang: Parzival und Gawan. In: Euphorion, Zeitschrift für Literaturgeschichte 52, (1958). S. 1-22.
[*Otto 1993] Otto, Dietmar: Definition, Darstellung und Bewertung von Arbeit und Tätigkeit in den deutschen Epen des Hohen Mittelalters, Frankfurt am Main 1993.