Herzeloydes Traum und Leid

Aus MediaeWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Dieser Artikel wird sich mit Herzeloydes Traum, den sie hatte bevor die Todesnachricht Gahmurets sie erreicht (103,25) und ihrem Kummer über Gahmurets Tod (105,5; 109,1 – 114,4) beschäftigen. Dabei soll die Traumdeutung eine Rolle spielen, sowie die Auswirkungen des Traumes und Herzeloydes Leid auf ihr Handeln und das Leben Parzivals.


Der Traum

Herzeloyde macht einen Mittagschlaf, bei dem sie schlecht träumt. Neben Blitzen und feurigen Donnerstrahlen die sie wegtragen, träumt sie davon, dass sie einen Drachen gebiert, welcher sogar an ihrer Brust trinkt. Der Drache fliegt dann auf nimmer Wiedersehen fort und sie leidet an schrecklichem Kummer. (103,25 – 104,30) Dieser Traum ist von Prophezeiungen geprägt, wie im folgenden noch einmal erläutert wird. Dazu hat auch Eschenbach selbst in Buch VI. den Satz eingeräumt (337,11 f.):

"Dann kam die edle Herzeloyde, der schickte ein Traum nebelhaft ahnungsvolle Bilder voller Leid in die Seele."

Der Traum gliedert sich, wie Heiko Hartmann beschreibt in drei Abschnitte: "1. Flug durchs Gewitter, 2. Angriff eines Greifen, 3. Geburt und Zeugung des Drachen."[Hartmann 2000: S.291]

Traumdeutung

In der Traumdeutung der Antike sagt das Träumen einer Schwangeren von einem Drachen das Gebären eines großen Herrschers voraus. Die Blitze, „feurigen Donnerstrahlen“ und „knisternden, sengenden Funken“, welche sie in den Himmel heben, können laut Bumke mit der „>Apokalypse< des >Neuen Testaments<“ in Verbindung gebracht werden. „Speziell an die Vision von der sonnenumhüllten Frau und dem großen Drachen, die im Mittelalter auf Maria als Gottesgebärerin bezogen wurde.“ [Bumke 2004: S. 52] Dies spiegelt sich auch im Parzival Text wieder, wenn Herzeloyde rechtfertigt, warum sie ihren Sohn selbst stillt und dies nicht einer Amme überlässt: „Die höchste Königin selber bot Jêsus ihre Brust“ [Wolfram von Eschenbach 2003: V. 113,18 f.]

Zu einem ähnlichen Schluss kommt Roßkopf. Auch er sieht die Verbindung zur Bibel. Laut ihm steht Herzeloyde vor dem höchsten Gericht, welches durch die Blitze bzw. erlöschenden Sterne angekündigt wird.[Roßkopf 1972: vgl. S. 59 f.] Dem kann Hartmann nicht zustimmen. Er denkt, dass Wolfram keineswegs negative Beurteilungen gegenüber Herzeloydes im Sinn hatte, sondern vielmehr dass "sie im Traum zum Spielball elementarer Gewalten"[Hartmann 2000: S. 296] wird.


"Kometen und Sternschnuppen galten [...] als Unheilsboten: Seit der Antike sah man in ihrem Erscheinen ein Zeichen für bevorstehende Katastrophen"[Hartmann 2000: S. 294] Hartmann beschreibt die Szene des Traumes folgendermaßen[Hartmann 2000: S.292]:

"erzeugt eine Atmosphäre der Bedrohung, spricht verschlüsselt von Tod, Geburt und Verlust"

Dies trifft ja auch bei Herzeloyde zu, denn nur kurze Zeit später stirbt ihr geliebter Mann Gahmuret.

Auswirkungen des Traumes auf Herzeloydes und Parzivals Leben

Sie träumt, dass der Drachen „ihr den Bauch zerreißt“ [Bumke 2004: S.52] als sie ihn gebiert. Parallelen zu ihrem Leben lassen sich insofern herstellen, als dass sie bei der Geburt ihres Sohnes beinahe stirbt (112,6 f.). Denn dieser "[hatte] Glieder wie ein rechter Mann" [Wolfram von Eschenbach 2003: 112,27]

Der Traum ist in vielerlei Hinsicht vorausblickend. Einerseits in die nahe Zukunft, als sie Parzival gebiert und dabei beinahe stirbt und als sie Parzival an ihrer Brust trinken lässt. Andererseits gibt der Traum auch einen Ausblick auf die fernere Zukunft, wenn Herzeloyde ihr Kind in Soltane aufzieht und Parzival eines Tages fortgeht und sie vor Kummer stirbt, aber auch, dass Parzival ein großer Herrscher werden wird, nämlich Gralskönig.

Fazit

„Wer hat Herzeloydes Drachentraum geträumt“, ein Aufsatz von Katharina Philipowski, kommt zu dem Ergebnis, dass dieser Traum nicht wirklich geträumt wurde. Dies sei nur eine Phantasie Wolframs, die er in seine Dichtung eingebaut habe. Somit ist zu beachten, dass die Figur nicht mit dem Autor verwechselt wird. [Philipowski 2006: vlg. S. 266 f.] Dennoch gibt es auch Interpretationen „einer auf der Ebene der höfischen Kultur nicht zulässigen, aggresiven weiblichen Sexualität“ [Philipowski 2006: S. 266 vlg. Eming Anm. 7, S.42] Bei jeder Interpretation, die getroffen wird, ist wichtig zu beachten, „dass literarische Texte Wirklichkeit nicht nur verarbeiten, sondern auch erschaffen.“ [Philipowski 2006: S. 274] Durch den Traum und die Geburt Parzivals wird der Grundstein gelegt, dass Parzival ein großer Herrscher werden kann bzw. auch wird. Es ist wie ein kleiner Ausblick auf das Ende, das man dadurch erahnen kann. In diesem Zusammenhang spricht Bumke von einem prophetischen Traum Herzeloydes. [Bumke 2004: vgl. S. 52]

Der Traum kann auch als Brücke, welche die Vor- und Hauptgeschichte verbindet, angesehen werden. Auch im späteren Verlauf der Handlung wird auf diesen Traum zurückgegriffen.[Hartmann 2000]

Herzeloydes Leid

Die Nachricht von Gahmurets Tod erreicht Herzeloyde nach ihrem Alptraum. Sie trauert so schrecklich um ihren Mann, dass sie in Ohnmacht fällt. Erst ein alter Mann kommt ihr mit Wasser zu Hilfe, während alle anderen sie liegen lassen. (109,3 ff.) Sie bittet Gott um Hilfe, dass sie nicht „stumpf und fühllos“ werde. Sie vergleicht dies sogar mit dem zweiten Tod Gahmurets, weil sie schließlich das Kind ihres verstorbenen Mannes in sich trägt. (110,17) Zu Herzeloydes Leid können auch die zwei Wochen zählen, in denen sie in den Wehen lag. Auch die Geburt geht nicht ohne Probleme über die Bühne. Ihr Sohn „[hatte] so starke Glieder“ (112,6), dass sie bei der Geburt fast gestorben wäre.


Auswirkungen Herzeloydes Kummers auf ihr Verhalten

Bei Gahmurets Beerdigung fragt sie nach dem Hemd, das er anhatte als er ums Leben kam. Gahmuret trug auf seinen Turnierfahrten immer ein seidernes Hemd von Herzeloyde als Liebesbeweis. Nach seiner Rückkehr zog Herzeloyde es dann wieder über und trug es auf nackter Haut. [Bumke 2004: vgl. S. 50] Auch bei dem blutbefleckten „Fetzen“, den Gahmuret trug, als ihn der Tod ereilte, will sie keine Ausnahme machen und auch sich auch diesen überstreifen. So versucht sie Gahmuret noch einmal Nahe zu sein. Allerdings wird dies von den Anwesenden als unangemessen empfunden und ihr wird das Hemd weggenommen. (111,26 - 111,29)

Wenn man so möchte hat Gott ihr Gebet, nicht „stumpf und fühllos“ (110,17) zu werden erhört. Denn die Liebe zu ihrem Sohn, den Gahmuret ihr noch schenkte, lässt sie vergessen, welchen Stand sie in der Gesellschaft hat und welche Regeln dort gelten. Nachdem Herzeloyde bei der Geburt ihres prächtigen Sohnes beinahe gestorben wäre, entschließt sie sich, ihrem Kind selbst die Brust zu geben und dies nicht einer Amme zu überlassen. Dies rechtfertigt sie mit der Begründung, dass schließlich Maria, die Mutter von Jesus, ebenfalls selbst gestillt hat. „Die höchste Königin selber bot Jêsus ihre Brust“ (113,18 f.). Dass sie sich selbst mit der Gottesmutter gleichsetzt, greift der Erzähler zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf, an dem sie als besonders (gottes)treu und demütig gilt, weil sie sich in die Einsamkeit von Soltane zurückzieht und das höfische Leben hinter sich lässt. „Der Erzähler interpretiert ihr Verhalten nach Gahmurets Tod als Ausdruck einer Gesinnung, in der sich Herzeloydes Frömmigkeit und Tugendhaftigkeit offenbaren.“ [Bumke 2004: S.52] Hierbei kommt allerdings die „bittere“ Frage auf, wie viel das mit triuwe und Demut zu tun hat oder ob hier nicht Egoismus die Überhand nimmt. Denn noch einmal möchte sie so einen Schmerz, wie bei dem Tod ihres Ehemannes, nicht erfahren.

Fazit

Mit dem Traum beginnt der Rahmen um Herzeloydes Leid und er schließt sich, als Parzival seine Mutter verlässt und sie durch den unerträglichen Kummer stirbt. Naturwissenschaftlich gesehen ergibt der Traum wohl keinen Sinn, aber vielleicht sollte man ihn "als das nehmen, was er ist: Als poetischen Stoff, dem mit astrophysikalischen Analysen nicht beizukommen ist."[Hartmann 2000: S. 293]

Geht man von der Deutung aus, dass der Traum Tod und Leid voraussagt, so kann trifft dies unmittelbar auf Herzeloyde zu. Sie verliert ihren Mann, stirbt beinahe bei der Geburt ihres Sohnes und stirbt schlussendlich tatsächlich, durch das Wegreiten Parzivals. Nach diesem Traum hat Herzeloyde einen Leidensweg vor sich, den sie laut dem Erzähler mit Bravour meistert, denn dieser entlässt sie nur mit guten Worten aus der Dichtung.[1]

Quellenverzeichnis

Primärtext

[*Wolfram von Eschenbach 2003] Wolfram von Eschenbach: Parzival. Zweite Auflage. Berlin, New York 2003.

Sekundärtext

[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach. Achte Auflage. Stuttgart, Weimar 2004.

[*Philipowski 2006] Philipowski, Katharina: Wer hat Herzeloydes Drachentraum geträumt? Paderborn 2006.

[*Roßkopf 1972] Roßkopf, Rudolf: Der Traum Herzeloydes und der rote Ritter. Erwägungen über die Bedeutung des staufisch-welfischen Thronstreites für Wolframs "Parzival". Göppingen 1972.

[*Hartmann 2000] Hartmann, Heiko: Gahmuret und Herzeloyde. Kommentar zum zweiten Buch des Parzival.Wolfram von Eschenbach. Band II. Herne 2000.