Liebe und Schrift (Dante Alighieri, Vita nova)

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Im großen Themenzusammenhang von Medialität und Emotionalität liegt immer auch die Frage nach dem Verhältnis von Schrift und Liebe, welche zugleich auch die Frage nach Liebeskommunikation und Liebesausdruck impliziert. Über die Schrift ergibt sich eine Möglichkeit der Systematisierung von Sprache und somit eine Einordung der Liebe in geistig-abstrakte Strukturen und Regeln.[Schnyder 2008:9]Auch Dante Alighieri bedient sich dieses Systems, physisches Begehren auf diesem übergreifenden Horizont zu ordnen - denn Schrift ermöglicht Kommunikation über einen festen Körper hinaus. Die Grenzüberschreitungen von Schrift und ihr Auftreten in der Vita nova sollen in diesem Artikel behandelt werden.

Kommunikation durch Schrift

Vom 11. bis zum 15. Jahrhundert spielte die 'Verschriftung' in Form einer Verschriftlichung der Volkssprachen und dem Eindringen der Schrift in Verwaltung, Rechtswesen und Herrschaftsausübung erstmals eine größere Rolle. Auch aus religions-und philosophiegeschichtlicher Perspektive lässt sich eine 'Textkultur' im 12. und 13. Jahrhundert erkennen, die zu der Zeit vor allem im Zusammenhang mit der Beziehung von Sprache und Realität stand. Mit der Praxis der Schrift wurden schließlich nicht nur die technischen und materiellen Anforderungen der volkssprachlichen literarischen Welt gelöst, es gab auch eine neue Vermittlung theologischer Deutungsstrategien. Über die Schrift wird eine Kommunikation möglich, die ihre Bindung an einen festen Körper aufgeben kann. Kommunikation wird von einer Einzelperson gelöst und erfährt dadurch Anonymisierung. Sie ist nun übertragbar und damit auch verallgemeinerbar.[Schnyder 2008:9f.]

Schrift als Medium der Abstraktion

Die Abstrahierung durch die Schrift ermöglicht nun die Überlieferung und die Bildung von Traditionen. Doch gerade bei Liebesbriefen stellt sich die Frage nach der Authentizität. Denn in dem Augenblick, so beschreibt es Kuhn, in dem die Rhetorizität aufkommt, also das "Spiel mit der Intertextualität und der Anspruch auf stilistische und sprachliche Korrektheit",[Schnyder 2008:9f.] wird die Liebesäußerung auf eine Allgemeinheit hin ausgerichtet und verliert so die Intimität ihrer Geschlossenheit. So zielen Liebesbriefe, die in literarischen Texten überliefert sind, immer auch auf die Teilnahme der (literarischen) Öffentlichkeit ab.

"Dantes" Epistel

Die Komposition der Epistel[1] in Form eines Sirventes[2] im 6. Kapitel soll an den Namen "Dantes" holdseliger Dame erinnern, mit der Nennung von 60 weiteren Frauennamen aber die Identität seiner Verehrten wahren. Die ausgewählten Frauennamen erfüllen dabei, wie die erste "donna del schermo"[3], eine abschirmende Funktion. Doch durch diese Anonymität entwertet Dante seinen "Liebesbrief" - es handelt sich sogar um Massenverschleierung. Nicht nur der "Liebesbrief" an sich, auch die genannten Frauen werden entwertet und trivialisiert.

Italienisches Original [VN: 6]: __________ Deutsche Übersetzung:
Dico che in questo tempo __________ Ich sage, daß in der Zeit,
che questa donna era schermo di tanto amore, __________ zu der jene Frau Schirm war solch großer Liebe,
quanto da la mia parte, __________ wie ich sie meinesteils hegte,
sì mi venne una volontade __________ mir also das Verlangen kam,
di volere ricordare lo nome di quelle gentilissima __________ des Namens jener Holdseligen gedenken zu wollen,
ed accompargnarlo di molti nome di donne, __________ und ihm viele Namen anderer Frauen zur Gesellschaft beizugeben,
e spezialmente del nome di questa gentile donna. __________ und vorzüglich denjenigen dieser edlen Frau.
E presi li nomi di sessanta le più belle donne de la cittade __________ Und ich nahm die Namen von sechzig der schönsten Frauen der Stadt,
ove la mia donna fue posta da l'altissimo sire, __________ die der Allerhöchste meiner Herrin zur Heimat angewiesen,
e compuosi una pistola sotto forma di serventese [...] __________ und ich verfaßte eine Epistel in Form eines Serventes [...]

Grenzüberschreitungen der Schrift in der Vita nova

Selbstverständliche Grenzen, wie die des Raums, der Zeit oder des Todes, vermag die Schrift zu überwinden. Der Wechsel von der der mündlichen zur schriftlichen Kommunikation sorgt für eine Entlastung der Sinnübertragung eines Körpers, sodass Kommunikation über die Grenzen von Zeit und Raum hinweg möglich wird.[Wenzel 1995:203]

Die Grenzen von Zeit und Raum

"Dante" verfasst ein Gedicht, das die Wirkung seiner Angebeteten auf die Welt festhalten soll - über die Grenzen von Zeit und Raum hinaus. Allen, denen der Anblick der Holden nicht vergönnt ist, soll dieses Gedicht (wie viele weitere Stellen in der Vita nova) kundtun, wie sie geehrt und gelobt wird. Die Schrift ist somit ein "von vielen mündlich bestätigtes Zeugnis"[Kuhn 2008: 180], das die Zeiten überdauert und auch jene erreicht, die "der selig machende Beatrice nicht selbst begegnen, sondern in anderen Räumen oder Zeiten zu Hause sind."[Kuhn 2008:180]

Italienisches Original [VN: 26]: __________ Deutsche Übersetzung:
Propuosi di dicere parole, ne le quali __________ [ich nahm mir vor] Worte zu dichten, in denen
io dessi ad intendere de le sue mirabili ed eccellenti operazioni; __________ ich ihr wunderbares und hervorragendes Wirken zu verstehen gäbe;
acciò che non pur coloro che la poteano sensibilemente vedere, __________ auf daß nicht bloß jene, die sie leibhaftig sehen konnten,
ma li altri sappiano di lei quello __________ sondern auch andere von ihr das erführen,
che le parole ne possono fare intendere. __________ was Worte davon begreiflich machen können.

Die Grenzen des Todes

Die Schrift der Liebe wird zum, "die Grenze des Todes überschreitenden Medium stilisiert"[Schnyder 2008: 20], indem es zu einer Inversion von Schrift und Körper kommt. Der Tod dient als Bild für die äußerste Grenze mündlicher Kommunikation: Er wird zu einer Art Reflexion über die Möglichkeiten der Kommunikation, die "außer [durch] das Vergessen, durch räumliche Ferne und unterschiedliche Zeiten [bedingt], auch bedroht ist durch die Unverfügbarkeit des Du".[Kuhn 2008:183] Der Schriftkörper wird an die Stelle des eigenen Körpers gesetzt und erlaubt somit eine Kommunikation über die Grenzen des Todes hinaus.

Die Grenzen der Erinnerung

Barbara Kuhn formuliert in ihrem Aufsatz über "Körperzeichen, Zeichenschrift und Schriftkörper", dass die Entscheidung für die Schrift außerdem in der Emotionalität des Liebenden begründet liegen müsse. Der Liebende, "Dante", muss erkennen, dass "nicht erst eine räumliche Trennung oder das Vergehen der Zeit, sondern schon die Heftigkeit des Begehrens das Vergessen und damit die Unmöglichkeit von Erfahrung bewirkt".[Kuhn 2008:180] Das Begehren scheint im Gedächtnis zu zerstören, was sich gegen das Begehren selbst erheben könnte; die "vergangenen Leiden haben nicht die Kraft, das Ich zurückzuziehen, es davon abzuhalten, jenen Anblick zu suchen, der ihm alle Lebensgeister entzieht, es wie tot sein lässt."[Kuhn 2008:180] Dieses Phänomen beschreibt "Dante" selbst:

Italienisches Original [VN: 15]: __________ Deutsche Übersetzung:
[...] sì tosto com'io imagino la sua mirabile bellezza, __________ [...] sobald ich mir ihre wunderbare Schönheit vorstelle,
sì tosto mi giugne uno desiderio di vederla, __________ [ergreift mich] sogleich ein Verlangen [...] sie wirklich zu sehen,
lo quale è di tanta vertude, __________ und [...] dieses [ist] von solcher Wirkungsmacht [...],
che uccide e distrugge ne la mia memoria, __________ daß es in meinem Gedächtnis tötet und vernichtet,
ciò che contra lui si potesse levare; __________ was sich dagegen erheben könnte;
e però non mi ritraggono le passate passioni da cercare la veduta di costei. __________ und deshalb halten mich die vergangenen Leiden nicht davon ab, ihren Anblick zu suchen.


Die Erinnerung des Ichs reicht nur so weit, "dass es sich ein Bild davon macht, wie Amor es zurichtet"[Kuhn 2008: 180] - la mia memoria movesse la fantasia ad imaginare quale Amore mi facea[VN: 16] (dt. "mein Gedächtnis [bewog] meine Einbildungskraft dazu [...], sich vorzustellen, was Amor aus mir machte")

Die Ebenen der Liebe und der vierfache Schriftsinn

Auch P.J. Klemp untersucht in seinem Aufsatz "The Women in the middle: Layers of Love in Dante's Vita nova" von 1984 die Frage nach dem Zusammenspiel von Liebe und Schrift und die Möglichkeit, Liebe in eine bestehende Struktur einzuordnen - in diesem Fall der vierfache Schriftsinn der Allegorie. Er benennt vier "layers of love" (Ebenen der Liebe) in Dantes Vita nova und schreibt diesen einen hierarchischen Charakter zu, da die Ebenen der Liebe einem aufsteigenden Stufenprozess zu folgen scheinen. Zusätzlich behauptet Klemp, dass die vier Ebenen der Liebe sowohl vier weiblichen Figuren im Buch als auch dem vierfachen Schriftsinn, der Allegorie, entsprechen sollen.[Klemp 1984] Dies soll im Folgenden geprüft werden.

Der vierfache Schriftsinn (Allegorie)

Der vierfache Schriftsinn konstituiert sich aus vier Sinnen, mit deren Hilfe man Schriften verstehen und auslegen kann. Auch Dante Aligieri hat seine Auffassung der Allegorie festgehalten, in seinem Werk Convivio (Das Gastmahl): Den ersten Sinn bezeichnet er als den buchstäblichen, der nicht "über den Buchstaben der erfundenen Worte hinaus[reicht]"[Alighieri 1996:9ff.] Den zweiten Sinn nennt Dante den allegorischen Sinn, welcher sich "unter einem Mantel dieser Erzählungen"[Alighieri 1996:9ff.] versteckt und von Dante auf die Art der Dichter, nicht der Theologen, verwendet wird. Der dritte Sinn wird der moralische gennant. Zuletzt führt Dante den Übersinn auf, den anagogischen vierten Sinn, der dann gegeben ist, wenn man "eine Schrift geistlich auslegt".[Alighieri 1996:9ff.] Wichtig für die weitere Interpretation ist außerdem Dantes Feststellung, dass "der buchstäbliche Sinn immer vorangehen [muss] als jener, in dessen Aussage die anderen eingeschlossen sind, und ohne welchen es unmöglich und unvernünftig wäre, die anderen, besonders den allegorischen, anzugehen."[Alighieri 1996: 9ff.] Dante setzt den buchstäblichen, den literalen, Sinn also als Fundament, als grundlegende Konstante der Allegorie fest.

Ebenen der Liebe nach Klemp

Nach Klemp existieren vier abgestufte Ebenen der Liebe: die irdische Liebe, die simulierte Liebe, die philosophische Liebe und die göttliche Liebe. Diese sollen den Figuren der realen, sterblichen Beatrice, der "Schutzschild-Damen"[4], der Filosofia und der göttlichen Beatrice entsprechen[Klemp 1984]: "[...] we recognize the correspondence between the four levels of polysemous writing and the book's four central women (the screen-ladies, the mortal Beatrice, Filosofia, and the spiritual Beatrice)." [Klemp 1984: 186] In der folgenden Tabelle sind die Ebenen, die Figuren und die Sinne der Allegorie einander gegenübergestellt. Ist ein Entsprechung zwischen den Punkten und innerhalb der Systeme zu erkennen?

Ebenen Figuren Allegorie
(göttliche Liebe)[5] göttliche Beatrice anagogisch
philosophische Liebe Filosofia moralisch
simulierte Liebe Schutzschild-Damen allegorisch
irdische Liebe reale Beatrice literal

Nach Klemp müssten die Punkte der 'irdischen Liebe', der 'realen Beatrice' und des 'literalen Schriftsinns' in der Vita nova einander entsprechen oder sogar gleichgesetzt werden können. Parallel funktionieren die Systeme, da es sich in allen drei Fällen um Interpretations- und Ordnungsschemen handelt. Der vierfache Schriftsinn jedoch legt fest, dass der literale (buchstäbliche) Sinn Ausgangspunkt und Fundament der anderen Sinne ist. Der allegorische, der moralische und der anagogische Sinn bauen also jeweils auf dem literalen Sinn auf. Vom diesem kann also die Stufe zum allegorischen Sinn genommen werden aber auch direkt zum moralischen oder anagogischen. In Dantes Vita nova aber ist die 'göttliche Beatrice' das, in Aussicht gestellte, Ziel - ebenso wie die göttliche Liebe. Sobald die 'göttliche Beatrice' erreichbar wird, braucht sie nicht mehr auf der realen, sterblichen Beatrice aufzubauen. Die irdische Liebe ist dann nicht mehr das Fundament, auf der alles andere zugrundeliegt. Es kommt im Fall der Vita nova zuletzt nicht darauf an, die irdische Beatrice zu bewahren.

Deshalb kann eine Gleichsetzung der drei Systeme nicht funktionieren: Während sich die Ebenen der Liebe und die, ihnen zugesprochenen Figuren, durchaus entsprechen, ist der hierarchische Ablauf der Allegorie ein anderer. Eine genauere Auslegung und Beschreibung dieses Themas findet sich auch in den Artikeln zu den Vermittlungsinstanzen und zum vierfachen Schriftsinn.

Körperzeichen

Beatrices bedeutungsschwerer Gruß (von Dante Gabriel Rossetti)

Die Vita nova steht von Beginn bis zum Ende unter dem Zeichen der Schrift und zeugt dennoch ebenso von einer "großen Präsenz des Körpers".[Kuhn 2008:172] Die Existenz von eindrücklichen Körperzeichen ist deshalb nicht verwunderlich. Schon die erste Begegnung zwischen Dante und Beatrice, beide im Alter von neun Jahren, konzentriert sich vor allem auf die körperlichen Reaktionen des Ich. Die, in den verschiedenen Körperorgangen situierten, spiriti kommentieren das außerordentliche Geschehen in lateinischer Sprache. So beginnt etwa, der im Herzen angesiedelte, spirito de la vita aufs heftigste zu zittern, der spirito animale im Gehirn wundert sich dagegen über das, was die spiriti del viso verkünden und der spirito naturale, der im Magen sitzt, beginnt sogar zu weinen, da er bereits voraussieht, dass es ihn in Zukunft häufig treffen wird. Das Ich befindet sich, von diesem Augenblick an, in der Herrschaft Amors.[Kuhn 2008:172]


Italienisches Original [VN: 2]: __________ Deutsche Übersetzung:
In quello punto dico veracemente che lo spirit de la vita, __________ In jenem Augenblick, das sage ich wahrhaftig, fing der Geist des Lebens
lo quale dimpra ne la secretissima camera de lo cuore, __________ der in der geheimsten Kammer des Herzens wohnt,
cominciò a tremare sì fortemente, __________ so heftig zu zittern an,
che apparia ne li menimi polsi orribilmente; __________ daß er sich noch in den kleinsten Pulsen schrecklich offenbarte,
e tremando disse queste parole: __________ und bebend sprach er diese Worte:
"Ecce deus fortior me, qui veniens dominabitur michi." __________ "Siehe, ein Gott, stärker als ich, der da kommt, zu herrschen über mich."
In quello punto lo spirito animale, __________ Im selben Augenblick begann der Geist der Empfindung,
lo quale dimora ne l'alta camera ne la quale tutti __________ der in jener hohen Kammer wohnt, wohin alle
li spiriti sensitivi portano le loro percezioni, __________ Geister der Sinne ihre Wahrnehmungen bringen,
si cominciò a marabigliare molto, __________ sich sehr zu verwundern
e parlando spezialmente a li spiriti del viso, __________ und sagte, indem er insbesondere zu den Geistern des Gesichtssinnes sprach,
sì disse queste parole: __________ also diese Worte;
"Apparuit iam beatitdo vestra." __________ "Eure Seligkeit ist nun erschienen."
In quelle punto lo spirito naturale, __________ Im selben Augenblick begann der natürliche Geist,
lo quale dimora in quelle parte ove si ministra lo nutrimente nostro, __________ der in jenem Teil wohnt, wo für unsere Ernährung gesorgt wird,
cominciò a piangere, e piangendo disse queste parole: __________ zu klagen, und weinend sagte er diese Worte:
"Heu miser, quia frequenter impeditus ero deinceps!" __________ "Wehe mir Armem! denn oft werde ich hinfort behindert sein."


Diese frühe Begegnung löst die Liebe Dantes zu Beatrice aus; die zweite Begegnung neun Jahre später überwältigt das Ich in dem Maße, dass es sich von den Menschen zurückzieht. Sowohl der Gruß Beatrices als auch das Zuwenden des Blicks und die, von ihr, gesprochenen Worten werden körperlich erfahren: "ihre Worte [...] bewegten [sich], um an mein Ohr zu dringen".[VN:3] Wie in Ekstase muss das Ich vor der körperlichen Nähe fliehen. Eine Vision übersetzt das Unverständliche dann in ausdrucksstarke Körperbilder, wie etwa das personifizierte Erscheinen Amors.[Kuhn 2008:173] Der Körper fungiert im nachfolgenden Text als Zeichen. Dem Ich etwa sind die Zeichen Amors ins Gesicht geschrieben: "ich [trug] auf meinem Antlitz so viele seiner Zeichen [...], dass sich dies nicht verbergen ließ."[VN:4] Am Körper lässt sich, nachdem Beatrice Dantes Gruß nicht erwidert wird,[VN:10] auch seine Betäubung, sein Außer-sich-sein, ablesen.

Fazit

Das Zusammenspiel von Schrift und Körper nimmt im Zusammenhang mit der Liebe eine wichtige Rolle ein. Schrift und Körper existieren nebeneinander und stehen doch in Konkurrenz zueinander, da es sich bei beiden um Medien der Kommunikation von Liebe handelt. Die Schrift kann Welten jenseits des Todes und jenseits des Körpers erschließen und ermöglicht so eine Kommunikation dort, wo im konkreten Erlebnis Sprache versagen kann. Die Schrift erhält demnach eine Präsenz, wie sie das physisch präsente 'Du' in der mündlichen Kommunikation hat. Während die Materialität der Schrift, also das Papier und die Tinte, zum Medium des Körperlichen wird, wird die Schrift zum Mittel der Präsenzstiftung.[Schnyder 2008:11] Durch die Abstraktion entfernt sich Schrift allerdings auch von der Intimität der Liebe, wird verallgemeinerbar und anonym. Die Möglichkeit, Liebe in bestehende Stukturen der Schrift zu pressen (etwa über den vierfachen Schriftsinn), fördert die Anaylsierbarkeit und das Verständnis des Phänomens Liebe. Aber kann (und will) man Liebe überhaupt verstehen und analysieren, geschweige denn in feste Schemata pressen?

Primärliteratur

  • [*VN] Alighieri, Dante: Vita Nova - Das Neue Leben. Übersetzt und kommentiert von Anna Coseriu und Ulrike Kunkel, München, 1988
  • [*Alighieri 1996] Alighieri, Dante: Das Gastmahl. Zweites Buch. Übersetzt und kommentiert von Thomas Ricklin, Hamburg, 1996

Einzelnachweise aus der Forschungsliteratur

  • [*Klemp 1984] Klemp, Paul J.: The women in the middle. Layers of love in Dante’s Vita Nuova, Italica 61, 198, S. 185-194.
  • [*Kuhn 2008] Kuhn, Barbara: Körperzeichen, Zeichenschrift, Schriftkörper, in: Schnyder, Mireille (Hg.): Schrift und Liebe in der Kultur des Mittelalters, Berlin, New York, 2008, S.165-190
  • [*Rieger 1976] Rieger, Dietmar: Gattungen und Gattungsbezeichnungen der Trobadorlyrik, Beihefte zur Zeitschrift für romantische Philologie, Band 148, Tübingen, 1976
  • [*Schnyder 2008] Schnyder, Mireille: Einführung, in: Schnyder, Mireille (Hg.): Schrift und Liebe in der Kultur des Mittelalters, Berlin, New York, 2008, S.1-22
  • [*Wenzel 1995] Wenzel, Horst: Hören und Sehen, Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, München, 1995

Anmerkungen

  1. Bei einer Epistel handelt es sich, laut Duden,um einen oftmals längeren, kunstvollen Brief gehobenen Anspruchs. Beispiele dafür sind etwa die Apostelbriefe in der Bibel.
  2. Das Sirventes ist die quantitativ zweitgrößte Gattung der Trobadorlyrik und lässt sich vor allem durch seine Unterscheidung von der Kanzone charakterisieren - lediglich die äußere Form ist den beiden Gattungen gemein. Die Anfänge des Sirventes liegen vermutlich im Söldnerlied: Volkslieder, die vom Stand der Dienstmänner, vom Kriegshandwerk und ihrem Herrn handelten. Ab Mitte des 12. Jahrhunderts wurde das Sirventes hauptsächlich als moralisch-politisches, rügendes, satirisches oder scherzhaftes Lied verwendet.[Rieger 1976: 48-165]
  3. Dante benutzt die sogenannten "Schutzschildfrauen", um seine Liebe zu Beatrice zu verschleiern. Die erste "Schutzschildfrau" - die "donna del schermo" - tritt in der Kirche auf, als sie, genau zwischen Dantes Blicken und Beatrice stehend, seine Blicke auf sich bezieht. Dante nutzt dieses Missverständnis und lässt die Dame und alle anderen in dem Glauben, seine Blicke (und somit seine Verehrung) gälten ihr. Durch diese Offensichtlichkeit kommt niemand auf die Idee, seine Liebe könnte einer anderen Frau gelten.
  4. Klemp verwendet den englischen Begriff der "screen ladies".
  5. Die 'göttliche Liebe' wird hier in Klammern gesetzt, da sie nur in Aussicht gestellt und noch nicht erreicht wurde. "Dante" befindet sich in einem sogenannten Pilgerstatus zu ihr.