Motivation im Parzival
Die Handlung in Wolfram von Eschenbachs Parzival endet damit, dass Feirefiz getauft wird und er Repanse de Schoye heiratet (811ff.), zudem wird Anfortas erlöst (795,29) uvm.[1] Die Frage die hier behandelt wird, ist, wie es soweit kommt bzw. wie das Geschehen im Parzival vorangetrieben wird. In der Literaturwissenschaft gibt es für diesen Aspekt der Textanalyse - die Motivation bzw. Motivierung - verschiedene Modelle.[2] Im Folgenden wird sich jedoch in erster Linie auf die Arbeiten von Matias Martinez bezogen.
Motivation nach Martinez
Laut Matias Martinez folgen in den meisten Erzählungen die einzelnen Ereignisse nicht einfach nur chronologisch aufeinander, sondern nach einem Prinzip, welches durch bestimmte Regeln und Gesetzte festgelegt sei. Martinez spricht dabei von Motivierung als "Ursache oder Begründung für das in einem narrativen (dramatischen oder im engeren Sinne erzählenden) Text dargestellte Geschehen."[ Martinez 2000: 643 ] Hinsichtlich der Funktion dieses narrativen Konzepts verweist er auf die Erzeugung von Kohärenz der Handlung. Die finale und kausale Motivierung werden von Martinez auch in der erzählten Welt selbst angesiedelt und bilden einen Teil dieser. Seinen Annahmen legt er die Arbeiten von Clemens Lugowski zu Grunde, der zwischen "Motivation von vorne" und "Motivation von hinten" unterscheidet. Martinez ordnet der letzteren Kategorie sowohl die finale als auch die kompositorische Motivation zu. Zusätzlich stellt er fest, dass sich die verschiedenen Motivationsarten nicht unbedingt ausschließen müssen, sondern in vormodernen Texten die finale Motivation meist die kausale Motivation dominiert.[Harms 2013: vgl. 50f.]
Kausale Motivierung
Kausale Motivation wird häufig auch als "Motivation von vorne" bezeichnet. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Motivation in diesem Fall wie eine Ursache-Wirkungs-Kette funktioniert, d.h. ein Ereignis stellt das Ergebnis einer Ursache dar. Eine derartige Motivation können "psychologische Beweggründe der Protagonisten für ihre Handlungen, auch nicht-intentionale Ursachen wie Zufälle, Naturereignisse oder Gemengenlagen von Handlungen" sein.[ Martinez 2000: 643 ] Damit derartige kausale Zusammenhänge im Text klar werden, müssten sie nach Uta Störmer-Caysa möglichst wirklichkeitsgetreu und detailliert erzählt werden.[Störmer-Caysa 2007: 96]
Finale Motivierung
Von einer finalen Motivation wird gesprochen, wenn das Geschehen durch eine allmächtige und übergeordnete Macht gelenkt wird, die die Handlungen vom Ende her determiniert. Die Protagonisten besitzen keine Möglichkeit selbst auf die Entwicklung einzuwirken, sondern folgen nur dem übergeordnetem Plan. Insgesamt ist der Handlungsverlauf vom Ende her bestimmt und ergebnisorientiert ausgerichtet.[ Martinez 2000: 643 ] Handlungen, die zunächst als kausal erscheinen, werden häufig im Nachhinein als final motiviert enttarnt. Ein Beispiel für eine finale Motivation ist in Vergils Aeneis zu finden, deren Handlung von dem Schicksal (fatum) vorangetrieben wird.[3] Eine derartige Motivierung des Geschehens wurde vor allem als Sinnbildungsmuster für sonst nicht erklärbare Handlungen eingesetzt. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass von den Zeitgenossen Wolframs stets eine teleologische Deutung mitgedacht wurde, da Gott für sie immer und überall präsent war.[Störmer-Caysa 2007: 96ff.]
Kompositorische Motivierung
Die kompositorische Motivation nach Martinez ist auf einzelne Motive, Handlungen oder Ereignisse gerichtet, die eine funktionale Stellung in der Gesamtkomposition einnehmen.[ Martinez 2000: 644 ] Dies kann man sich wie folgt vorstellen: Beispielsweise wird zu Beginn einer Erzählung ein Schwert erwähnt. So muss am Ende der Handlung das Schwert etwa die Rettung für den Helden darstellen, auch wenn es während der Zwischenhandlung nicht erwähnt wird.
Motivation im Parzival
Nun wird analysiert, welche der genannten Formen von Motivation im Wolframs Roman vorkommen. Dabei wird zugunsten einer genauen und exemplarischen Analyse einzelner Textabschnitte, auf eine ganzheitliche Untersuchung verzichtet.
Gahmurets Ankunft in Zazamanc
Gahmuret trifft genau zu dem Zeitpunkt vor der Burg von Belacane ein, als diese und ihr Volk durch eine Belagerung bedroht werden und ihr Geliebter ermordet wurde. Auf den ersten Blick wirkt Gahmurets Landung genau an diesem Strand wie ein Zufall. Unter Einbezug der Überlegungen Harald Haferlands zu der Darstellung finaler Motivation in Texten erscheint diese Zufälligkeit allerdings in einem anderen Licht. Haferland, der sich bei seinen Überlegungen auf die Arbeiten von Max Lüthi (1947) bezieht, spricht davon, dass bei finaler Motivation häufig eine raumzeitliche Passung stattfinde. Er folgert daraus, dass es sich nicht um Zufall handle, wenn eine Figur zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort erscheine. Es handle sich viel mehr um eine Präzision und sei final motiviert. [Haferland 2014: 73] Übertragen auf die oben genannte Stelle im Parzival, erscheinen Haferlands Überlegungen passend für die Ankunft Gahmurets in Zazamanc. Oder warum sollte Gahmuret genau zu dem Zeitpunkt irgendwo im Orient vor einer Burg auftauchen, die gerade belagert wird? Eine mögliche Erklärung, die gegen diese Überlegung spricht, ist die, dass er als Söldner des Bârucs eben dorthin geschickt wird. Weiter wäre ein Argument gegen eine finale Motivation, dass Gahmuret durch einen Meeressturm zufällig genau an diesen Strand gespült wird (16,20). Ausgehend von Martinez' Definition kausaler Motivation, zu der auch Naturereignisse zählen, würde diese Gegebenheit eindeutig für eine Ursache-Wirkungs-Kette sprechen. Wenn man diese Stelle nun aber weniger mit Blick auf das Naturereignis betrachtet, sondern vielmehr als intertextuellen Verweis auf Vergils Aeneis, genauer als Bezug aus Aeneas' Landung in Karthago (Aeneis, 1,100-155), so ist die Stelle anders zu bewerten. In Vergils Werk ist der Meeressturm durch die Götter bestimmt und somit kann der intertextuelle Verweis an dieser Stelle auch auf eine finale, hier göttliche, Motivierung hindeuten.
Wie sich gezeigt hat, ist hinsichtlich dieser Szene eine eindeutige Einschätzung schwierig, da es sowohl Hinweise auf eine kausale als auch auf eine finale Motivation gibt. Dennoch wirkt die Erklärung Haferlands am zutreffendsten, dass sich finale und kausale Motivation nicht ausschließen müssten, da alles, was von hinten motiviert sei, zusätzlich kausal motiviert sein könne.[Haferland 2014: 76f.]
Der Weg zu Parzivals Berufung zum Gralskönig
Cundrie, die Gralsbotin, spricht kurz vor ihrer Rede über die Erwählung davon, dass sich Parzival die Berufung erstriten (782, 29) habe. Diese Aussage spricht für eine kausale Motivation, da Parzival nun Gralskönig wird, weil er es sich erkämpft hat. In ihrer Rede wird jedoch deutlich, dass sie die Berufung zum Gralskönig eng an die Gnade Gottes knüpft, was sich zum Beispiel an ihrer Aussage: du hâst der sêlê ruowe erstriten (782,29), zeigt.[Schuhmann 2008: 183] Es scheint, als ob an dieser Stelle finale und kausale Motivation aufeinandertreffen, weshalb die Frage, wie Parzivals Berufung zum Gralskönig (796,17) hier und an anderen Stellen motiviert ist, besonders interessant ist.
Stephan Fuchs-Jolie beginnt mit seiner Analyse bei Parzivals Weg zur Gralsburg und arbeitet ein Problem bei der Übertragung des vorgegebenen Erzählziels (finales Paradigma) auf die syntagmatische Ebene der Handlungsabfolge heraus. Er sieht Parzivals Ankunft bei Anfortas nicht als eine kausale Folge an. So erlange Parzival zwar die Huld Gottes am Ende wieder, um die er auch gekämpft habe, allerdings habe er sie nicht bekommen, weil er gekämpft habe. Dies spricht für eine finale Motivation. Jolie-Fuchs erwähnt jedoch gleichzeitig, dass Parzival die Huld Gottes auch nicht ohne Kämpfen bekommen habe.[Fuchs-Jolie 2007: 54f.] Doch warum wurde Parzival überhaupt von Cundrîe verflucht und verliert infolgedessen die Huld Gottes? Mit Blick auf das weitere Geschehen stellt sich ausgehend davon die Frage, ob Parzival die Huld verliert, weil er seinen Verwandten getötet hat oder damit er sie am Ende wiedergewinnen kann? Einen interessanten Aspekt für die Beantwortung dieser Frage, bietet Uta Störmer-Caysa, die darauf verweist, dass Schuld immer entstehe, weil man einen Fehler begangen habe. Sie geht sogar so weit und bezeichnet die Schuld als "moralische[n] Sproß der Kausalität".[Störmer-Caysa 2007: 99] Dem entgegen steht die Tatsache, dass Parzival am Ende vollständig rehabilitiert ist und erst dadurch, dass er Gottes Gnade zwischenzeitlich verloren hatte, nun durch seine Vorbildlichkeit im Glauben hervorsticht. Besonders markant ist dies an der Stelle, an der Parzival Gott für seine Gnade dankt: got vil tougen hât. wer gesaz ie an sînen rât, ode wer weiz ende sîner kraft? (797,18ff.). Daran anknüpfend könnte man gegen Stürmer-Caysas These argumentieren, dass der Erzähler als finale Instanz Parzival die Schuld nicht aus kausal-logischen Zusammenhängen aufgebürdet hat, sondern um seine Tugenden am Ende herauszustellen.
Hervorzuheben ist auch die Erzählung des Rituals an sich, da Anfortas Bitte, dass Parzival ihn erlösen möge, sehr spontan wirkt (795,10). Allerdings wirkt diese Spontanität an dieser Stelle unnötig, da dem Rezipienten, als auch Parzival klar ist, dass letzterer die entscheidende Frage gleich stellen wird. [Fuchs-Jolie 2007: 53]
Zusammenfassend lässt sich für diese Stelle sagen, dass sowohl finale als auch kausale Motivation vorhanden sind, die Erstere jedoch dominiert.
Fazit
Abschließend lässt sich festhalten, dass zumindest in den untersuchten Textstellen sowohl finale als auch kausale Motivation vorkommt. Beide Arten scheinen sich nicht auszuschließen, auch wenn die finale Motivation im Vordergrund steht. Die kausale Motivierung wirkt in dem Sinne vor allem unterstützend, allerdings auch lückenhaft, was gegen eine vordergründige Kausalität spricht. Hinsichtlich der kompositorischen Motivierung ist zu sagen, dass in den angesprochenen Szenen keine zu finden ist, was nicht bedeutet, dass sie nirgends im Parzival zu finden ist.
Anmerkungen
- ↑ Im Folgenden immer zitiert aus: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
- ↑ s. Schulz, Armin: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, Berlin/New York 2012, S.322f.; Martinez, Matias: Motivierung, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft (=Bd.2), Berlin/New York 2000, Sp.643-646.
- ↑ Im Folgenden wird folgende Ausgabe als Grundlage der Überlegungen verwendet: Binder, Edith/Binder Gerhard (Hgg. und Übers.): P. Vergilius Maro. Aeneis, Stuttgart 2009.
Literaturverzeichnis
[*Fuchs-Jolie 2007] Fuchs-Jolie, Stephan: lebendec begrabn. Ein Versuch über Parzivals Unsichtbarkeit, in: Wolfzettel, Friedrich (Hg.): Körperkonzepte im arturischen Roman, Tübingen 2007, S.33-56.
[*Haferland 2014] Haferland, Harald: "Motivation von hinten". Durchschaubarkeit des Erzählens und Finalität in der Geschichte des Ezählens, 2014, URL: https://www.diegesis.uni-wuppertal.de/index.php/diegesis/article/view/160/226 (abgerufen am 25.06.2014).
[*Harms 2013] Harms, Björn Michael: Narrative >Motivation von unten<. Zur Versionenkonstitution von >Virginal< und >Laurin<, Berlin/Boston 2013.
[* Martinez 2000] Martinez, Matias: Motivierung, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft (=Bd.2), Berlin/New York 2000, Sp.643-646.
[*Schuhmann 2008] Schuhmann, Martin: Reden und Erzählen. Figurenrede in Wolframs Parzival und Titurel. Heidelberg 2008.
[*Störmer-Caysa 2007] Störmer-Caysa, Uta: Grundstrukturen mittelalterlicher Erzählung. Raum und Zeit im höfischen Roman, Berlin 2007.