Parzival und Liturgie

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Ob und wie liturgische Texte Aufschluss über Wolframs 'Parzival' geben können ist das Thema dieses Artikels. Das soll anhand von Parzivals Schuld und der Bedeutung des Gralsnamen 'lapsit exillis' aufgezeigt werden.

Vor allem die Zeitstruktur des IX bis XVI Buch sind stark österlich geprägt. Wolfram imitiert den Werdegang Parzivals nach seiner Umkehr bei Trevrizent bis zur Gralsberufung mit der Heilsgeschichte Christi. Das Osterfest ist das höchste christliche Fest im Mittelalter. [Tax 1963: S.455] Es stellt sich also die Frage, ob ein österlicher Kern das Fundament des Parzivals von Wolfram ist?

Die Schuld Parzivals

Parzival lässt sich vier Verfehlungen zur Last fallen. Erstens das Verlassen seiner Mutter, welches zu ihrem Tod führt. Zweitens den Verwandtenmord an Ither, der an den Bruder bei Kain und Abel anspielt. du treist zwuo grôze sünde: Ithêrn du hâst erslagen, du solt ouch dîne muoter klagen.(Vers. 499,20) Schließlich versäumt Parzival das Stellen der Mitleidsfrage bei Anfortas und dann zweifelt Parzival noch an Gott. Wie passt das Bild eines Schuldigen in die christliche Liturgie?

Trevrizent ist für diese Theorie sehr wichtig, doch wie genau wird sich noch zeigen. Er ist es auch, der stark von der Erbsünde überzeugt ist, genauso weiß er aus Erfahrung, wie die Schuld die Seele verdüstert. Doch kann bei Parzival nicht von einer bewussten Schuld gesprochen werden. Er macht sich wenn, dann objektiv schuldig, da er gegen das Gebot der Nächstenliebe verstößt.[Tax 1963: S.457/58] Zudem verstößt Parzival gegen das erste, vierte und fünfte Gebot der 'Zehn Gebote'. Erst im neunten Buch wird sich Parzival seiner Schuld bewusst, für die er büßen will. Nachdem Trevrizen Parzival den Fall des Menschengeschlechts durch Adam, von der Erlösertat Christ erzählt hat sagt er (466,11):

mhd deutsch
der schuldige âne riuwe

fliuht die gotlichen triuwe

swer ab wandelt sünden schulde,

der dient nâch werder hulde

Wer ohne Reue schuldig ist,

der flieht seine Gottestreue -

wer aber seine Sündenschuld büßt und bessert,

dessen Demut wird einen edlen, gütigen Herren finden

Trevrizent ist also von der Buße überzeugt. Er selbst büßt bereits stellvertretend für Anfortas, ebenso wird er die Schuld des Parzivals auf sich nehmen. Parzival ist von da ab frei von Sünde. (502, 24-28)

mhd deutsch
Trevrizent sich des bewac,

er sprach 'gip mir dîn sünde her:

vor gote ich bin dîn wandels wer.

und leist ich dir hân gesagt:

belîp des willen unverzagt.

Trevrizent bedachte es und sprach:

>> Gib mir deine Sünde her;

ich bin vor Gott der Bürge deiner Bekehrung.

Du aber tu, was ich dir geraten habe;

bleib fest in diesem Willen.<<

Auf seinem Weg erfährt Parzival noch mehr Gnade, als Heilbringer von Anfortas und der Gralsgemeinschaft, erhält er das ewige Leben.[Tax 1963: S.459]

Eine weitere Ähnlichkeit zur christlichen Liturgie ist gilt sowohl für Parzival als auch für Gahmuret. Für das Seelenheil Gahmurets bittet Parzival bei Trevrizent. (474, 30ff). Tax verweist auf Wapnewski, der das Verhalten von Parzival mit dem 1. Johannes-Brief (2, 15-17) vergleicht: 15) Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist. Wenn jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters. 16) Denn alles, was in der Welt ist, des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. 17) Und die Welt vergeht mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit. Für Gahmuret soll laut Tax noch viel mehr: "6) Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, sodass wir hinfort der Sünde nicht dienen." (Rom. 6,23) zutreffen. [Tax 1963: S.460]

Nach Tax ist der Fall von Parzival Grundlage für seine Erhöhung, er bezieht das auf (Rom. 5,20) 'Das Gesetz aber ist dazwischen hineingekommen, damit die Sünde mächtiger würde. Wo aber die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade noch viel mächtiger geworden'. Darum kann Parzival seine Aventüre bestehen, dem Tod entgehen und das ewig Leben erlangen.

Tax vergleicht die 'paradoxale Grundstruktur' mit der Idee der 'felix cupla', die ihre höchste Form in der Liturgie an Ostern hat. Deshalb verweist er auf eine Stelle das Weihlied 'Exsultet', der Text dazu:

latein deutsch
O certe necessarium Adae peccatum, 

quod Christi morte deletum est! O felix culpa,  quae talem ac tantum meruit habere Redemptorem!

Huius igitur sanctificatio noctis  fugat scelera,  culpas lavat:  et reddit innocentiam lapsis,  et maestis laetitiam. 

O wahrhaft heilbringende Sünde des Adam, 

du wurdest uns zum Segen,  da Christi Tod dich vernichtet hat! O glückliche Schuld,  welch großen Erlöser hast du gefunden!

Der Glanz dieser heiligen Nacht  nimmt den Frevel hinweg,  reinigt von Schuld,  gibt den Sündern die Unschuld,  den Trauernden Freude.

Tax ist der Meinung, dass Parzival diese Schuld exemplifiziert, ebenso wie die heilbringende Sünde Adams. Es soll auch der Tod Christi vom Karfreitag getilgt sein. Trevrizent würde die Rolle des barmherzigen Erlöser einnehmen, der seinem Freund die Schuld nimmt. Ein textlichen Beleg gibt es besonders für die 'felix culpa', auf die Trevrizen (465, 1-10) anspielt.[Tax 1963: vgl. S.461]

Die Verteidung der Unschuld Gottes, die Parzival (462,7ff) vorgetragen wird, ist in dem österlich, gregorianischen Choral 'Victimae paschali laudes' von 1050 wiederzufinden:

lateinisch deutsch
1. Victimae paschali laudes Immolent Christiani.

2. Agnus redemit oves; Christus innocens Patri Reconciliavit Peccatores

3. Mors et Vita duello Conflixere mirando; Dux vitae mortuus Regnat vivus.

4. Dic nobis, Maria. Quid vidisti in via? Sepulchrum Christi viventis Et gloriam vidi resurgentis.

5. Angelicos testes. Sudarium et vestes. Surrexit Christus spes mea; Praecedet suos in Galilaeam.

6. Scimus Christum surrexisse A mortuis vere. Tu nobis victor Rex miserere

1. Dem österlichen Schlachttier sollen Lobgesänge weihen die Christen.

2. Das Lamm hat die Schafe erlöst. Christus, der Schuldlose, hat die Sünder mit dem Vater versöhnt.

3. Tod und Leben rangen in wundersamem Zweikampf. Der Fürst des Lebens, der gestorben war, herrscht [jetzt] lebend.

4. Sag uns, Maria, was hast du gesehen auf dem Wege? Das Grab Christi, der lebt, hab ich gesehen und seine Herrlichkeit, da er auferstanden ist,

5. und Engelszeugen, das Schweißtuch und die Leinentücher. Auferstanden ist Christus, meine Hoffnung. Vorangehen wird er den Seinen nach Galiläa.

6. Wir wissen, Christus ist auferstanden wahrhaftig von den Toten. Du siegreicher König, erbarme dich unser!

Trevrizent äußert bei seiner Verteidigung unter anderem: (462,25) 'got heizt und ist diu wârheit' (462,25). In der Oster Liturgie wird oft das Licht beschworen, dass die Wahrheit bringt. [Tax 1963: S.462]

Auf eine letzte Stelle macht Tax aufmerksam, die wiederum auf die Osterliturgie anspielt, bei der der Schöpfungsbericht vorgetragen wird. Parzival fragt Trevrizent:

mhd deutsch
alrêrste er dô gedâhte,

wer al die werlt volbrâhte,

an sînen schpfaere,

wie gewaltec der waere.

Jetzt dachte er zum ersten mal an den,

der die Welte gemacht hat, an seinen Schöpfer,

und es kam ihm in den Sinn,

dass er ein gewaltiger Herr sein müsse.

Der 'lapsit exillis'

Der Gral oder der 'lapsit exillis' weist ebenfalls österliche Merkmale auf. Sie sind sowohl in dem Namen verborgen und lass sich auch in seinen Eigenschaften widerspiegeln. Im Parzival wird folgendes über den Gral gesagt:

mhd deutsch
er heizet lapsit exillîs.

von des steines kraft der fênîs

verbrinnet, daz er zaschen wirt:

diu asche im aber leben birt.

Er heißt lapsit exillîs.

Von der Kraft des Steins verbrennt der Vogel Phönix

und wird zu Asche:

und diese Asche gebiert ihm neues Leben.

Eine Parallele der Ostervigil lässt sich beim Entfachen des Osterfeuers ausmachen, denn das Feuer wird mit einem Kieselstein entzündet. Tax behauptet, Wolfram spiele mit exillîs auf e(x)silice an, wodurch eine Anspielung auf den Stein des Osterfeuer ensteht. Das Osterfeuer, das als Zeichen der Auferstehung gilt kann mit dem Phönix, der für neues Leben und Auferstehung steht, gleichgesetzt werden. Das Feuer ist die gibt dem Gral die lebenserhaltende Kraft.[Tax 1963: S.464]

In dem Wort 'lapsit' kann das lateinische Wort 'lapis' (deutsch: Stein) erkannt, eine weitere Ähnlichkeit besteht zu dem Wort 'lapsio', was soviel wie 'Neigung zum Fall' bedeuetet. Das 't' am Ende könnte eine Anspielung auf ein Verbform sein, denn im lateinischen Ende (fast) alle im Aktiv konjugierten Verben in der dritten Person auf 't' (nur nicht im Imperativ oder die Infinitiv Formen). Deshalb deutet die Forschung, dass der Stein gefallen sein könnte.[Tax 1963: S.465]. Darauf basierend kann der lapis exillîs mit dem lapis angularis (Eckstein), aus der ersten österlichen 'oratio', verglichen werden. Der Gralstein, der das Osterfeuer in sich birgt, lässt sich so mit Christus, der den lapis angularis trägt und das göttliche Liebesfeuer birgt, vergleichen.[Tax 1963: S.465] Weitere Ähnlichkeiten bestehen zwischen der Gralsbeschreibung von Trevrizent (469,8-470,20) und der zweiten oratio, in der unter anderem, von dem zukünftigen Nutzen für uns 'nostris profuturum usibus' gesprochen wird.[Tax 1963: S.466] Weitere Belegungen für den Gral als lapis angularis zu bei Anfortas Heilung (796,5-16), aber auch bei (809,16), (235,16) und (469,13) zu finden. Biblisch verweist das A.T. darauf bei (Is.28.16): Darum spricht der Herr, HERR: Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen köstlichen Eckstein, der wohl gegründet ist. Wer glaubt, der flieht nicht.[Tax 1963: 467ff]

Fazit

Der Ansatz von Tax weist viele Parallelen der österlichen Liturgie mit dem Parzival auf. Es ist klar, dass ein solcher Vergleich hinkt und nicht als gesichert gelten kann, da sich die Liturgie, ebenso die Bibelexegese, selbst verändert haben oder anders interpretiert wurden. Der Vergleich bietet eine religiös tiefgründigere Interpretation des Gesprächs von Trevirizent und Parzival im IX Buch und lässt es in einem österlich, heilbringenden Licht erscheinen. Dasselbe gilt für den Gral. Er kann mit dem 'lapis angularis' gleichgesetzt werden, denn der Gral selbst verweist nicht nur vom Namen her auf den Stein, sondern auch seine magische Kraft spielen auf das Osterfeuer und dessen Bedeutung an.

Anmerkung

Die erste oratio: Deus, qui per Filium tuum, angularem scilicet lapidem, claritatis tuae ignem fidelibus contulisti: productum e silice, nostris profuturum usibus, novum hunc ignem sanctifica: et concede nobis, ita per haec festa paschalia caelestibus desideriis inflammari; ut ad perpetuae claritatis, puris mentibus, valeamus festa pertingere.

Quellennachweis

Primärliteratur

Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

Die Bibelstellen wurde nach der Luther-Bibel von 1912 zitiert. http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/

Sekundärliteratur

[*Tax 1963] Tax, P.W. 1963: Felix Culpa und Lapsit Exillis: WOlframs Parzival und die Liturgie. In: MLN, Vol. 80, No. 4., S.454-469.