Ither (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Ither von Gaheviez ist der König des Königreiches Kukumerland, ein Ritter der Tafelrunde und ein Verwandter Parzivals. Bereits das zweite Aufeinandertreffen der beiden entfernten Cousins endet für Ither, der aufgrund der Farbe seiner Rüstung auch der "Rote Ritter" genannt wird, tödlich. Parzival tötet ihn mit einem Wurfspeer, um an seine Rüstung zu gelangen und dadurch ebenso als der "Rote Ritter" bekannt zu werden.


Die Darstellung Ithers (145,15-146,3)[1]

Ithers hervorstechendstes Merkmal ist seine ganz und gar rote Rüstung. Sogar sein Pferd ist mit einem roten Panzer geschützt:


Sîn harnasch was gar sô rot Seine Rüstung war so ganz und gar rot,
daz ez den ougen rœte bot: dass einem rot vor Augen wurde:
sîn ors was rôt unde snel, Sein Roß war rot und kühn
al rôt was sîn gügerel und lauter Rot war dessen Kopfputz.

145,17-27


Doch nicht nur Ithers Rüstung werden durch die Farbe rot gekennzeichnet, auch sein Haar ist leuchtend rot gefärbt (vgl. 146,3). Zudem wird Ither neben seinen Waffen noch der goldene Kelch zugeschrieben, mit dem er Ginovers Kleid befleckt hat (s.u.). Die Farbe dieses goldenen Pokals allerdings wird ebenfalls als derart leuchtend beschrieben, dass sie rot wirke (vgl. 145,30). Ein weiteres wichtiges Bestimmungsmerkmale Ithers ist die Verwandtschaft zu Parzival, die später noch eine wichtige Rolle spielen soll. Ithers Ehefrau ist Parzivals Tante väterlicherseits, desweiteren ist er über den Ahnherren Mazadan sogar entfernt blutsverwandt mit ihm. Schließlich beschreibt Trevrizent im späteren Verlauf des Romans Ither als Knappen und treuen Reisegefährten von Parzivals Vater Gahmuret (vgl. 498,13ff.).


Episoden

Ither vor dem Treffen mit Parzival

Ither ist als Ritter der Tafelrunde ein bekannter Edelmann und angesehener Ritter am Hofe König Artus'. Während eines Banketts, welches er nutzen wollte, um seinen Erbanspruch vor Artus geltend zu machen und sein Erbe, das Land Bertane, zu empfangen, schüttet Ither versehentlich Rotwein aus dem Pokal, den er wohl im Zorn über eine Abweisung seines Begehrens ergriffen hatte, über das Gewand von Artus Gemahlin Ginover [Brüggen 2011: vgl. S. 888]. Ither nimmt den Pokals an sich und verlässt damit die Tafelrunde. Nach diesem Herausforderungsritual wartet er auf dem Feld vor der Königsburg auf einen Ritter, der mit ihm um den besagten Becher und damit den Herrschaftsanspruch über Bertane kämpfen will (cgl. 146,4-30).[Brüggen 2011: vgl. S. 888] Artus erwähnt vor der Tafelrunde, dass seine Beziehung zu Ither problematisch sei (150,6-10).


Ithers erste Begegnung mit Parzival (145,7-147,10)

Während seines ersten Treffens mit Parzival auf eben jenem Feld vor der Königsburg, grüßen die beiden Verwandten einander wohlwollend, jedoch ohne ihre Namen zu nennen. So erkennen sie einander nicht als Cousins. Der "Rote Ritter" hebt die Schönheit Parzivals im Dialog mit ihm deutlich hervor, bevor er ihm von seinem Missgeschick auf dem Bankett erzählt und ihn bittet, als Bote zu fungieren und den Rittern um König Artus mizuteilen, dass er, Ither, auf dem Feld auf seinen Kampf um den Pokal warte. Parzival stimmt dem Vorschlag schnell zu und begibt sich bereitwillig in die Burg.


Ithers zweite Begegnung und der Kampf mit Parzival

Während seines nun folgenden Gespräches mit der Tafelrunde wird dem Leser deutlich, dass Parzival die rote Rüstung Ithers begehrt. Der Truchseß von Artus, Keie, spornt seinen König an, den ungeschützten Parzival gegen Ither kämpfen zu lassen, damit dieser seine Rüstung verdienen könne. Schließlich lässt Artus dies zu, obwohl er die Lebensgefahr für Parzival durchaus wahrnimmt, was einen "düsteren Schatten auf das Bild des Königs" wirft.[Bumke 2004: S.59]) Parzival kehrt also zu Ither auf das Feld zurück und berichtet, dass er der Tafelrunde und dem König, wie von Ither erbeten, Bericht erstattet habe, jedoch keiner der Ritter gewillt sei, mit Ither zu tjosten. Er verlangt zudem von Ither die Rüstung und seine Landesherrschaft, da Artus sie ihm versprochen habe und droht ihm mit dem Kampf, falls er sie nicht sofort an ihn abtrete (vgl. 153,23-154,10). Ither kann diese Forderungen nicht mit seinem Rittertum vereinbaren und so kommt es zwischen den beiden ungleichen Gegnern zur Tjost, in welcher Parzival zunächst vom Pferd gestoßen wird, dann aber mit einem gut gezielten Stoß seines als bäuerlich und damit eben auch unritterlich beschriebenen Spießes durch Ithers Visier den "Roten Ritter" tötet:


Dâ der helm unt diu barbier Dort, wo der Helm und die Barbiere
sich locheten ob dem härsnier über der Haube ein Loch offenließen:
durchz ouge in sneit dez gabylôt durchs Auge drang mit scharfem Schnitt der Spieß
unt durch den nac, sô daz er tôt und kam beim Nacken heraus. So fiel er tot nieder,
viel, der valscheit widersatz. der Falschheit Feind.

155,7-11


Unmittelbar danach versucht Parzival Ithers Leichnam die Rüstung abzunehmen, da er jedoch unerfahren in dem Umgang mit einer Rüstung ist, fällt ihm dies sehr schwer. Erst durch die Hilfe eines Knappen gelingt es ihm, die Rüstung selbst anzulegen. Der Knappe weist Parzival zudem in die wichtigsten Grundlagen des Rittertums ein. Dazu zählen Art der Kleidung, Bewaffnung und Kampftechnik. Parzival sendet den Knappen mit dem goldenen Pokal zurück und lässt Ithers Leichnam unbegraben auf dem Feld liegen, immer noch ohne zu wissen, dass es sich bei Ither um seinen eigenen Cousin handelte (vgl. 155,29-159,6). König Artus lässt Ither schließlich mit allen Ehren bestatten und es herrscht große Trauer um den getöteten König (vgl. 161,1-8). Unterdessen verlässt der nun äußerlich zum Ritter gewordene Parzival (unter der Rüstung trägt er noch immer das Narrenkostüm, welches seine Mutter ihm gegeben hat) den Hof um König Artus und macht sich auf die Reise, die ihn schließlich zu Gurnemanz führt (vgl. 162,6ff).


Zur Interpretation Ithers

Die tumpheit Parzivals und der Kampf mit Ither

Datei:Percival (1934).jpg
Parzival mit der ehemaligen Rüstung Ithers. Öl auf Leinwand. Fotografiert von Martin Wigand 1934

siehe auch Artikel: Parzivals tumpheit


Die tumpheit des Protagonisten Parzival spielt im Zusammehang mit Ither eine maßgebliche Rolle, was der Erzähler durch die vielmalige Verwendung von Begriffen aus dem Wortfeld der tumpheit wiederspiegelt. So beispielsweise als Parzival sich bemüht, Ither die Rüstung auszuziehen:


Parzivâl der tumbe Parzival, ungerührt und blöd,
kêrt in dicke al umbe. drehte ihn um und immer wieder um
er kunde im ab geziehen niht: und konnte ihm doch nichts abziehen.

155,19-21


Abgesehen von dieser tumpheit im Sinne einer technischen Unwissenheit, erstreckt sich der Begriff jedoch auch auf den Umgang Parzivals mit anderen Menschen und dem Rittertum an sich. So wird er auch in Bezug auf die Tötung Ithers aufgrund seines unbändigen Verlangens dessen Rüstung zu tragen, als tumb beschrieben (vgl. 161,4-8). Einen Verweis darauf, dass Parzival im Laufe seines Lebens dazulernen wird und die Tötung seines Cousins als Fehler einsehen wrird, gibt der Erzähler hier, ganz am Schluss der Episode, allerdings ebenfalls:


sîn harnasch im verlôs den lîp: Seine Rüstung machte ihn den Leib verlieren,
dar umbe was sîn endes wer denn dass er so enden musste,
des tumben Parzivâles ger. das war von der Begehrlichkeit des dummen Kindes Parzival gekommen;
sît dô er sich paz versan, später, als er es besser wusste,
ungerne het erz dô getân. wäre es ihm lieber gewesen, er hätte es nicht getan.

161,4-8


Parzival fehlt in dieser Phase seines Lebens "offenbar jegliches Unrechtsbewusstsein wie auch die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden." [Bumke 2004: S. 60]

Die Frage der Schuld

Mit der Tötung seines Cousins Ithers hat Parzival nach dem Verschulden des Todes seiner Mutter, seine "zweite große Sünde" begangen, wie besonders im Gespräch mit Trevrizent deutlich wird (vgl. 422,20ff.).[Bumke 2004: vgl. S.60] Man kann bei dem Kampf zwischen Ither und Parzival nicht von einem ritterlichen Duell sprechen, da Parzival keinesfalls ritterlichen Ansprüchen genügen kann und somit keinen würdigen Gegner im eigentlichen Sinn für Ither darstellt. So wird Parzival bei seiner Ankunft und seinem ersten Kontakt mit dem Artushof als bäuerlich und gegensätzlich zur ritterlich geprägten Welt am Hof des Königs dargestellt. [Harms 1963: vgl. S. 149f.] Während Ither mit seiner Rüstung und standesgemäßen Bewaffnung das Rittertum allgemein repräsentiert, wird durch die Waffe Parzivals, dem gabilôt und sein bäuerliches Auftreten seine edle Abstammung für Ither verschleiert. Wie auch später im Kampf gegen Feirefiz ist es den beiden Beteiligten so kaum möglich, sich gegenseitig als Verwandte zu erkennen. Zum Sündenfall wird die Tötung Ithers jedoch gerade dadurch, dass Ither ein Verwandter Parzivals war. "Ohne Schuld - im Sinne von eigenem Verursachen - ist Parzival in eine Situation verstrickt, die ihn zur sündhaften Tat führt." [Harms 1963: S. 151] Denn nicht zuletzt scheint es möglich, dass Parzival in Ither seinen Erbfeind Lähelin erkannt hat, von dem ihm zuvor seine Cousine Sigune berichtet hat (vgl. 154,25f.). Insgesamt scheint Parzival den "Ansprüchen der Verwandte-triuwe noch nicht gerecht zu werden." [Harms 1963: S. 151] Dies bedeute im übertragenen Sinn, dass Parzival auch die Gottes-triuwe in dem "Verhältnis der Menschen untereinander" noch nicht zu achten weiss. [Harms 1963: vgl. S. 151] Die Bedeutung des Mordes an Ither wird jedoch erst im bereits erwähnten Gespräch mit Trevrizent zu ihrer vollen Bedeutung entfaltet. Während der Artushof und vor allem Ginover Parzival schon früh vergibt (vgl. 310,27ff.), tut Gott dies nicht, was im Gespräch mit Trevrizent deutlich wird. Die Ither-Episode stellt somit eine maßgebende Stelle auch auf dem Weg Parzivals zur Erlangung des Grals dar.
Seit den 1960er Jahren befasst sich die Forschung auch mit einer möglichen Teilschuld des Artushofes an Ithers Tod. [Pratelidis 1994: S. 197] Für Artus und die Ritter der Tafelrunde ist es unmöglich, Ither zu bekämpfen, ohne gegen das Sippenrecht bzw. das Fehdeverbot an der Tafelrunde zu verstoßen. [Pratelidis 1994: S. 201-202] Man kann also vermuten, dass ihnen Parzival in ihrer Situation gerade recht kommt. Artus zeigt während des Gesprächs mit Parzival ständig Zweifel daran, ihn loszuschicken, um die Rüstung Ithers zu fordern. Keie hingegen ermutigt ihn hingegen zum Kampf, was schließlich zur Bewilligung des Artushofes führt. [Pratelidis 1994: S. 202-203] Man könnte Artus und Keie nun eine indirekte Kampfansage über Parzival anrechnen, die gegen das Fehdeverbot zwischen Sippe und Tafelrunde verstoßen würde. Beiden kann man allerdings nicht vorwerfen, eine wissentliche Tötung geplant zu haben, da niemand damit gerechnet hat, dass der in Narrenkleider gesteckte und schlecht bewaffnete Parzival den erfahrenen Ither töten könnte. [Pratelidis 1994: S. 203] Somit kann man davon ausgehen, dass beide keine wissentliche Schuld zu tragen haben, der Tod Ithers allerdings dennoch maßgeblich von ihrer Entscheidung abhängt, Parzival gegen ihn kämpfen zu lassen.


Fazit

Insgesamt lässt sich sagen,dass die Figur des Ither zwei übergeordnete Funktionen hat. Das ist erstens der zumindest äußerliche Aufstieg Parzivals zu einem Ritter nach dem Kampf mit Ither. Und zweitens ist zu bemerken, dass die Figur des Ither besonders mit Hinsicht auf die Schuld Parzivals eine große Bedeutung für den Roman hat. Die Sündenhaftigkeit und Unwissenheit des Protagonisten, aber auch das Verhalten der Artugesellschaft kann an der Episode mit Ither beispielhaft festgemacht werden. Erst später im Verlauf des Romans versteht Parzival die Sünde, die er durch die Tötung Ithers begangen hat und geht somir einen wichtigen Schritt auf seinem Weg zur Erreichung des Grals.

Literaturnachweise

[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, Stuttgart/Weimar, 8. Auflage 2004.

[*Brüggen 2011] Brüggen,Elke/Bumke, Joachim: Figuren-Lexikon, Art. "Gramoflanz", in: Heinzle, Joachim (Hrsg.): Wolfram von Eschenbach. Ein Handbuch, Band II, Berlin/Boston 2011.

[*Harms 1963] Harms, Wolfang: Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten in der deutschen Literatur bis um 1300, München 1963.

[*Pratelidis 1994] Pratelidis, Konstantin: Tafelrunde und Gral, Die Artuswelt und ihr Verhältnis zur Gralswelt im "Parzival" Wolframs von Eschenbach, Würzburg 1994.

  1. Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.