Philosophische Ansätze in der "Vita Nova" (Dante Alighieri, Vita Nova)

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In diesem kurzen Artikel sollen die zwei philosophischen Ansätze, die sich in Dante Alighieris Vita Nova wiederfinden, erläutert werden. Dies wäre einmal der Ansatz Aristoteles, der sich Gedanken über die Zusammensetzung bzw. das Wesen der menschlichen Seele gemacht hat. Zum anderen ist es Platons Ansatz über das Wesen der Liebe, der ausschlagebend für die Entwicklung des Liebesbegriffs im dolce stil nuovo war.

Aristoteles

In Dantes Sonett "Gentil pensero" (VN, 38)[1] wird der aristotelische Philosophieansatz besonders deutlich:

Italienisch Deutsche Übersetzung
1 Gentil pensero che parla di vui Ein holder Gedanke, der von euch spricht
sen vene a dimorar meco sovente, kommt oft, bei mir zu weilen
e ragiona d'amor si dolcemente, und spricht so süß von Liebe,
che face consentir lo core in lui. daß er das Herz dazu bewegt, ihm zuzustimmen.
5 L'anima dice al cor: »Chi è costui, Die Seele spricht zum Herzen: » Wer ist dies,
che vene a consolar la nostra mente, der da kommt, um unsern Geist zu trösten,
ed è la sua vertù tanto possente, und ist denn seine Kraft so mächtig,
ch'altro penser non lascia star con nui?« daß er keinen anderen Gedanken bei uns zuläßt?«
Ei le risponde: »Oi anima pensosa, Es erwidert ihr: »O kummervolle Seele,
10 questi è uno spiritel novo d'amore, dies ist ein neues Geisterchen der Liebe,
che reca innanzi me li suoi desiri; welches mir seine Wünsche vorträgt,
e la sua vita, e tutto 'l suo valore, und sein Leben sowie all sein Vermögen
mosse de li occhi di quella pietosa entsprang den Augen jener Mitleidvollen,
che si turbava de' nostri martiri.« die Bestürzung zeigt über unsre Qualen.«

Die Teilung zwischen "Herz" und "Seele" wird in diesem Sonett deutlich. Das Herz stellt das Begehren dar, wohingegen die Seele für die Vernunft steht (vgl. VN, 38). Die personifizierten "Sinne" führen ein Gespräch und zeigen sich nicht gegensätzlich[2], sondern einheitlich: "che face [=pensero (Vernunft)] consentir lo core in lui" (Z. 4). Nach aristotelischen Grundlagen ist die Seele an sich aufgeteilt in Wille, Ratio, Hoffnung und Emotionen[3]. Während Ratio die Vernunft ist und der Seele in dem Sonett zugeordnet werden kann, stellen Wille, Hoffnung und Emotion Teile des Begehrens, also des Herzens dar. Die Einheitlichkeit der Seele wird durch das Sonett hervorgehoben.

Platon

Für den dolce stil novo ist die Amorlehre und damit verbunden die Erkenntnis über die wahre Liebe ausschlaggebend:

Das Verständnis des dolce stile kann indessen nur gelingen, wenn man weiß, daß auch hier Liebe nicht als persönliche, je nach Individuen gefärbte Erfahrung gemeint ist. Sie wird vielmehr aufegaßt als eine objektive Wesenheit, deren Wirken in einen Bereich von allgemeinen Werten, ja in transzendente Verhältnisse führ, weil sie selber diesen angehört.[Friedrich 1964: 58]

Die Liebe im dolce stil novo ist also keine persönliche Erfahrung. Sie gehört bereits der göttlichen Kraft an, was die Dichter erkennen müssen, um selbst auf die Stufe der göttlichen Liebe steigen zu können. Um diesen Übergang einfacher zu gestalten, bedienen sich die Dichter des dolce stil einer göttlich-personifizierten Form der Liebe: Amor[Goldschmidt 1889: 2]. Amor selbst ist allegorisch. Das Bild des kleinen, männlichen Engels mit Pfeil und Bogen, ist allgemein ggenwärtig, da es ein antikes und zugleich mythologisches Erbe ist[Goldschmidt 1889: 2]. "Im Mittelalter dagegen dient sie [die Allegorie] der symbolischen Darstellung allgemeiner didaktischen Tendenzen der Religion, der Moral und der Liebe und verliert infolge dessen ihre phantasiereiche Originalität und ihre lebendige Frische."[Goldschmidt 1889: 2]. Von Bedeutung sind, vor allem für den dolce stil novo, die didaktischen Tendenzen. Um die "objektive Wesenheit"[Friedrich 1964: 58] zu erkennen, muss Amor als eine Art Lehrer, Begleiter, Führer agieren. So wie in der Vita Nova geht auch ein Großteil der Forschung davon aus, dass der Sitz Amors im Herzen des Dichters sei[Friedrich 1964: 59], wenn es diesbezüglich auch andere Meinungen gibt. Eine weitere Besonderheit der Amorlehre desdolce stil novo ist zweifelos der Bezug auf die Platonische Liebe, Platons Symposion, dass die Dialoge von Philosophen, die gemeinsam das Wesen des Eros ergründen wollen, zusammenfasst. "Es besteht [...] keineswegs ein Wettkampf um die besteb generelle Theorie von Liebe und folglich auch kein Theorienpluralismus."[Horn 2012: 4] Es gibt unterschiedliche Akzentsetzungen. "Sokrates charaktersiert den Eros als ein Zwischenwesen zwischen Göttern und Menschen, als einen Daimon, welcher durch ein streben mit dem Ziel gekennzeichnet ist, das Schöne zu erreichen und die Liebenden 'zur Zeugung' im Schönen zu motivieren."[Horn 2012: IX]. Aus der Rede des Phaidros geht die gängigste Theorie des von den toskanischen Dichtern übernommenen Ziels der Liebe hervor: "Denn göttlicher ist der Liebhaber als der Liebling, weil in ihm [dem Liebhaber] der Gott ist."[Mittelstraß 2008: 23 (180b); Anm. v.V.].

  • Grundlage: Platon: Das Gastmahl". Übersetzt von Jürgen Mittelstraß, München: dtv, 2008.

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

  • Alighieri, Dante (1988): Vita Nova - Das Neue Leben. Übersetzt und kommentiert von Anna Coseriu und Ulrike Kunkel, München: dtv.

Forschungsliteratur

  • [*Friedrich 1964] Friedrich, Hugo (1964): Epochen der italienischen Lyrik. Frankfurt a.M.: Victorio Klostermann.
  • [*Goldschmidt 1889] Goldschmidt, Lothar (1889): Die Doktrin der Liebe bei den italienischen Lyrikern des 13. Jahrhunderts. Inaugural-Dissertation, Breslau: Wilhelm Koebner.
  • [*Horn 2012] Horn, Christoph (2012) (Hrsg.): Platon. Symposion, Berlin: Akademie Verlag GmbH.
  • [*Mittelstraß 2008] Mittelstraß, Jürgen (2008): Platon. Das Gastmahl, München: dtv.
  • [*Theiler 1973] Theiler, Willy (übersetzt 41973): Aristoteles. Über die Seele, Berlin: Akademieverlag.

Anmerkungen

  1. Zitiert wird mit der Sigle VN und dem zugehörigen Kapitel. Die Zitate aus der "Vita Nova" beziehen sich auf die unter Primärliteratur genannten Ausgabe.
  2. Das Herz begehrt, aber die Vernunft hält den Menschen zurück
  3. Aristoteles erörtert dies in seiner philosophischen Schrift über die Seele. Er nennt es ein Gemisch, eine Harmonie[Theiler 1973: 16] bzw. als ein Gemisch[Theiler 1973:62] aus den Wahrnehmungen und Empfindungen des Menschen. Vor allem aus dem dritten Buch[Theiler 1973: 49-70] und den zugehörigen Erläuterungen lassen sich die vier Bestandteile herauskristallisieren.