Der Prolog (Wolfram von Eschenbach, Parzival): Unterschied zwischen den Versionen
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Die ''tumben'', die Wolfram an die Hand fassen, kommen ihm wirklich nahe, aber da sie aggressiv werden und an die Innenfläche der Hand greifen, können sie damit nichts weniger als sein Aggressionsbedürfnis befriedigen. | Die ''tumben'', die Wolfram an die Hand fassen, kommen ihm wirklich nahe, aber da sie aggressiv werden und an die Innenfläche der Hand greifen, können sie damit nichts weniger als sein Aggressionsbedürfnis befriedigen. | ||
Wolfram lässt sich nicht zwingen; er ist ebenso wenig zu fassen, wie für die falsch Zugreifenden das Elsterngleichnis zu fassen und zu enträtseln ist. | Wolfram lässt sich nicht zwingen; er ist ebenso wenig zu fassen, wie für die falsch Zugreifenden das Elsterngleichnis zu fassen und zu enträtseln ist. [Dyer 2001: S. 19.]] | ||
=''triuwe''= | |||
Wolfram macht sich den menschlichen Stolz und das menschliche Selbstbewusstsein, nicht als ''tumb'' gehalten werden zu wollen, zu Nutze, um sein Publikum mittelbar dazu zu zwingen, seine Theorie (das Elsterngleichnis) zu akzeptieren und nicht an seiner Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Infolgedessen schenken die ''tumben'' Wolfram ihr Einverständnis oder im Wolframschen Zusammenhang ihre ''staeteliche'' ''triuwe''. Aus dieser Sicht scheint das Verständnis des Elsterngleichnis beziehungsweise des Werkes eigentlich nicht von der Intelligenz im traditionellen Sinne abzuhängen, sondern von ''triuwe''. Wolfram ist der Ansicht, dass von Menschen solcher Art (den ''tumben'') nichts zu erwarten ist (kein Verständnis), denn ihre ''triuwe'' hat so wenig Bestand wie Feuer im Wasser und Tau vor der Sonne: | |||
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| wil ich triwe vinden || Will ich denn dort die treue Gewissheit finden, | |||
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| alda si kan verswinden, || wo sie gekonnt verschwinden | |||
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| als viur in dem brunnen || wie Feuer in brandendem Wasser, | |||
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| unt daz tou von der sunnen? || wie Tau von der Sonne? | |||
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(2, 1-4) | |||
Wolfram leitet den Begriff ''triuwe'' durch diese Metaphernreihe ein. |
Version vom 25. Juli 2012, 09:05 Uhr
Der Prolog des "Parzival" gehört zu den umstrittensten Passagen des ganzen Werks von Wolfram von Eschenabch.
Funktion des Prologs
Wenn man die Struktur und die Funktion eines mittelalterlichen Literaturprologs genauer betrachtet, wird es deutlich, dass der Prolog nicht nur eine unwichtige Rolle als Einleitung in die Geschichte spielt. Vielmehr funktioniert er in einer sprachlich sehr spezifischen Weise, um die Empfänger zuerst in den Text einzuführen und dann als Hilfsmittel bei Verständnis- und Interpretationsproblemen zu dienen.
Strukturell werden bei Prologen der ritterlichen Dichtung des Mittelalters grundsätzlich zwei Hauptteile unterschieden: Dem ersten Teil fällt die Aufgabe zu, die Gunst des Publikums zu gewinnen. [Brinkmann 1964: S. 8] Als erster Schritt versucht der Prolog mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Dafür muss er ein Gespräch eröffnen, und zwar durch den Erzähler, der sich an die Empfängerschaft wendet. Eine solche Eröffnung ist oft eine dem Dichter und dem Publikum bekannte Lebenswahrheit und wird sozusagen die Verständnisbasis, von der aus die weitere Argumentation einvernehmlich aufgebaut werden kann. Der zweite Teil ̧übernimmt die Aufgabe, das Publikum in das eigentliche Werk einzuführen. Hier vermittelt der Erzähler Einzelheiten und Lehren, die für Verständnis und Interpretation der Geschichte wichtig sind, und schließt Anliegen auf, die dem Publikum nahe gebracht werden sollen. Die Rede im nicht auf das Werk eingegangen ersten Teil hilft dem Erzähler, das Publikum durch Argumente zu überzeugen, damit es das, was er mitteilt, als richtig oder glaubwürdig anerkennt. [Dyer 2001: S. 2]
Der Prolog in Wolfram von Eschenbachs Parzival wurde von Joachim Bumke als zu den schwierigsten und dunkelsten Textpartien der Dichtung gehörend beschrieben, weil der Erzähler von komplizierten Einzelheiten und Lehren spricht, anstatt dem Publikum deutliche, hilfreiche Erklärungen zu vermitteln. [Bumke 1997: S. 133f] Fast jede Aussage ist kontrovers.
zwivel
Der Parzival-Prolog beginnt mit einem generellen Bild von der menschlichen Situation, das als knappes Zitat gesetzt wird:
Ist zwivel herzen nachgebuhr, | Wenn zweifel nah beim Herzen wohnt, |
daz muoz der sele werden sur. | das muss der Seele sauer werden. |
(1, 1-2)
In diesem einleitenden Satz werden die Gedanken über den Zustand des zwivel hervorgehoben. Dadurch steckt Wolfram schon am Anfang den Bereich des Verständnisses ab. Im Prolog fällt Wolfram die Aufgabe zu, diese Situation zu verdeutlichen und selbst als Entscheidungshilfe wirksam zu werden. Leider verfehlt er es, diesen Aufgaben nachzukommen, weil sein Eingangsvers mehrere mögliche Bedeutungen hat, die umstritten sind. Das mittelhochdeutsche Wort zwivel birgt nicht geringe Schwierigkeiten. Wohl an keiner anderen Stelle gibt es so deutlich verschiedene Übersetzungsvorschläge. Es könnte Verzweiflung, Unglaube oder ethische Unsicherheit meinen. [Schirok 2009: S. 74]
Wenn zwivel im Bezug auf Parzival verstanden werden soll, könnte es eine religiöse Bedeutung annehmen. Die mittelalterlichen Bibelkommentare verwenden das Wort zwivel zur Bezeichnung von verschiedenen Stadien des religiösen Zweifels. Von dieser Deutung aus wird das Bild des wankelmütigen Mannes und dessen Unbeständigkeit besonders wichtig, denn der Protagonist des Werkes “Parzival" ist eine gemischte Figur, die sich vom Sünder zum Auserwählten wandelt. Er ist demnach eine uneinheitliche Gestalt, die sich von einer schuldhaften Unsicherheit und Desorientierung (zwivel) zur Einsicht in die Allmacht Gottes, mithin zum wahren Glauben (triuwe) und schließlich zur Gnade der Auserwähltheit entwickelt. Parzival wird einerseits als ein Auserwählter dargestellt; andererseits wird er von anderen Figuren des Werkes, wie Trevrizent, Cundrie und Sigune einer Schuldhaftigkeit bezichtigt, hauptsächlich deswegen, weil er beim Gral die Frage zu stellen versäumte. Beispielsweise sagt Cundrie:
gein der helle ir sit benannt | Vor dem Höchsten im Himmel |
ze himele vor der hohsten hant: | ist Euer Name zur Hölle verflucht. |
(316, 7-9)
Da er als Sünder erscheint, wird das Publikum mit zwei unterschiedlichen Charakterisierungen Parzivals konfrontiert.
Das Elsterngleichnis
In den Versen 1,3-14 illustriert Wolfram diesen wankelmütigen Typ als eine Menschen, der sowohl schwarz als auch weiß ist, wie die Elster. Er hebt diesen elsterfarbenen Typ von dem bloß Schwarzen und bloß Weißen ab:
gesmaehet unde gezieret | Schande und Schmuck sind beieinander, |
ist, swa sich parrieret | wo sich eines |
unverzaget mannes muot, | Mannes unverzagter Mut konfus |
als agelstern varwe tuot. | gemustert gehen will wie Elsternfarben. |
der mac dennoch wesen geil: | Trotzdem, der kann doch noch glücklich sein, |
wand an im sint beidiu teil, | denn an ihm ist etwas von beiden: |
des himels und der helle. | vom Himmel und von der Hölle. |
der unstaete geselle | Wer sich mit der Treulosigkeit zusammen tut, |
hat die swarzen varwe gar, | der hat die schwarze Farbe ganz |
und wirt och nach der vinster var: | und muss auch nach der Finsternis geraten. |
so habet sich an die blanken | Und so hält der, der fest ist und treu, |
der mir staeten gedanken. | es mit den Weißen. |
(1, 3-14)
Mit der Typologie der drei Menschen grenzt Wolfram sich offenbar gegenüber solchen literarischen (und theologischen) Darstellungen ab, die nur den ganz guten und den ganz bösen Menschen, den Weißen und den Schwarzen, kennen, wobei den Guten der Himmel offen steht und die Bösen in die Hölle kommen. Wolfram führt eine Menschendarstellung in "Parzival" ein, die im scheinbaren Widerspruch zum Wort zwivel steht. Mit dem elsterfarbenen Menschentyp, der sowohl böse als auch gut ist, kreiert Wolfram etwas Neues, Unerhörtes, das sowohl die Existenz des Erzählers als auch die Existenz des Publikums betrifft. [Dallapiazza 2009: S. 132] Dadurch regt Wolfram das Publikum an, sich nicht nur mit der herrschenden theologischen Tradition von Rettung oder Verdammung zu identifizieren, sondern auch mit der Unentschiedenheit, den zweideutigen, widersprüchlichen, schwarz-weißen Menschen. Diesem Menschentyp entspricht das Symbol der Elster.
Im mittelalterlichen Zusammenhang erscheint die Elster als eine Allegorie des Unmöglichen, als Vereinigung von unvereinbaren Gegensätzen: Schwarz und Weiß, Gut und Böse, und vor allem zwei in Opposition zueinander stehenden Gottesvorstellungen: die heidnischen und die christlichen. Die Nebeneinandersetzung des Eingangsvers mit dem elsterfarbenen Menschentyp hat zu den unterschiedlichsten Interpretationen des Wortes zwivel beziehungsweise des Elsterngleichnisses geführt. Dadurch stellt der Erzähler sich gegen die einfache Klassifizierung nach Geretteten und Verdammten, denn es ist auch mit solchen Menschen zu rechnen, die noch zu keiner klaren Entscheidung gekommen sind, den Elsterfarbenen, die aber doch Hoffnung auf Rettung haben.
Diese neue Klassifizierung bei Wolfram erscheint jedoch nicht ohne Schwierigkeiten. Das Problem besteht darin, dass Wolfram diesen Widerspruch als selbstverständlich hinstellt, aber er bemüht sich nicht darum zu erklären, wie dieser Widerspruch verstanden werden soll, oder wie er möglich ist. Hierdurch vermittelt Wolfram dem aufgeschlossenen Publikum, dass seine Erzählung sich nicht auf einer oberflächlichen Ebene bewegt, sondern eine tiefere Theorie entwickelt, die durch das Elsterngleichnis die vorherrschende theologische Tradition in Frage stellt.
Da die Thematik der Unbeständigkeit von zwivel und der Zweideutigkeit der Elster so eine komplexe Rolle im Werk spielt scheint ein zureichendes Verständnis dieser Verse deshalb einen Schlüssel zur Interpretation des Werkes zu enthalten. Das Elsterngleichnis deutet an, dass es in der Erzählung um den Menschen zwischen Gut und Böse geht und daher unausgesprochen auf den wankelmütigen Parzival hindeutet. Er ist ein Auserwählter, dessen Seele im Elsterfarbenen besteht. Parzival lebt gleichzeitig in Sündhaftigkeit und Auserwähltheit. Wenn das Elsterngleichnis von vornherein auf die Parzivalfigur anspielt, erscheint die Problematik dieser Figur als ein wichtiges Thema des Werkes.
Problematisierung der tumpheit
Wolfram geht weiter auf das Elsterngleichnis ein, indem er behauptet, dass nicht jeder seine in Bilder eingekleidete Lehre verstehen könne und deshalb polemisiert er die tumben. Das Vorausgehende aufnehmend wendet sich der Erzähler explizit den Rezipienten zu:
diz vliegende bispel | Dieses flinke Beispiel |
ist tumben liuten gar ze snel, | ist zu flink für dumme Menschen, |
sine mugens niht erdenken: | sie bringen es nicht fertig, ihm nachzudenken: |
wand ez kan vor in wenken | denn es kann vor ihnen haken schlagen |
rehte alsam ein schellec hase. | gerade so wie ein verstörter Hase. |
(1, 15-19)
Kein Rezipient wird sich freiwillig den tumben zuordnen lassen wollen, und so ist die Passage weniger als Ausschluss sondern vielmehr als Werbung zu verstehen. [Schirok 2002: S. 75] Für die "anderen" - also für alle - gilt:
zin anderhalp ame glase | Zinn, hinten am Glas, |
geleichet, und des blinden truom. | macht trügerisch tanzende Lichter und ebenso des Blinden Traum: |
die gebent antlützes ruom, | Die geben einem die haut, die oben drauf schwimmt auf den Bildern. |
doch mac mit staete niht gesin | Doch kann dies stumpfe, leichte Scheinen |
dirre trüebe lihte schin: | nicht die Festigkeit dauern: |
er machet kurze fröude alwar. | es macht ein kurzes Glück, das ist wohl wahr. |
(1, 15-25)
Diese komplizierte Metaphorik zusammengefasster Bilder lässt Wolfram über die tumben liute spotten und dadurch mitteilen, dass solche Leute den Sinn der Geschichte nicht begreifen werden, obwohl er selbst die Bilder nicht erklärt. Die tumben werden folglich von der Erzählung verfremdet. Von Anfang an wird klargemacht, dass das Werk, beziehungsweise Wolfram, Erwartungen an das Publikum stellt und, dass es keine einfältige Erzählung ist. Dadurch wird seinem Publikum das Niveau der Erzählung gezeigt.
In höchst eigenartiger Weise charakterisiert Wolfram das Unverständnis der tumben. Das Elstergleichnis (bispel) wird hier so eingesetzt, dass es die Intelligenz der Rezipienten provozieren soll. Das ist für die tumben eine Täuschung, weil sie meinen, dessen Sinn zu begreifen, obwohl ihnen die eigentliche Bedeutung entgeht. Wolfram deutet an, dass, weil die tumben das Elsterngleichnis nicht verstehen, sie das Werk nicht verstehen und ihm nicht gewachsen sein werden. Der Grund für das Missverständnis besteht nicht in einem Mangel an Aufklärungen des Elsterngleichnisses, sondern darin, dass die tumben die staete nicht kennen. Das Verständnis der Geschichte hängt angeblich von diesem Unterschied ab. Der Erzähler sagt, dass sie vom unechten Schein getäuscht werden, der einem Spiegelbild und dem Traum eines Blinden ähnelt. Dieser Schein verwirklicht nichts, denn er hat keine Dauer und verleiht nur eine kurze vergängliche Freude. Die tumben versuchen den Sinn schnell und leicht zu begreifen, aber suchen etwas, das eigentlich nichts ist, wie Haare am Handinneren:
wer ruofet mich da nie kein har | Wer rupft mich da, wo mir kein Haar gewachsen ist, |
gewuohs, inne an miner hant? | innen an meiner Hand? |
der hat vil nahe griffe erkant. | Der kennt die Kunst der ganz besonders feinen Griffe. |
(1, 26-28)
Nach dieser Behauptung ändert sich der Ton des Prologgesprächs. Die darauf folgenden Verse implizieren, dass die tumben sich Wolfram zugewendet hätten, um die Undeutlichkeit seines Werkes anzusprechen. Er rechnet damit, dass sie ihn deswegen angreifen und jetzt die Aufklärung des Elsterngleichnisses herausfordern. Jedenfalls versucht er mit seiner Reaktion solche Kritik aus Unverständnis ironisch zu unterlaufen und spottet nur weiter und indem er darauf antwortet:
sprich ich gein den vorhten och, | Wenn ich vor solchen Nöten"aua" schreie- |
daz glichet miner witze doch. | das sieht dem Geist, den ich begreife, ähnlich. |
(1, 29-30)
Die tumben, die Wolfram an die Hand fassen, kommen ihm wirklich nahe, aber da sie aggressiv werden und an die Innenfläche der Hand greifen, können sie damit nichts weniger als sein Aggressionsbedürfnis befriedigen.
Wolfram lässt sich nicht zwingen; er ist ebenso wenig zu fassen, wie für die falsch Zugreifenden das Elsterngleichnis zu fassen und zu enträtseln ist. [Dyer 2001: S. 19.]]
triuwe
Wolfram macht sich den menschlichen Stolz und das menschliche Selbstbewusstsein, nicht als tumb gehalten werden zu wollen, zu Nutze, um sein Publikum mittelbar dazu zu zwingen, seine Theorie (das Elsterngleichnis) zu akzeptieren und nicht an seiner Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Infolgedessen schenken die tumben Wolfram ihr Einverständnis oder im Wolframschen Zusammenhang ihre staeteliche triuwe. Aus dieser Sicht scheint das Verständnis des Elsterngleichnis beziehungsweise des Werkes eigentlich nicht von der Intelligenz im traditionellen Sinne abzuhängen, sondern von triuwe. Wolfram ist der Ansicht, dass von Menschen solcher Art (den tumben) nichts zu erwarten ist (kein Verständnis), denn ihre triuwe hat so wenig Bestand wie Feuer im Wasser und Tau vor der Sonne:
wil ich triwe vinden | Will ich denn dort die treue Gewissheit finden, |
alda si kan verswinden, | wo sie gekonnt verschwinden |
als viur in dem brunnen | wie Feuer in brandendem Wasser, |
unt daz tou von der sunnen? | wie Tau von der Sonne? |
(2, 1-4)
Wolfram leitet den Begriff triuwe durch diese Metaphernreihe ein.