Richard Wagners "Parsifal": Unterschied zwischen den Versionen
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Produkt der Umarbeitung ist die romantische Oper Parsifal, ein Musikdrama, das die von Wolfram behandelten (mittelalterlichen) Themen umstrukturiert und für den Kontext des ausgehenden 19. Jahrhunderts aktualisiert. "Tiefgehende Befangenheit mit Sexualmoral [...] klingt eindeutig nach 19. Jahrhundert." [Wynn 1983: S. 434] Wagner musste sich seiner Meinung nach vom ''Parzival '' Wolframs lösen, um ihn seiner Konzeption gefügig zu machen. In dieser Lesart ist auch jene vielbeachtete Kritik Wagners an Wolfram nicht mehr so verblüffend, in der Wolfram und sein Werk disqualifiziert und herabwürdigt wird; Wagner emanzipierte sich von Wolfram.<ref> Vgl. dazu Richard Wagners Brief an Mathilde Wesendonk[Wagner | Produkt der Umarbeitung ist die romantische Oper Parsifal, ein Musikdrama, das die von Wolfram behandelten (mittelalterlichen) Themen umstrukturiert und für den Kontext des ausgehenden 19. Jahrhunderts aktualisiert. "Tiefgehende Befangenheit mit Sexualmoral [...] klingt eindeutig nach 19. Jahrhundert." [Wynn 1983: S. 434] Wagner musste sich seiner Meinung nach vom ''Parzival '' Wolframs lösen, um ihn seiner Konzeption gefügig zu machen. In dieser Lesart ist auch jene vielbeachtete Kritik Wagners an Wolfram nicht mehr so verblüffend, in der Wolfram und sein Werk disqualifiziert und herabwürdigt wird; Wagner emanzipierte sich von Wolfram.<ref> Vgl. dazu Richard Wagners Brief an Mathilde Wesendonk[Wagner 1904: S. 145-147]</ref> | ||
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[[Datei:Parsifal.jpg|thumb|280px|Andrew Richards als Parsifal in einer Inszenierung des ''Parsifal'' am 23. März 2010 an der Staatsoper Stuttgart. Regie führte Calixto | [[Datei:Parsifal.jpg|thumb|280px|Andrew Richards als Parsifal in einer Inszenierung des ''Parsifal'' am 23. März 2010 an der Staatsoper Stuttgart. Regie führte Calixto Bieito.]] | ||
Wagner benannte die Figur des Parzival eigenmächtig in Parsifal um. Er legitimierte dies mit einer etymologischen Herleitung aus dem Arabischen in dem das Wort "Fal" in etwa "rein" bedeutet und "Parsi" im deutschen Wort "Tor" sein Pedant findet. Erst nach Wagners Tod stellte sich diese Etymologie, die er von Joseph Görres übernommen hatte, als falsch heraus.[Mertens 1986: S. 53] | Wagner benannte die Figur des Parzival eigenmächtig in Parsifal um. Er legitimierte dies mit einer etymologischen Herleitung aus dem Arabischen in dem das Wort "Fal" in etwa "rein" bedeutet und "Parsi" im deutschen Wort "Tor" sein Pedant findet. Erst nach Wagners Tod stellte sich diese Etymologie, die er von Joseph Görres übernommen hatte, als falsch heraus.[Mertens 1986: S. 53] | ||
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Ganz außergewöhnlich muss sich Wagner an Wolframs Darstellung des Grals gestoßen haben. In jenem Brief an Mathilde Wesendonk motiviert Wagner auch, warum Wolframs Stein eigentlich ein Kelch sein müsse; es bedurfte eines Gefäßes, in der Joseph von Arimathia das Blut Christi auffangen konnte.[ | Ganz außergewöhnlich muss sich Wagner an Wolframs Darstellung des Grals gestoßen haben. In jenem Brief an Mathilde Wesendonk motiviert Wagner auch, warum Wolframs Stein eigentlich ein Kelch sein müsse; es bedurfte eines Gefäßes, in der Joseph von Arimathia das Blut Christi auffangen konnte.[Mertens 1986: S. 52] | ||
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Die Oper ''Parsifal'' wurde auch um den geographischen Reichtum an Orten des ''Parzival'' gekürzt. Keinerlei Orte des [[Die Darstellung des Orients (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Orients]], auch keine realen Orte der okzidentalen Welt und sogar die [[Tafelrunde und Gralsgesellschaft (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Tafelrunde]] als Gegenentwurf zur Gralsburg wurde aus dem Musikdrama herausgenommen. Die Handlung konzentriert sich auf die Gralsgesellschaft rund um Anfortas, was Wagners Konzeption entspricht, wenn Wagner sagt "Genau genommen ist Anfortas der Mittelpunkt und Hauptgegenstand"[Wagner 1904: S. 144] | |||
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[*Ingenschay-Goch 1982] Ingenschay-Goch, Dagmar: Richard Wagners neu erfundener Mythos. Zur Rezeption und Reproduktion des germanischen Mythos in seinen Operntexten, Bonn 1982. | [*Ingenschay-Goch 1982] Ingenschay-Goch, Dagmar: Richard Wagners neu erfundener Mythos. Zur Rezeption und Reproduktion des germanischen Mythos in seinen Operntexten, Bonn 1982. | ||
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[*Seelig 1983] Seelig, Wolfgang: Ambivalenz und Erlösung. Parsifal, Bonn 1983. | [*Seelig 1983] Seelig, Wolfgang: Ambivalenz und Erlösung. Parsifal, Bonn 1983. | ||
[Wagner 1904] Wagner, Richard: R. Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe 1853-1871, hg. von W. Golther, Berlin 1904. | [*Wagner 1904] Wagner, Richard: R. Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe 1853-1871, hg. von W. Golther, Berlin 1904. | ||
[*Wagner 1976] Wagner, Richard: Mein Leben, hg. u. kommentiert von M. Gregor-Dellin, München 1976. | [*Wagner 1976] Wagner, Richard: Mein Leben, hg. u. kommentiert von M. Gregor-Dellin, München 1976. | ||
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[*Wynn 1983] Wynn, Marianne: Mittelalterliche Literatur in der Rezeption. Richard Wagner und Wolframs Parzival, in: Archiv für Kulturgeschichte 65 (1983), 431-449. | [*Wynn 1983] Wynn, Marianne: Mittelalterliche Literatur in der Rezeption. Richard Wagner und Wolframs Parzival, in: Archiv für Kulturgeschichte 65 (1983), 431-449. | ||
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Aktuelle Version vom 7. Mai 2024, 15:48 Uhr
Von einem Literaturwissenschaftlichen Standpunkt aus, soll Richard Wagners romantische Oper "Parsifal" mit dem ursprünglichen Werk Wolframs - Parzival - verglichen werden. Der Artikel setzt sich dabei zum Ziel, die deutlich spürbaren thematischen Abänderung in Wagners Adaption von Wolframs Epos herauszuarbeiten und zu deuten.
Wagners Rezeption und Aneignung des Parzivalsstoffes
Ausgangssituation: Wolframs Parzival - Ein Werk des Mittelalters
Auf die dem Parzival innewohnenden Thematiken soll an dieser Stelle nur sehr oberflächlich und rudimentär eingegangen werden.[1] Hauptaugenmerk dieses Abschnitts liegt darauf, den Parzival mit seinen bestimmenden Motiven als Produkt seiner Zeit, des Hochmittelalters, zu verorten. Für die Leitthemen des Mittelalters bezeichnend, sind auch im Parzival die große Konflikte in der Beziehung zwischen Individuum und Gott, sowie im Verhältnis von Weltlichkeit und Geistlichkeit zu sehen.[2][Wynn 1983: S. 433f.]
Verarbeitung: Rezeptionsgeschichte und Aneignungsprozess
Wagner kommt erstmals 1845 mit dem Parzivalepos Wolframs in Kontakt.[Mertens 1986: S. 50] Nachdem Karl Lachmann 1833 die erste kritische Ausgabe des Parzival herausgegeben hatte, wurde sie zunächst 1841 von San Marte und 1842 ein weiteres Mal von Karl Simrock übersetzt.[Wapnewski 1978b: S. 205f.] Beide Übersetzungen scheint Wagner gelesen zu haben,[Wagner 1976: S. 315] ergänzt durch den "ebenso irregeleiteten wie irreführenden" Gervinus und seine Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen, die in fünf Bänden von 1835-1840 erschien.[Wynn 1983: S. 438] Von dem Werk tief bewegt, regt sich in ihm dennoch die Sehnsucht nach eigener Gestaltung, ja Umgestaltung des Wolframschen Werkes.[3] Die Umarbeitung des Stoffes nach eigener Konzeption erwies sich aber als schwieriger als zunächest gedacht: Die erste Urfassung seiner Skizzen, die 1857 fertig gestellt worden sein soll, wurden durch Wagner wieder verworfen und ist heute nicht erhalten. Und so dauerte es weitere acht Jahre, bis der erste Prosaentwurf Wagner 1865 endlich fertig gestellt wurde.[Wynn 1983: S. 445]Doch dieser brach dafür auch mit allem vorher Bekannten aus dem Werk Wolframs; eine direkte Verbindung ist lediglich über vereinzelte Motive und die verbliebenen sechs Namen Wolframs Epos herzustellen.[4] Die Änderungen im Einzelnen erläutert der Abschnitt Änderungen im Einzelnen.
Produkt: Wagners romantische Oper Parsifal - Ein Werk des ausgehenden 19. Jahrhunderts
Produkt der Umarbeitung ist die romantische Oper Parsifal, ein Musikdrama, das die von Wolfram behandelten (mittelalterlichen) Themen umstrukturiert und für den Kontext des ausgehenden 19. Jahrhunderts aktualisiert. "Tiefgehende Befangenheit mit Sexualmoral [...] klingt eindeutig nach 19. Jahrhundert." [Wynn 1983: S. 434] Wagner musste sich seiner Meinung nach vom Parzival Wolframs lösen, um ihn seiner Konzeption gefügig zu machen. In dieser Lesart ist auch jene vielbeachtete Kritik Wagners an Wolfram nicht mehr so verblüffend, in der Wolfram und sein Werk disqualifiziert und herabwürdigt wird; Wagner emanzipierte sich von Wolfram.[5]
Die Änderungen im Einzelnen
Parzival → Parsifal
Wagner benannte die Figur des Parzival eigenmächtig in Parsifal um. Er legitimierte dies mit einer etymologischen Herleitung aus dem Arabischen in dem das Wort "Fal" in etwa "rein" bedeutet und "Parsi" im deutschen Wort "Tor" sein Pedant findet. Erst nach Wagners Tod stellte sich diese Etymologie, die er von Joseph Görres übernommen hatte, als falsch heraus.[Mertens 1986: S. 53]
Figuren
Neben den sechs literarischen Figuren Wolframs, die auch im Musikdrama Wagners auftreten (Parzival/Parsifal, Gurnemanz, Anfortas, Titurel, Klingsorund Kundry) sind alle anderen getilgt. Weder treffen wir bedeutenden Frauen Herzeloyde, Orgeluse oder Sigune, noch spielt die zweite Hauptperson in Wolframs Werk - Gawan - irgendeine Rolle. Wagner kürzt radikal und nimmt damit eine deutlich spürbare Umdeutung des Urstoffes in Kauf.[Ingenschay-Goch 1982: S. 111f.][Wynn 1983: S. 445f.]
Der Gral
Ganz außergewöhnlich muss sich Wagner an Wolframs Darstellung des Grals gestoßen haben. In jenem Brief an Mathilde Wesendonk motiviert Wagner auch, warum Wolframs Stein eigentlich ein Kelch sein müsse; es bedurfte eines Gefäßes, in der Joseph von Arimathia das Blut Christi auffangen konnte.[Mertens 1986: S. 52]
Geographische Aspekte
Die Oper Parsifal wurde auch um den geographischen Reichtum an Orten des Parzival gekürzt. Keinerlei Orte des Orients, auch keine realen Orte der okzidentalen Welt und sogar die Tafelrunde als Gegenentwurf zur Gralsburg wurde aus dem Musikdrama herausgenommen. Die Handlung konzentriert sich auf die Gralsgesellschaft rund um Anfortas, was Wagners Konzeption entspricht, wenn Wagner sagt "Genau genommen ist Anfortas der Mittelpunkt und Hauptgegenstand"[Wagner 1904: S. 144]
Anmerkungen
- ↑ Vgl. dazu an anderer Stelle ausführlicher: Das Gottesbild Parzivals, Schuld, Sühne und Erlösung, Die Darstellung des Orients im Parzival, Parzivals Schuld. Neben dieser kleinen Auswahl an literaturwissenschaftlichen Artikeln zum Parzival Wolframs, sei an dieser Stelle noch auf die Inhaltsangabe des "Parzivals" verwiesen, sowie auf die Dachseite Wolframs von Eschenbach Parzival, die den Anspruch hegt, alle Artikel dieses Wikis zum Parzival aufzulisten.
- ↑ Vgl. dazu die Artikel: Parzivals Gotteszweifel und den Abschnitt Zum Verhältnis von Geistlichkeit und Weltlichkeit
- ↑ "Bald regte aber die Sehnsucht nach eigener Gestaltung des von mir Erschauten sich so stark"[Wagner 1976: S. 315]
- ↑ "[...] und wenn die Namen der sechs Personen der Handlung andere wären als die gegebenen, würde es für den Literaturkritiker nicht unbedingt offensichtlich sein, daß es in der Hauptsache Wolframs Werk ist, das hinter dem Wagnerschen Musikdrama steht."[Wynn 1983: S. 431]
- ↑ Vgl. dazu Richard Wagners Brief an Mathilde Wesendonk[Wagner 1904: S. 145-147]
Literaturverzeichnis
[*Ingenschay-Goch 1982] Ingenschay-Goch, Dagmar: Richard Wagners neu erfundener Mythos. Zur Rezeption und Reproduktion des germanischen Mythos in seinen Operntexten, Bonn 1982.
[*Kühnel 1989] Kühnel, Jürgen: Parsifal. Erlösung dem Erlöser. Von der Aufhebung des Christentums in das Kunstwerk Richard Wagners, in: Müller, Ursula/Müller, Ulrich (Hrsg.): Richard Wagner und sein Mittelalter, Salzburg 1989, 171-227.
[*Mertens 1989] Mertens, Volker: Richard Wagner und das Mittelalter, in: Müller, Ursula/Müller, Ulrich (Hrsg.): Richard Wagner und sein Mittelalter, Salzburg 1989, 9-84.
[*Mertens 1986] Mertens, Volker: Richard Wagner und das Mittelalter. Parsifal: Vom ritterlichen Weltroman zum Mysterienspiel, in: Müller, Ulrich/Wapneski, Peter (Hrsg.): Wagner Handbuch, Stuttgart 1986, 50-55.
[*Müller 1980] Vom Roman Wolframs von Eschenbach und vom Musikdrama Richard Wagners, in: Stein, Peter u.a.(Hrsg.): Sprache, Text, Geschichte. Beiträge zur Mediävistik und germanistischen Sprachwissenschaft aus dem Kreis der Mitarbeiter 1964-1979 des Instituts für Germanistik an der Universität Salzburg, Göppingen 1980, 479-502.
[*Müller 1989] Müller, Ulrich: Vom Parzival zum Liebesverbot. Richard Wagners Umgang mit dem Mittelalter - vier Thesen, in: Müller, Ursula/Müller, Ulrich (Hrsg.): Richard Wagner und sein Mittelalter, Salzburg 1989, 85-101.
[*Seelig 1983] Seelig, Wolfgang: Ambivalenz und Erlösung. Parsifal, Bonn 1983.
[*Wagner 1904] Wagner, Richard: R. Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe 1853-1871, hg. von W. Golther, Berlin 1904.
[*Wagner 1976] Wagner, Richard: Mein Leben, hg. u. kommentiert von M. Gregor-Dellin, München 1976.
[*Wapnewski 1978a] Wapnewski, Peter: Parzival und Parsifal oder Wolframs Held und Wagners Erlöser, in: Kunze, Stefan (Hrsg.): Richard Wagner. Von der Oper zum Musikdrama, Bern 1978, 47-60.
[*Wapnewski 1978b] Wapnewski, Peter: Der traurige Gott. Richard Wagner in seinen Helden, München 1978.
[*Wynn 1983] Wynn, Marianne: Mittelalterliche Literatur in der Rezeption. Richard Wagner und Wolframs Parzival, in: Archiv für Kulturgeschichte 65 (1983), 431-449.
Weblinks
Eine vielbeachtete, jedoch nicht dramatisierte Aufführung des Parsifal: