Parzivals Schuld (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Die Thematik der Schuld Parzivals ist sehr umstitten und es gibt kontroverse Interpretationsansätze. Dieser Artikel versucht einige dieser Ansätze aufzuzeigen und zu deuten. Außerdem behandelt der Artikel die einzelnen Sünden Parzivals und versucht in einigen Interpretationsansätzen die Frage nach der schwersten Schuld des Titelhelden zu klären.

Forschungsstand

Die intensive Diskussion um Parzivals Sünden dominierte die Forschung der ersten Zeit nach 1945, die das Werk unter dem absoluten Primat des Religiösen sehen wollte. So hat die ältere Forschung die wesentliche und eigentliche Schuld Parzivals in dem Frageversäumnis auf der Gralsburg gesehen. Doch die neuere Forschung hat gezeigt, dass die Schuldfrage wesentlich komplizierter ist. So hat die Frage nach der Schwere der einzelnen Sünden und welche nun die gravierendste Sünde Parzivals darstellt, zu aufwendigen Interpretationen geführt.[Dallapiazza 2009: S. 90.]

Trevrizent

Trevrizent wirft Parzival drei große Sünden vor, von denen man bisher in der Forschung ausging. Diese umfassen einerseits den Tod Parzivals Mutter und andererseits den Tod Ithers. Das dritte Vergehen Parzivals basiert auf dem Frageversäumnis. Wobei hier die ersten beiden genannten Sünden als die eigentlichen großen Sünden angesehen werden. Sowohl bei dem Tod der Mutter als auch bei der Tötung Ithers liegt keine Absicht vor. Beide Vergehen sind laut Trevrizent unbewusst geschehen. Es scheint als wäre die Tötung Ithers zunächst nur ein bedauerliches Zwischenereignis, das durch den ritterlichen Verhaltenscodex gerechtfertigt werden könnte. Parzival handelt im Rahmen höflicher Alltäglichkeit und mit der Billigung des Königs.[Dallapiazza 2009: S. 90.]

Maurer

Friedrich Maurer differenziert dagegen zwei unterschiedliche Arten von Vergehen Parzivals.[Schröder 1963: S. 95.] Neben den bereits oben erwähnten Sünden sieht Maurer ebenso den Gotteshass, das Aufgeben der kirchlichen Gemeinschaft und den Verzicht auf die dankbare und frohgemute Haltung als weitere Sünden Parzivals an.[Maurer 1951: S. 135.]Zugleich unterscheidet Maurer einerseits Sünden, die Parzival unbewusst und unwissentlich begeht, die „keinesfalls Sünden von vollem Gewicht“[Maurer 1951: S. 148.] darstellen und andererseits Sünden, die bewusst und willentlich begangen wurden und somit die „schweren Sünden“ sind. So scheint es besonders verwirrend zu sein, dass die drei schweren Sünden: Gotteshaß, Aufgeben der kirchlichen Gemeinschaft und Verzicht auf dankbare, frohgemute Haltung im Vergleich zu den unbewussten Sünden zu leicht genommen werden und wie es scheint in der Buße am Ende des Werkes nicht erwähnt werden.[Dallapiazza 2009: S. 91.]

Wapnewski

Peter Wapnewski, der sich ebenfalls mit der Frage nach Parzivals Schuld beschäftigt hat, trennt die Sünde des Frageversäumnisses von den anderen beiden Sünden ab. Laut ihm hat Parzival den Gral bereits verloren, bevor er den Gral durch das Frageversäumnis verliert. Das Schweigen Parzivals ist eine Bekräftigung dafür, dass er den Gral im Stande der Sünde nicht erlangen kann.[Wapnewski 1955: S. 95.]

Resultate

Folglich lässt sich feststellen, dass man vorweg klären muss, ob eine Differenzierung von unbewussten und willentlichen Sünden vorgenommen werden muss, ob man diese Unterscheidung machen darf oder nicht darf; ebenso ob das Gewicht der Sünde zu beachten ist oder nicht. Maurer und Wapnewski zitieren theologische Passagen und kommen zu sehr verschiedenen Resultaten.[Schröder 1963: S. 96.] Mohr weist mit Recht darauf hin, dass sich eine Abstufung zwischen bewussten und unbewussten Sünden bei Wolfram nicht finden lässt und dass die Interpretation des Parzivals darauf verzichten muss, was die mittelalterliche Theologie darüber gedacht hat.[Mohr 1951: S. 156.]

Sünden im Überblick

Bei allen drei Sünden, Tod der Mutter, Tötung Ithers und bei dem Frageversäumnis, handelt es sich um ein Verschulden gegenüber dem Leben eines Menschen. Parzivals Verhalten hat Tod und Todeskrankheit zur Folge. Das IX. Buch behandelt vorwiegend die Tötung Ithers. Mohr sieht, dass die Tötung Ihters in der Symbolik auf Kain verweist und dass es sich hierbei nicht nur um einen Verwandtschaftsmord handelt, sondern vielmehr um einen Brudermord im christlichen Sinne. Der Tod der Mutter stellt dagegen eine schlimme Folge einer anderen Zwecken dienende Handlung dar. In beiden Fällen wollte er nicht töten, dies tut er nur, weil er Dinge begehrt die ihm verweigert werden. Zum einen ist es die Ausfahrt und zum anderen die Ritterkleidung. Von diesen beiden Sünden unterscheidet sich die Sünde des Frageversäumnisses auf Munsalvaesche. Die ersten beiden Sünden sind im Vergleich zur dritten Sünde nicht reparabel. Ebenso wird ihm am Gral nichts verweigert, was er begehrt, sondern es wird vielmehr etwas von ihm verlangt, was er jedoch nicht leistet.[Schröder 1963: S. 98.] Dieses Versäumnis kann er im späteren Verlauf wieder gut machen, denn die Gelegenheit zur Frage wird ihm ein zweites Mal geboten. Diese Tilgung der Sünde erfasst zugleich alle andere Schuld, ebenso den Tod der Mutter und die Tötung Ithers. Was immer Parzival an Sünden begat er die ngen hat, wird durch die Buße bei Trevrizent und die gestellte Gralsfrage getilgt. Ob jedoch eine innere Umkehr bei Parzival stattgefunden hat, ist mehr als fraglich. Er bekennt sich zu seinen Sünden und zu seiner Schuld, aber von wahrhaftiger Reue, die Trevrizent von ihm fordert, scheint nirgendwo die Rede zu sein. Es sei denn, man sieht die Einkehr beim Einsiedler als solche an.[Dallapiazza 2009: S. 92.] Wolfram hat die Sündenmotive aus dem „Conte du Graal“ übernommen, sie an wichtigen Punkten verändert und die Akzente neu gesetzt. So stellt beispielsweise der Tod Ithers ein neues Sündenmotiv bei Wolfram dar. Im Conte du Graal wird dem Helden kein Vorwurf daraus gemacht, dass er den Roten Ritter getötet hat. Im Parzival wird dies jedoch als die zweite Sünde Parzivals gedeutet.[Bumke 2004: S. 128.]


Die Frage nach der schwersten Schuld Parzivals

Innerhalb der Diskussion um die Schuld Parzivals wird unter anderem auch untersucht, welche der Sünden die schwerste Schuld Parzivals darstellt. Zumeist steht bei der Schuldthematik Parzivals das Frageversäumnis im Mittelpunkt, wird daher tendenziell als die schwerste Schuld Parzivals betrachtet. Im Folgenden sollen Forschungsansätze vorgestellt werden, welche die Frage nach der schwersten Schuld Parzivals zu anderen Ergebnisse führte.


Schwietering

Julius Schwietering stellt zunächst fest, dass Wolfram in seinem Roman „deutlich den Vorrang des Religiösen zum Ausdruck“ bringe. [Schwietering 1969: S. 371] Dies zeige sich im Gralsgeschlecht, welches sich auf religiöse Tugenden beruft und den Wert dieser am Anteil der „religiösen Grundtugend, der „triuwe“ misst. Als Mitglied der Gralssippe mache sich Parzival eben dieser Grundtugend schuldig. Diese Schuld wiege so schwer, da „triuwe“ bei Wolfram die Liebe Gottes und somit das Verhältnis zwischen Gott und Mensch darstelle. Bei dem Vergleich der Sünden Parzivals, untersucht Julius Schwietering basierend auf seiner Erkenntnis, wie sehr Parzival durch sein Handeln die Grundtugend der „triuwe“ verletzte. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Mangel an „erbärmde“ und somit das Versäumnis der Mitleidsfrage die schwerste Schuld Parzivals darstelle. Sogar Sigune und Cundrie verurteilen speziell Parzivals mangelndes Mitleid gegenüber Anfortas. Diese „unzweideutig harte Beurteilung“ Parzivals Versagen durch die beiden Frauen sprächen eindeutig dafür, dass Wolfram dieses Versäumnis als schwerste Schuld Parzivals dargestellen wollte.

Mohr

Wolfgang Mohr stellt zunächst fest, dass Wolfram, abweichend zur Vorlage Chrétiens Conte du Graal, die Tötung Ithers in den Zusammenhang der Schuldthematik stelle. Da alle anderen der Schuldmotive Parzivals aus der Vorlage Chrétines übernommen wurden, müsse diese Tat wichtig genommen werden. [Mohr 1951: S. 335] Des Weiteren stehe die Kainstat im Mittelpunkt der Rede Trevrizents (Buch IX), woraus zu schließen sei, dass Trevrizent den Brudermord als Ursprung allen Übels begreife (464, 21f). Er stellt über Parallelen, die er in Arnolds Gedicht von der „Siebenzahl“, sowie zum Johannisbrief erkennt, fest, dass die „Entferntheit der Verwandtschaft zwischen Ither und Parzival […] Sinnbild der Brüderlichkeit der Menschen untereinander“ [Mohr 1951: S.343] sei. Parzival mache sich durch den Mord Ithers an eben dieser Brüderlichkeit schuldig, welche deshalb als die schwerste Schuld betrachtet werden müsse.

Wapnewski

Peter Wapnewski untersucht Parzivals Schuld ausgehend von der Buß- und Sündenlehre des Augustinus. Das Verlassen der Mutter, sowie der Mord Ithers seien eindeutig die schwersten Sünden, da sie Verstöße gegen das 4.Gebot des Dekalogs darstellen würden. Er behauptet überdies, Parzival mangle es zu keiner Zeit an „triuwe“ und „erbärmde“, wodurch das Frageversäumnis seiner Meinung nach nicht so schwer wiege. Vielmehr seien „diese beiden Sünden an der Mutter und Ither […] die eigentlichen Initialakte der Verstrickung“ [Wapnewski 1955: S. 99] in die Sünden [1], aus denen er sich nicht mehr selbst befreien kann. Demnach gehören alle folgenden Sünden, so Wapnewski, zu den beiden, welche Trevrizent ausdrücklich kennzeichnete als die „zwuo grôze sünde (zwei große Sünden)“ (499, 20), die somit auch nach Trevrizents Bewertung die schwerste Schuld Parzivals darstellen.

Literaturnachweise

  1. Der Mensch ist als Nachfolger Adams und Evas durch die Erbsünde von Geburt an sündig.

[*Dallapiazza 2009]Dallapiazza, Michael:Wolfram von Eschenbach – Parzival. Berlin, 2009.

[*Schröder 1963]Schröder, Walter Johannes: Die Soltane-Erzählung in Wolframs Parzival : Studien zur Darstellung und Bedeutung der Lebensstufen Parzivals. Heidelberg, 1963.

[*Maurer 1951]Maurer, Friedrich: Leid. Studien zur Bedeutungs- und Problemgeschichte, besonders in den großen Epen der staufischen Zeit. Bern, 1951.

[*Wapnewski 1955]Wapnewski, Peter: Wolframs Parzival. Studien zur Religiosität und Form. Heidelberg, 1955.

[*Mohr 1951] Mohr, Wolfgang: Parzivals ritterliche Schuld, in: Winkendes Wort II. 1951.

[*Bumke 2004]Bumke, Joahim: Wolfram von Eschenbach. Stuttgart, 2004.

[*Schwietering 1969] Schwietering Julius, Parzivals Schuld, in: Philologische Schriften, München, 1969 [*Mohr 1970] Mohr Wolfgang, Parzivals ritterliche Schuld, in: Der arthurische Roman, Darmstadt, 1970