Kriemhild (Nibelungenlied): Unterschied zwischen den Versionen

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Frauengestalten nehmen im Nibelungenlied eine besondere Stellung ein, so dominieren sie im ersten Teil, sowie im zweiten Teil mindestens den Handlungshintergrund, sodass der bedeutende Philologe Werner Schröder sogar von einem „Kriemhiltroman“ spricht. Kriemhild (mhd. „Kriemhilt“, vgl. Str. 2) ist die zentrale Figur, welche die Handlung des Nibelungenliedes prägt und zugleich als eine der bedeutendsten weiblichen Charaktere der Literatur des deutschen Mittelalters gilt. In der Rezeption und in der Forschung wird die Figur der Kriemhild auf die unterschiedlichste Art und Weise interpretiert und deswegen keinesfalls eindeutig beurteilt.  Dieser Artikel gibt eine kurze Inhaltsangabe des Nibelungenliedes, wobei der Fokus auf Kriemhild gelegt wird. Darauf folgt eine Ausarbeitung der Darstellung von Kriemhild im Nibelungenlied und die folgenden Punkte behandeln Kriemhild als handlungstreibende Person im ersten sowie im zweiten Teil. Es soll zum ersten Teil ebenfalls das Verhältnis zu Siegfried herausgearbeitet werden. Der abschließende Beitrag befasst sich mit der Rezeption der Kriemhildsfigur in der literaturwissenschaftlichen Forschung besonders in Bezug darauf, wie mit ihr als weibliche Hauptfigur „umgegangen“ wird.
Frauengestalten nehmen im [[Das Nibelungenlied|Nibelungenlied]] eine besondere Stellung ein, so dominieren sie im ersten und zweiten Teil den Handlungshintergrund, sodass der bedeutende Philologe Werner Schröder sogar von einem „Kriemhiltroman“ spricht.[Schroeder 1960] Kriemhild<ref> Zur etymologischen Namensherkunft und Varianten im Sagenstoff vgl.[Schramm 1965]. </ref>  (mhd. ''„Kriemhilt“'', vgl. Str. 2<ref> In diesem Artikel wird die gängige Zitation in Strophenform nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor, welche von Siegfried Grosse ins neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert wurde, verwendet, vgl. hierzu [Nibelungenlied 2004]. </ref>) ist die zentrale Figur, welche die Handlung des Nibelungenliedes prägt und zugleich als eine der bedeutendsten weiblichen Charaktere der Literatur des deutschen Mittelalters gilt. Kriemhild ist die Schwester der drei Burgundenkönige [[Gunther (Nibelungenlied)|Gunther]], Gernot und Giselher. Sie ist im Laufe des ersten Teils die Gattin von [[Siegfried (Nibelungenlied)|Siegfried]] bis zu dessen Tod und im zweiten Teil des Nibelungenlieds wird sie zur Frau von Etzel.
 
In der Rezeption und in der Forschung wird die Figur der Kriemhild auf die unterschiedlichste Art und Weise interpretiert und deswegen keinesfalls einheitlich beurteilt.  Dieser Artikel gibt eine kurze Inhaltswiedergabe des Nibelungenliedes, wobei der Fokus auf Kriemhild gelegt wird. Darauf folgt eine Ausarbeitung der Darstellung von Kriemhild im Nibelungenlied. Die folgenden Punkte behandeln Kriemhild als handlungstreibende Person im ersten sowie im zweiten Teil. Es soll zum ersten Teil ebenfalls das Verhältnis zu Siegfried beleuchtet werden. Der abschließende Beitrag befasst sich mit der Rezeption der Kriemhildsfigur im literaturwissenschaftlichen Diskurs, besonders in Bezug darauf, wie mit ihr als weibliche Hauptfigur „umgegangen“ wird.--TBartmann 16:51, 26. Aug. 2020 (CEST)
 
= Kriemhild als handelnde Person im Nibelungenlied (Zusammenfassung) =
Bei Kriemhild handelt es sich um die Schwester der in Worms herrschenden Burgundenkönige [[Gunther (Nibelungenlied)|Gunther]], Gernot und Giselher. Ute und Dankrat sind ihre Eltern, von welchen letzterer nach seinem Tod ihren Brüdern den Thron vermachte. Nach einem prophetischen Traum Kriemhilds, in dem zwei Adler einen starken und schönen Falken zerfleischen, kommt der junge [[Siegfried (Nibelungenlied)|Siegfried]], ein Thronfolger aus Xanten und Besitzer des [[Der Hort (Nibelungenlied)| Nibelungenhortes]], an den Burgunden Hof und [[Die Brautwerbung (Nibelungenlied)|wirbt]] anfangs auf heroische, dann auf höfische Art und Weise um Kriemhild. Um die Hand von Kriemhild zu erhalten, streitet er im Sachsenkrieg für die Burgunden und hilft Gunther tatkräftig und erfolgreich bei seiner [[Die Brautwerbung (Nibelungenlied)|Brautwerbung]] um die heroische [[Brünhild (Nibelungenlied) | Brünhild]], indem er sich fälschlicherweise als seinen Dienstmann ausgibt. Seine Unterstützung geht sogar so weit, dass er sie im Ehebett für Gunther bändigen muss und als Trophäe Ring und Gürtel von Brünhild an sich nimmt. Kriemhild und Siegfried reisen in Folge der Hochzeit nach Xanten, wo Siegfried die Krone erhält und Kriemhild knapp zehn Jahre später einen Sohn mit Namen Gunther gebiert.
 
Einige Zeit später werden die beiden wieder an den Burgundenhof geladen. Dort entzündet sich ein [[Der Königinnenstreit (Nibelungenlied)|Streit]], da auf der einen Seite Brünhild nach wie vor annimmt, dass Siegfried ein Vasall von Gunther sei und auf der anderen Seite Kriemhild durch die Kleinodien darauf schließt, dass ihr Mann Brünhild entehrt hat. Dieser [[Der Königinnenstreit (Nibelungenlied)|Streit]] eskaliert, sodass die Burgunden, unter anderem Gunther und der treue Gefolgsmann [[Hagen (Nibelungenlied)|Hagen]], die Ermordung Siegfrieds beschließen und in Folge dessen auch durchführen.
 
Die Trauer von Kriemhild über Siegfrieds Tod ist tiefgreifend und sie prangert die Schuldigen an, jedoch versöhnt sie sich einige Zeit später wieder mit Gunther. Durch das Erbe des Hortes versucht Kriemhild Gefolgsleute anzuwerben, was jedoch unterbunden wird, da Hagen ihr den [[Der Hort (Nibelungenlied)| Nibelungenhort]], welcher ihre Morgengabe bei der Hochzeit mit Siegfried war, raubt und im Rhein versenken lässt.
 
13 Jahre später wirbt Etzel um Kriemhild und sie reist für die Hochzeit nach Wien und dann weiter nach Etzelburg, wo sie durch die Heirat zur Hunnenkönigin aufsteigt und dem König einen Sohn, Ortlieb, schenkt. Durch eine hinterlistige Einladung reisen die Burgunden mit einem Heer nach Osten und werden am Hof von Etzel empfangen.
Als Hagen preisgibt, dass er der Mörder Siegfrieds war, fordert Kriemhild die Hunnenkrieger auf, ihr Leid zu rächen. Infolge eines Überfalls auf die burgundischen Truppen übernehmen die Burgunden die Kontrolle über den Festsaal, aus welchem Kriemhild und Etzel dank Dietrich von Bern, einem Gefolgsmann Etzels, fliehen können. Die folgenden Angriffe auf die Burgunden, welche ebenfalls hohe Verluste der Gegnerseite fordern, dezimieren die Schar, unter anderem auch durch das Anzünden des Festsaals auf Kriemhilds Befehl so weit, dass schließlich nur noch Gunther und Hagen am Leben sind. Diese werden vor Kriemhild geführt und, da die beiden den Ort der Hortversenkung nicht verraten wollen, lässt sie erst Gunther töten und erschlägt anschließend Hagen mit Siegfrieds Schwert selbst. Diese Handlung wird Kriemhild zum Verhängnis, da eine Frauenhand den tapferen Recken getötet hat. Kriemhild wird von Hildebrand erschlagen und zerstückelt. Das Lied endet nach einer Trauerepisode um die gefallenen Recken und die tote Kriemhild.
 
Die Komplexität ihrer Figur zeigt sich zum einen in der aktiven Handlungsmotivation, welche charakterlich der der Männer entspricht. Zum anderen wird sie im Verlauf des Liedes deutlich, denn Kriemhild wird im ersten Teil als höfische Dame eingeführt, gilt durch den [[Der Königinnenstreit (Nibelungenlied)|Königinnenstreit]] und Siegfrieds folgender Ermordung als Bindeglied zwischen den zwei Teilen des Nibelungenlieds und tritt im zweiten Teil als Auslöser der Gewalt durch die hinterlistige Einladung und die Aufforderung zur Rache auf. Das Ende des Nibelungenliedes und der Untergang der Nibelungen ist das Ergebnis dieser Gewalt und eines nicht mehr durch „herkömmliche Riten“ oder durch „männliche Schutzhandlung“ aufhaltbaren Racheakts der maßlosen Zerstörung, welcher nach der Mediävistin Irmgard Gephart durch den Betrug der männlichen Protagonisten entstanden ist. [Gephart 2005:102] Somit geht es bei Kriemhilds Rache um das handlungsbestimmende Prinzip des Nibelungenliedes.<ref> Inwiefern die Figuren des Nibelungenlieds den Spielregeln unterworfen sind, diskutieren [Lienert 2015],[Jönsson 2001] und [Müller 1998]. </ref> Um diesen Wandel zu verstehen, lohnt es sich, die Darstellung von Kriemhild genauer zu betrachten.--TBartmann 16:51, 26. Aug. 2020 (CEST)
 
= Darstellung im Nibelungenlied =
In der ersten Aventiure wird Kriemhild als höfische Dame eingeführt, denn sie ist ''„ein vil édel magedîn, / daz in allen landen / niht schœners mohte sîn [und] si wart ein scœne wîp“'' (Str. 2) (Übers.: ein junges Edelfräulein, so schön, wie keine andere auf der Welt. [...] Später wurde sie eine schöne Frau)<ref> Im folgenden wird bei den Übersetzungen nach Siegfried Grosse übersetzt, vgl. [Nibelungenlied 2004]. </ref>. Sie ist höfisch gebildet (vgl. Str. 45), weiß sich höfisch zu gebären (vgl. Str. 348, 587, 787), soll Nähen können (Str. 361-3) und auch Reiten (vgl. Str. 1337), was im Mittelalter Eigenschaften einer adeligen Frau waren. Kriemhild hat prophetische Träume (vgl. Str. 13, 921-4) und außerdem eine enge und vertraute Beziehung zu ihrer Mutter, welche ihr unter anderem beim Traumdeuten hilft.<ref> Wideburg führt das in seiner Dissertation ausführlich aus und versucht einen Einblick in die Rezeption der damaligen Gesellschaft zu geben, vgl. [Wideburg 1993]. </ref>
 
===Die Konstruktion des Weiblichen===
Kriemhild, die anfangs 16 Jahre alt ist, ist, wie die einleitende Textstelle zeigt, das schönste Mädchen weit und breit und wächst später zu einer schönen Frau heran, welche einen Ritter heiraten soll (vgl. Str. 16). Ihre ästhetische Eigenschaft wird im Laufe des Nibelungenliedes zahlreich betont, wie beispielsweise ''„âne mâzen schœne“'' (Str. 2) und ''„unmâzen scœne“'' (Str. 49), und auch im zweiten Teil bei den Hunnen wird sie u. a. als ''„Kríemhílt diu scoene“'' (Str. 1737) bezeichnet. Als ''„vil hêrlîchen“'' (Str. 281) wird Kriemhild in jener Szene bezeichnet, in welcher [[Siegfried (Nibelungenlied)|Siegfried]] sich untersterblich in Kriemhild verliebt und ihre Ästhetik mit dem Morgenrot verglichen wird (vgl. Str. 281). Ihre Haut wird als ''„rôsenrôtiu varwe / vil minneclîchen scein“'' (Str. 282) stilisiert und der Erzähler beschreibt auch, dass die Haut ''„luht‘ ir ûz dem golde“'' (Str. 1351). Ihre Kleidung sei außerordentlich, denn sie ''„was ouch sô gezieret“'' (Str. 300), dass sie für viele Krieger eine Augenweide war und vor der Fahrt nach Island werden die edlen Stoffe beschrieben, aus welcher sich die Kleidung zusammensetzt (vgl. Str. 364-366). Allein die Quantität der ästhetischen Betonung und die Versicherungen des Erzählers, dass sie die Schönste ist, zeigt, dass sie äußerlich vollständig ohne Makel ist, wie beispielsweise durch die folgende Textstelle und dem Vergleich mit anderen Frauen bestätigt wird:
 
''„Sam der liehte mâne / vor den sternen stât, / ''
 
''des scîn sô lûterliche / ab den wolken gât,/ ''
 
''dem stuont si nu gelîche / vor maneger frouwen guot"'' (Str. 283)
 
(Übers.:Wie der helle Mond die Sterne überstrahlt, dessen Schein klar aus den Wolken tritt, genauso stand sie vor den vielen vorzüglichen Damen).
 
Der Erzähler spricht dadurch, dass er kaum objektive Referenzpunkte zur Schönheit von Kriemhild benennt, ein jeweiliges subjektives Schönheitsideal an, woraus für jeden Lesenden die Schönheit Kriemhilds als Begriff entsteht, der an ein Maximum heranreichen soll, wie folgendes Beispiel zeigt:
 
''„Ob iemen wünscen solde, / der kunde niht gejen, / ''
 
''daz er ze dirre werlde / het iht scoeners gesehen“''(Str. 282)
 
(Übers.: Wenn jemand sich hätte etwas wünschen dürfen, so hätte er nicht behaupten können, auf der Welt jemals etwas Schöneres gesehen zu haben).
 
Jedoch wird bereits in der ersten Aventiure Kriemhilds Schönheit durch eine Prolepse (vgl. Str. 19) mit Leid verknüpft und nach der Germanistin Elisabeth Lienert korrelieren somit Schönheit und Gewalt, und über die Schönheit und durch die Minne stehen zugleich auch Weiblichkeit und Gewalt in einem Zusammenhang.[Lienert 2003:7]
 
===Verhalten===
Kriemhilds Verhalten ist dem Hofe angepasst, denn sie ist fromm, ruhig und besonnen (vgl. Str. 15, 17f, u.a.), aber auch mädchenhaft (vgl. Str. 615) und neugierig, da sie ''„durch diu venster“'' (Str. 133) schaut, um die Welt zu entdecken. Da sie als Prinzessin fest in die Heiratspolitik des Mittelalters integriert ist, zeigt sie ihre unschuldige und naive Jugendlichkeit dadurch, dass sie vorerst ''„âne recken mínne […] immer sîn“'' (Str. 15) will. Jedoch verwirft sie diesen Gedanken als sie Siegfried zum ersten Mal sieht, denn sie braucht keinen anderen Zeitvertreib, als ihm zuzuschauen (vgl. Str. 133) und verliebt sich in diesen (vgl. Str. 292-4).
 
Ihre unschuldige Kindheit endet mit der Hochzeit, indem sie fordert, dass ihr ''„suln ê mine brüeder / teilen mit diu lant“'' (Str. 691) und sie nach Macht und Besitz strebt. Siegfried spricht sich dagegen aus und auch [[Hagen (Nibelungenlied)|Hagen]] will nicht als Gefolgsmann mit ihr gehen (Str. 694-9). Dass Kriemhild als Einzige auf ihrer Mitgift beharrt, sich sogar offen gegen Siegfrieds Entscheidung auflehnt und meint, dass es ''„umb Búrgónden degene / sô lîht‘ ez niht enstât, / si müg‘ ein künic gerne / füeren in sîn lant“'' (Str. 696) (Übers.: [Wenn Ihr auf meinen Ländereien verzichtet habt], so geht dies mit den burgundischen Lehnsleuten allerdings nicht so einfach. Denn sie kann ein König, wenn er will, mit sich in sein Land nehmen), zeigt den Wandel von Naivität zu selbstmächtigem Auftreten sowie eine gewisse Gerissenheit.
 
===Die stolze Kriemhild===
Die Zeit, die während ihrer und Siegfrieds Abwesenheit vergeht, verändert Kriemhild, denn sie kommt nach der Einladung als stolze Frau zurück, welche zuvor noch schlichtend, aber dann provokativ und impulsiv im [[Der Königinnenstreit (Nibelungenlied)|Königinnenstreit]]  agiert.[Bryan 2013: 360-3] Das wird daran deutlich, dass sie anfangs Siegfried über [[Gunther (Nibelungenlied)|Gunther]] stellt, indem sie sagt, dass er ''„tíwerr danne sî / Gunther mîn bruider, der viel edel man“'' (Str. 824) und sich als Spitze des burgundischen Hofes sieht(vgl. Str. 829). Kriemhild kündigt auf gleiche Weise provokant an, dass sie vorhat, [[Brünhild (Nibelungenlied)|Brünhild]] zu demütigen, indem sie vor ihr in das Münster eintreten will. Darüber hinaus beschuldigt sie Brünhild während der Eskalation des Streits als ''„mannes kebse“'' (Str. 839) und zieht vor Brünhild ins Münster ein, was im Mittelalter unverzeihliche Provokationen sind. Durch das Demonstrieren des Ringes und des Gürtels (vgl. Str. 847-50) wird ihr unbedachtes Handeln erneut deutlich, da sie damit Brünhilds Ehre verletzt und direkt Siegfrieds Ansehen gefährdet und die Konsequenzen ihres Handelns vernachlässigt. <ref> Vgl. [Störmer-Caysa 1999]. </ref> Auf indirekte Weise besiegelt sie somit auch Siegfrieds Schicksal. Dass sie die belastenden Beweise mit sich führt, ist entweder ein Bruch in der logischen Zusammensetzung des Nibelungenliedes oder es ist ein Indiz dafür, dass Kriemhild auf eine gewisse Provokation aus gewesen sein muss.
Ihr unüberlegtes Handeln und ihre Naivität werden an folgender Stelle erneut überdeutlich, als sie
 
''„mit kleinen sîden / nae ich [(Kriemhild)] ûf sîn gewant / ''
 
''ein tougenlîchez kriuze. / dâ sol, helt, dîn [(Hagens)] hant / ''
 
''den mînen man behüeten, / so ez an die herte gât, / ''
 
''swenn‘ er in den stürmen / vor sînen vîánden stât."'' (Str. 904)
 
(Übers.: Mit kleinen Seidenstichen nähe ich auf sein Gewand ein kaum sichtbares Kreuz. Dort soll deine Hand, treuer Held, meinen Mann beschützen, wenn es Ernst wird, also immer dann, wenn er im Sturm vor seinen Feinden steht).
 
===Die trauernde Kriemhild===
Mit Siegfrieds Tod entsteht ein weiterer Wandel von Kriemhilds Darstellung im Nibelungenlied, denn aus dem einst jungen und frommen Mädchen und später der gerissenen und stolzen Frau wird eine trauernde und rachsüchtige Witwe.[Lienert 2015:478] Die Passage als Kriemhild von Siegfried Abschied nimmt und vor seinem Grab zusammenbricht:
 
''„dô truoc man sie von dannen; / sine kúnde niht gegân. / ''
 
''dô vant man sinnelôse / daz hêrlîche wîp. / ''
 
''vor leide möht‘ ersterben / der ir vil wünneclîcher lîp"'' (Str. 1070)
 
(Übers.: Man trug Kriemhild weg; denn sie konnte nicht gehen. Die herrliche Frau wurde ohnmächtig. Vor Schmerz hätte ihr wundervoller Körper sterben können),
zeigt Kriemhilds Trauer allzu deutlich, sie trauert so sehr, dass ''„es was ein michel wunder, / daz si ie genas“'' (Str. 1067) und ''„daz blout ir ûz dem munde / von herzen jâmer brast“'' (Str. 1010).
 
Deutlich wird, dass überwiegend bei Kriemhild eine innere Fokalisierung vom Erzähler angewendet wird, denn nur bei ihr wird der Umschwung von Freude über Sorge zu Leid deutlich, ersichtlich wird dies daran, dass sie sich den fatalen Folgen des Geheimnisverrats von Siegfrieds Verwundbarkeit bewusst wird (vgl. Str. 920, 1008).[Lienert 2015: 480]
Durch die Bahrprobe bestätigt sich ihre Ahnung, wer ihren Mann ermordet hat und vermutlich durch das Eingeständnis an ihrer Mitschuld am Tod kümmert sie sich auch nicht mehr um ihr ästhetisches Erscheinungsbild, denn
 
''„Kríemhílt diu hêre / und vil trûréc gemuot, /''
 
''[ … ] in der wæte, / die si álle tage truoc. /''
 
''dâ bî truoc ir gesinde / rîcher kléidér genuoc."'' (Str. 1225)
 
(Übers.: Die stolze Kriemhild, sehr traurig in Gedanken, [...] in dem Gewand, dass sie täglich trug; dagegen hatte ihr Hofstaat die prächtigsten Kleider angelegt).
 
Joachim Heinzle meint, durch die vorangegangene Passage werde deutlich, dass die Trauer echt ist und anhält.[Heinzle 2005:81] Nach Siegfrieds Tod wird Kriemhild vom Erzähler mit Attributen der Trauer versehen (''„jâmerhafte“'' (Str. 1014), ''„manegiu leit“'' (Str. 1208), ''„vil trûréc gemout“''  (Str. 1225) und als „arme Kriemhild“ bezeichnet, was zeigt, dass sie noch nicht bereit für eine neue Heirat ist, da
 
''„klagen unde weinen / mir immer zæme baz. /  ''
 
''wi sold‘ ich [(Kriemhild)] vor recken / dâ ze hove gân? / ''
 
''wart mîn lîp ie schoene, / des bin ich âné getân"'' (Str. 1245)
 
(Übers.: Klagen und weinen würden stets besser zu mir passen. Wie sollte ich vor die Männer am Hofe hintreten? Bin ich jemals schön gewesen, so ist dies lange her).
 
''„Si was im getriuwe, des ir diu meiste menige giht“'' (Str. 1142) lautet der Erzählerkommentar am Ende der 19. Aventiure, was ebenfalls auf Kriemhilds Trauer und ihre Liebe zu Siegfried hindeutet.
 
Ein weiterer Aspekt wird im zweiten Teil des Nibelungenlieds deutlich, denn sie erwähnt ihren Sohn in Xanten nicht und reist auch nicht dorthin, was zeigt, dass sie nicht als besonders mütterlich gelten kann. Die Mediävistin Uta Störmer-Caysa versucht das Problem zu lösen, denn sie zeigt auf, dass es für den Sohn und die Thronfolge in Xanten wichtig sei, dass Kriemhild nicht im Weg steht.[Störmer-Caysa 1999]  Dennoch trauert sie auch während ihrer Zeit am Hunnenhof täglich um Siegfried, wie Dietrich von Bern den Burgunden berichtet (Str. 1730). Dieses Phänomen könnte aber auf der anderen Seite auch das Ergebnis der Komposition zweier Lieder mit unterschiedlicher Vorlage sein und an den in der Forschung diskutierten Prozess von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit anknüpfen.<ref> Vgl. u.a. [Curschmann 1992] und [Heinzle 2003]. </ref>
 
===Rache===
Als Hagen ihr den Hort raubt, bricht er Kriemhild endgültig, da ihr der Drang nach Rache voerst verwehrt wird. Erst als die Möglichkeit der Heirat mit Etzel aufkommt, erblüht sie wieder scheinbar und sie kümmerte sich erneut um ihr äußerliches Auftreten, denn ''„Ûf ructe si ir gebende“'' (Str. 1351), da in ihr ein Racheplan Gestalt annimmt. Somit kehren erst nach vielen Jahren am Hof in Worms ihre prächtigen Kleider in Folge der Werbung Etzels wieder zurück.
Bei Etzels Brautwerbung wird noch einmal ihr frommer, aber auch berechnender Charakter deutlich, denn
 
''„het ich [(Kriemhild)] daz vernommen, /
 
''daz er [(Etzel)] niht waere ein heiden, / sô wold‘ ich gerne komen, /''
 
''swar er hete willen, / und naem‘ in z’einem man“'' (Str. 1261)
 
(Übers.: Wüßte ich nur, daß er kein Heide wäre, so würde ich gern überall, wohin er wünschte kommen und ihn zum Gemahl nehmen).
 
Aber dies lässt darauf schließen, dass Kriemhild Etzel schlussendlich vorrangig wegen der Rache heiratet, denn ihre Frömmigkeit widerspricht dieser Handlung. Dennoch zeigt sie nach außen hin ein rollenkonformes Verhalten bei der Vermählung mit Etzel und übertüncht somit ihr Leid.
Kriemhild versucht das Bild einer fröhlichen Königin zu wahren, um ihren Racheplan in die Tat umzusetzen. Immer wieder wird sie an ihr Leid erinnert und versucht durch ihr höfisches Verhalten die Trauer zu überspielen. Ihr Racheplan wird durch die Tatsache beflügelt, dass Kriemhild sich immer mehr als Königin in den Landen Etzels etabliert. Ihr wird bewusst, dass sie in ihrem neuen Reich über unbegrenzte macht verfügt, und sich niemand ihrem Willen widersetzt.
 
''„Nu het si wol erkunnen, / daz ir niemen widerstuont, / ''
 
''alsô noch fursten wîbe küneges recken tuont, / ''
 
''unt daz si alle zite  zwelf künige vor ir sach. / ''
 
''si gedâht ouch maniger leide, der ir dâ heime geschach“'' (Str. 1391)
 
(Übers.: Inzwischen hatte sie festgestellt, dass niemand sich ihr widersetzte, wie sich auch heute noch die Recken eines Königs gegenüber der Gemahlin des Fürsten zu verhalten pflegen, und dass sie stets zwölf Könige dienstbereit in der Umgebung vorfand. Sie dachte auch an das viele Leid, das ihr zu Hause geschehen war.)
 
Sie ist bereit ihren Gemahlen Etzel zu täuschen und seine Macht zu missbrauchen, um ihre Rache an Hagen auszuüben. Ihr ist wichtig, dass die eingeladenen Burgunden nicht mitbekommen, dass sie nach sieben Jahren immer noch um Siegfried trauert. Kriemhild versucht durch List und Täuschung ihr gesamtes Umfeld für ihre Zwecke auszunutzen. Die Boten, die die Einladung an die Burgunden übermitteln sollen, bekommen aufgrund dessen einen Sonderauftrag:
 
''„Unde swaz ir mîner friunde immer muget gesehen, / ''
 
''ze Wormez bî dme Rîne, den sult ir nihit verjehen, / ''
 
''daz ir noch nie gesæhet betrüebet mînen muot, /“ '' (Str. 1415).
(Übers.: Keinem, den Ihr von meinen Verwandten in Worms am Rhein trefft, sollt Ihr sagen, Ihr hätte mich jemals traurig gesehen.)
 
Als die Burgunden am Etzelhof antreffen kommt es zu direkten Provokationen zwischen Hagen und Kriemhild. Hagen und die Burgunden haben Kriemhilds List bereits durch die Warnung Dietrichs durchschaut. Kriemhild ärgert sich sehr, jedoch kennt sie die Fähigkeiten ihrer Feinde sehr gut und vermeidet vorerst impulsive Entscheidungen. Ihr ist bewusst, dass sie hinterhältig agieren muss, um der Stärke ihrer Feinde entgegen zu wirken.
 
Kriemhilds Hinterlist wird deutlich, als sie ihren Männern befiehlt, die Burgunden im Schlaf zu überfallen. Ihr ist jedes Mittel recht, um ihre Rache auszuüben. Dabei ist es ihr egal, ob dies ehrenvoll oder hinterlistig geschieht. Ihr Plan wird durch die Nachtwache von Volker und Hagen vereitelt.
 
Die Königin wird immer überheblicher und agiert daraufhin immer impulsiver. Dies wird deutlich, als Kriemhild Etzels Bruder Blödel dazu überredet ihre Rache an den Burgunden auszuüben. Dankward überlebt als Einziger den Angriff und warnt die restlichen Burgunden im Saal. Hagen tötet daraufhin im Affekt Kriemhilds und Etzels Sohn Ortlieb. Die Situation eskaliert.
Kriemhild ist es von nun an nur noch wichtig ihre Rache zu bekommen, und diesbezüglich lange genug zu überleben.
 
Hagen schafft es immer wieder Kriemhild aus der Reserve zu locken. Sie macht ihren Feinden und Verbündeten deutlich, welche Macht und Mittel sie besitzt, um ihre Rache auszuüben.
 
''„Si sprach: »der mir Tronege Hagen slüge / ''
 
''unde mir sîn houbet her für mich trüege, / ''
 
''dem fult ich rôtes goldes dn Etzeln rant. / ''
 
''dar zuo gæbe ich im ze miete vil guote bürge unde lant.«“ (Str. 2025)
 
(Übers.: Sie sagte: »Wer mir Hagen von Tronje erschlüge und mir seinen Kopf brächte, dem füllte ich Etzels Schild bis zum Rand mit rotem Gold. Dazu würde ich ihm viele gute Burgen und Länder als Belohnung übergeben.«)
 
Wie sehr sich Kriemhild in ihren Rachegedanken verloren hat wird deutlich, als Giselher sie fragt, wieso er dieses Leid verdient hat, obwohl er ihr immer treu verbunden gewesen ist.
 
''„»Ine mac iu nihit genâden. / ungenâde ich hân. / ''
 
''mir hât von Tronege Hagen sô grôziu leit getân. / ''
 
''ez ist vil unversüenet, / di wîl ich hân den lîp. / ''
 
''ir müezet es alle entgelten«“ (Str. 2103)
 
(Übers.: »Ich kann Euch keine Gnade gewähren. Auch ich habe keine erfahren. Mich hat Hagen von Tronje so tief verletzt. Eine Aussöhnung ist ganz unmöglich, solange ich lebe«)
 
Daraufhin lässt sie den Festsaal an allen Ecken anzünden. Sie nimmt es in Kauf, dass alle Burgunden, ihre Brüder mitinbegriffen, den Feuertod sterben.
Ihr Drang nach Rache sorgt im weitern Verlauf dafür, dass sie alle ihre Gäste und sich selbst in den Tod stürzt. Sie ist dabei so zügellos, dass sie erneut die Konsequenzen nicht beachtet und deshalb selbst stirbt. In den letzten Versen ist sie unbarmherzig, grausam und wird selbst zur Mörderin. Sie wird von Dietrich von Bern als ''„vâlandinne“'' (Str. 1748) bezeichnet und handelt gnadenlos, denn ''„den sal den hiez dô zünden / daz Etzelen wîp“'' (Str. 2111), obwohl die Burgunden an ihre Vernunft appelieren. Kriemhild agiert als goldgierige Frau, denn sie erwartet, dass die Burgunden ihr den Hort bringen (vgl. Str. 1739-43) und als Hagen meint:
 
''„jâ hân ich des gesworn, / ''
 
''daz ich den hort iht zeige, / die wîle daz si leben / ''
 
''deheiner mîner herren, / sô sól ich in níeméne geben“'' (Str. 2368),
 
(Übers.: Denn ich habe wahrlich geschworen, daß ich den Hort nicht zeige, solange einer meiner Herren lebt. Solange werde ich ihn niemandem geben)
 
lässt sie ihren Bruder köpfen, um ihn zum Reden zu bringen.
Dennoch überwiegt Kriemhilds Liebe zu Siegfried der Liebe zum Gold, wie intern fokalisiert wird, denn
 
''„waere sîn [(der Hort)] tûsent stunde / noch alse vil gewesen, / ''
 
''und solt‘ der herre Sîfrît / gesunder sîn gewesen, / ''
 
''bî im waere Kriemhilt / hendeblôz bestân. / ''
 
''getriuwer wîbes künne / ein helt nie mêr gewan“'' (Str. 1126)
 
(Übers.: Und wäre er tausendmal größer gewesen, Kriemhild wäre gern mit leeren Händen dagestanden, wenn Siegfried noch am Leben geblieben wäre. Niemals hat ein Held eine treuere Frau gehabt.)
 
 
===Fazit===
Zusammenfassend kann man sagen, dass Kriemhild eine schöne und willensstarke Frau ist, welche auf die gegebenen Umstände reagiert und Durchhaltewillen zeigt, obwohl sie zum Spielball der Gewalteskalation und der Untergangsdynamik wird. Ihre strikten Entscheidungen treiben die Handlung voran, doch durch ihre Naivität und ihr teilweise unüberlegtes Handeln führt das schlussendlich zum Untergang der Nibelungen und zu ihrem eigenen Untergang.
--TBartmann 16:51, 26. Aug. 2020 (CEST)
 
=Kriemhild und das Frauenbild des Nibelungenliedes =
Obwohl Kriemhild das Nibelungenlied eröffnet, der Rezipient sie bei ihrer Entwicklung der ''„vil edel magedîn“'' (Str. 1,1) zur Ehefrau von [[Siegfried (Nibelungenlied)| Siegfried]] bis zur Ehe mit Etzel begleitet und die Erzählung mit ihrem Tod abschließt, hat sie als Frau kaum Handlungsspielraum in der höfischen Welt des Nibelungenliedes.[ Freche 1999] Trotzdem wird sie von der Forschung oftmals als zentrale Figur des Nibelungenliedes betitelt und vereint mehrere Motive des Nibelungenliedes in ihrer Entwicklung innerhalb des Epos.[Sattel 2000] Diesen inneren Widerspruch der „Kriemhild“-Figur wird in den nächsten Abschnitten behandelt.
 
==Erzählte strukturelle und diskursive Gewalt im Nibelungenlied==
Inwieweit Frauen im Nibelungenlied keinen Handlungsspielraum haben, lässt sich mit der hierarchischen Geschlechterordnung innerhalb des Nibelungenliedes erklären. Die patriarchal organisierte Gesellschaft des Nibelungenliedes zeigt sich in der dritten Âventiure, in welcher Siegfried in Worms ankommt und um Kriemhild wirbt. Kriemhild zeichnet sich dort und im Verlauf des ersten Teils des Nibelungenlieds als vorbildliche Schwester, Ehefrau und Dame aus, indem sie die gesellschaftliche Rolle einer höfischen Frau erfüllt: sie gehorcht den Anweisungen ihrer Brüder, ist öffentlich passiv, unterstellt sich Siegfried nach ihrer Hochzeit und ist der männerdominierten Welt ''„undertân“'' (Str. 44,4). Innerhalb des ersten Teils werden ihre Qualitäten betont, im öffentlichen Miteinander erfüllt Kriemhild vor allem eine ornamentale Funktion und wird als Objekt der Begierde gesehen:
 
'' „Sô will ich Kriemhilden nehmen, / ''
 
''Die schœnen juncfrouwen         von Burgonden lant, /''
 
''durch ir unmâzen schœne.        Daz ist mir wol bekannt, / ''
 
''nie keiser wart sô rîche, der wolde haben wîp, / ''
 
''im zæme wol ze minnen der rîchen kuneginne lîp." '' (Str. 46, 4 und 47, 1-4)
 
Der Adelsstatus von Kriemhild und ihre Schönheit sind die weiblichen („Qualitäts“-)Merkmale, die sie in ihrer Rolle als höfische Frau bestätigen, wobei ihr Charakter und ihre Persönlichkeit ausgeklammert wird.[Scheuble 2005] Diese Merkmale muss Kriemhild erfüllen, um als attraktiv und hochrangig und edel gelten zu können. Die ''„edel magedîn“''(Str. 1, 1.) wird zum Heiratsobjekt und auf ihre Rolle als adelige Frau reduziert: Statussymbol und gefügige Gattin.
Hier zeigt sich, dass das Geschlecht die Rolle, den Status und die sozialen Beziehungen determiniert.[Ehrismann 2002] Das Geschlecht als soziale Kategorie weist auf die Selbstwahrnehmung und das zu erwartende Verhalten der Figur hin, diese Struktur ist in der festen Geschlechterhierarchie des Nibelungenliedes verankert. Zudem ist bei der Betrachtung der erzählten strukturellen Gewalt gegen Frauen innerhalb des Nibelungenliedes zu beachten, dass diese Geschlechterhierarchie ein binäres Geschlechtersystem ist, dass den Mann an die Spitze dieser Hierarchie stellt.[Freche 1999]
Dieser Geschlechterhierarchie wird durch die „diskursive Gewalt“[Scheuble 2005] gegen Frauen innerhalb des Nibelungenlieds verstärkt. Mit dem Begriff der „diskursiven Gewalt“ ist hier der Umstand gemeint, dass Frauen in der höfischen Literatur entweder durch eine Idealisierung ihrer Weiblichkeit oder durch explizierte Misogynie abgewertet werden. Idealisierung beschreibt hier den Umstand, dass Personen allein auf geschlechtsspezifische Merkmale reduziert werden. Dies findet sich auch bei Beschreibungen Kriemhilds wieder.
Ein Beispiel für die unterschiedlichen Arten von diskursiver Gewalt findet sich bei der Senna, auch [[Der Königinnenstreit)|der Königinnenstreit]] genannt. Der Königinnenstreit handelt inhaltlich den sozialen Rang der Königinnen, welcher sich auf der verbalen Ebene durch den Status ihrer Männer definiert wird. Diese Auseinandersetzung der Frauen findet  an Schauplätzen statt, die im mittelalterlichen Leben eine zentrale Rolle spielten, dem Hof und vor dem Münster. Durch die Kommentare des Nibelungendichters wird jedoch ein zusätzliches Urteil gefällt:  die Erscheinung der Damen, ihre Kleidung und ihr öffentliches Ansehen werden innerhalb des Streites beschrieben. Auch auf dieser Ebene geht Kriemhild, welche den Idealvorstellungen einer höfischen Dame gerecht wird, als Siegerin hervor.
Da die positive Beschreibung Kriemhilds nicht auf ihrer Argumentation und ihrem Verhalten während des Streits aufbauen, sondern lediglich ihre Merkmale als höfische Dame thematisieren, findet hier eine Idealisierung durch den Nibelungendichter statt. 
Bei dem späteren Austausch von Gunther und Siegfried, in welchem sie über die Bestrafung ihrer Frauen sprechen, findet sich die zweite Art der diskursiven Gewalt wieder: explizite Misogynie. Obwohl die Ehemänner aufgrund ihres Werbungsbetrugs bei Brünhild den Streitgrund der Königinnen auslösten, gibt es kein Schuldeingeständnis der Männer. Stattdessen sprechen sie über die „Erziehung“ ihrer Frauen und gehen dieser durch Züchtigung nach.
 
==Normabweichendes Rollenverhalten von Kriemhild und dessen Herkunft==
 
Die Facetten der Kriemhild Figur reichen von der ''"vil edel magedîn"'' (Str. 1,1) bis zur ''"vâlandinne"'' (Str. 1686,4) und tritt auf als gefügige Gattin, als Frau mit Herzensleid und als Rächerin.
Eben diese Entwicklungen gingen mit ihrem normabweichenden Rollenverhalten einher, die sie immer weiter vom literarischen Ideal einer höfischen Dame entfernten.
Um Kriemhild und ihr Abweichen von der Norm zu erfassen, muss der Transfer der germanischen Sage aus der heroischen in die höfische Welt beachtet werden. Das Verhalten Kriemhilds im ersten Teil des Nibelungenliedes als ideales Wesen einer vollkommenen ''"vrouwe"'' entspricht der Norm der höfisch christlich mittelalterlichen Gesellschaft.[Scheuble 2005] Der Nibelungendichter strebte an die germanische Sage in die höfische Welt einzufügen soweit es die Handlung zulässt. Dieser Transfer funktioniert jedoch nicht reibungslos. So äußert sich das Aufeinandertreffen des heroischen Stoffes auf die höfische Gesellschaftsstruktur in den immer weiter eskalierenden Konflikten an den höfischen Schauplätzen. Dies lässt sich auch an der Charakterentwicklung Kriemhilds erkennen. Anfänglich entspricht Kriemhild der Idealvorstellung einer höfischen Dame, welche sich zu einer selbständigen und selbstbewussten Frau entwickelt, die keine Hilfe beim Ausführen ihrer Rache in Anspruch nimmt. Dieser „traditionell maskuline Weg“[ Schaufele 1979] weist auf ihre erlangte Unabhängigkeit hin und fällt aus dem Rahmen des Frauenbildes der höfischen Literatur. Der Nibelungendichtergeht im zweiten Teil von den klar vorgegebenen Rollenbildern der höfischen Literatur bei der Kriemhildfigur zu einem diverser bzw. vielschichtiger angelegten Rollenbild über.
--ARistova/NMünz 22:38, 22. Oktober.2020
 
= Anmerkungen =
<References />
 
= Literaturverzeichnis =
 
*[*Bryan 2013] Bryan, Eric Shane: Indirekt Aggression. A Pragmatic Analysis of the Quarrel of the Queens in Völsungasaga, Þiðreks Saga, and Das Nibelungenlied, in: Neophilologus 97 (2013), S. 349-365.
*[*Curschmann 1992] Curschmann, Michael: Dichter alter maere. Zur Prologstrophe des Nibelungenliedes im Spannungsfeld von mündl. Erzählstruktur und laikaler Schriftkultur, in: Hahn, Gerhard; Ragotzky, Hedda (Hg.): Grundlagen des Verstehens mittelalterlicher Literatur. Literarische Texte und ihr historischer Erkenntniswert, Stuttgart: Kröners Studienbibliothek 1992, S. 55-71.
*[*Gephart 2005] Gephart, Irmgard, Totenklage, ambivalente Bindungen und aufgeschobene Rache, in: ebd. (Hg.): Der Zorn der Nibelungen. Rivalität und Rache im 'Nibelungenlied', Köln; Weimar; Wien: Böhlau Verlag 2005, S. 94-102.
*[*Heinzle 2005] Heinzle, Joachim: Die Nibelungen. Lied und Sage, Darmstadt: Primus Verlag 2005.
*[*Heinzle 2003] Heinzle, Joachim: Die Nibelungensage als Europäische Heldensage, in: Joachim Heinzle, Klaus Klein, Ute Obhof (Hg.): Die Nibelungen. Sage – Epos – Mythos, Wiesbaden: Reichert Verlag, 2003, S. 3-27.
*[*Jönsson 2001] Jönsson, Maren: Verspielte Alternativen im Nibelungenlied, in: Studia Neophilologica 73/2(2001), S. 223-237.
*[*Müller 1998] Müller, Jan-Dirk: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1998.
*[*Lienert 2003] Lienert, Elisabeth: Geschlecht und Gewalt im „Nibelungenlied“, in: ZfdA 132 (2003), S.2-23.
*[*Lienert 2015] Lienert, Elisabeth: Können Helden sich ändern? Starre Muster und flexibles Handeln im ‚Nibelungenlied‘, in: ZfdA 144 (2015), S. 477-491.
*[*Schramm 1965] Schramm, Gottfried: Der Name Kriemhilt, in: ZfdA 94(1965), S. 39-57.
*[*Schroeder 1960] Schroeder, Werner: Die Tragödie Kriemhilts im Nibelungenlied, in: ZfdA 90(1960/61), S. 123-160.
*[*Störmer-Caysa 1999] Störmer-Caysa, Uta: Kriemhilds erste Ehe. Ein Vorschlag zum Verständnis von Siegfrieds Tod im Nibelungenlied, in: Neophilologus 83(1999) S. 93-113.
*[*Wideburg 1993] Wideburg, Laura Bethany Ann: Kriemhild. Demon-Hero-Woman, Washington: UMI 1993.
*[*Schaeufele 1979] Schäufele, Eva: Normabweichendes Rollenverhalten: Die kämpfende Frau in der deutschen Literatur des 12. Und 13. Jahrhunderts,in: Müller, Ulrich, Hundsnurscher, Hans, Sommer, Cornelius (Hgg.):  Göppinger Arbeiten zur Germanistik Nr. 272, Stuttgart 1979, S. 116.
*[*Ehrismann 2002] Ehrismann, Otfrid: Nibelungenlied. Epoche – Werk – Wirkung, München 20022, S. 159.
*[*Freche 1999] Freche, Katharina: Von zweier vrowen bâgen wart vil manic helt verlorn, in: Berger, Günter, Kohl, Stephan, Röcke, Werner (Hgg.): LIR. Anglistische, germanische, romanische Studien - Band 21, Trier 1999, S. 95 und 106.
*[*Sattel 2000] Sattel, Sabine: Das "Nibelungenlied" in der wissenschaftlichen Literatur zwischen 1945 und 1985. Ein Beitrag zur Geschichte der Nibelungenforschung, in: Eropäische Hochschulschrift Bd. 1739 (2000), S. 357.
*[*Scheuble 2005] Scheuble, Robert: Mannes manheit, vrowen meister. Männliche Sozialisation und Formen der Gewalt gegen Frauen im Nibelungenlied und in Wolframs von Eschenbach Parzival, in Kultur, Wissenschaft, Literatur Bd. 6, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/Wien 2005, S. 109, 110 und 119.
*[*Bennewitz 2002] Bennewitz, Ingrid: Zur Konstruktion von Körper und Geschlecht in der Literatur des Mittelalters, in: Benewitz, Ingrid, Kasten, Ingrid (Hgg.): Genderdiskurse und Körperbilder im Mittelalter, Eine Bilanzierung nach Butler und Laquer - Banberger Studien zum Mittelalter Bd. 1, Münster/Hamburg/London 2002, S. 1-10.
*[*Nolte 2002] Nolte, Ann-Katrin: Spiegelung der Kriemhildfigur in der Rezeption des Nibelungenliedes, in: Bennewitz, Ingrid (Hg.): Bamberger Stuiden zum Mittelalter Bd. 4, Münter 2002.
 
== Textausgaben ==
*[*Nibelungenlied 2004] Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch/ Neuhochdeutsch, Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2004.

Aktuelle Version vom 4. Mai 2024, 19:44 Uhr

Frauengestalten nehmen im Nibelungenlied eine besondere Stellung ein, so dominieren sie im ersten und zweiten Teil den Handlungshintergrund, sodass der bedeutende Philologe Werner Schröder sogar von einem „Kriemhiltroman“ spricht.[Schroeder 1960] Kriemhild[1] (mhd. „Kriemhilt“, vgl. Str. 2[2]) ist die zentrale Figur, welche die Handlung des Nibelungenliedes prägt und zugleich als eine der bedeutendsten weiblichen Charaktere der Literatur des deutschen Mittelalters gilt. Kriemhild ist die Schwester der drei Burgundenkönige Gunther, Gernot und Giselher. Sie ist im Laufe des ersten Teils die Gattin von Siegfried bis zu dessen Tod und im zweiten Teil des Nibelungenlieds wird sie zur Frau von Etzel.

In der Rezeption und in der Forschung wird die Figur der Kriemhild auf die unterschiedlichste Art und Weise interpretiert und deswegen keinesfalls einheitlich beurteilt. Dieser Artikel gibt eine kurze Inhaltswiedergabe des Nibelungenliedes, wobei der Fokus auf Kriemhild gelegt wird. Darauf folgt eine Ausarbeitung der Darstellung von Kriemhild im Nibelungenlied. Die folgenden Punkte behandeln Kriemhild als handlungstreibende Person im ersten sowie im zweiten Teil. Es soll zum ersten Teil ebenfalls das Verhältnis zu Siegfried beleuchtet werden. Der abschließende Beitrag befasst sich mit der Rezeption der Kriemhildsfigur im literaturwissenschaftlichen Diskurs, besonders in Bezug darauf, wie mit ihr als weibliche Hauptfigur „umgegangen“ wird.--TBartmann 16:51, 26. Aug. 2020 (CEST)

Kriemhild als handelnde Person im Nibelungenlied (Zusammenfassung)

Bei Kriemhild handelt es sich um die Schwester der in Worms herrschenden Burgundenkönige Gunther, Gernot und Giselher. Ute und Dankrat sind ihre Eltern, von welchen letzterer nach seinem Tod ihren Brüdern den Thron vermachte. Nach einem prophetischen Traum Kriemhilds, in dem zwei Adler einen starken und schönen Falken zerfleischen, kommt der junge Siegfried, ein Thronfolger aus Xanten und Besitzer des Nibelungenhortes, an den Burgunden Hof und wirbt anfangs auf heroische, dann auf höfische Art und Weise um Kriemhild. Um die Hand von Kriemhild zu erhalten, streitet er im Sachsenkrieg für die Burgunden und hilft Gunther tatkräftig und erfolgreich bei seiner Brautwerbung um die heroische Brünhild, indem er sich fälschlicherweise als seinen Dienstmann ausgibt. Seine Unterstützung geht sogar so weit, dass er sie im Ehebett für Gunther bändigen muss und als Trophäe Ring und Gürtel von Brünhild an sich nimmt. Kriemhild und Siegfried reisen in Folge der Hochzeit nach Xanten, wo Siegfried die Krone erhält und Kriemhild knapp zehn Jahre später einen Sohn mit Namen Gunther gebiert.

Einige Zeit später werden die beiden wieder an den Burgundenhof geladen. Dort entzündet sich ein Streit, da auf der einen Seite Brünhild nach wie vor annimmt, dass Siegfried ein Vasall von Gunther sei und auf der anderen Seite Kriemhild durch die Kleinodien darauf schließt, dass ihr Mann Brünhild entehrt hat. Dieser Streit eskaliert, sodass die Burgunden, unter anderem Gunther und der treue Gefolgsmann Hagen, die Ermordung Siegfrieds beschließen und in Folge dessen auch durchführen.

Die Trauer von Kriemhild über Siegfrieds Tod ist tiefgreifend und sie prangert die Schuldigen an, jedoch versöhnt sie sich einige Zeit später wieder mit Gunther. Durch das Erbe des Hortes versucht Kriemhild Gefolgsleute anzuwerben, was jedoch unterbunden wird, da Hagen ihr den Nibelungenhort, welcher ihre Morgengabe bei der Hochzeit mit Siegfried war, raubt und im Rhein versenken lässt.

13 Jahre später wirbt Etzel um Kriemhild und sie reist für die Hochzeit nach Wien und dann weiter nach Etzelburg, wo sie durch die Heirat zur Hunnenkönigin aufsteigt und dem König einen Sohn, Ortlieb, schenkt. Durch eine hinterlistige Einladung reisen die Burgunden mit einem Heer nach Osten und werden am Hof von Etzel empfangen. Als Hagen preisgibt, dass er der Mörder Siegfrieds war, fordert Kriemhild die Hunnenkrieger auf, ihr Leid zu rächen. Infolge eines Überfalls auf die burgundischen Truppen übernehmen die Burgunden die Kontrolle über den Festsaal, aus welchem Kriemhild und Etzel dank Dietrich von Bern, einem Gefolgsmann Etzels, fliehen können. Die folgenden Angriffe auf die Burgunden, welche ebenfalls hohe Verluste der Gegnerseite fordern, dezimieren die Schar, unter anderem auch durch das Anzünden des Festsaals auf Kriemhilds Befehl so weit, dass schließlich nur noch Gunther und Hagen am Leben sind. Diese werden vor Kriemhild geführt und, da die beiden den Ort der Hortversenkung nicht verraten wollen, lässt sie erst Gunther töten und erschlägt anschließend Hagen mit Siegfrieds Schwert selbst. Diese Handlung wird Kriemhild zum Verhängnis, da eine Frauenhand den tapferen Recken getötet hat. Kriemhild wird von Hildebrand erschlagen und zerstückelt. Das Lied endet nach einer Trauerepisode um die gefallenen Recken und die tote Kriemhild.

Die Komplexität ihrer Figur zeigt sich zum einen in der aktiven Handlungsmotivation, welche charakterlich der der Männer entspricht. Zum anderen wird sie im Verlauf des Liedes deutlich, denn Kriemhild wird im ersten Teil als höfische Dame eingeführt, gilt durch den Königinnenstreit und Siegfrieds folgender Ermordung als Bindeglied zwischen den zwei Teilen des Nibelungenlieds und tritt im zweiten Teil als Auslöser der Gewalt durch die hinterlistige Einladung und die Aufforderung zur Rache auf. Das Ende des Nibelungenliedes und der Untergang der Nibelungen ist das Ergebnis dieser Gewalt und eines nicht mehr durch „herkömmliche Riten“ oder durch „männliche Schutzhandlung“ aufhaltbaren Racheakts der maßlosen Zerstörung, welcher nach der Mediävistin Irmgard Gephart durch den Betrug der männlichen Protagonisten entstanden ist. [Gephart 2005:102] Somit geht es bei Kriemhilds Rache um das handlungsbestimmende Prinzip des Nibelungenliedes.[3] Um diesen Wandel zu verstehen, lohnt es sich, die Darstellung von Kriemhild genauer zu betrachten.--TBartmann 16:51, 26. Aug. 2020 (CEST)

Darstellung im Nibelungenlied

In der ersten Aventiure wird Kriemhild als höfische Dame eingeführt, denn sie ist „ein vil édel magedîn, / daz in allen landen / niht schœners mohte sîn [und] si wart ein scœne wîp“ (Str. 2) (Übers.: ein junges Edelfräulein, so schön, wie keine andere auf der Welt. [...] Später wurde sie eine schöne Frau)[4]. Sie ist höfisch gebildet (vgl. Str. 45), weiß sich höfisch zu gebären (vgl. Str. 348, 587, 787), soll Nähen können (Str. 361-3) und auch Reiten (vgl. Str. 1337), was im Mittelalter Eigenschaften einer adeligen Frau waren. Kriemhild hat prophetische Träume (vgl. Str. 13, 921-4) und außerdem eine enge und vertraute Beziehung zu ihrer Mutter, welche ihr unter anderem beim Traumdeuten hilft.[5]

Die Konstruktion des Weiblichen

Kriemhild, die anfangs 16 Jahre alt ist, ist, wie die einleitende Textstelle zeigt, das schönste Mädchen weit und breit und wächst später zu einer schönen Frau heran, welche einen Ritter heiraten soll (vgl. Str. 16). Ihre ästhetische Eigenschaft wird im Laufe des Nibelungenliedes zahlreich betont, wie beispielsweise „âne mâzen schœne“ (Str. 2) und „unmâzen scœne“ (Str. 49), und auch im zweiten Teil bei den Hunnen wird sie u. a. als „Kríemhílt diu scoene“ (Str. 1737) bezeichnet. Als „vil hêrlîchen“ (Str. 281) wird Kriemhild in jener Szene bezeichnet, in welcher Siegfried sich untersterblich in Kriemhild verliebt und ihre Ästhetik mit dem Morgenrot verglichen wird (vgl. Str. 281). Ihre Haut wird als „rôsenrôtiu varwe / vil minneclîchen scein“ (Str. 282) stilisiert und der Erzähler beschreibt auch, dass die Haut „luht‘ ir ûz dem golde“ (Str. 1351). Ihre Kleidung sei außerordentlich, denn sie „was ouch sô gezieret“ (Str. 300), dass sie für viele Krieger eine Augenweide war und vor der Fahrt nach Island werden die edlen Stoffe beschrieben, aus welcher sich die Kleidung zusammensetzt (vgl. Str. 364-366). Allein die Quantität der ästhetischen Betonung und die Versicherungen des Erzählers, dass sie die Schönste ist, zeigt, dass sie äußerlich vollständig ohne Makel ist, wie beispielsweise durch die folgende Textstelle und dem Vergleich mit anderen Frauen bestätigt wird:

„Sam der liehte mâne / vor den sternen stât, /

des scîn sô lûterliche / ab den wolken gât,/

dem stuont si nu gelîche / vor maneger frouwen guot" (Str. 283)

(Übers.:Wie der helle Mond die Sterne überstrahlt, dessen Schein klar aus den Wolken tritt, genauso stand sie vor den vielen vorzüglichen Damen).

Der Erzähler spricht dadurch, dass er kaum objektive Referenzpunkte zur Schönheit von Kriemhild benennt, ein jeweiliges subjektives Schönheitsideal an, woraus für jeden Lesenden die Schönheit Kriemhilds als Begriff entsteht, der an ein Maximum heranreichen soll, wie folgendes Beispiel zeigt:

„Ob iemen wünscen solde, / der kunde niht gejen, /

daz er ze dirre werlde / het iht scoeners gesehen“(Str. 282)

(Übers.: Wenn jemand sich hätte etwas wünschen dürfen, so hätte er nicht behaupten können, auf der Welt jemals etwas Schöneres gesehen zu haben).

Jedoch wird bereits in der ersten Aventiure Kriemhilds Schönheit durch eine Prolepse (vgl. Str. 19) mit Leid verknüpft und nach der Germanistin Elisabeth Lienert korrelieren somit Schönheit und Gewalt, und über die Schönheit und durch die Minne stehen zugleich auch Weiblichkeit und Gewalt in einem Zusammenhang.[Lienert 2003:7]

Verhalten

Kriemhilds Verhalten ist dem Hofe angepasst, denn sie ist fromm, ruhig und besonnen (vgl. Str. 15, 17f, u.a.), aber auch mädchenhaft (vgl. Str. 615) und neugierig, da sie „durch diu venster“ (Str. 133) schaut, um die Welt zu entdecken. Da sie als Prinzessin fest in die Heiratspolitik des Mittelalters integriert ist, zeigt sie ihre unschuldige und naive Jugendlichkeit dadurch, dass sie vorerst „âne recken mínne […] immer sîn“ (Str. 15) will. Jedoch verwirft sie diesen Gedanken als sie Siegfried zum ersten Mal sieht, denn sie braucht keinen anderen Zeitvertreib, als ihm zuzuschauen (vgl. Str. 133) und verliebt sich in diesen (vgl. Str. 292-4).

Ihre unschuldige Kindheit endet mit der Hochzeit, indem sie fordert, dass ihr „suln ê mine brüeder / teilen mit diu lant“ (Str. 691) und sie nach Macht und Besitz strebt. Siegfried spricht sich dagegen aus und auch Hagen will nicht als Gefolgsmann mit ihr gehen (Str. 694-9). Dass Kriemhild als Einzige auf ihrer Mitgift beharrt, sich sogar offen gegen Siegfrieds Entscheidung auflehnt und meint, dass es „umb Búrgónden degene / sô lîht‘ ez niht enstât, / si müg‘ ein künic gerne / füeren in sîn lant“ (Str. 696) (Übers.: [Wenn Ihr auf meinen Ländereien verzichtet habt], so geht dies mit den burgundischen Lehnsleuten allerdings nicht so einfach. Denn sie kann ein König, wenn er will, mit sich in sein Land nehmen), zeigt den Wandel von Naivität zu selbstmächtigem Auftreten sowie eine gewisse Gerissenheit.

Die stolze Kriemhild

Die Zeit, die während ihrer und Siegfrieds Abwesenheit vergeht, verändert Kriemhild, denn sie kommt nach der Einladung als stolze Frau zurück, welche zuvor noch schlichtend, aber dann provokativ und impulsiv im Königinnenstreit agiert.[Bryan 2013: 360-3] Das wird daran deutlich, dass sie anfangs Siegfried über Gunther stellt, indem sie sagt, dass er „tíwerr danne sî / Gunther mîn bruider, der viel edel man“ (Str. 824) und sich als Spitze des burgundischen Hofes sieht(vgl. Str. 829). Kriemhild kündigt auf gleiche Weise provokant an, dass sie vorhat, Brünhild zu demütigen, indem sie vor ihr in das Münster eintreten will. Darüber hinaus beschuldigt sie Brünhild während der Eskalation des Streits als „mannes kebse“ (Str. 839) und zieht vor Brünhild ins Münster ein, was im Mittelalter unverzeihliche Provokationen sind. Durch das Demonstrieren des Ringes und des Gürtels (vgl. Str. 847-50) wird ihr unbedachtes Handeln erneut deutlich, da sie damit Brünhilds Ehre verletzt und direkt Siegfrieds Ansehen gefährdet und die Konsequenzen ihres Handelns vernachlässigt. [6] Auf indirekte Weise besiegelt sie somit auch Siegfrieds Schicksal. Dass sie die belastenden Beweise mit sich führt, ist entweder ein Bruch in der logischen Zusammensetzung des Nibelungenliedes oder es ist ein Indiz dafür, dass Kriemhild auf eine gewisse Provokation aus gewesen sein muss. Ihr unüberlegtes Handeln und ihre Naivität werden an folgender Stelle erneut überdeutlich, als sie

„mit kleinen sîden / nae ich [(Kriemhild)] ûf sîn gewant /

ein tougenlîchez kriuze. / dâ sol, helt, dîn [(Hagens)] hant /

den mînen man behüeten, / so ez an die herte gât, /

swenn‘ er in den stürmen / vor sînen vîánden stât." (Str. 904)

(Übers.: Mit kleinen Seidenstichen nähe ich auf sein Gewand ein kaum sichtbares Kreuz. Dort soll deine Hand, treuer Held, meinen Mann beschützen, wenn es Ernst wird, also immer dann, wenn er im Sturm vor seinen Feinden steht).

Die trauernde Kriemhild

Mit Siegfrieds Tod entsteht ein weiterer Wandel von Kriemhilds Darstellung im Nibelungenlied, denn aus dem einst jungen und frommen Mädchen und später der gerissenen und stolzen Frau wird eine trauernde und rachsüchtige Witwe.[Lienert 2015:478] Die Passage als Kriemhild von Siegfried Abschied nimmt und vor seinem Grab zusammenbricht:

„dô truoc man sie von dannen; / sine kúnde niht gegân. /

dô vant man sinnelôse / daz hêrlîche wîp. /

vor leide möht‘ ersterben / der ir vil wünneclîcher lîp" (Str. 1070)

(Übers.: Man trug Kriemhild weg; denn sie konnte nicht gehen. Die herrliche Frau wurde ohnmächtig. Vor Schmerz hätte ihr wundervoller Körper sterben können), zeigt Kriemhilds Trauer allzu deutlich, sie trauert so sehr, dass „es was ein michel wunder, / daz si ie genas“ (Str. 1067) und „daz blout ir ûz dem munde / von herzen jâmer brast“ (Str. 1010).

Deutlich wird, dass überwiegend bei Kriemhild eine innere Fokalisierung vom Erzähler angewendet wird, denn nur bei ihr wird der Umschwung von Freude über Sorge zu Leid deutlich, ersichtlich wird dies daran, dass sie sich den fatalen Folgen des Geheimnisverrats von Siegfrieds Verwundbarkeit bewusst wird (vgl. Str. 920, 1008).[Lienert 2015: 480] Durch die Bahrprobe bestätigt sich ihre Ahnung, wer ihren Mann ermordet hat und vermutlich durch das Eingeständnis an ihrer Mitschuld am Tod kümmert sie sich auch nicht mehr um ihr ästhetisches Erscheinungsbild, denn

„Kríemhílt diu hêre / und vil trûréc gemuot, /

[ … ] in der wæte, / die si álle tage truoc. /

dâ bî truoc ir gesinde / rîcher kléidér genuoc." (Str. 1225)

(Übers.: Die stolze Kriemhild, sehr traurig in Gedanken, [...] in dem Gewand, dass sie täglich trug; dagegen hatte ihr Hofstaat die prächtigsten Kleider angelegt).

Joachim Heinzle meint, durch die vorangegangene Passage werde deutlich, dass die Trauer echt ist und anhält.[Heinzle 2005:81] Nach Siegfrieds Tod wird Kriemhild vom Erzähler mit Attributen der Trauer versehen („jâmerhafte“ (Str. 1014), „manegiu leit“ (Str. 1208), „vil trûréc gemout“ (Str. 1225) und als „arme Kriemhild“ bezeichnet, was zeigt, dass sie noch nicht bereit für eine neue Heirat ist, da

„klagen unde weinen / mir immer zæme baz. /

wi sold‘ ich [(Kriemhild)] vor recken / dâ ze hove gân? /

wart mîn lîp ie schoene, / des bin ich âné getân" (Str. 1245)

(Übers.: Klagen und weinen würden stets besser zu mir passen. Wie sollte ich vor die Männer am Hofe hintreten? Bin ich jemals schön gewesen, so ist dies lange her).

„Si was im getriuwe, des ir diu meiste menige giht“ (Str. 1142) lautet der Erzählerkommentar am Ende der 19. Aventiure, was ebenfalls auf Kriemhilds Trauer und ihre Liebe zu Siegfried hindeutet.

Ein weiterer Aspekt wird im zweiten Teil des Nibelungenlieds deutlich, denn sie erwähnt ihren Sohn in Xanten nicht und reist auch nicht dorthin, was zeigt, dass sie nicht als besonders mütterlich gelten kann. Die Mediävistin Uta Störmer-Caysa versucht das Problem zu lösen, denn sie zeigt auf, dass es für den Sohn und die Thronfolge in Xanten wichtig sei, dass Kriemhild nicht im Weg steht.[Störmer-Caysa 1999] Dennoch trauert sie auch während ihrer Zeit am Hunnenhof täglich um Siegfried, wie Dietrich von Bern den Burgunden berichtet (Str. 1730). Dieses Phänomen könnte aber auf der anderen Seite auch das Ergebnis der Komposition zweier Lieder mit unterschiedlicher Vorlage sein und an den in der Forschung diskutierten Prozess von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit anknüpfen.[7]

Rache

Als Hagen ihr den Hort raubt, bricht er Kriemhild endgültig, da ihr der Drang nach Rache voerst verwehrt wird. Erst als die Möglichkeit der Heirat mit Etzel aufkommt, erblüht sie wieder scheinbar und sie kümmerte sich erneut um ihr äußerliches Auftreten, denn „Ûf ructe si ir gebende“ (Str. 1351), da in ihr ein Racheplan Gestalt annimmt. Somit kehren erst nach vielen Jahren am Hof in Worms ihre prächtigen Kleider in Folge der Werbung Etzels wieder zurück. Bei Etzels Brautwerbung wird noch einmal ihr frommer, aber auch berechnender Charakter deutlich, denn

„het ich [(Kriemhild)] daz vernommen, /

daz er [(Etzel)] niht waere ein heiden, / sô wold‘ ich gerne komen, /

swar er hete willen, / und naem‘ in z’einem man“ (Str. 1261)

(Übers.: Wüßte ich nur, daß er kein Heide wäre, so würde ich gern überall, wohin er wünschte kommen und ihn zum Gemahl nehmen).

Aber dies lässt darauf schließen, dass Kriemhild Etzel schlussendlich vorrangig wegen der Rache heiratet, denn ihre Frömmigkeit widerspricht dieser Handlung. Dennoch zeigt sie nach außen hin ein rollenkonformes Verhalten bei der Vermählung mit Etzel und übertüncht somit ihr Leid. Kriemhild versucht das Bild einer fröhlichen Königin zu wahren, um ihren Racheplan in die Tat umzusetzen. Immer wieder wird sie an ihr Leid erinnert und versucht durch ihr höfisches Verhalten die Trauer zu überspielen. Ihr Racheplan wird durch die Tatsache beflügelt, dass Kriemhild sich immer mehr als Königin in den Landen Etzels etabliert. Ihr wird bewusst, dass sie in ihrem neuen Reich über unbegrenzte macht verfügt, und sich niemand ihrem Willen widersetzt.

„Nu het si wol erkunnen, / daz ir niemen widerstuont, /

alsô noch fursten wîbe küneges recken tuont, /

unt daz si alle zite zwelf künige vor ir sach. /

si gedâht ouch maniger leide, der ir dâ heime geschach“ (Str. 1391)

(Übers.: Inzwischen hatte sie festgestellt, dass niemand sich ihr widersetzte, wie sich auch heute noch die Recken eines Königs gegenüber der Gemahlin des Fürsten zu verhalten pflegen, und dass sie stets zwölf Könige dienstbereit in der Umgebung vorfand. Sie dachte auch an das viele Leid, das ihr zu Hause geschehen war.)

Sie ist bereit ihren Gemahlen Etzel zu täuschen und seine Macht zu missbrauchen, um ihre Rache an Hagen auszuüben. Ihr ist wichtig, dass die eingeladenen Burgunden nicht mitbekommen, dass sie nach sieben Jahren immer noch um Siegfried trauert. Kriemhild versucht durch List und Täuschung ihr gesamtes Umfeld für ihre Zwecke auszunutzen. Die Boten, die die Einladung an die Burgunden übermitteln sollen, bekommen aufgrund dessen einen Sonderauftrag:

„Unde swaz ir mîner friunde immer muget gesehen, /

ze Wormez bî dme Rîne, den sult ir nihit verjehen, /

daz ir noch nie gesæhet betrüebet mînen muot, /“ (Str. 1415).

(Übers.: Keinem, den Ihr von meinen Verwandten in Worms am Rhein trefft, sollt Ihr sagen, Ihr hätte mich jemals traurig gesehen.)

Als die Burgunden am Etzelhof antreffen kommt es zu direkten Provokationen zwischen Hagen und Kriemhild. Hagen und die Burgunden haben Kriemhilds List bereits durch die Warnung Dietrichs durchschaut. Kriemhild ärgert sich sehr, jedoch kennt sie die Fähigkeiten ihrer Feinde sehr gut und vermeidet vorerst impulsive Entscheidungen. Ihr ist bewusst, dass sie hinterhältig agieren muss, um der Stärke ihrer Feinde entgegen zu wirken.

Kriemhilds Hinterlist wird deutlich, als sie ihren Männern befiehlt, die Burgunden im Schlaf zu überfallen. Ihr ist jedes Mittel recht, um ihre Rache auszuüben. Dabei ist es ihr egal, ob dies ehrenvoll oder hinterlistig geschieht. Ihr Plan wird durch die Nachtwache von Volker und Hagen vereitelt.

Die Königin wird immer überheblicher und agiert daraufhin immer impulsiver. Dies wird deutlich, als Kriemhild Etzels Bruder Blödel dazu überredet ihre Rache an den Burgunden auszuüben. Dankward überlebt als Einziger den Angriff und warnt die restlichen Burgunden im Saal. Hagen tötet daraufhin im Affekt Kriemhilds und Etzels Sohn Ortlieb. Die Situation eskaliert. Kriemhild ist es von nun an nur noch wichtig ihre Rache zu bekommen, und diesbezüglich lange genug zu überleben.

Hagen schafft es immer wieder Kriemhild aus der Reserve zu locken. Sie macht ihren Feinden und Verbündeten deutlich, welche Macht und Mittel sie besitzt, um ihre Rache auszuüben.

„Si sprach: »der mir Tronege Hagen slüge /

unde mir sîn houbet her für mich trüege, /

dem fult ich rôtes goldes dn Etzeln rant. /

dar zuo gæbe ich im ze miete vil guote bürge unde lant.«“ (Str. 2025)

(Übers.: Sie sagte: »Wer mir Hagen von Tronje erschlüge und mir seinen Kopf brächte, dem füllte ich Etzels Schild bis zum Rand mit rotem Gold. Dazu würde ich ihm viele gute Burgen und Länder als Belohnung übergeben.«)

Wie sehr sich Kriemhild in ihren Rachegedanken verloren hat wird deutlich, als Giselher sie fragt, wieso er dieses Leid verdient hat, obwohl er ihr immer treu verbunden gewesen ist.

„»Ine mac iu nihit genâden. / ungenâde ich hân. /

mir hât von Tronege Hagen sô grôziu leit getân. /

ez ist vil unversüenet, / di wîl ich hân den lîp. /

ir müezet es alle entgelten«“ (Str. 2103)

(Übers.: »Ich kann Euch keine Gnade gewähren. Auch ich habe keine erfahren. Mich hat Hagen von Tronje so tief verletzt. Eine Aussöhnung ist ganz unmöglich, solange ich lebe«)

Daraufhin lässt sie den Festsaal an allen Ecken anzünden. Sie nimmt es in Kauf, dass alle Burgunden, ihre Brüder mitinbegriffen, den Feuertod sterben. Ihr Drang nach Rache sorgt im weitern Verlauf dafür, dass sie alle ihre Gäste und sich selbst in den Tod stürzt. Sie ist dabei so zügellos, dass sie erneut die Konsequenzen nicht beachtet und deshalb selbst stirbt. In den letzten Versen ist sie unbarmherzig, grausam und wird selbst zur Mörderin. Sie wird von Dietrich von Bern als „vâlandinne“ (Str. 1748) bezeichnet und handelt gnadenlos, denn „den sal den hiez dô zünden / daz Etzelen wîp“ (Str. 2111), obwohl die Burgunden an ihre Vernunft appelieren. Kriemhild agiert als goldgierige Frau, denn sie erwartet, dass die Burgunden ihr den Hort bringen (vgl. Str. 1739-43) und als Hagen meint:

„jâ hân ich des gesworn, /

daz ich den hort iht zeige, / die wîle daz si leben /

deheiner mîner herren, / sô sól ich in níeméne geben“ (Str. 2368),

(Übers.: Denn ich habe wahrlich geschworen, daß ich den Hort nicht zeige, solange einer meiner Herren lebt. Solange werde ich ihn niemandem geben)

lässt sie ihren Bruder köpfen, um ihn zum Reden zu bringen. Dennoch überwiegt Kriemhilds Liebe zu Siegfried der Liebe zum Gold, wie intern fokalisiert wird, denn

„waere sîn [(der Hort)] tûsent stunde / noch alse vil gewesen, /

und solt‘ der herre Sîfrît / gesunder sîn gewesen, /

bî im waere Kriemhilt / hendeblôz bestân. /

getriuwer wîbes künne / ein helt nie mêr gewan“ (Str. 1126)

(Übers.: Und wäre er tausendmal größer gewesen, Kriemhild wäre gern mit leeren Händen dagestanden, wenn Siegfried noch am Leben geblieben wäre. Niemals hat ein Held eine treuere Frau gehabt.)


Fazit

Zusammenfassend kann man sagen, dass Kriemhild eine schöne und willensstarke Frau ist, welche auf die gegebenen Umstände reagiert und Durchhaltewillen zeigt, obwohl sie zum Spielball der Gewalteskalation und der Untergangsdynamik wird. Ihre strikten Entscheidungen treiben die Handlung voran, doch durch ihre Naivität und ihr teilweise unüberlegtes Handeln führt das schlussendlich zum Untergang der Nibelungen und zu ihrem eigenen Untergang. --TBartmann 16:51, 26. Aug. 2020 (CEST)

Kriemhild und das Frauenbild des Nibelungenliedes

Obwohl Kriemhild das Nibelungenlied eröffnet, der Rezipient sie bei ihrer Entwicklung der „vil edel magedîn“ (Str. 1,1) zur Ehefrau von Siegfried bis zur Ehe mit Etzel begleitet und die Erzählung mit ihrem Tod abschließt, hat sie als Frau kaum Handlungsspielraum in der höfischen Welt des Nibelungenliedes.[ Freche 1999] Trotzdem wird sie von der Forschung oftmals als zentrale Figur des Nibelungenliedes betitelt und vereint mehrere Motive des Nibelungenliedes in ihrer Entwicklung innerhalb des Epos.[Sattel 2000] Diesen inneren Widerspruch der „Kriemhild“-Figur wird in den nächsten Abschnitten behandelt.

Erzählte strukturelle und diskursive Gewalt im Nibelungenlied

Inwieweit Frauen im Nibelungenlied keinen Handlungsspielraum haben, lässt sich mit der hierarchischen Geschlechterordnung innerhalb des Nibelungenliedes erklären. Die patriarchal organisierte Gesellschaft des Nibelungenliedes zeigt sich in der dritten Âventiure, in welcher Siegfried in Worms ankommt und um Kriemhild wirbt. Kriemhild zeichnet sich dort und im Verlauf des ersten Teils des Nibelungenlieds als vorbildliche Schwester, Ehefrau und Dame aus, indem sie die gesellschaftliche Rolle einer höfischen Frau erfüllt: sie gehorcht den Anweisungen ihrer Brüder, ist öffentlich passiv, unterstellt sich Siegfried nach ihrer Hochzeit und ist der männerdominierten Welt „undertân“ (Str. 44,4). Innerhalb des ersten Teils werden ihre Qualitäten betont, im öffentlichen Miteinander erfüllt Kriemhild vor allem eine ornamentale Funktion und wird als Objekt der Begierde gesehen:

„Sô will ich Kriemhilden nehmen, /

Die schœnen juncfrouwen von Burgonden lant, /

durch ir unmâzen schœne. Daz ist mir wol bekannt, /

nie keiser wart sô rîche, der wolde haben wîp, /

im zæme wol ze minnen der rîchen kuneginne lîp." (Str. 46, 4 und 47, 1-4)

Der Adelsstatus von Kriemhild und ihre Schönheit sind die weiblichen („Qualitäts“-)Merkmale, die sie in ihrer Rolle als höfische Frau bestätigen, wobei ihr Charakter und ihre Persönlichkeit ausgeklammert wird.[Scheuble 2005] Diese Merkmale muss Kriemhild erfüllen, um als attraktiv und hochrangig und edel gelten zu können. Die „edel magedîn“(Str. 1, 1.) wird zum Heiratsobjekt und auf ihre Rolle als adelige Frau reduziert: Statussymbol und gefügige Gattin. Hier zeigt sich, dass das Geschlecht die Rolle, den Status und die sozialen Beziehungen determiniert.[Ehrismann 2002] Das Geschlecht als soziale Kategorie weist auf die Selbstwahrnehmung und das zu erwartende Verhalten der Figur hin, diese Struktur ist in der festen Geschlechterhierarchie des Nibelungenliedes verankert. Zudem ist bei der Betrachtung der erzählten strukturellen Gewalt gegen Frauen innerhalb des Nibelungenliedes zu beachten, dass diese Geschlechterhierarchie ein binäres Geschlechtersystem ist, dass den Mann an die Spitze dieser Hierarchie stellt.[Freche 1999] Dieser Geschlechterhierarchie wird durch die „diskursive Gewalt“[Scheuble 2005] gegen Frauen innerhalb des Nibelungenlieds verstärkt. Mit dem Begriff der „diskursiven Gewalt“ ist hier der Umstand gemeint, dass Frauen in der höfischen Literatur entweder durch eine Idealisierung ihrer Weiblichkeit oder durch explizierte Misogynie abgewertet werden. Idealisierung beschreibt hier den Umstand, dass Personen allein auf geschlechtsspezifische Merkmale reduziert werden. Dies findet sich auch bei Beschreibungen Kriemhilds wieder. Ein Beispiel für die unterschiedlichen Arten von diskursiver Gewalt findet sich bei der Senna, auch der Königinnenstreit genannt. Der Königinnenstreit handelt inhaltlich den sozialen Rang der Königinnen, welcher sich auf der verbalen Ebene durch den Status ihrer Männer definiert wird. Diese Auseinandersetzung der Frauen findet an Schauplätzen statt, die im mittelalterlichen Leben eine zentrale Rolle spielten, dem Hof und vor dem Münster. Durch die Kommentare des Nibelungendichters wird jedoch ein zusätzliches Urteil gefällt: die Erscheinung der Damen, ihre Kleidung und ihr öffentliches Ansehen werden innerhalb des Streites beschrieben. Auch auf dieser Ebene geht Kriemhild, welche den Idealvorstellungen einer höfischen Dame gerecht wird, als Siegerin hervor. Da die positive Beschreibung Kriemhilds nicht auf ihrer Argumentation und ihrem Verhalten während des Streits aufbauen, sondern lediglich ihre Merkmale als höfische Dame thematisieren, findet hier eine Idealisierung durch den Nibelungendichter statt. Bei dem späteren Austausch von Gunther und Siegfried, in welchem sie über die Bestrafung ihrer Frauen sprechen, findet sich die zweite Art der diskursiven Gewalt wieder: explizite Misogynie. Obwohl die Ehemänner aufgrund ihres Werbungsbetrugs bei Brünhild den Streitgrund der Königinnen auslösten, gibt es kein Schuldeingeständnis der Männer. Stattdessen sprechen sie über die „Erziehung“ ihrer Frauen und gehen dieser durch Züchtigung nach.

Normabweichendes Rollenverhalten von Kriemhild und dessen Herkunft

Die Facetten der Kriemhild Figur reichen von der "vil edel magedîn" (Str. 1,1) bis zur "vâlandinne" (Str. 1686,4) und tritt auf als gefügige Gattin, als Frau mit Herzensleid und als Rächerin. Eben diese Entwicklungen gingen mit ihrem normabweichenden Rollenverhalten einher, die sie immer weiter vom literarischen Ideal einer höfischen Dame entfernten. Um Kriemhild und ihr Abweichen von der Norm zu erfassen, muss der Transfer der germanischen Sage aus der heroischen in die höfische Welt beachtet werden. Das Verhalten Kriemhilds im ersten Teil des Nibelungenliedes als ideales Wesen einer vollkommenen "vrouwe" entspricht der Norm der höfisch christlich mittelalterlichen Gesellschaft.[Scheuble 2005] Der Nibelungendichter strebte an die germanische Sage in die höfische Welt einzufügen soweit es die Handlung zulässt. Dieser Transfer funktioniert jedoch nicht reibungslos. So äußert sich das Aufeinandertreffen des heroischen Stoffes auf die höfische Gesellschaftsstruktur in den immer weiter eskalierenden Konflikten an den höfischen Schauplätzen. Dies lässt sich auch an der Charakterentwicklung Kriemhilds erkennen. Anfänglich entspricht Kriemhild der Idealvorstellung einer höfischen Dame, welche sich zu einer selbständigen und selbstbewussten Frau entwickelt, die keine Hilfe beim Ausführen ihrer Rache in Anspruch nimmt. Dieser „traditionell maskuline Weg“[ Schaufele 1979] weist auf ihre erlangte Unabhängigkeit hin und fällt aus dem Rahmen des Frauenbildes der höfischen Literatur. Der Nibelungendichtergeht im zweiten Teil von den klar vorgegebenen Rollenbildern der höfischen Literatur bei der Kriemhildfigur zu einem diverser bzw. vielschichtiger angelegten Rollenbild über. --ARistova/NMünz 22:38, 22. Oktober.2020

Anmerkungen

  1. Zur etymologischen Namensherkunft und Varianten im Sagenstoff vgl.[Schramm 1965].
  2. In diesem Artikel wird die gängige Zitation in Strophenform nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor, welche von Siegfried Grosse ins neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert wurde, verwendet, vgl. hierzu [Nibelungenlied 2004].
  3. Inwiefern die Figuren des Nibelungenlieds den Spielregeln unterworfen sind, diskutieren [Lienert 2015],[Jönsson 2001] und [Müller 1998].
  4. Im folgenden wird bei den Übersetzungen nach Siegfried Grosse übersetzt, vgl. [Nibelungenlied 2004].
  5. Wideburg führt das in seiner Dissertation ausführlich aus und versucht einen Einblick in die Rezeption der damaligen Gesellschaft zu geben, vgl. [Wideburg 1993].
  6. Vgl. [Störmer-Caysa 1999].
  7. Vgl. u.a. [Curschmann 1992] und [Heinzle 2003].

Literaturverzeichnis

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  • [*Heinzle 2003] Heinzle, Joachim: Die Nibelungensage als Europäische Heldensage, in: Joachim Heinzle, Klaus Klein, Ute Obhof (Hg.): Die Nibelungen. Sage – Epos – Mythos, Wiesbaden: Reichert Verlag, 2003, S. 3-27.
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  • [*Lienert 2015] Lienert, Elisabeth: Können Helden sich ändern? Starre Muster und flexibles Handeln im ‚Nibelungenlied‘, in: ZfdA 144 (2015), S. 477-491.
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Textausgaben

  • [*Nibelungenlied 2004] Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch/ Neuhochdeutsch, Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2004.