Keie (Wolfram von Eschenbach, Parzival): Unterschied zwischen den Versionen
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Eindeutig ist, dass Keie auch hier einen negativen Eindruck hinterlässt. Er löst durch die Bestrafung Cunnewâres ein schlechts Gewissen bei Parzivâl aus, da dieser sich für das Leiden der Dame verantwortlich fühlt. Keie ist bis zu diesem Zeitpunkt der Geschichte folglich ein rücksichtsloser, brutaler und "missbräuchlicher Seneschall". [Gowans 1988: 1] | Eindeutig ist, dass Keie auch hier einen negativen Eindruck hinterlässt. Er löst durch die Bestrafung Cunnewâres ein schlechts Gewissen bei Parzivâl aus, da dieser sich für das Leiden der Dame verantwortlich fühlt. Keie ist bis zu diesem Zeitpunkt der Geschichte folglich ein rücksichtsloser, brutaler und "missbräuchlicher Seneschall". [Gowans 1988: 1] | ||
Keie scheint in dieser Szene darüber hinaus die Funktion eines Gegenpols zu Parzivâl zu haben. Dass er Cunnewâre bestraft, weil sie einen seiner Meinung nach Unhöfischen als edelsten Ritter ausgewählt hat, widerspricht selbst der höfischen Norm. "Er selbst als Vertreter des Höfischen [wird] durch sein Handeln als der Nicht-Höfische hingestellt. Ironischerweise vertritt er also gerade die Rolle, die er bekämpfen will;" [Nyholm 1997: 230] Parzivâl hat zwar kein höfisches Auftreten und keine ritterliche Erziehung genossen, dennoch ist | Keie scheint in dieser Szene darüber hinaus die Funktion eines Gegenpols zu Parzivâl zu haben. Dass er Cunnewâre bestraft, weil sie einen seiner Meinung nach Unhöfischen als edelsten Ritter ausgewählt hat, widerspricht selbst der höfischen Norm. "Er selbst als Vertreter des Höfischen [wird] durch sein Handeln als der Nicht-Höfische hingestellt. Ironischerweise vertritt er also gerade die Rolle, die er bekämpfen will;" [Nyholm 1997: 230] Parzivâl hat zwar kein höfisches Auftreten und keine ritterliche Erziehung genossen, dennoch erkennt Cunnewâre den edlen Charakter des Parzival, der seinem tölpelhaften Auftreten entgegensteht. Die Tugend des Parzival, die sich im weiteren Verlauf des Romans abzeichnet, ist vorbildhaft für den ungerechten Keie. | ||
====Wolframs Beurteilung Keies==== | ====Wolframs Beurteilung Keies==== |
Version vom 5. Juni 2012, 14:22 Uhr
Gegenstand dieses Artikels ist die Nebenfigur Keie (Keye) aus Wolframs von Eschenbach "Parzival". Neben der Darstellung zentraler Charaktereigenschaften von Keie, bietet der folgende Text auch eine tiefergehende Analyse der Figur.
Um eine angemessene Charakterisierung vornehmen zu können, ist es nicht unwichtig zu erwähnen, dass die Figur des Keie nicht nur im Parzival auftritt, sondern vielmehr eine Sagengestalt ist, die in mehreren Werken der mittelalterlichen Literatur zu finden ist. So zum Beispiel im "Iwein" von Hartmann von Aue (siehe hier) oder in Heinrichs von dem Türlin "Diu Crône".
Charakterisierung
Keies Rat
Keie ist Teil des Artushofs und bekleidet dort das höfische Amt des Truchsessen (oder auch Seneschalls), ihm unterliegt somit die Verwaltung des königlichen Haushalts.
Keie erscheint ohne weitere Erläuterung zu seiner Person erstmals in 150, 13 [1] , kurz nachdem Parzivâl König Artûs um die Rüstung Ithêrs bittet. Artûs verweigert Parzivâl zunächst seine Bitte, lässt sich dann jedoch von Keie umstimmen. Letzterer argumentiert geschickt, dass sowieso jemand den von Ithêr entwendeten Becher zurückholen muss. Jedoch ist Keie sich gleichzeitig bewusst, dass er den noch unerfahrenen Parzivâl unter Umständen in den Tod schickt, wenn er ihn Ithêrs Rüstung fordern lässt. [Bumke 2004: 59] Keie erscheint aus diesem Grund hier als hartherziger und manipulativer Berater Artûs. Indem der König dem Rat seines Truchsessen folgt, zeigt sich ferner, dass Keie "für Artûs von besonderer Wichtigkeit" ist. [Gowans 1988: 1]
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Keie in diesem kurzen Abschnitt nicht nur als berechnend und skrupellos, sondern auch als als ein gerissener Manipulator auftritt, welcher auf Artûs Entscheidungen Einfluss zu haben scheint. Joachim Bumke fasst treffend zusammen: "Das große Wort führt am Hof der bösartige Truchseß Keie." [Bumke 2004: 59]
Bestrafung Cunnewâres
Cunnewâre, eine Dame des Artûshofs, lächelt Parzivâl überraschenderweise zu, denn von ihr wird gesagt, dass sie ihr Lachen nur demjenigen schenkt, "der höchsten Ruhm auf Erden hätte" (151, 17). Keie beurteilt dies als in höchstem Maße schandhaft für die Dame und schlägt diese daraufhin als Strafe. (Näheres zu dieser Szene hier). Dies scheint niemanden am Artushof zu empören, obgleich Cunnewâre eine Fürstin ist. (Näheres dazu hier unter 3.2). Keie fungiert an dieser Stelle als "Wahrer einer [...] patriarchal strukturierten Ordnung", [Scheuble 2005: 315] für deren Aufrechterhaltung Züchtigungen in Kauf genommen werden.
Eindeutig ist, dass Keie auch hier einen negativen Eindruck hinterlässt. Er löst durch die Bestrafung Cunnewâres ein schlechts Gewissen bei Parzivâl aus, da dieser sich für das Leiden der Dame verantwortlich fühlt. Keie ist bis zu diesem Zeitpunkt der Geschichte folglich ein rücksichtsloser, brutaler und "missbräuchlicher Seneschall". [Gowans 1988: 1]
Keie scheint in dieser Szene darüber hinaus die Funktion eines Gegenpols zu Parzivâl zu haben. Dass er Cunnewâre bestraft, weil sie einen seiner Meinung nach Unhöfischen als edelsten Ritter ausgewählt hat, widerspricht selbst der höfischen Norm. "Er selbst als Vertreter des Höfischen [wird] durch sein Handeln als der Nicht-Höfische hingestellt. Ironischerweise vertritt er also gerade die Rolle, die er bekämpfen will;" [Nyholm 1997: 230] Parzivâl hat zwar kein höfisches Auftreten und keine ritterliche Erziehung genossen, dennoch erkennt Cunnewâre den edlen Charakter des Parzival, der seinem tölpelhaften Auftreten entgegensteht. Die Tugend des Parzival, die sich im weiteren Verlauf des Romans abzeichnet, ist vorbildhaft für den ungerechten Keie.
Wolframs Beurteilung Keies
Der Kommentar von Wolfram ab 296, 13 zu Keies Persönlichkeit kommt überraschend, wenn man die bisherigen Auftritte Keies berücksichtigt. Der Truchsess, bisher vor allem durch Gewalt und Härte aufgefallen, wird plötzlich vom Autor verteidigt als "treuer und tapferer Mann" (296, 24), der stets ehrenvoll handelt. Wolfram unternimmt hier eine Milderung der negativen Züge Keies. [Scheuble 2005: 321] Dies steht in krassem Gegensatz zu der früheren Bemerkung des Autors, in der er Keies Handeln als "verkehrt und unrecht" (222, 9) verurteilt.
Wolfram betont darüberhinaus, dass Keie für den Artushof von großem Nutzen ist, gerade wegen seiner groben Art, welche ihn befähigt Feinde und Verräter zu entlarven.
Wolfram wertet Keies Fähigkeiten als Truchsess sehr hoch, da er als Erzähler im Parzival bei der Beschreibung des Hofes des Landgrafen Hermann von Thüringen sagt, dass dem Landgrafen ein fähiger Mann wie Keie am Hofe fehle: von Düringen fürste Herman, etslîch dîn ingesinde ich maz, dazûzgesinde hieze baz. Dir waere och eines Keien nôt, sît wâriu milte dir bebôt sô manecvalten anehanc, etswâ smaehlîch gedranc ut etswâ (297, 16-23).
Analyse
Es stellt sich die Frage, ob Keie nun als ein Schurke oder doch als ehrenvoller Mann anzusehen ist. Auffallend ist, dass in anderen Werken des Mittelalters fast durchgehend ein negatives Bild von Keie vorherrscht. [Baisch 2003: 150] Beispielsweise schreibt Chrétien de Troyes im "Yvain": "Und Keu, der sehr zänkisch, bösartig, scharfzüngig und verletztend war...". [de Troyes um 1170: 19] Hinter diesem Hintergrund erscheint Wolframs Einschätzung provokativ und wie ein bewusster Versuch, sich mit seiner "starken persönlichen Verteidigung" Keies [Gowans 1988: 96] von anderen Werken zu distanzieren. (Distanzierung auch an anderen Stellen, interner Link noch setzen).
Das Hinzuziehen von weiterer Literatur, in der Keie eine Rolle spielt, besonders jedoch ein Vergleich mit Chrétien de Troyes "Perceval" (Vorlage Wolframs) löst den scheinbaren Widerspruch in der Darstellung Keies in "Parzival" auf. Denn schon bei den vermeindlich negativen Auftritten Keies zu Beginn lässt sich eine "Milderungs-Tendenz" [Haupt: 1971: 49] Wolframs entdecken. So hat der Autor die Kritik, die der König Artûs im "Perceval" an Keie übt, völlig weggelassen. [Haupt 1971: 51] Darüber hinaus betont Wolfram mehrmals das Amt von Keie, welches ihn zur Wahrung der höfischen Ordnung durchaus berechtigt. Die Bestrafung Cunnewâres beispielswiese geschieht in diesem Licht "der Courtoise zuliebe" (218, 30). Der Autor fügt "neue[], "pädagogische[]" Akzente[]" hinzu, indem er Keie als am Hof "extrem nützlich" [Gowans 1988: 96] darstellt: Indem Keie eine gute Beobachtungsgabe bezüglich der Ehrlichkeit von Fremden hat (207, 5 ff.), ist Keie für Artûs unverzichtbar und eben nicht nur ein Störenfried. Wolfram führt an, dass Keie meistens zu Recht Grobheit an den Tag legt und somit oft den König deckt (297, 8) oder Verräter entlarvt (297, 10).
Fazit
Es lässt sich feststellen, dass Keies Darstellung in "Parzival" auf den ersten Blick widersprüchlich ist: Es entsteht zunächst ein negativer Eindruck Keies, dem dann aber eine vehemente Verteidigung durch den Autor gegenübertritt. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass Keies gerissene und zumeist ungehobelte Art von Wolfram als nicht negativ beurteilt wird, sondern dass er die Figur vielmehr als ein unabdingbarer Bestandteil des Artushof sieht, die diesem mit seiner Wesensart oft eine große Hilfe ist. Seine Gewalttaten kann Keie im "Parzival" zumeist "durch seine Aufgabe als Hofmarschall" rechtfertigen. [Scheuble 2005: 321] Es entsteht der Eindruck, dass Wolfram mit seiner Figur Keie "exemplarisch [...] die Notwendigkeit einer tüchtigen Aufsicht bei Hofe beweisen will". [Haupt 1971:53]
Wolfram unternimmt im "Parzival" eine "charakterliche Aufwertung Keies" [Scheuble 2005: 322] und distanziert sich damit allem voran von der Vorlage von Chrétien de Troyes.
Quellennachweise
<HarvardReferences /> [*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36). <HarvardReferences /> [*Gowans 1988] Gowans, Linda: Cei and the Arthurian legend. Cambridge: Brewer, 1988. <HarvardReferences /> [*Scheuble 2005] Scheuble, Robert: mannes manheit, vrouwen meister. Männliche Sozialisation und Formen der Gewalt gegen Frauen im Nibelungenlied und in Wolframs von Eschenbach Prazival. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Wien [u.a.]: Lang, 2005. <HarvardReferences /> [*Baisch 2003]Aventiuren des Geschlechts. Modelle von Männlichkeit in der Literatur des 13. Jahrhunderts. <HarvardReferences /> [*de Troyes um 1170] de Troyes, Chrétien: Yvain. Übers. und eingel. von Ilse Nolting-Hauff. München: Fink, 1983. <HarvardReferences /> [*Haupt 1971] Haupt, Jürgen: Der Truchseß Keie im Artusroman. Berlin: Schmidt, 1971. <HarvardReferences /> [*Nyholm 1997] Kurt Nyholm: Warum lacht Cunnewâre? Überlegungen zu Parzival 151, 11-19. In: Kleine Beiträge zur Germanistik. Festschrift für John Evert Härd. Hrsg.: Andersson Bo und Müller, Gernot. Uppsala 1997. S. 223-237.
- ↑ Alle Textstellen-Angaben aus Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.