Kampf- und Todesdarstellungen im Parzival: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 29. Februar 2016, 16:23 Uhr
Der Artikel beschäftigt sich mit Darstellung, Ablauf und Spannungsaufbau der heldenepischen Einzelkämpfe im Parzival[1].
Kampfschilderungen
Wolfram von Eschenbach baut im Parzival, typisch für einen höfischen Roman, sehr stark auf heldenepische Einzelkampfsituationen und deren Inszenierung. Diese folgen meist dem klassischen Aufbau und können grob in drei Abschnitte unterteilt werden: Den ersten Teil bildet die Vorrede in der sich die beiden Kontrahenten oft in einem Wortwechsel gegenüberstehen oder ihre Ausstattung, wie zum Beispiel besondere Schwerter (Parzival) oder Rüstungen (Feirefiz), näher erläutert wird. Gerade der Verweis auf die bereits erstrittene Ehre der beiden Parteien trägt maßgeblich zum Spannungsaufbau bei. Die Einleitung soll den Rezipienten also auf standardisierten Bahnen auf die eigentliche Auseinandersetzung vorbereiten. Diese Auseinandersetzung bildet den zweiten Abschnitt und besteht aus der Tjost Situation. Nur in Einzelfällen wird hierbei der genaue Ablauf explizit dargestellt. Wenn dies der Fall ist, werden aber zumeist nur Schilde durchschlagen. Zu gravierenden Verletzungen, die auch im Detail beschrieben werden, kommt es nur in Schlüsselduellen des Romans. Bei der Verwundung Anfortas' handelt es sich um eine solche:
Original | Übersetzung |
---|---|
[…] mit einem gelupten sper | Mit einem vergifteten Speer |
wart er ze tjostieren wunt, | wurde er beim Tjostieren verwundet, |
sô daz er nimmer mêr gesunt | so daß er niemals wieder gesund werden konnte, |
wart, der süeze oeheim dîn, | dein lieber Oheim: |
durch die heidruose sîn. | das Eisen fuhr ihm durch den Hoden. (V. 479,8 – 479,12) |
Hier wird explizit der Stich durch den Hoden erwähnt, der den Gralskönig verwundet hat. Ähnliche Beschreibungen finden sich auch bei der Schilderung des Kampfes zwischen Lischoys Gwelljus und Urjâns, an dessen Ende die Lanze „durch mînen [Urjâns] schilt und durch den lîp [fuhr]“ (V. 507,7). Die daraus resultierenden Verletzungen werden ebenfalls thematisiert und sind letztendlich ausschlaggebend für Gâwâns Begegnung mit Orgelûse.
In der Regel benutzt Wolfram aber eher verknappende Formulierungen wie "man hôrt diu sper dâ krachen/ reht als es waere ein wolken rîz" (V. 378,10 – 11) oder "manc werder man entsetzet/ hinters ors ûfn acker" (V. 379,24 – 25), um den Tjost darzustellen. Der eigentliche Höhepunkt der Duelle fällt mit wenigen Versen eher kurz aus. Entscheidender ist der darauffolgende dritte Abschnitt. Dieser ist nicht in allen Kampfschilderungen gleichermaßen vorhanden, macht aber, wenn es ihn gibt, den inhaltlich umfangreichsten Teil aus. Ist der Kampf nämlich beendet, setzt eine Art „Nachspiel“ ein in dem Sieger und Besiegter miteinander interagieren. In einem Gespräch wird dem Unterlegenen hierbei meistens ein Gelübde oder Versprechen abgenommen, zu dessen Erfüllung ihn die ritterliche Ehre zwingt. Die Selbstverständlichkeit mit der Konflikte zunächst gewaltsam gelöst werden, lässt sich in die Systemtheorie Luhmanns einordnen, in der Gewalt ein Hilfsmittel für die Machtkommunikation darstellt. Der Kampf dient also als symbiotisches Symbol des symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums Macht.[Horster 2005: vgl. S. 141] Als solches dient es zur Überbrückung diverser Konflikte, die durch die Rückkommunikation von Ablehnung entstehen.[Luhmann 2003: vgl. S. 5] Ist der Konflikt gelöst worden, wird der Kampf umgehend in ein Machtgefüge umgewandelt, welches auf den höfischen Normen von Treue und Gehorsam basiert. Parzival setzt einige seiner besiegten Gegner als Boten ein. Diese fühlen sich dem Machthabenden aufgrund ihrer Niederlage verpflichtet und führen seine Befehle aus. Dabei ist wichtig, dass Parzivals Macht im Beispiel nicht durch Zwang, sondern das Bestehen von Wahlmöglichkeiten generiert wird. Nur wenn der Machtunterworfene (Ego) aus verschiedenen Optionen die Eine wählt, die Parzival (Alter) erwartet, wird seine Macht bestätigt.[Luhmann 2003: vgl. S. 8] Eine Steigerung der Wahlmöglichkeiten geht dabei, gemäß Luhmann, automatisch mit einer Steigerung der Macht einher.[Luhmann 2003: vgl. S. 9]
Weitere heldenepische Elemente
Am Beispiel des X. Buches lässt sich sehr gut zeigen, auf welche heldenepischen Elemente Wolfram sonst noch zurückgreift. Diese sind vor allem für die Darstellung und den Rahmen der Kämpfe von Bedeutung. Der gesamte Roman kann in einen epischen Vorder- und Hintergrund unterteilt werden.[Mohr 1979] Konkret bedeutet dies, dass erst der im Hintergrund abgelaufene Tjost zwischen Urjans und Lischoys Gwelljus zur Begegnung von Gawan und Orgeluse führt. Damit wird auch gleichzeitig der Kampf zwischen Gawan und Lischoys Gwelljus vorbereitet. Für den Rezipienten steht zu diesem Zeitpunkt fest, dass es zur Konfrontation kommen wird. Lediglich das Wann ist noch nicht klar. Hier spielt Wolfram geschickt mit dem heldenepischen Spannungsaufbau. Zunächst trifft Gawan, anders als erwartet, ohne einen Kampf bestreiten zu müssen auf Orgeluse (gleiches gilt auch für Parzivals erste Ankunft auf der Gralsburg).[Mohr 1979: vgl. S. 143.] Erst später, nachdem Urjans Gawans Pferd geraubt hat, kommt es zur Auseinandersetzung mit Lischoys Gwelljus, die dadurch recht ungünstig für Gawan beginnt. Entscheidend ist hier allerdings das epische Motiv des „Wiedererkennens“, das im Parzival eine prominente Rolle spielt. Nachdem Gawan nämlich siegreich aus dem Kampf hervorgeht, der den drei oben eingeführten Stadien des epischen Kampfes grob entspricht, erkennt er das erbeutete Pferd als sein eigenes wieder. Der Rezipient wird hierbei auf die Handlung im epischen Hintergrund verwiesen. Demnach muss der Dieb Urjans noch einmal auf Lischoys Gwelljus getroffen sein, nachdem er das Pferd Gawans gestohlen hat. Ein weiterer Kampf wird impliziert aber nicht erwähnt, ebenso Urjans Tod.[2]
Auch an anderer Stelle finden sich Hinweise auf heldenepisches Erzählen. So ist Parzival beispielsweise immer Teil der Hintergrundhandlung der Gawan Episoden und motiviert diese stellenweise auch. Im VII. Buch findet man zudem einen Vorgriff bzw. die Andeutung des Duells zwischen Parzival und Gawan[3], welches erst im XIV. Buch stattfindet.[Mohr 1979: vgl. S. 145.]
Todesdarstellungen und Sterbeszenen
Dem oben genannten, stehen vereinzelte Todessequenzen gegenüber in denen eine Umwandlung in ein Machtverhältnis entweder nicht möglich ist oder von vorneherein durch verschiedene Faktoren ausgeschlossen wird. Beispiele dafür sind unter anderem der Tod von Gahmuret und Ithêr. Bei beiden ist einerseits auffällig, dass ihre Todesumstände verhältnismäßig ausführlich sowie recht explizit beschrieben werden und andererseits starke Parallelen im Ablauf aufweisen.
Gahmurets Tod:
Original | Übersetzung |
---|---|
sînen [Gahmurets] helm versneit des spers ort | In seinen Helm schnitt sich die Spitze des Speers |
durch sîn houbet wart gebort, | durchbohrte sein Haupt, |
daz man den trunzûn drinne vant. | dass man den abgebrochenen Schaft drin stecken fand. |
iedoch gesaz der wîgant, | Doch blieb der Held im Sattel; |
al töunde er ûz dem strîte reit | schon sterbend ritt er aus der Schlacht |
ûf einen plân, die was breit. | auf ein weites Feld. (V. 106,15 – 20) |
Parzivals Vater Gahmuret stirbt hier einen tragischen, aber ritterlichen Tod. Er wird im Tjost von einem gegnerischen Standesgenossen, durch dessen Lanze, tödlich verwundet. Dabei zeichnet sich der heidnische Kontrahent zwar durch sein unritterliches Verhalten aus, denn der tödliche Stoß durch den Helm gelingt nur aufgrund einer List bzw. eines bösen Zaubers, aber Gahmurets Ehre bleibt unberührt. Anders als im Willehalm findet hier keine Zerstörung des Körpers nach dem Tod statt.[4] Die Verletzung des Kopfes bleibt für Gahmuret jedoch ebenso problematisch wie für Ither, allerdings wird dies durch die Tatsache abgemildert, dass ihm die tödliche Wunde von einem Ritter zugefügt wird. Zusätzlich dazu bleibt er auch nach der Verwundung noch im Sattel, während Ither tot zu Boden fällt. Die Fallhöhe des Sturzes markiert, zusammen mit den anderen Umständen, symbolisch den Verlust der ritterlichen Ehre, die sich Gahmuret bewahren kann. Die explizite Formulierung scheint zunächst verwunderlich, betrachtet man die Kampfdarstellungen auf den gesamten Roman bezogen. Selbst bei anderen Todesszenen kommt es meist zur verknappenden Beschreibung oder sie werden, wie sich am Beispiel Urjans gezeigt hat, in ihrem Ausmaße gleich ganz der Interpretation des Rezipienten überlassen. Der Grund hierfür scheint einerseits der Kontrast zum nachfolgenden Tod Ithers zu sein, in welchen nicht zufällig Gahmurets Sohn Parzival verwickelt ist, andererseits soll das unritterliche Verhalten des heidnischen Fürsten angeprangert werden.
Ithers Tod:
Original | Übersetzung |
---|---|
dâ der helm unt diu barbier | Dort, wo der Helm und die Barbiere |
sich locheten ob dem härsnier, | über der Haube ein Loch offenließen: |
durchz ouge in sneitdez gabylôt, | durchs Auge drang mit scharfem Schnitt der Spieß |
unt durch den nac, sô daz er [Ithêr] tôt | und kam beim Nacken heraus. |
viel, valscheit widersatz. | So fiel er tot nieder, der Falschheit Feind. (V. 155,7 – 11) |
Auch Ither stirbt recht explizit an einem Speer, der sich durch seinen Helm und Kopf bohrt. Was hier jedoch wie eine Gemeinsamkeit mit der Darstellung von Gahmurets Ableben erscheint, stellt gerade den größten Unterschied dar. Parzival bedient sich im Kampf nämlich nicht dem ritterlichen Waffenarsenal, sondern verwendet den gabylôt, einen Wurfspeer, der eher als bäuerliche Waffe angesehen werden kann.[Haas 1963: vgl. S. 80.] Da es sich bei Parzival zu diesem Zeitpunkt noch nicht um einen Ritter handelt, ist der Kampf von vorneherein als asymmetrisch zu werten. Ein Jüngling in Narrenkleidern, steht hier einem etablierten Mitglied des Artushofes gegenüber, das nicht nur von den Damen geschätzt wird, sondern bereits große Ehre erstritten hat. Indem Ither also auf die oben zitierte Weise stirbt, wird ihm ein standesgemäßer Tod verwehrt, was mit dem Verlust von persönlicher Ehre einhergeht. Dies macht einerseits die Schuld Parzivals noch größer, zeigt aber gleichzeitig auch, wie unterschiedlich sich Szenen mit nahezu identischem Ablauf in der höfischen Welt auswirken können.
Interessant ist hierbei auch die Tatsache, dass die äußere Schönheit immer auch Zeichen von göttlicher Zuwendung ist und einen Ausdruck der ständischen Ehre darstellt. Über Ithers Körperlichkeit ist nur wenig bekannt. Man erfährt einzig: "blanc was sîn vel, rôt was sîn hâr" (V. 146,3). Da sich Ither aber vor allem als Minneritter ausgezeichnet hat, fällt die Zerstörung seines Gesichts gleich doppelt ins Gewicht.
Ein weiterer Kontrast stellt Parzivals Zorn dar. Dieses klassische Element des heldenepischen Kampfes entspringt hier nicht einem als gerecht angesehenen Ursprung, wie dies beispielsweise im Rolandslied der Fall ist, sondern ist einzig Ausdruck von Parzivals tumpheit.
Fazit
Welchen Zweck erfüllen die expliziten Gewaltdarstellungen nun innerhalb des Textes? Anders als im Rolandslied, das die Gewalt im Krieg der Christen gegen die Heiden durchgehend recht großzügig ausformuliert, stellt dies im Parzival eher die Ausnahme dar. Gerade dadurch soll der Rezipient auf verschiedene Schlüsselpunkte des Romans aufmerksam gemacht werden.[5] Am Beispiel Anfortas wird zudem ersichtlich, dass die ausführliche Beschreibung der Folgen eines Kampfes, als Markierung einer göttliche Strafe verstanden werden kann. Gewalt dient also nicht dem reinen Selbstzweck.
Betrachtet man das Konzept von epischem Vordergrund und Hintergrund wird deutlich, dass die Ither-Szene die einzige Todesdarstellung ist, welche in der vordergründigen Handlung stattfindet. Alle Anderen, auch die von Parzivals Vater Gahmuret, bilden lediglich hintergründige Rahmenhandlungen, die den Hauptstrang bedingen. Warum ist das so? Da es sich bei Parzival um die Hauptfigur des Werkes handelt, wird die Ither-Szene dementsprechend vordergründig in der Handlung fokussiert. Ziel Wolframs scheint es zu sein, den Rezipienten auf die Unterschiede im Gleichen aufmerksam zu machen und so den Kontrast der oben verglichenen Todesszenen noch stärker herauszuarbeiten. Dies kann aber nur gelingen, wenn die Szenen auch explizit ausformuliert sind, da die sonst übliche, verknappende Beschreibung nur wenige Vergleichspunkte bieten würde. Die Tragweite von Parzivals Verfehlung wird zusätzlich noch durch die Tatsache erweitert, dass es sich bei Ither um einen Verwandten handelt. Ein Detail, das der Gahmuret-Szene ebenfalls fehlt.[6] Diese hat dafür mit ihrer ganz eigenen Problematik zu kämpfen, nämlich dem unritterlichen Verhalten eines Standesgenossen. Ohne dieses, daran lässt der Text keinen Zweifel, wäre es nie zum tödlichen Stoß gekommen. Daraus jedoch abzuleiten, dass nur die heidnischen Ritter zu ehrlosem Verhalten neigen, wäre falsch, wie das Beispiel Urjans auf christlicher Seite mit seinem Pferdediebstahl mehr als deutlich zeigt.
Es ist abschließend festzuhalten, dass in den beiden Beispielen große persönliche Verfehlungen deutlich gemacht werden sollen. Die verwandtschaftliche Verknüpfung bietet dafür eine weitere Ebene der Unterscheidung. Während die Verfehlung im Falle Gahmurets noch von außen in die Sippe getragen wird, findet sie beim Kampf zwischen Parzival und Ither in deren Inneren statt und erschüttert sie dadurch gleich doppelt.[7]
Anmerkungen
- ↑ Im Folgenden stets zitierte Ausgabe: [Parzival].
- ↑ Eine andere Möglichkeit, wie das Pferd in Lischoys' Besitz übergegangen sein könnte gibt es nicht.
- ↑ Parzival und Gawan kämpfen auf unterschiedlichen Seiten, "verpassen" sich aber knapp.
- ↑ Im Kampf Willehalms gegen Arofel wird letzterer nach seinem Tod entkleidet, enthauptet und der wibe dienst gekrenket (V. 81,18).
- ↑ Siehe Anfortas' oder Urjans' Handlungsstrang etc.
- ↑ Episches Motiv des Verwandtenkampfes. Dieses gipfelt später im Bruderkampf zwischen Parzival und Feirefiz, endet aber, die Ither Handlung kontrastierend, nicht tödlich.
- ↑ Genaueres dazu im Artikel Kämpfe mit Verwandten im Parzival - Zerstörung dynastischer Identität ?
Literaturnachweis
Textausgabe
<Harvardreferences /> [*Parzival]Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok. 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
Sekundärliteratur
<Harvardreferences />
[*Haas 1963]Haas, Alois M.: Parzivals tumpheit bei Wolfram von Eschenbach. Berlin 1963.
[*Horster 2005]Horster, Detlef: Niklas Luhmann. 2. Aufl., München 2005.
[*Luhmann 2003]Luhmann, Niklas: Macht. 3. Aufl., Stuttgart 2003.
[*Mohr 1979]Mohr, Wolfgang: Zu den epischen Hintergründen in Wolframs 'Parzival'. In: Müller, Ulrich/ Hundsnurscher, Franz/ Sommer, Cornelius (Hg.): Wolfram von Eschenbach. Aufsätze von Wolfgang Mohr. Göppingen 1979, S. 138 - 151.