Kriemhild (Nibelungenlied): Unterschied zwischen den Versionen
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*[*Bryan 2013] Bryan, Eric Shane: Indirekt Aggression. A Pragmatic Analysis of the Quarrel of the Queens in Völsungasaga, Þiðreks Saga, and Das Nibelungenlied, in: Neophilologus 97 (2013), S. 349-365. | *[*Bryan 2013] Bryan, Eric Shane: Indirekt Aggression. A Pragmatic Analysis of the Quarrel of the Queens in Völsungasaga, Þiðreks Saga, and Das Nibelungenlied, in: Neophilologus 97 (2013), S. 349-365. | ||
*[*Curschmann 1992] Curschmann, Michael: Dichter alter maere. Zur Prologstrophe des Nibelungenliedes im Spannungsfeld von mündl. Erzählstruktur und laikaler Schriftkultur, in: Gerhard | *[*Curschmann 1992] Curschmann, Michael: Dichter alter maere. Zur Prologstrophe des Nibelungenliedes im Spannungsfeld von mündl. Erzählstruktur und laikaler Schriftkultur, in: Hahn, Gerhard; Ragotzky, Hedda (Hg.): Grundlagen des Verstehens mittelalterlicher Literatur. Literarische Texte und ihr historischer Erkenntniswert, Stuttgart: Kröners Studienbibliothek 1992, S. 55-71. | ||
*[*Gephart 2005] Gephart, Irmgard, Totenklage, ambivalente Bindungen und aufgeschobene Rache, in: ebd. (Hg.): Der Zorn der Nibelungen. Rivalität und Rache im 'Nibelungenlied', Köln; Weimar; Wien: Böhlau Verlag 2005, S. 94-102. | *[*Gephart 2005] Gephart, Irmgard, Totenklage, ambivalente Bindungen und aufgeschobene Rache, in: ebd. (Hg.): Der Zorn der Nibelungen. Rivalität und Rache im 'Nibelungenlied', Köln; Weimar; Wien: Böhlau Verlag 2005, S. 94-102. | ||
*[*Heinzle 2005] Heinzle, Joachim: Die Nibelungen. Lied und Sage, Darmstadt: Primus Verlag 2005. | *[*Heinzle 2005] Heinzle, Joachim: Die Nibelungen. Lied und Sage, Darmstadt: Primus Verlag 2005. |
Version vom 27. August 2020, 15:09 Uhr
Frauengestalten nehmen im Nibelungenlied eine besondere Stellung ein, so dominieren sie im ersten und zweiten Teil den Handlungshintergrund, sodass der bedeutende Philologe Werner Schröder sogar von einem „Kriemhiltroman“ spricht.[Schroeder 1960] Kriemhild[1] (mhd. „Kriemhilt“, vgl. Str. 2[2]) ist die zentrale Figur, welche die Handlung des Nibelungenliedes prägt und zugleich als eine der bedeutendsten weiblichen Charaktere der Literatur des deutschen Mittelalters gilt. Kriemhild ist die Schwester der drei Burgundenkönige Gunther, Gernot und Giselher. Sie ist im Laufe des ersten Teils die Gattin von Siegfried bis zu dessen Tod und im zweiten Teil des Nibelungenlieds wird sie zur Frau von Etzel.
In der Rezeption und in der Forschung wird die Figur der Kriemhild auf die unterschiedlichste Art und Weise interpretiert und deswegen keinesfalls einheitlich beurteilt. Dieser Artikel gibt eine kurze Inhaltswiedergabe des Nibelungenliedes, wobei der Fokus auf Kriemhild gelegt wird. Darauf folgt eine Ausarbeitung der Darstellung von Kriemhild im Nibelungenlied. Die folgenden Punkte behandeln Kriemhild als handlungstreibende Person im ersten sowie im zweiten Teil. Es soll zum ersten Teil ebenfalls das Verhältnis zu Siegfried beleuchtet werden. Der abschließende Beitrag befasst sich mit der Rezeption der Kriemhildsfigur im literaturwissenschaftlichen Diskurs, besonders in Bezug darauf, wie mit ihr als weibliche Hauptfigur „umgegangen“ wird.--TBartmann 16:51, 26. Aug. 2020 (CEST)
Kriemhild als handelnde Person im Nibelungenlied (Zusammenfassung)
Bei Kriemhild handelt es sich um die Schwester der in Worms herrschenden Burgundenkönige Gunther, Gernot und Giselher. Ute und Dankrat sind ihre Eltern, von welchen letzterer nach seinem Tod ihren Brüdern den Thron vermachte. Nach einem prophetischen Traum Kriemhilds, in dem zwei Adler einen starken und schönen Falken zerfleischen, kommt der junge Siegfried, ein Thronfolger aus Xanten und Besitzer des Nibelungenhortes, an den Burgunden Hof und wirbt anfangs auf heroische, dann auf höfische Art und Weise um Kriemhild. Um die Hand von Kriemhild zu erhalten, streitet er im Sachsenkrieg für die Burgunden und hilft Gunther tatkräftig und erfolgreich bei seiner Brautwerbung um die heroische Brünhild, indem er sich fälschlicherweise als seinen Dienstmann ausgibt. Seine Unterstützung geht sogar so weit, dass er sie im Ehebett für Gunther bändigen muss und als Trophäe Ring und Gürtel von Brünhild an sich nimmt. Kriemhild und Siegfried reisen in Folge der Hochzeit nach Xanten, wo Siegfried die Krone erhält und Kriemhild knapp zehn Jahre später einen Sohn mit Namen Gunther gebiert.
Einige Zeit später werden die beiden wieder an den Burgundenhof geladen. Dort entzündet sich ein Streit, da auf der einen Seite Brünhild nach wie vor annimmt, dass Siegfried ein Vasall von Gunther sei und auf der anderen Seite Kriemhild durch die Kleinodien darauf schließt, dass ihr Mann Brünhild entehrt hat. Dieser Streit eskaliert, sodass die Burgunden, unter anderem Gunther und der treue Gefolgsmann Hagen, die Ermordung Siegfrieds beschließen und in Folge dessen auch durchführen.
Die Trauer von Kriemhild über Siegfrieds Tod ist tiefgreifend und sie prangert die Schuldigen an, jedoch versöhnt sie sich einige Zeit später wieder mit Gunther. Durch das Erbe des Hortes versucht Kriemhild Gefolgsleute anzuwerben, was jedoch unterbunden wird, da Hagen ihr den Nibelungenhort, welcher ihre Morgengabe bei der Hochzeit mit Siegfried war, raubt und im Rhein versenken lässt.
13 Jahre später wirbt Etzel um Kriemhild und sie reist für die Hochzeit nach Wien und dann weiter nach Etzelburg, wo sie durch die Heirat zur Hunnenkönigin aufsteigt und dem König einen Sohn, Ortlieb, schenkt. Durch eine hinterlistige Einladung reisen die Burgunden mit einem Heer nach Osten und werden am Hof von Etzel empfangen. Als Hagen preisgibt, dass er der Mörder Siegfrieds war, fordert Kriemhild die Hunnenkrieger auf, ihr Leid zu rächen. Infolge eines Überfalls auf die burgundischen Truppen übernehmen die Burgunden die Kontrolle über den Festsaal, aus welchem Kriemhild und Etzel dank Dietrich von Bern, einem Gefolgsmann Etzels, fliehen können. Die folgenden Angriffe auf die Burgunden, welche ebenfalls hohe Verluste der Gegnerseite fordern, dezimieren die Schar, unter anderem auch durch das Anzünden des Festsaals auf Kriemhilds Befehl so weit, dass schließlich nur noch Gunther und Hagen am Leben sind. Diese werden vor Kriemhild geführt und, da die beiden den Ort der Hortversenkung nicht verraten wollen, lässt sie erst Gunther töten und erschlägt anschließend Hagen mit Siegfrieds Schwert selbst. Diese Handlung wird Kriemhild zum Verhängnis, da eine Frauenhand den tapferen Recken getötet hat. Kriemhild wird von Hildebrand erschlagen und zerstückelt. Das Lied endet nach einer Trauerepisode um die gefallenen Recken und die tote Kriemhild.
Die Komplexität ihrer Figur zeigt sich zum einen in der aktiven Handlungsmotivation, welche charakterlich der der Männer entspricht. Zum anderen wird sie im Verlauf des Liedes deutlich, denn Kriemhild wird im ersten Teil als höfische Dame eingeführt, gilt durch den Königinnenstreit und Siegfrieds folgender Ermordung als Bindeglied zwischen den zwei Teilen des Nibelungenlieds und tritt im zweiten Teil als Auslöser der Gewalt durch die hinterlistige Einladung und die Aufforderung zur Rache auf. Das Ende des Nibelungenliedes und der Untergang der Nibelungen ist das Ergebnis dieser Gewalt und eines nicht mehr durch „herkömmliche Riten“ oder durch „männliche Schutzhandlung“ aufhaltbaren Racheakts der maßlosen Zerstörung, welcher nach der Mediävistin Irmgard Gephart durch den Betrug der männlichen Protagonisten entstanden ist. [Gephart 2005:102] Somit geht es bei Kriemhilds Rache um das handlungsbestimmende Prinzip des Nibelungenliedes.[3] Um diesen Wandel zu verstehen, lohnt es sich, die Darstellung von Kriemhild genauer zu betrachten.--TBartmann 16:51, 26. Aug. 2020 (CEST)
Darstellung im Nibelungenlied
In der ersten Aventiure wird Kriemhild als höfische Dame eingeführt, denn sie ist „ein vil édel magedîn, / daz in allen landen / niht schœners mohte sîn [und] si wart ein scœne wîp“ (Str. 2) (Übers.: ein junges Edelfräulein, so schön, wie keine andere auf der Welt. [...] Später wurde sie eine schöne Frau)[4]. Sie ist höfisch gebildet (vgl. Str. 45), weiß sich höfisch zu gebären (vgl. Str. 348, 587, 787), soll Nähen können (Str. 361-3) und auch Reiten (vgl. Str. 1337), was im Mittelalter Eigenschaften einer adeligen Frau waren. Kriemhild hat prophetische Träume (vgl. Str. 13, 921-4) und außerdem eine enge und vertraute Beziehung zu ihrer Mutter, welche ihr unter anderem beim Traumdeuten hilft.[5]
Die Konstruktion des Weiblichen
Kriemhild, die anfangs 16 Jahre alt ist, ist, wie die einleitende Textstelle zeigt, das schönste Mädchen weit und breit und wächst später zu einer schönen Frau heran, welche einen Ritter heiraten soll (vgl. Str. 16). Ihre ästhetische Eigenschaft wird im Laufe des Nibelungenliedes zahlreich betont, wie beispielsweise „âne mâzen schœne“ (Str. 2) und „unmâzen scœne“ (Str. 49), und auch im zweiten Teil bei den Hunnen wird sie u. a. als „Kríemhílt diu scoene“ (Str. 1737) bezeichnet. Als „vil hêrlîchen“ (Str. 281) wird Kriemhild in jener Szene bezeichnet, in welcher Siegfried sich untersterblich in Kriemhild verliebt und ihre Ästhetik mit dem Morgenrot verglichen wird (vgl. Str. 281). Ihre Haut wird als „rôsenrôtiu varwe / vil minneclîchen scein“ (Str. 282) stilisiert und der Erzähler beschreibt auch, dass die Haut „luht‘ ir ûz dem golde“ (Str. 1351). Ihre Kleidung sei außerordentlich, denn sie „was ouch sô gezieret“ (Str. 300), dass sie für viele Krieger eine Augenweide war und vor der Fahrt nach Island werden die edlen Stoffe beschrieben, aus welcher sich die Kleidung zusammensetzt (vgl. Str. 364-366). Allein die Quantität der ästhetischen Betonung und die Versicherungen des Erzählers, dass sie die Schönste ist, zeigt, dass sie äußerlich vollständig ohne Makel ist, wie beispielsweise durch die folgende Textstelle und dem Vergleich mit anderen Frauen bestätigt wird:
„Sam der liehte mâne / vor den sternen stât, /
des scîn sô lûterliche / ab den wolken gât,/
dem stuont si nu gelîche / vor maneger frouwen guot" (Str. 283)
(Übers.:Wie der helle Mond die Sterne überstrahlt, dessen Schein klar aus den Wolken tritt, genauso stand sie vor den vielen vorzüglichen Damen).
Der Erzähler spricht dadurch, dass er kaum objektive Referenzpunkte zur Schönheit von Kriemhild benennt, ein jeweiliges subjektives Schönheitsideal an, woraus für jeden Lesenden die Schönheit Kriemhilds als Begriff entsteht, der an ein Maximum heranreichen soll, wie folgendes Beispiel zeigt:
„Ob iemen wünscen solde, / der kunde niht gejen, /
daz er ze dirre werlde / het iht scoeners gesehen“(Str. 282)
(Übers.: Wenn jemand sich hätte etwas wünschen dürfen, so hätte er nicht behaupten können, auf der Welt jemals etwas Schöneres gesehen zu haben).
Jedoch wird bereits in der ersten Aventiure Kriemhilds Schönheit durch eine Prolepse (vgl. Str. 19) mit Leid verknüpft und nach der Germanistin Elisabeth Lienert korrelieren somit Schönheit und Gewalt, und über die Schönheit und durch die Minne stehen zugleich auch Weiblichkeit und Gewalt in einem Zusammenhang.[Lienert 2003:7]
Verhalten
Kriemhilds Verhalten ist dem Hofe angepasst, denn sie ist fromm, ruhig und besonnen (vgl. Str. 15, 17f, u.a.), aber auch mädchenhaft (vgl. Str. 615) und neugierig, da sie „durch diu venster“ (Str. 133) schaut, um die Welt zu entdecken. Da sie als Prinzessin fest in die Heiratspolitik des Mittelalters integriert ist, zeigt sie ihre unschuldige und naive Jugendlichkeit dadurch, dass sie vorerst „âne recken mínne […] immer sîn“ (Str. 15) will. Jedoch verwirft sie diesen Gedanken als sie Siegfried zum ersten Mal sieht, denn sie braucht keinen anderen Zeitvertreib, als ihm zuzuschauen (vgl. Str. 133) und verliebt sich in diesen (vgl. Str. 292-4).
Ihre unschuldige Kindheit endet mit der Hochzeit, indem sie fordert, dass ihr „suln ê mine brüeder / teilen mit diu lant“ (Str. 691) und sie nach Macht und Besitz strebt. Siegfried spricht sich dagegen aus und auch Hagen will nicht als Gefolgsmann mit ihr gehen (Str. 694-9). Dass Kriemhild als Einzige auf ihrer Mitgift beharrt, sich sogar offen gegen Siegfrieds Entscheidung auflehnt und meint, dass es „umb Búrgónden degene / sô lîht‘ ez niht enstât, / si müg‘ ein künic gerne / füeren in sîn lant“ (Str. 696) (Übers.: [Wenn Ihr auf meinen Ländereien verzichtet habt], so geht dies mit den burgundischen Lehnsleuten allerdings nicht so einfach. Denn sie kann ein König, wenn er will, mit sich in sein Land nehmen), zeigt den Wandel von Naivität zu selbstmächtigem Auftreten sowie eine gewisse Gerissenheit.
Die stolze Kriemhild
Die Zeit, die während ihrer und Siegfrieds Abwesenheit vergeht, verändert Kriemhild, denn sie kommt nach der Einladung als stolze Frau zurück, welche zuvor noch schlichtend, aber dann provokativ und impulsiv im Königinnenstreit agiert.[Bryan 2013: 360-3] Das wird daran deutlich, dass sie anfangs Siegfried über Gunther stellt, indem sie sagt, dass er „tíwerr danne sî / Gunther mîn bruider, der viel edel man“ (Str. 824) und sich als Spitze des burgundischen Hofes sieht(vgl. Str. 829). Kriemhild kündigt auf gleiche Weise provokant an, dass sie vorhat, Brünhild zu demütigen, indem sie vor ihr in das Münster eintreten will. Darüber hinaus beschuldigt sie Brünhild während der Eskalation des Streits als „mannes kebse“ (Str. 839) und zieht vor Brünhild ins Münster ein, was im Mittelalter unverzeihliche Provokationen sind. Durch das Demonstrieren des Ringes und des Gürtels (vgl. Str. 847-50) wird ihr unbedachtes Handeln erneut deutlich, da sie damit Brünhilds Ehre verletzt und direkt Siegfrieds Ansehen gefährdet und die Konsequenzen ihres Handelns vernachlässigt. [6] Auf indirekte Weise besiegelt sie somit auch Siegfrieds Schicksal. Dass sie die belastenden Beweise mit sich führt, ist entweder ein Bruch in der logischen Zusammensetzung des Nibelungenliedes oder es ist ein Indiz dafür, dass Kriemhild auf eine gewisse Provokation aus gewesen sein muss. Ihr unüberlegtes Handeln und ihre Naivität werden an folgender Stelle erneut überdeutlich, als sie
„mit kleinen sîden / nae ich [(Kriemhild)] ûf sîn gewant /
ein tougenlîchez kriuze. / dâ sol, helt, dîn [(Hagens)] hant /
den mînen man behüeten, / so ez an die herte gât, /
swenn‘ er in den stürmen / vor sînen vîánden stât." (Str. 904)
(Übers.: Mit kleinen Seidenstichen nähe ich auf sein Gewand ein kaum sichtbares Kreuz. Dort soll deine Hand, treuer Held, meinen Mann beschützen, wenn es Ernst wird, also immer dann, wenn er im Sturm vor seinen Feinden steht).
Die trauernde Kriemhild
Mit Siegfrieds Tod entsteht ein weiterer Wandel von Kriemhilds Darstellung im Nibelungenlied, denn aus dem einst jungen und frommen Mädchen und später der gerissenen und stolzen Frau wird eine trauernde und rachsüchtige Witwe.[Lienert 2015:478] Die Passage als Kriemhild von Siegfried Abschied nimmt und vor seinem Grab zusammenbricht,
„dô truoc man sie von dannen; / sine kúnde niht gegân. /
dô vant man sinnelôse / daz hêrlîche wîp. /
vor leide möht‘ ersterben / der ir vil wünneclîcher lîp" (Str. 1070)
(Übers.: Man trug Kriemhild weg; denn sie konnte nicht gehen. Die herrliche Frau wurde ohnmächtig. Vor Schmerz hätte ihr wundervoller Körper sterben können), zeigt Kriemhilds Trauer allzu deutlich, sie trauert so sehr, dass „es was ein michel wunder, / daz si ie genas“ (Str. 1067) und „daz blout ir ûz dem munde / von herzen jâmer brast“ (Str. 1010).
Deutlich wird, dass überwiegend bei Kriemhild eine innere Fokalisierung vom Erzähler angewendet wird, denn nur bei ihr wird der Umschwung von Freude über Sorge zu Leid deutlich, ersichtlich wird dies daran, dass sie sich den fatalen Folgen des Geheimnisverrats von Siegfrieds Verwundbarkeit bewusst wird (vgl. Str. 920, 1008).[Lienert 2015: 480] Durch die Bahrprobe bestätigt sich ihre Ahnung, wer ihren Mann ermordet hat und vermutlich durch das Eingeständnis an ihrer Mitschuld am Tod kümmert sie sich auch nicht mehr um ihr ästhetisches Erscheinungsbild, denn
„Kríemhílt diu hêre / und vil trûréc gemuot, /
[ … ] in der wæte, / die si álle tage truoc. /
dâ bî truoc ir gesinde / rîcher kléidér genuoc." (Str. 1225)
(Übers.: Die stolze Kriemhild, sehr traurig in Gedanken, [...] in dem Gewand, dass sie täglich trug; dagegen hatte ihr Hofstaat die prächtigsten Kleider angelegt).
Joachim Heinzle meint, durch die vorangegangene Passage werde deutlich, dass die Trauer echt ist und anhält.[Heinzle 2005:81] Nach Siegfrieds Tod wird Kriemhild vom Erzähler mit Attributen der Trauer versehen („jâmerhafte“ (Str. 1014), „manegiu leit“ (Str. 1208), „vil trûréc gemout“ (Str. 1225) und als „arme Kriemhild“ bezeichnet, was zeigt, dass sie noch nicht bereit für eine neue Heirat ist, da
„klagen unde weinen / mir immer zæme baz. /
wi sold‘ ich [(Kriemhild)] vor recken / dâ ze hove gân? /
wart mîn lîp ie schoene, / des bin ich âné getân" (Str. 1245)
(Übers.: Klagen und weinen würden stets besser zu mir passen. Wie sollte ich vor die Männer am Hofe hintreten? Bin ich jemals schön gewesen, so ist dies lange her).
„Si was im getriuwe, des ir diu meiste menige giht“ (Str. 1142) lautet der Erzählerkommentar am Ende der 19. Aventiure, was ebenfalls auf Kriemhilds Trauer und ihre Liebe zu Siegfried hindeutet.
Ein weiterer Aspekt wird im zweiten Teil des Nibelungenlieds deutlich, denn sie erwähnt ihren Sohn in Xanten nicht und reist auch nicht dorthin, was zeigt, dass sie nicht als besonders mütterlich gelten kann. Die Mediävistin Uta Störmer-Caysa versucht das Problem zu lösen, denn sie zeigt auf, dass es für den Sohn und die Thronfolge in Xanten wichtig sei, dass Kriemhild nicht im Weg steht.[Störmer-Caysa 1999] Dennoch trauert sie auch während ihrer Zeit am Hunnenhof täglich um Siegfried, wie Dietrich von Bern den Burgunden berichtet (Str. 1730). Dieses Phänomen könnte aber auf der anderen Seite auch das Ergebnis der Komposition zweier Lieder mit unterschiedlicher Vorlage sein und an den in der Forschung diskutierten Prozess von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit anknüpfen.[7]
Rache
Als Hagen ihr den Hort raubt, bricht er Kriemhild endgültig, da ihr der Drang nach Rache voerst verwehrt wird. Erst als die Möglichkeit der Heirat mit Etzel aufkommt, erblüht sie wieder scheinbar und sie kümmerte sich erneut um ihr äußerliches Auftreten, denn „Ûf ructe si ir gebende“ (Str. 1351), da in ihr ein Racheplan Gestalt annimmt. Somit kehren erst nach vielen Jahren am Hof in Worms ihre prächtigen Kleider in Folge der Werbung Etzels wieder zurück. Bei Etzels Brautwerbung wird noch einmal ihr frommer, aber auch berechnender Charakter deutlich, denn
„het ich [(Kriemhild)] daz vernommen, /
daz er [(Etzel)] niht waere ein heiden, / sô wold‘ ich gerne komen, /
swar er hete willen, / und naem‘ in z’einem man“ (Str. 1261)
(Übers.: Wüßte ich nur, daß er kein Heide wäre, so würde ich gern überall, wohin er wünschte kommen und ihn zum Gemahl nehmen).
Aber dies lässt darauf schließen, dass Kriemhild Etzel schlussendlich vorrangig wegen der Rache heiratet, denn ihre Frömmigkeit widerspricht dieser Handlung. Dennoch zeigt sie nach außen hin ein rollenkonformes Verhalten bei der Vermählung mit Etzel und übertüncht somit ihr Leid.
Nach einiger Vorbereitung (Rüdiger von Bechelarens Schwur, Bündnisse (vgl. Str. 1323)) und durch die hinterlistige und verräterische Einladung kann sie schließlich ihren Drang nach Rache befriedigen, aber sie ist dabei so zügellos, dass sie erneut die Konsequenzen nicht beachtet und deshalb selbst stirbt. In den letzten Versen ist sie unbarmherzig, grausam und wird selbst zur Mörderin. Sie wird von Dietrich von Bern als „vâlandinne“ (Str. 1748) bezeichnet und handelt gnadenlos, denn „den sal den hiez dô zünden / daz Etzelen wîp“ (Str. 2111), obwohl die Burgunden an ihre Vernunft appelieren. Kriemhild agiert als goldgierige Frau, denn sie erwartet, dass die Burgunden ihr den Hort bringen (vgl. Str. 1739-43) und als Hagen meint:
„jâ hân ich des gesworn, /
daz ich den hort iht zeige, / die wîle daz si leben /
deheiner mîner herren, / sô sól ich in níeméne geben“ (Str. 2368),
(Übers.: Denn ich habe wahrlich geschworen, daß ich den Hort nicht zeige, solange einer meiner Herren lebt. Solange werde ich ihn niemandem geben)
lässt sie ihren Bruder köpfen, um ihn zum Reden zu bringen. Dennoch überwiegt Kriemhilds Liebe zu Siegfried der Liebe zum Gold, wie intern fokalisiert wird, denn
„waere sîn [(der Hort)] tûsent stunde / noch alse vil gewesen, /
und solt‘ der herre Sîfrît / gesunder sîn gewesen, /
bî im waere Kriemhilt / hendeblôz bestân. /
getriuwer wîbes künne / ein helt nie mêr gewan“ (Str. 1126)
(Übers.: Und wäre er tausendmal größer gewesen, Kriemhild wäre gern mit leeren Händen dagestanden, wenn Siegfried noch am Leben geblieben wäre. Niemals hat ein Held eine treuere Frau gehabt.)
Fazit
Zusammenfassend kann man sagen, dass Kriemhild eine schöne und willensstarke Frau ist, welche auf die gegebenen Umstände reagiert und Durchhaltewillen zeigt, obwohl sie zum Spielball der Gewalteskalation und der Untergangsdynamik wird. Ihre strikten Entscheidungen treiben die Handlung voran, doch durch ihre Naivität und ihr teilweise unüberlegtes Handeln führt das schlussendlich zum Untergang der Nibelungen und zu ihrem eigenen Untergang. --TBartmann 16:51, 26. Aug. 2020 (CEST)
Anmerkungen
- ↑ Zur etymologischen Namensherkunft und Varianten im Sagenstoff vgl.[Schramm 1965].
- ↑ In diesem Artikel wird die gängige Zitation in Strophenform nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor, welche von Siegfried Grosse ins neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert wurde, verwendet, vgl. hierzu [Nibelungenlied 2004].
- ↑ Inwiefern die Figuren des Nibelungenlieds den Spielregeln unterworfen sind, diskutieren [Lienert 2015],[Jönsson 2001] und [Müller 1998].
- ↑ Im folgenden wird bei den Übersetzungen nach Siegfried Grosse übersetzt, vgl. [Nibelungenlied 2004].
- ↑ Wideburg führt das in seiner Dissertation ausführlich aus und versucht einen Einblick in die Rezeption der damaligen Gesellschaft zu geben, vgl. [Wideburg 1993].
- ↑ Vgl. [Störmer-Caysa 1999].
- ↑ Vgl. u.a. [Curschmann 1992] und [Heinzle 2003].
Literaturverzeichnis
<HarvardReferences />
- [*Bryan 2013] Bryan, Eric Shane: Indirekt Aggression. A Pragmatic Analysis of the Quarrel of the Queens in Völsungasaga, Þiðreks Saga, and Das Nibelungenlied, in: Neophilologus 97 (2013), S. 349-365.
- [*Curschmann 1992] Curschmann, Michael: Dichter alter maere. Zur Prologstrophe des Nibelungenliedes im Spannungsfeld von mündl. Erzählstruktur und laikaler Schriftkultur, in: Hahn, Gerhard; Ragotzky, Hedda (Hg.): Grundlagen des Verstehens mittelalterlicher Literatur. Literarische Texte und ihr historischer Erkenntniswert, Stuttgart: Kröners Studienbibliothek 1992, S. 55-71.
- [*Gephart 2005] Gephart, Irmgard, Totenklage, ambivalente Bindungen und aufgeschobene Rache, in: ebd. (Hg.): Der Zorn der Nibelungen. Rivalität und Rache im 'Nibelungenlied', Köln; Weimar; Wien: Böhlau Verlag 2005, S. 94-102.
- [*Heinzle 2005] Heinzle, Joachim: Die Nibelungen. Lied und Sage, Darmstadt: Primus Verlag 2005.
- [*Heinzle 2003] Heinzle, Joachim: Die Nibelungensage als Europäische Heldensage, in: Joachim Heinzle, Klaus Klein, Ute Obhof (Hg.): Die Nibelungen. Sage – Epos – Mythos, Wiesbaden: Reichert Verlag, 2003, S. 3-27.
- [*Jönsson 2001] Jönsson, Maren: Verspielte Alternativen im Nibelungenlied, in: Studia Neophilologica 73/2(2001), S. 223-237.
- [*Müller 1998] Müller, Jan-Dirk: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1998.
- [*Lienert 2003] Lienert, Elisabeth: Geschlecht und Gewalt im „Nibelungenlied“, in: ZfdA 132 (2003), S.2-23.
- [*Lienert 2015] Lienert, Elisabeth: Können Helden sich ändern? Starre Muster und flexibles Handeln im ‚Nibelungenlied‘, in: ZfdA 144 (2015), S. 477-491.
- [*Schramm 1965] Schramm, Gottfried: Der Name Kriemhilt, in: ZfdA 94(1965), S. 39-57.
- [*Schroeder 1960] Schroeder, Werner: Die Tragödie Kriemhilts im Nibelungenlied, in: ZfdA 90(1960/61), S. 123-160.
- [*Störmer-Caysa 1999] Störmer-Caysa, Uta: Kriemhilds erste Ehe. Ein Vorschlag zum Verständnis von Siegfrieds Tod im Nibelungenlied, in: Neophilologus 83(1999) S. 93-113.
- [*Wideburg 1993] Wideburg, Laura Bethany Ann: Kriemhild. Demon-Hero-Woman, Washington: UMI 1993.
Textausgaben
- [*Nibelungenlied 2004] Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch/ Neuhochdeutsch, Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2004.