Antikenrezeption im Mittelalter: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 28. Januar 2011, 14:23 Uhr

Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Überlieferungsgeschichte der Werke antiker Dichter und mit der Frage, wie und auf welche Weise sie von der Spätantike bis ins Mittelalter hinein rezipiert wurden.

Relevanz antiker Dichtung für die Literatur des Mittelalters

Ausgabe der Metamorphosen aus dem Jahr 1632

Will man von antikem Geistesgut in der mittelalterlichen Literatur sprechen, so stellt sich bald die Frage, inwiefern antikes Geistesgut im Mittelalter überhaupt zugänglich war. Immerhin liegen beispielsweise zwischen Ovid, dem Verfasser der "Bibel der Heiden" (den Metamorphosen), und Gottfried von Straßburg knapp zwölf Jahrhunderte. Jahrhunderte dazu, in denen das Christentum den gesamten Okzident in Besitz nahm und es zu vermuten wäre, dass die "unreinen" Werke heidnischer Künstler keine gute Behandlung erfuhren.
Wie es allerdings dazu kam, dass die Alten überlebten und die römischen und griechischen Mythen bald sogar einen Stammplatz im klassischen Studium erhielten, ja, mehr noch, das Kunstschaffen und sogar die Politik der mittelalterlichen Gegenwart in entscheidender Weise prägen konnten, darüber will dieser Artikel (wenigstens ansatzweise) Aufschluss geben.

Wie wir aufgrund breit gefächerter, weit fortgeschrittener Forschung inzwischen wissen, fand im Mittelalter eine "kontinuierliche, wenngleich unterschiedlich intensive Aufnahme der Antike" [Erzgräber 1989: S. 21] statt. Selbst die großen lateinischen Kirchenväter traten "mit aller Entschiedenheit für das Festhalten an der klassischen Tradition, für eine weitere Verwertung der heidnischen Geistesschätze"[Bezold 1922: S. 3] ein, da sie "einen unablösbaren Bestandteil des sprachlichen und literarischen Stoffes bildete, ohne dessen Aneignung die internationale Kulturaufgabe der römischen Weltkirche sich nicht bewältigen ließ." [Bezold 1922: S. 2] Ein wirklicher "Bruch" findet sich in der Überlieferungsgeschichte also nicht, in dem Sinne, dass die antiken Werke einmal wirklich völlig verschwunden und dann wieder aufgetaucht worden wären. Ihre Bewertung und Interpretation allerdings verlief keineswegs gleichbleibend.

Umgang mit Mythologie

Der Hauptgrund, weswegen die antike Literatur ihr Daseinsrecht in der Spätantike und im frühen Mittelalter überhaupt erst erkämpfen musste, war ihr heidnischer Hintergrund, waren ihre mythologischen Inhalte. Die eben erstarkte christliche Religion konnte der griechisch-römischen Götterwelt natürlich nicht den Status einer Lebenswirklichkeit lassen, den die antiken Werke ihr verliehen: Sie musste "unschädlich gemacht" werden und die Gläubigen vor der Verirrung in die Götzenanbetung bewahren. Mit dem Weiterticken der Weltuhr entwickelte sich allerdings ein Trend dahingehend, die Mythologie "im Dienst des Evangeliums nutzbar [zu] machen" [Bezold 1922: S. 4].
Zeitübergreifend lassen sich drei Arten des Umgangs mit antiker Mythologie finden:

Dämonisierung

Naheliegend war es natürlich, den ganzen heidnischen Götterhimmel als Nest voller Dämonen zu enttarnen, die die vom rechten, monotheistischen Glauben abgefallenen Menschen dazu verleitet hatten, ihnen Götzendienst zu leisten. Schon im Alten und Neuen Testament finden sich immer wieder Stellen, die die Götter anderer Völker auf diese Weise interpretieren (vgl. 5. Mose 32,17; Psalm 106,37; 1. Korinther 10,20+21; 1. Timotheus 4,1 [Luther 2008] uvm.).
Eine solche Deutung erlaubte die Zerstörung der übrig gebliebenen Opferstätten, das Verbot des Kultes und der Verehrung, und "[stieß die Götter] in eine Region [...][hinab], in der sie keineswegs mehr eine ausschließliche Herrenrolle spielen konnten" [Bezold 1922: S. 3]

Euphemerisierung

Die zweite Möglichkeit, den Göttermythen ihre Schärfe zu nehmen und sie für heidnische Polemik unbrauchbar zu machen, lag in ihrer Euphemerisierung, der "historische[n] Rationalisierung des Wunderbaren". Die Götter wurden als wichtige Staats- und Kulturträger gedeutet, als Ahnherren und Kriegshelden, die von den Dichtern besungen wurden. Um ihnen Ruhm über alle Zeitlichkeit hinauswachsen zu lassen, wurden sie, so die damalige Theorie, von den Poeten am Ende sogar in den Status von Göttern erhoben, als die sie dann von den folgenden Generationen verehrt wurden. Ein Beispiel dafür, in welch ausgeklügelter Weise die mythologischen Figuren nicht nur vermenschlicht, sondern auch noch in die Genealogien einer biblisch fundierten Geschichtsschreibung eingebaut wurden, ist die Weltchronik von Gotfried von Viterbo.
Friedrich von Bezold schreibt darüber:

Nimrods ältester Sohn war Kres, nach dem die Insel Kreta benannt wurde; dann folgten Celius, Saturn und Jupiter. Trotz des (als historisch genommenen) Verbrechens an seinem Vater wird Jupiter mit der äußersten Rücksicht und Anerkennung behandelt. Er regierte in der von ihm erbauten Stadt Athen; dort verfaßte seine erste Gemahlin Niobe die ältesten Rechtsbücher, denn alles Recht und Gesetz, wie auch alle Philosophie und die sieben freien Künste nahmen ihren Ausgang von Jupiter. Dessen zweite Gemahlin Juno war die Mutter des Danaus, des Stammvaters der Griechen. [Bezold 1922: S. 25]

Besonders eigentümlich für dieser Art der Deutung antiker Mythologie ist die Tatsache, dass sie es erlaubt, den als Menschen gedeuteten Göttern ein hohes Maß an Ehre und Anerkennung entgegenzubringen. Bezold weist darauf hin, dass z.B. Jupiter auf diese Weise "auf Umwegen beinahe wieder in seine einstige Würde eines Vaters der Götter und Menschen eingesetzt wird."[Bezold 1922: S. 25-26]

Allegorisierung

Ein dritter Weg eröffnete sich in der allegorischen Auffassung und Erklärung der Götter und ihrer Mythen.

Redekunst: Antike Werke als Lehrwerke

  • Spätantike und frühes Christentum: Drei vatikanische Mythographen, v.a. Albericus/Albricus: Zeigt "das Bestreben, durch Allegorisierung und Rationalisierung der heidnischen Welt des Mythos einen Gedankeninhalt zuzusprechen, der sich mit den Grundwahrheiten des Christentums in einen wirklichen oder scheinbaren Einklang bringen lässt.
  • Mythologie/klassische Werke als kanonischer Teil des Unterrichtsstoffes: z.B. schon im 5. Jh. die Vermählung Merkurs mit der Philologie des Neuplatonikers Martianus Capella (die "trockensten allegorischen Figuren" [Bezold 1922:4] und den alten Olymp mit der Götterversammlung, "unberührt von jeder christlichen Kritik" [Bezold 1922: S. 4]; wird dem "eisernen Bestand des kirchlichen Unterrichts einverleibt" [Bezold 1922: S. 4]
    "Aber weder (...) Verdammungsurteile noch die Ungebührlichkeiten gewisser Dichterlinge vermochten den fest gefügten Bau des klerikalen Unterrichtswesens wirklich zu erschüttern. Man verlangte eben unweigerlich den guten Stil." [Bezold 1922: S. 18]
  • Karolingische Bildungsreform: "Inzwischen hatte jedoch unter der Ägide der karolingischen Herrscher die "Schulzeit" des Mittelalters, wie man sie genannt hat, mit ihrer Neubelebung der klassischen Studien eine Arbeit verrichtet, deren Ergebnisse nicht einfach wieder umzustoßen waren, sondern als Grundlage alles kommenden Weiterbauens selbst die schwersten äußere und inneren Hemmungen zu überwinden vermochten." [Bezold 1922: S. 13]
  • Historiographie des 12. Jahrhunderts: Genealogien und Trojamode
    "Einige Zeit später stürzte sich eine neue Generation staufischer Geschichtsschreiber mit einem durch keine kritischen Bedenken gehemmten Freudigkeit auf den Reichtum einer Welt von Fabeln, um die Gegenwart ihrer Dynastie mit einem bisher nicht gekannten Nimbus zu umgeben." [Bezold 1922: S. 22]
    "Die antiken Stammbäume machten Schule." [Bezold 1922: S. 23]

Fazit

Literatur

<HarvardReferences />

  • [*Bezold 1922] Bezold, Friedrich von (1922): Das Fortleben der antiken Gotter im mittelalterlichen Humanismus. Bonn, Leipzig: Schroeder.
  • [*Luther 2008] Luther, Martin (2008): Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers; [Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984]. Standardausg., durchges. Ausg. in neuer Rechtschreibung, [Nachdr.]. Stuttgart: Dt. Bibelges.
  • [*Erzgräber 1989] Erzgräber, Willi (Hg.) (1989): Kontinuität und Transformation der Antike im Mittelalter. [das zweite interdisziplinäre Symposium …, das vom 15. bis 19. März 1987 in Freiburg i. Br. stattfand …]. Sigmaringen: Thorbecke (Veröffentlichung der Kongreßakten zum Freiburger Symposion des Mediävistenverbandes, 2).