Minne (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

Aus MediaeWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Minne im Allgemeinen

Der Begriff Minne stammt aus dem Mittelhochdeutsch und bedeutet [Liebe]. Er ist geprägt von verschiedenen Aspekte wie Freundschaft, der Beziehung zu Gott und der Vorstellung einer mentalen sowie körperlichen Beziehung zweier Menschen zueinander. In vielen mittelalterlichen Romanen bezeichnet Minne die erotische Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau. Durch den Minnesang und den höfischen Roman wurde das Bild der Minne als das "Ideal der Liebe" gefestigt, in welchem der Ritter die Dame umwirbt und sich dadurch ihre Liebe erkämpft. Besonders im Minnesang wird die Frau als edle Dame beschrieben, welche beim Minnesänger das tiefe Gefühl von Verlangen und Begierde auslöst. Meist ist die Dame jedoch höheren gesellschaftlichen Ranges als ihr Umwerber und kann dadurch dessen Wunsch nach ihrer Zuwendung nicht erfüllen. Des Weiteren wird der Minne häufig eine Macht zugesprochen, der sich die Liebenden nicht entziehen können. Sie verfallen ihrer oder ihrem Geliebten (wobei die Frau häufiger das Objekt der Begierde ist als der Mann) völlig und sind ihrem Verlangen nach dem Gegenüber nicht mehr Herr. Dies geschieht meist durch die häufig als "unvergleichlich" beschriebene Attraktivität eines Ritters oder einer Dame.


Minne im Parzival

Auch in Wolframs von Eschenbach Parzival nimmt die Minne eine wichtige Rolle ein. Während seinem Weg vom Knaben bis hin zum Gralskönig ist die Minne eine ständige Begleiterin Parzivals. Als Jüngling wird dieser einerseits von den Ratschlägen seiner Mutter, andererseits von der Belehrung des Wirtes Gurnemanz geprägt. Im Verlaufe des Romans macht Parzival schließlich seine eigenen Erfahrungen mit der Minne.

Minne in der Theorie

Parzivals erste Einführung in die Minne erhält er von seiner Mutter Herzeloyde bevor er sie verlässt. Ihr Rat wird ihm jedoch zum Verhängnis, als er diesen später an Jeschûte anzuwenden versucht. Diese ist von seiner Zudringlichkeit so überrascht, dass sie ihn abweist und sich sogar über ihn lustig macht (dies wird später in dem Absatz 'Parzival und die Minne' näher ausgeführt.)


Parzival, Jeschute und Orilus (Wolfram von Eschenbach, Parzival) (127, 25 - 128, 2)[1]

Original Übersetzung
sun, lâ dir bevolhen sîn,

swa du gutes wîbes vingerlîn,

mühest erwerben unt ir gruoz,

daz nim: ez tuot dir Kummers buoz.

du sollt zir küsse gehen

und ir lîp vast umbevâhen:

daz gut glücke und hohen muot,

op si Kirsche ist unde guot.

Mein Sohn, das lege ich dir ans Herz:

Wo du Gelegenheit hast, von einer lieben Frau

ein Fingerringlein zu erwerben und freundliche Worte,

dort greif zu; das hilft dir gegen Traurigkeit.

Du musst sie drängen um ihren Kuß

und ihren Leib recht fest umfangen:

Das bringt dir Glück und macht die Seele edel,

wenn die Frau Unschuld hat und Güte.


(130, 3 - 5)

Original Übersetzung
Diu frouwe was entslâfen.

si truoc der minne wâfen,

einen munt durchliuhtic rot,

und gerades ritters herzen not.

Die Dame war eingeschlafen.

Sit trug der Liebe Waffen:

einen Mund durch und durch leuchtend,

der konnte allerdings das Herz eines stürmischen Ritters in Bedrängnis bringen.

Vorstellungen einer Minne-Beziehung

Eine weitere Belehrung erhält Parzival vom Wirt Gurnemanz, welcher ihm ritterliche Tugenden lehrt. Seine Rat beinhaltet die Umwerbung und den richtigen Umgang mit einer Frau sowie die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau. Parzival wird in seinem jugendlichen Alter stark von dieser Unterweisung geprägt und ergänzt somit den lückenhaften und teilweise fälschlichen Rat von seiner Mutter Herzeloyde.


(172, 5 - 12)

Original Übersetzung
sô wer ir minneclîch gevar:

des nement wîbes lugen war.

Sît manlîch und wol gemuot:

daz ist ze wertem prîse guot.

und lât iu liep sîn diu wîp:

daz tiwert junges mannes lîp.

Dann nämlich werdet ihr wieder liebenswürdig schön:

Die Augen der Frauen haben darauf acht.

Seid männlich und habt guten Mut,

davon wird die Ehre groß und stark.

Und habt nur immer die Frauen lieb:

Das macht den Leib eines jungen Mannes edel und begehrenswert.

(173, 1 - 6)

Original Übersetzung
man und wîp diu sinnt al ein;

als diu sunn diu hiute schein,

und ouch der name der heizet tac.

der enwederz sich gescheiden mac:

si blüent ûz time kerne gar.

des nehmet künsteclîche war.

Mann und Weib sind ein Leib.

Das ist so wie die Sonne, die heute aufgegangen ist,

und der Name, der Tag heißt.

Das eine kann sich nicht vom anderen scheiden,

das sind zwei Blüten aus einem und demselben Kern.

Jetzt wißt Ihr es, merkt es Euch gut.


Parzival und die Minne

Parzivals Erfahrungen mit der Minne sind vielseitig. Seine erste Begegnung hat er mit Jeschûte, welche auf sein dringliches Verhalten jedoch abweist. Im Laufe des Romans kommt Parzival mit Liaze, der Tochter Gurnemanz und der Königin Condwiramurs in Kontakt und sammelt auf diese Weise weitere Erfahrungen in Sachen Minne.

(131, 3 - 10)

Original Übersetzung
Diu sülze Kirsche unsanfte erschrac,

do der knappe an ir arme lac:

si muost jedoch erwachen.

mit schame al sunder lachen

diu frouwe zuhat gelêret

sprach 'wer hât mich entêret?

junchêrre, es ist iu gar ze vil:

ir mögt iu nemen ander zil.

Die Süße, Keusche schrak unsanft auf,

als da der Knabe in ihren Armen lag.

Es half nights, sie mußte erwachen:

welche Schande! Es war ihr nicht nach Lachen zumute,

diese Dame hatte eine feine Erziehung genossen.

Sie sprach: Wer hat mich entehrt?

Junger Herr, Ih nehmt euch gar zu viel heraus.

Ihr solltet Euch ein andres Opfer suchen!

Die Gralsminne Parzivals

Der Gral im Parzival (Wolfram von Eschenbach, Parzival) Im dem Streben nach dem Gral, welcher im höfischen Sinne „die Darstellung der reinen Idee der Minne“ [Schröder 1952: S. 155] und im religiösen Sinne Symbol für die Menschwerdung Christi ist, äußert sich Parzivals Gralsminne. Wolfram fasst unter dem Zeichen des Grals natürliche Leidenschaft, dienende hohe Minne und die wahre Liebe zu Gott zusammen und schafft somit in seiner Minneauffassung eine Verbindung von ritterlich-höfischer und christlich-religiöser Welt. Die Minne zur Frau stellt Wolfram im Parzival als eine entgegengesetzte Kraft. Dies zeige sich darin, dass Condwiramur häufig zusammen mit dem Gral genannt wird:

(467, 25-30)

Original Übersetzung
dô sprach aber Parzivâl Da sprach Parzivâl:
´mîn hôhstiu nôt ist umben grâl; "Die größte Not macht mir der Grâl,
dâ nâch umb mîn selbes wîp: und auch meine Frau fehlt mir sehr:
ûf erde nie schoener lîp kein schönerer Leib hat auf der Erde je
gesouc an keiner muoter brust. an einer Mutter Brust gesogen.
nâch den beiden sent sich mîn gelust.´ Nach den beiden sehnt sich mein Verlangen."

(389, 8-11)

Original Übersetzung
und da sagt ir, der durch si dâ streit Richtet ihr aus: Der für sie
mit Kingrûne und mit Clâmidê, mit Kingrûne und mit Clâmidê gekämpft hat,
dem sî nu nach dem grâle wê, der sehnt sich jetzt mit Schmerzen nach dem Grâl
unt doch wider nâch ir minne. und doch auch heim zu ihrer Liebe.


Die leidenschaftliche Sehnsucht nach Condwiramur lenkt Parzival immer wieder von seiner Suche nach dem Gral ab und treibt ihn immer wieder zur Rückkehr. Besonders die Blutstropfenszene macht deutlich, dass Parzivals Weg durch die Gedanken an seine Frau ungemein erschwert wird und er verzweifelt darum kämpft das Streben nach dem Gral nicht aufzugeben (296,5ff). Parzival gerät in einen Trancezustand, nachdem er durch drei Blutstropfen im Schnee an seine Geliebte erinnert wurde. Doch er bleibt bis zu Letzt dem Streben nach dem Gral treu und wiedersteht der Sehnsucht und dem Verlangen nach Condwiramur. Nach Schröder versinnbildlicht Wolfram in diesem „Nebeneinander und Gegeneinander“ der Minne zum Gral und der Minne zu Condwiramur, die „Unbeirrbarkeit des Gralsstrebens Parzivals“ [Schröder 1952: S. 154]. Je mehr die Liebe zu Condwiramur betont wird, desto stärker trete auch Parzivals Streben nach dem Gral in den Vordergrund. Wolfram stellt die Gralsminne vor die Minne zur Frau:

(441, 10-13)

Original Übersetzung
ich sen mich nâch ir kiuschen zuht, Nach ihrem reinen Wesen sehne ich mich
nâch ir minne ich trûre vil; und härme mich ab nach ihrer Liebe,
und mêr nâch dem hôhen zil, mehr noch aber nach jenem hohen Ziel:

Schließlich bleibt Parzival dem Streben nach dem Gral treu, auch, wenn er immer wieder durch die leidenschaftliche Sehnsucht nach Kondwiramur abgelenkt wird und ihn zur Rückkehr treibt.

Minne-Exkurse

An mehreren Stellen des Romans nimmt der Erzähler direkt Stellung zum Thema Minne, vornehmlich in den drei größeren Minne-Exkursen denen ein separater Artikel gewidmet ist.

Triuwe als entscheidendes Merkmal der Minne

Die Triuwe ist ein entscheidendes Element der Minne, was besonders in der Beziehung zwischen Gawan und Orgeluse zum Ausdruck kommt. Durch die Beharrlichkeit Gawans wird Orgeluses Wandlung ermöglicht, die feststellt, dass "hinter der oft oberflächlichen Fassade des höfischen Minnewerbends durchaus echt[e] Liebe stecken kann."[Braunagel 2000: S. 77.] Vorher hatte Orgeluse das Minnesystem für ihre Rache missbraucht. Durch die Minnebeziehung zu Gawan wird bei ihr eine Wandlung der Gesinnung und der Wiedereintritt in die Gesellschaft ermöglicht, wohingegen Gawan sich durch die Beziehung als verantwortungsvolles Mitglied der Gesellschaft etabliert und sich zu einem reiferen Ritter entwickelt. Die Minne bietet demnach für die beteiligten Personen immer auch die Möglichkeit der Weiterentwicklung. (Siehe auch separater Artikel: Gawan und die Minne)


Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Minne-Thematik im Parzival - wie auch in fast jedem anderen höfischen Roman - eine feste Rolle spielt und zum Leben eines Ritters dazugehört. Schon im jungen Alter wird Parzival über die 'Kunst der Liebe' aufgeklärt und wird auf seinem ersten großen Abenteuer mit ihr bekannt gemacht. Wie auch andere ehrenhafte Ritter unterliegt er der Macht der Minne und kann sich nicht gegen sie wehren. In diesem Roman findet sich die höfische Liebe in vielen Beziehungen zwischen den verschiedenen Charakteren wieder und stellt damit das typische Bild der idealisierten Liebe dar.


Forschungslitertatur

  • Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach. 8. Auflage. Stuttgart/Weimar 2004.
  • Dieter Kühn: Der Parzival des Wolfram von Eschenbach. Frankfurt am Main. 1997.
  • Karl, Emil: Minne und Ritterethik bei Wolfram von Eschenbach. 1952.
  • Reichert, Hermann: Wolfram von Eschenbach, "Parzival" für Anfänger. Wien 2007.
  • Scheuble, Robert: Mannes manheit, vrouwen meister. Frankfurt am Main 2005.
  • Wiegand, Herbert: Studien zur Minne und Ehe in Wolframs Parzival und Hartmanns Artusepik. Marburg 1968.

Quellenverzeichnis

<HarvardReferences/> [*Schröder 1952] Schröder W. J., Der Ritter zwischen Welt und Gott, Idee und Problem des Parzivalromans Wolframs von Eschenbach, Weimar, 1952

[*Braunagel 2000] Braunagel, Robert: Die Frau in der höfischen Epik des Hochmittelalters. Entwicklungen in der literarischen Darstellung und Ausarbeitung weiblicher Handlungsträger. München, 2000.

<references>

  1. Alle folgenden Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Text und Übersetzung. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/ New York 2003.