Ritter als Rastlose in Wolframs Parzival

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Hinweis: Dieser Artikel entsteht im Rahmen des Haupt- und Oberseminars zu Wolframs Parzival (Sommersemester 2015) und wird laufend überarbeitet.

Hier soll ein Artikel entstehen, der sich mit dem Vagabundendasein der Ritter beschäftigt. Warum bleibt Parzival nach seiner Heirat nicht bei seiner Frau, sondern sucht die Abenteuer?

Analyse

Ritter werden in Wolframs Parzival [1] fast immer in Bewegung beschrieben. Im Folgenden soll genau analysiert werden, warum Ritter scheinbar das Leben als Abenteurer bevorzugen. Inwiefern das ständige Streben nach Kämpfen und Erfahrungen die Suche nach einer Heimat, die dauerhaft bewohnt wird, zu dem Verlust des einfachen Glücks, das heißt des familiären, soll in einem Fazit geklärt werden.

Gahmuret

Gahmuret benutzt, sobald er beim Baruc im Orient in den Dienst getreten ist, einen Anker als Wappen. Kellner sieht den "Anker als Zeichen der Hoffnung auf ein Ziel" [Kellner 2009: 29]. In diesem Kontext kann davon ausgegangen werden, dass Gahmuret hier noch nach einem Ankommen oder einem Zuhause strebt, nachdem er als Zweitgeborener Anschouwe freiwillig verlässt. Der Anker als Wappen erlaubt also zunächst nicht ihn als rastlosen Ritter zu bezeichnen.

mittelhochdeutsch Übersetzung
der hêrre plac mit gernden siten , Der Herr führte, von seiner Hoffnung getrieben
ûf sîne kovertiure gesniten , auf seiner Couvertüre zugeschnitten
anker lieht hermîn: , einen Anker aus weißem Hermelin:

(14, 15f.)

Jedoch geht Wolfram direkt im Anschluss ausführlich darauf ein, dass Gahmuret seinem Wappen nicht gerecht wird:

mittelhochdeutsch Übersetzung
sîn anker heten niht bekort , Sein Anker hatte aber nichts gefunden
ganzes lands noch landes ort, , weder ein ganzes Land noch einen Ort,
dane wârn si ninder în geslagen: , denn sie hatten nirgendwo festgemacht:
der hêrre mouse fürbaz tragen , Der Herr musste immer weiter tragen
disen wâpenlîchen last , des Wappens Last.
in manegiu lant, der werde gast, , In vielen Ländern bleib er Gast
Nâch dem anker disiu mâl, , trotz des Ankers als Wappen.
wand er deheiner slate twâl , Er hielt sich nirgends
hete ninder noch gebite. , und machte nirgends Rast.

(14, 29ff.)

Der Rezipient erfährt durch diesen Erzählerkommentar, dass Gahmuret trotzdem er den Anker als Wappen trägt, rastlos auftritt. Es lässt sich also ein Diskrepanz zwischen dem implizit kommunizierten Vorhaben Gahmurets, den Bleiben, das durch die Wahl des Wappens ausgedrückt wird und dem explizit beschrieben Handeln feststellen. Durch die mehrfache Beschreibung des Ankers (vgl. 23, 4-6 und 36, 16-20) wird aber die Hoffnung des Ankerns im Übertragenen Sinne aufrecht erhalten. Diese Diskrepanz wird im Folgenden aufgelöst, zunächst wendet sich alles zum Guten: Gahmuret heiratet Belacâne und findet damit scheinbar ein Zuhause. Er legt das Wappen den Ankers erst nach der Heirat ab und übernimmt das schwarz-weiße Wappen von Zazamanc, welches auch für seinen noch ungeborenen Sohn Feirefiz steht, dessen Haut schwarz-weiß gefleckt ist. Jedoch löst sich diese Erfüllung der Heimatsuche bereits kurz nach der Heirat auf: Gahmuret tritt auch als Ritter in den Dienst Belacânes und hinterlässt ihr nach seiner heimlichen Abreise lediglich einen Brief, in dem er erklärt, dass er sie verlassen muss und sie ihn nur im Falle ihrem Übertritts zum Christentum wiedergewinnen kann.

mittelhochdeutsch Übersetzung
frouwe, wiltu toufen dich, Frau, willst du dich taufen lassen,
du maht ouch erwerben mich. kannst du auch mich erwerben.

(56, 25f.)

Obwohl sie sich dazu bereiterklärt (vgl. 58), ist jedoch die Erzählung über Belacâne und Gahmuret beendet, da der Ritte bereit heimlich mithilfe des Fährmanns abgereist ist. Gahmuret zieht mit einem Zelt aus Zazamanc, welches für die mitgeführte Quasi-Heimat stehen kann, weiter kämpfend und Abenteuer suchend nach Spanien, als er schließlich im Turnier von Kanvoleis auch Herzeloydes Herz gewinnt. Hier erhebt er zwar Einspruch gegen das Verlangen der Königin nach der Heirat, die für den Gewinner des Turniers aussteht:

mittlehochdeutsch Übersetzung
do sprach er 'frouwe, ich hân ein wîp: Da sprach er: 'Frau, ich habe eine Ehefrau:
diu ist mir lieber danne der lîp. Die ist mir lieber als mein Leib.

(94, 5f.)

Jedoch heiratet er Herzeloyde schließlich, aber auch sie verlässt er vor der Geburt Parzivals zugunsten vieler Reisen. Seine letzte wird ihm auch den Tod fernab von Heimat oder Familie bringen. Gahmuret stirbt in einer Schlacht für den Baruc und wird dort beerdigt:

mittelhochdeutsch Übersetzung
Er wart geleit zu Baldac. Er wurde in Baldac zu Grabe gelegt.
diu kost den bâruc ringe wac. [...] Die Kosten achtete der Bâruc wenig.
gebalset wart sîn junger rê [...] Einbalsamiert hatte man seine jungen toten Leib.
uns wart gevolget hie mite: Unserer Bitte hatte man nachgegeben:
ein kriuze nâch der marter sîte, Ein Kreuz nach der Sitte der Marter,
als uns Kristes tôt lôste, als und Christus Tot erlöste,
liez man stôzen im ze trôste, ließ man stoßen, ein Zeichen der Zuversicht,
ze scherm de sêle, überz grap. [...] zum Schirm der Seele, übers Grab.
ez betent heiden sunder spot Die Heiden beteten Gahmuret ganz ohne Spott
an in als an ir werden got, an als ihren Gott.

(106, 29 - 107, 20)

Bei der Grablegung ist nun eine Vermischung von Eigenem und Fremden zu erkennen: Gahmurets Leichnam wird nach der Tradition der Heiden einbalsamiert und aufgrund seiner großen Taten als Gott angebetet, zur Erinnerung an seinen christlichen Ursprung steht ein Kreuz auf seinem Grab. Seine Lanze und den tödlichen Speer veranlasste er zu Herzeloyde zu bringen (vgl. 106, 23f.), wo die Dinge im Münster beerdigt werden (vgl. 111, 30 - 112, 4). Gahmuret wird als, wie Kellner schreibt "gewissermaßen zweimal bestattet, [...] in der Ferne und in der Heimat." [Kellner 2009: 33] Ob man Kanvoleiz als Heimat Gahmurets bezeichnen kann ist für mich durch aus nicht unproblematisch, denn seine Heimat wäre ja eigentlich Anschouwe. Kanvoleiz kann eher als ein temporärer Wohnsitz bezeichnet werden. Wichtig ist in diesem Kontext aber vor allem, dass Gahmuret selbst im Tod kein Zuhause findet: Er wird weit weg Anschouwe, Zazamanc und Kanvoleiz beerdingt und das Hemd der Herzeloyde, das er immer mit sich führte, wird ihm im Tod entrissen und zurückgeschickt. So ist selbst der Tod Gahmurets von einer gewissen Rastlosigkeit geprägt.

Parzival (in Bearbeitung)

Der Suche nach Abenteuern und damit der Rastlosigkeit möchte Herzeloyde durch die Erziehung in der Einöde von Soltane aktiv entgegenwirken, allerdings kann diese Voraussicht nicht verhindern, dass auch Parzival durch die Welt zieht. Nach dem ersten Kontakt mit Rittern, die er wegen ihrer glänzenden Rüstungen mit Gott gleichsetzt, will auch er ausziehen, um an den Arthushof zu gelangen. Er reist über viele Stationen an den Hof, um dort weiter an Gurnemanz verwiesen zu werden. Schließlich kann er als Ritter in den Dienst Condwîr âmurs treten, die er daraufhin auch ehelicht. Aber schon bald erbittet er eine Art Urlaub um seine Mutter besuchen zu können. Hierauf folgen viele Tjosten, viele Auseinandersetzungen, die Ankunft in Munsalvaesche und ein Lernprozess. Bei Parzival ist im Unterschied zu Gahmuret jedoch eine Art Heimweh auszumachen, was in der Blutstropfenszene (siehe dazu auch: Die Blutstropfenszene (Wolfram von Eschenbach, Parzival)) seinen Höhepunkt erreicht.

Der Artushof (in Bearbeitung)

Auch der Hof um König Arthus scheint häufiger auf strategischen Reisen zu sein, als in beschaulicher Idylle zu leben. Interessant ist hier, dass immer der ganze Hofstaat mitreist und nicht nur die Ritter, wie Gahmuret, Parzival und Gâwân, die alleine reiten.

Vergleich mit anderen mittelhochdeutschen Texten

Kudrun

Iwein

Auch in Hartmann von Aues Iwein[2] begibt sich der Protagonist Iwein nach seiner Hochzeit mit Laudine auf aventîure.

Literaturverzeichnis

Textausgabe

[*Parzival]Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

<HarvardReferences /> [*Kellner 2009] Beate Kellner: Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen in Wolfram von Eschenbachs "Parzival". In: Wechselseitige Wahrnehmung der Religionen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit Bd. 1: Konzeptionelle Grundfragen und Fallstudien (Heiden, Barbaren, Juden), hg. von Ludger Grenzmann, Thomas Haye, Nikolaus Henkel und Thomas Kaufmann, Berlin, New York 2009 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. PhilologischHistorische Klasse, NF 4, 1), S. 23-50.

  1. Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
  2. Hartmann von Aue: Iwein. Mittelhochdeutscher Text mit Übersetzung von Rüdiger Krohn. Kommentiert von Mireille Schnyder, Stuttgart 2012.