Der Prolog (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Der Prolog des "Parzival" gehört zu den umstrittensten Passagen des ganzen Werks von Wolfram von Eschenabch.


Funktion des Prologs

Wenn man die Struktur und die Funktion eines mittelalterlichen Literaturprologs genauer betrachtet, wird es deutlich, dass der Prolog nicht nur eine unwichtige Rolle als Einleitung in die Geschichte spielt. Vielmehr funktioniert er in einer sprachlich sehr spezifischen Weise, um die Empfänger zuerst in den Text einzuführen und dann als Hilfsmittel bei Verständnis- und Interpretationsproblemen zu dienen. Strukturell werden bei Prologen der ritterlichen Dichtung des Mittelalters grundsätzlich zwei Hauptteile unterschieden. Dem ersten Teil fällt die Aufgabe zu die Gunst des Publikums zu gewinnen. [Brinkmann 1964: S. 8] Als erster Schritt versucht der Prolog mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Dafür muss er ein Gespräch eröffnen, und zwar durch den Erzähler, der sich an die Empfängerschaft wendet. Eine solche Eröffnung ist oft eine dem Dichter und dem Publikum bekannte Lebenswahrheit und wird sozusagen die Verständnisbasis, von der aus die weitere Argumentation einvernehmlich aufgebaut werden kann. Der zweite Teil ̧übernimmt die Aufgabe, das Publikum in das eigentliche Werk einzuführen. Hier vermittelt der Erzähler Einzelheiten und Lehren, die für Verständnis und Interpretation der Geschichte wichtig sind, und schließt Anliegen auf, die dem Publikum nahe gebracht werden sollen. Die Rede im nicht auf das Werk eingegangen ersten Teil hilft dem Erzähler, das Publikum durch Argumente zu überzeugen, damit es das, was er mitteilt, als richtig oder glaubwürdig anerkennt.

Der Prolog in Wolfram von Eschenbachs Parzival wurde von Joachim Bumke als zu den schwierigsten und dunkelsten Textpartien der Dichtung gehörend beschrieben, weil der Erzähler von komplizierten Einzelheiten und Lehren spricht, anstatt dem Publikum deutliche, hilfreiche Erklärungen zu vermitteln. [Bumke 1997: S. 133f] Fast jede Aussage ist kontrovers.


zwivel

Der Parzival-Prolog beginnt mit einem generellen Bild von der menschlichen Situation, das als knappes Zitat gesetzt wird:


Ist zwivel herzen nachgebuhr, Wenn zweifel nah beim Herzen wohnt,
daz muoz der sele werden sur. das muss der Seele sauer werden.

(1, 1-2)


In diesem einleitenden Satz werden die Gedanken über den Zustand des zwivel hervorgehoben. Dadurch steckt Wolfram schon am Anfang den Bereich des Verständnisses ab. Im Prolog fällt Wolfram die Aufgabe zu, diese Situation zu verdeutlichen und selbst als Entscheidungshilfe wirksam zu werden. Leider verfehlt er diesen Aufgaben nachzukommen, weil sein Eingangsvers mehrere mögliche Bedeutungen hat, die umstritten sind. Das mittelhochdeutsche Wort zwivel birgt nicht geringe Schwireigkeiten. Wohl an keiner anderen Stelle gibt es so deutlich verschiedene Übersetzungsvorschläge. Es könnte Verzweiflung, Unglaube oder ethische Unsicherheit meinen.

Wenn zwivel im Bezug auf Parzival verstanden werden soll, könnte es eine religiöse Bedeutung annehmen. Die mittelalterlichen Bibelkommentare verwenden das Wort zwivel zur Bezeichnung von verschiedenen Stadien des religiösen Zweifels. Von dieser Deutung aus wird das Bild des wankelmütigen Mannes und dessen Unbeständigkeit besonders wichtig, denn der Protagonist des Werkes “Parzival" ist eine gemischte Figur, die sich vom Sünder zum Auserwählten wandelt. Er ist demnach eine uneinheitliche Gestalt, die sich von einer schuldhaften Unsicherheit und Desorientierung (zwivel) zur Einsicht in die Allmacht Gottes, mithin zum wahren Glauben (triuwe) und schließlich zur Gnade der Auserwähltheit entwickelt. Parzival wird einerseits als ein Auserwählter dargestellt; andererseits wird er von anderen Figuren des Werkes, wie Trevrizent, Cundrie und Sigune einer Schuldhaftigkeit bezichtigt, hauptsächlich deswegen, weil er beim Gral die Frage zu stellen versäumte. Beispielsweise sagt Cundrie:


gein der helle ir sit benannt Vor dem Höchsten im Himmel
ze himele vor der hohsten hant: ist Euer Name zur Hölle verflucht.

(316, 7-9)


Da er als Sünder erscheint, wird das Publikum mit zwei unterschiedlichen Charakterisierungen Parzivals konfrontiert.

Das Elsterngleichnis

In den Versen 1,3-14 illustriert Wolfram diesen wankelmütigen Typ als eine Menschen, der sowohl schwarz als auch weiß ist, wie die Elster. Er hebt diesen elsterfarbenen Typ von dem bloß Schwarzen und bloß Weißen ab:


gesmaehet unde gezieret Schande und Schmuck sind beieinander,
ist, swa sich parrieret wo sich eines
unverzaget mannes muot, Mannes unverzagter Mut konfus
als agelstern varwe tuot. gemustert gehen will wie Elsternfarben.
der mac dennoch wesen geil: Trotzdem, der kann doch noch glücklich sein,
wand an im sint beidiu teil, denn an ihm ist etwas von beiden:
des himels und der helle. vom Himmel und von der Hölle.
der unstaete geselle Wer sich mit der Treulosigkeit zusammen tut,
hat die swarzen varwe gar, der hat die schwarze Farbe ganz
und wirt och nach der vinster var: und muss auch nach der Finsternis geraten.
so habet sich an die blanken Und so hält der, der fest ist und treu,
der mir staeten gedanken. es mit den Weißen.

(1, 3-14)