Moral und Gewissen (Reinhart Fuchs)

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Dieser Artikel behandelt die Moral von Reinhart dem Fuchs und seinem Kumpanen, dem Dachs Krimel, bzw. jene übergeordnete Moral des gesamten Tierepos, welche Reinhart als Protagonist durch seine fragwürdigen Taten produziert. Hierfür wird zunächst die Textstelle heran gezogen, in der der Löwe (Der Löwe Vrevel (Reinhart Fuchs)) durch Reinhart den Tod findet (V. 2168-2183).

Inhalt der Episode

Reinhart hat sich zuvor erfolgreich von allen Anklagepunkten befreit, indem er die Ankläger mit Hilfe des Königs ärztlicher Behandlung aus dem Weg räumte. Doch selbst seinen Helfern, dem Elefant, dem Kamel und dem Löwen, bleibt seine Hinterlistigkeit und Boshaftigkeit nicht erspart:

Mittelhochdeutsch Übersetzung
er sprach: ,herre, ich will eu geben einen tranc, Er sagte: "Herr, hier ist ein Getränk,
so sit ir ze hant genesen.' das wird Euch sofort auf den Weg der Genesung bringen.
der kunic sprach: ,daz sol wesen.' Der König antwortete: "So soll es geschehen."

("Reinhart Fuchs" V. 2168–2170)

Obwohl der Ameisenkönig schon einige Zeit zuvor von Reinhart aus dem Gehörgang des Königs entfernt worden war, wartet der König Vrevel weiterhin gutgläubig auf die verhießene Genesung. Der Löwe hat augenscheinlich seine Mündigkeit aufgegeben und überlässt sein Schicksal weiterhin seinem Arzt Reinhart.


Mittelhochdeutsch Übersetzung
do brov er des kuniges tot. Da braute er des Königs Tod zusammen.
Reinhart was ubele unde rot, Reinhart war böse und blutrünstig,
daz tet er da vil wol schin: wie er jetzt gänzlich deutlich machte:
er vergab dem Herren sin. er vergiftete seinen Herrn.
daz sol niman clagen harte; Es soll sich aber niemand beklagen:
waz want er han an Reinharte? was dachte sich jener woran er an Reinhart ist?

("Reinhart Fuchs" V. 2171–2176)

Die Frage wird aufgeworfen inwiefern der König durch Selbstverschulden in diese missliche Lage geraten ist.


Mittelhochdeutsch Übersetzung
iz ist noh schade, wizze krist, Gott weiß es ist sehr schade,
daz manic loser werder ist dass so mancher Betrüger bei Hof
ze hove, danne si ein man, geachteter ist, als ein Mann,
der nie valsches began. der nie etwas falsches getan hat.
swelch herre des volget ane not Alle Herren die freiwillig diesem Beispiel folgend
unde teten sie deme den tot, den Tod finden,
daz weren gute mere. wären gute Nachrichten.

("Reinhart Fuchs" V. 2177–2183)

Das Handeln des Fuchses-zwei Ansätze

1. amoralisches Handeln Reinharts

Reinhart handelt in vielen Situationen amoralisch schlau, er hintergeht andere Tiere bewusst, schadet ihnen, bzw. tötet diese sogar aufgrund von Handlungszielen wie Rache, Ehebruch oder Machtgewinn. Diese Ziele fallen nicht unter das Naturrecht auf Selbsterhaltung. Sein Handeln lässt sich nicht legitimieren. Im Gegensatz zu den anderen Tieren, die instinktiv ihren natürlichen Bedürfnissen nachgehen, wie es für sie als Tiere typisch ist, agiert der Fuchs eher menschlich. Sein menschliches Handeln übertrifft das tierische an Bestialität. [Huebner 2016]

Vor allem die Vergewaltigung (Sexuelle Gewalt im Reinhart Fuchs) Hersants zeigt die Dreistigkeit Reinharts besonders deutlich. Reinhart empfindet keinerlei Reue für seine Tat und hat auch kein schlechtes Gewissen, sondern obendrein bittet er Frau Hersant bei ihm zu bleiben (vgl.V.1178). Weiter sagt er noch, er habe nichts Böses getan (vgl.V.1202). Dies legt nahe, dass Reinhart keinen Sinn für Moral hat und er sich keiner Schuld bewusst ist.

2. Reinhart als Sympathieträger

Trotz allem kann Reinhart je nach Interpretation und Vorstellungen des Lesers auch zur Identifikationsfigur werden. Zur Vermeidung einer eventuellen Antipathie mit dem Fuchs dient seine Schlauheit, mit der auf das Laster der Leichtgläubigkeit und Unvorsichtigkeit seiner Co-Akteure reagiert.[Huebner 2016]

Am Anfang des Epos hingegen verliert Reinhart zunächst gegen den Hahn, die Meise, den Raben und den Kater . Diese Episoden sind ganz bewusst für den Anfang des Epos vorbehalten, da durch seine Rolle als "Opfer" Mitleid beim Leser hervorgerufen werden kann. Diese Symphatie ist laut Kurt Ruh wichtig, da seine zukünftigen Handlungen ausdrücklich hinterlistig und gemein sind. "Dem Erfolglosen mit reichen Gaben werden sie nie verwehrt." [Ruh 1980:18] Dies soll bedeuten, dass Reinhart somit einige "Pluspunkte" sammelt, um nicht direkt am Anfang als der Böse dazustehen und damit eine Möglichkeit zur Entwicklung vom Verlierer zum Sieger überhaupt möglich ist.

Des Weiteren ergibt sich so für Reinhart die Chance, ein Bündnis mit dem Wolf Isengrin einzugehen, dem er in den nächsten Episoden den größten Schaden und Schmerz zufügt. Ohne diese anfangs entwickelte Symphatie für Reinhart wäre wohl kein Pakt zustande gekommen.

Dass diese Symphatie im Laufe der Episodensammlung nicht vollends schwindet, erklärt sich mit dem Argument, dass es hier Tiere miteinander zu tun haben. Somit schwindet "die Entwertung moralischer Kategorien" [Mecklenburg 2017:81] Deshalb sind seine Taten noch eher "vertretbar", da die Figuren als Tiere nicht nach menschlichen Trieben, sondern eben nach tierischen Trieben handeln, wobei den "dem Fuchs zugeschriebenen menschengleichen Eigenschaften eben doch der appetitus des Raubtiers hindurchbricht." [Mecklenburg 2017:81]

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  • [*Mecklenburg 2017] Mecklenburg, Michael: Abenteuerliche Überkreuzungen

[1]

Fazit

Reinharts amoralisch schlaue Handeln ist in der amoralischen Welt erfolgreich, amoralisch unschlaues Handeln führt hingegen zum Misserfolg [Huebner 2016]. Daher gibt es - je nach Interpretation und persönlichen Vorstellungen des Lesers - zwei unterschiedliche Ansätze die Figur Reinharts zu bewerten: Aus einer moralischen Sichtweise kann Reinhart vom Leser einerseits verachtet werden, andererseits jedoch sogar zu einer Identifikationsfigur werden.

  1. Hübner, Gert: Schläue und Urteil. Handlungswissen im ‚Reinhart Fuchs‘, in: Techniken der Sympathiesteuerung in Erzähltexten der Vormoderne. Potentiale und Probleme, hg. von Friedrich M. Dimpel und Hans Rudolf Velten, Heidelberg 2016