Motive und Themen im Winterlied 24 (Neidhart)

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Einführung

Der Artikel behandelt Neidharts Winterlied 24, welches zu Neidharts dörperkontroversen Liedern [Schweikle 1990: 83] gehört, bezüglich seiner Themen und Motive, was etwas in die Irre führen könnte, den in diesem Artikel treten vor allem die dörper, der Sänger und die vrouwe thematisch in den Vordergrund, weshalb der Titel "dörper, Sänger und vrouwe im Winterlied 24" vermutlich besser zu dem Artikel passen würde. Dazu gehört insbesondere die Untersuchung der dargestellten dörper, ihre Kleidung, ihr Auftreten, sowie deren Charaktereigenschaften, als auch das Sänger-Ich selbst, die Gestaltung des Natureingangs, die Bedeutung der genannten Ortschaften, die Namen der dörper sowie die Einordnung des Winterliedes in denselbigen Typus. Außerdem wird das Thema vrouwe, deren Rolle zwischen dörper und Sänger und ihre Funktion, näher beleuchtet.

Übersetzung [1]

Strophe I

Mittelhochdeutsch Übersetzung
Sumer, dîner süezen weter müezen wir uns ânen; Sommer, auf dein schönes Wetter müssen wir nun verzichten;
dirre kalte winder trûren unde senen gît. Dieser kalte Winter weckt die Trauer und die Sehnsucht nach dir.
ich bin ungetroestet von der lieben wolgetânen. Von der lieben Schönen erfahre ich keinen Trost.
wie sol ich vertrîben dise lange swaere zît, Wie soll ich diese lange und schwere Zeit verbringen,
diu die heide velwet unde mange bluomen wolgetân? in der die Wiesen und viele schöne Blumen verblassen?
dâ von sint die vogele in dem walde des betwungen, daz si ir singen müezen lân. Die Vögel im Wald quält es, dass sie auf ihr Singen verzichten müssen.

Strophe II

Alsô hât diu vrouwe[2] mîn daz herze mir betwungen, So hat meine Dame mir das Herz gebrochen,
daz ich âne vröude muoz verswenden mîne tage. sodass ich die Tage ohne Freude hinter mich bringen muss.
ez vervaehet niht, swaz ich ir lange hân gesungen; Was auch immer ich ihr lange vorgesungen habe war erfolglos;
mir ist alsô maere, daz ich mêre stille dage. Mir ist das egal, deshalb schweige ich besser für längere Zeit.
Ich geloube niht, das sî den mannen immer werde holt: Ich glaube nicht, dass sie den Männern in Zukunft zugeneigt sein wird:
wir verliesen, swaz wir dar gesingen unde gerûnen, ich und jener Hildebolt. Es ist umsonst, was auch immer wir singen und raunen, ich und jener Hildebolt.

Strophe III

Der ist nû der tumbist under geilen getelingen, Er ist nun der Dümmste unter den fröhlichen Gesellen,
er und einer, nennet man den jungen Willegêr: er und einer, den man den jungen Willegêr nennt:
den enkunde ich disen sumer nie von ir gedringen, Den konnte ich diesen Sommer nie von ihr wegdrängen,
sô der tanz gein âbent an der strâze gie entwer. So tanzten sie gegen Abend kreuz und quer.
mangen twerhen blic den wurfel sî mich mit den ougen an, Manchen schiefen Blick warfen sie mir mit den Augen zu,
daz ich sunder mînes guoten willen vor in beiden ie ze sweime muose gân. dass ich entgegen meines Vorhabens das Weite suchen musste.

Strophe IV

Wê, daz mich sô manger hât von lieber stat gedrungen Wehe, dass mich so mancher von dem schönen Ort vertrieben hat
beidiu von der guoten unde ouch wîlent anderswâ! sowohl von der Guten und auch anderswo!
oedelîchen wart von in ûf mînen tratz gesprungen. Widerwärtig sprangen sie beim Tanz, was mich verärgert hat.
ir gewaltes bin ich vor in mînem schophe grâ. Von ihren Gewalttaten werden meine Haare schon ganz grau.
doch sô neic diu guote mir ein lützel über schildes rant. Doch so verneigte sich die Schöne ein wenig hinter ihrem Schild vor mir.
gerne mugt ir hoeren, wie die dörper sint gekleidet: üppiclîch ist ir gewant. Ihr wollt bestimmt gerne hören, wie sich die Bauern kleiden: Übertrieben ist ihr Gewand.

Strophe V

Enge röcke tragent sî und smale schaperûne, Sie tragen enge Westen und kurze Mäntel,
rôte hüete, rinkelohte schuohe, swarze hosen. rote Helme, Schnallenschuhe und schwarze Hosen.
Engelmâr getet mir nie sô leide an Vriderûne, Engelmar hat Friderun nie so Schlimmes angetan,
sam die zwêne tuont. ich nîde ir phellerîne phosen, wie diese zwei es tun. Ich hasse ihre seidenen Gürteltaschen,
die si tragent: dâ lît inne ein wurze, heizet ingewer. die sie tragen: Mit einer Wurzel darin, die Ingwer genannt wird.
der gap Hildebolt der guoten eine bî dem tanze; die gezuhte ir Willegêr. Davon gab Hildebolt der Schönen eine beim Tanze; doch Willigêr nahm sie ihr weg.

Strophe Va (nach Hs. c)

Gern west ich, wie es die torpper vnter einander trachten. Ich wüsste zu gerne, wie sich die Bauern kleiden, wenn sie unter sich sind.
sie trugen peckkelhauben, darczu lange swert. Sie trugen Eisenhauben und lange Schwerter dazu.
ir spottigkeit, ir laster sie gar zu laster brachten: Ihr Spotten, ihre Beleidigungen brachten sie nur zu weiteren Vergehen:
des wurdens durch die goller mer denn halb gewert. Sie wurden durch das Treiben ihrer Späße noch mehr verdorben.
sie stritten mit einander einen ganczen summer langen tag. Sie stritten miteinander einen ganzen Sommertag lang.
das ir geläße sahe herre Neithart, do er in dem vas bey dem wein lag. Herr Neidhart sah, wie sie sich verhielten, als er bei dem Fass Wein stand.

Strophe VI

Sagte ich nû diu maere, wie siz mit ein ander schuofen, Wenn ich euch erzählen soll, was sie miteinander taten,
des enweiz ich niht: ich schiet von danne sâ zehant. so muss ich sagen, dass ich es nicht weiß: Denn ich eilte sofort davon.
manneglîch begunde sînen vriunden vaste ruofen; Jeder fing an, laut nach seinen Freunden zu rufen;
einer der schrê lûte: „hilf, gevater Weregant!“ Einer schrie laut: "Hilf, Gevatter Weregant!"
er was lîhte in grôzen noeten, dô er sô nâch helfe schrê. Er war womöglich in großen Nöten, weshalb er so um Hilfe schrie.
Hildeboldes swester hôrte ich eines lûte schrîen: „wê mir mînes bruoder, wê!“ Hildebolts Schwester hörte ich laut schreien: "Oh weh mir mein Bruder, oh weh!"

Strophe VIa (nach Hs. d, c, s)

Dô kam schiere ein geteline geloufen von dem strîte: Da kam bald ein Geselle vom Kampf zurück:
den frâgt ich der maere. "Willeher mit ellen streit. Ich fragte ihn nach der Begebenheit. "Willeher verteidigt sich mit den Ellenbogen.
Hildeboltes schapperûn der ist zerzerret wîte Hildebolts Kapuzenmantel ist überall zerrissen
und dar zuo sîn enger roc wol drîer spannen breit." und nebenbei sein Obergewand gut drei Spannen groß."
daz geschach umb eine wurzen, die man ûz der hende ir brach. All das geschah wegen einer Wurzel, die man der Schönen weggenommen hatte.
des engalt vil mangiu spaehiu hûbe, die man bî dem tanze zerzerret ligen sach. Daher geht es um viele schöne Hauben, die man beim Tanz dort zerrissen liegen sah.

Strophe VII

Wâ bî sol man mîn geplätze hinne vür erkennen? Wodurch soll man mein Geschwätz künftig erkennen?
hie envor dô kande man iz wol bî Riuwental. Früher erkannte man es wohl unter dem Namen Reuental.
dâ von solde man mich noch von allem rehte nennen: So sollte man mich noch zu Recht nennen:
nust mir eigen unde lêhen dâ gemezzen smal. Nun habe ich nicht viel an Eigentum und Lehen.
kint, ir heizet iu den singen, der sîn nû gewaltic sî! Kinder, lasst den singen, der am stärksten ist!
ich bin sîn verstôzen âne schulde: mîne vriunt, nu lâzet mich des namen vrî! Ich wurde unschuldig von dort verstoßen: Meine Freunde, hört auf mich so zu nennen!

Strophe VIII

Ich hân mînes herren hulde vloren âne schulde: Ich habe die Gunst meines Herrn unschuldig verloren:
dâ von so ist mîn herze jâmers unde trûrens vol. Mein Herz ist darum voll Kummer und Leid.
rîcher got, nu rihte mirz sô gar nâch dîner hulde, Gott, bestrafe mich ganz nach deinen Wünschen,
manges werden friundes daz ich mich des ânen sol! und wenn ich auf so manchen Freund verzichten soll!
des hân ich ze Beiern lâzen allez, daz ich ie gewan, Alles was ich je errungen habe, habe ich in Bayern gelassen,
unde var dâ hin gein Ôsterrîche und wil mich dingen an den werden Ôsterman. und fahre nach Österreich, wo ich ein neuer Mann werden will.

Strophe IX

Mîner vînde wille ist niht ze wol an mir ergangen: Die Absicht meiner Feinde bedeutete für mich nichts Gutes:
wolde ez got, sîn mähte noch vil lîhte werden rât. Wollte es Gott, so werden seine Mächte vielleicht noch einen Ausweg aufzeigen.
in dem lande ze OEsterrîche wart ich wol enphangen In Österreich wurde ich freundlich
von dem edeln vürsten, der mich nû behûset hât. von dem edlen Fürsten empfangen, der mich in den Hof aufgenommen hat.
hie ze Medelicke bin ich immer âne ir aller danc. Hier in Melk bin ich dank ihnen allen.
mir ist leit, daz ich von Eppen und von Gumpen ie ze Riuwental sô vil gesanc. Ich habe es satt, dass ich von Eppen und Gumpen je in Reuental so viel gesungen habe.

Strophe IXa (nach Hs. c, s)

Her Nîthart hât uns hie verlâzen als diu krâ den stecken, Herr Neidhart hat uns hier verlassen, wie die Krähe den Ast,
diu dâ hinne fliuget unde sitzet ûf ein sât. die da hin fliegt und sich auf ein Saatfeld setzt.
ez sol ein man mit fremden frouwen niht ze vil gezecken, Ein Mann soll mit fremden Edelfrauen nicht zu viel herumnecken,
der der wâren schulde an sîner keine vunden hât. wenn er keine Schuld an sich gefunden hat.
er niez sîn tegelîche spîse (der hât er dâ heime genouc), Er genießt seine tägliche Speise (davon hat er Zuhause genug),
lâz Hildebolten mit gemache! ez was ein eichel, die er bî im in dem biutel truoc. Lass Hildebolt mitmachen! Es war eine Eichel, die er im Beutel trug.

Strophe X

Rädelohte sporen treit mir Fridepreht ze leide, Mir zum Ärger trägt Frideprecht runde Sporen
niuwen vezzel hât er baz dan zweier hende breit. und einen neuen Schwertgurt, mehr als zwei Hände breit.
rucket er den afterreif hin wider ûf die scheide, Wenn er den Schwertring wieder auf die Scheide zieht,
wizzet, mîne vriunde, daz is mir ein herzenleit! wisst, meine Freunde, dass mir das im Herzen weh tut!
zwêne niuwe hantschuoh er unz ûf den ellenbogen zôch. Er zog uns zwei neue Handschuhe bis zum Ellenbogen hinauf.
mugt ir hoeren, wie der selbe gemzinc von der lieben hiuwer ab dem tanze vlôch? Wollt ihr hören, wie derselbe Gemsbock vor dem Tanz mit der Schönen floh?

Strophe Xa (nach Hs. c)

Er gap versengelt wol, rehte als im waer an gebunden Er gab wohl Fersengeld, gerade so, als ob er gefesselt worden wäre.
ein swînes blâse, alsô man den wilden hunden tuot. Eine Schweinsblase, wie man sie den wilden Hunden gibt.
ofte brach er sînen zelt, als sî doch wol befunden, Oft unterbrach er seinen Schritt, als sie ihn bemerkten,
Hatze und Pletze und jeniu ir gespile Hademuot. Hatze und Pletze und jene ihrer Gespielinnen, Hademout.
frâget Engeltrûten, wiez laeg umbe ir bruoder Fridebreht! Engeltrut fragte, wie es um ihren Bruder Friedebrecht stand!
"ach ach, er hât verrenket sich vor vorhte", alsô hât si mir geseit, "der toersche kneht." "Ach, er hat sich vor Furcht verrenkt, der törichte Knecht", hat sie mir erzählt.

Strophe Xb (nach Hs. c)

Sach ab ieman jenen mit der gickelvêhen täcken? Sah jemand denjenigen mit der bunten Decke?
die treget er ûf der hende und klopfet ûf sîn niuwez swert: Die trägt er in den Händen und klopft auf sein neues Schwert:
dâ mite er uns des nahtes ab der gazzen wil erschrecken. Damit er uns bei Nacht auf der Straße erschrecken kann.
der selbe dünket sich noch mêr dan drîer bônen wert, Derselbe hält sich noch für mehr als drei Bohnen wert,
als er danne gerûzet unde gedraeset, der vil übele man, als er dann ein Geräusch macht und schnaubt, der böse Mann,
und im sîn täcke ringeleht erklinget dem gelîche, als er trage ein goller an. und ihm seine Decke erklingt, als ob er einen Halsschutz trüge.

Inhalt

Zusammenfassung

In dem Winterlied geht es um das Sänger-Ich, wie es um ein Mädchen wirbt, ihm vorsingt und sich um sie bemüht, das ihn aber nicht erhört bzw. ihm von den dörpern „weggenommen“ wird. Dabei ärgert er sich so über die zuvor genannten und ihre Gewalttaten, dass er zunächst ihre übertriebene Kleidung beschreibt, die ganz den höfischen Gewohnheiten gleicht, jedoch nicht zu ihrem Verhalten passt. Außerdem schildert er einen Streit um eine Ingwerwurzel, die einem der Mädchen entrissen wurde, wodurch die Gewalt der dörper nach außen tritt. Unschuldig verlässt er das Land in Richtung Österreich, wo er freundlich vom Fürsten empfangen wurde. Schließlich erzählt er, wie ein dörper vom Tanz mit einem schönen Mädchen floh.

Ausführlich

Strophe I Natureingang. Der Sänger klagt über den einbrechenden Winter und wünscht sich den Sommer zurück. Er weiß nicht, wie er diese Zeit ohne Wärme und Liebe überstehen soll.
Strophe II Das Sänger-Ich berichtet betrübt von seiner Dame, die ihn nicht beachtet und seinen Gesang nicht schätzt.
Strophe III Bericht über zwei dörper, Hildebolt und Willegêr, die sich unmöglich verhalten und im Sommer nicht von der Dame wichen.
Strophe IV Der Sänger gibt den dörpern die Schuld, dass er diesen Ort ohne seine Dame verlassen musste. Überleitung zur Kleidung der dörper.
Strophe V Beschreibung der Kleidung und Bezug auf Engelmâr und Vriderûn. Engelmâr hat Vriderûn großes Leid angetan. Die dörper tragen Gürteltaschen in welchen sie Ingwer aufbewahren. Hildebolt schenkt der Dame eine Ingwerwurzel, doch Willegêr reißt sie ihr aus der Hand.
Strophe Va (nach Hs. c) Die dörper tragen auch Waffen und es kommt, wegen der geraubten Ingwerwurzel, zu Streitereien untereinander, sie streiten einen ganzen Tag lang.
Strophe VI Der Sänger berichtet von großem Geschrei und Hilferufen, eilt aber selbst sofort davon.
Strophe VIa (nach Hs. d, c, s) Durch den Streit wurde die Kleidung der dörper zerrissen. Der Grund für den Streit war die Ingwerwurzel.
Strophe VII Das Sänger-Ich hat keinen Besitz mehr, wurde verstoßen und bedauert es sehr, dass es nicht mehr singen darf.
Strophe VIII Der Sänger beklagt den unschuldigen Verlust seiner Ehre, bittet aber Gott darum, ihn angemessen zu bestrafen oder einen Ausweg zu finden. In Österreich will er sich ein neues Leben aufbauen.
Strophe IX Dass er jetzt in Österreich ist, hat er seinen Gegenspielern zu verdanken. Jedoch wurde er dort freundlich vom Fürsten empfangen.
Strophe IXa (nach Hs. c, s) Trutzstrophe. Es wird über den Weggang des Sängers berichtet und dass er selbst Schuld für sein Schicksal sei, da er eine fremde Dame umworben hat.
Strophe X Der Sänger berichtet wieder über die übertriebene und teilweise neue Kleidung der dörper. Fridepreht besitzt einen neuen, auffälligen Schwertgurt, was ihm missfällt.
Strophe Xa (nach Hs. c) Bericht von Frideprehts Flucht.
Strophe Xb (nach Hs. c) Ein Mann mit einer bunten Decke will die Menschen des Nachts auf der Gasse erschrecken.

Trutzstrophe IXa (nach Hs. c, s)

Bei Strophe IXa handelt es sich um eine Trutzstrophe. Hier spricht nicht der Sänger selbst, sondern er wird adressiert bzw. die Strophe handelt über das Sänger-Ich [Schulze 2018: 112]. Der Sprecher, bei dem es sich möglicherweise um einen der dörper im Winterlied 24 handelt, spricht Neidhart direkt an (IXa, 1) und berichtet darüber, wie der Sänger fortgegangen ist. Dabei vergleicht er diesen mit einer Krähe, die den Ast verlässt, wenn sie ein Saatfeld sieht (IXa, 1-2). Außerdem sei der Sänger selbst daran schuld, dass er vertrieben wurde, da er es auf eine fremde Frau abgesehen hat (IXa, 3). "Uneinig ist man sich dabei um die Verfasserschaft dieser Strophen. Eine Möglichkeit wäre, dass Neidhart selbst die Strophen verfasst hat: Wichtig für die Beurteilung, dass Neidhart selbst einen Teil der Trutzstrophen verfasst hat, ist die Tatsache, dass sie bereits in der frühen Überlieferung von Handschrift R vorkommen. Indem sie in der weiteren Tradition wie andere Motive nachgeahmt wurden, gibt es keine Kriterien, 'echte' und 'unechte' Trutzstrophen zu unterscheiden" [Schulze 2018: 113]. Wachinger definiert die Trutzstrophen wie folgt: "Die Trutzstrophen enthalten Antworten auf die Lieder, mit denen zusammen sie überliefert werden, sie sind drohende, spöttische oder scheltende Retourkutschen im gleichen Ton, anknüpfend meist punktuell an eine bestimmte Stelle des betreffenden Lieds. Teils wird Neidhart in der 2. Person angeredet, teils wird in der 3. Person von ihm gesprochen, in beiden Fällen beginnt die Strophe häufig mit Her Nîthart. Sprecher der Antwort ist in den meisten aber nicht in allen Trutzstrophen einer der im Lied dargestellten und verspotteten Dörper" [Wachinger 1970: 99]. In ihrer Funktion dienen sie dazu, den Vortrag zu verstärken und sich bzw. den Rezipienten vom Lied zu distanzieren [Wachinger 1970: 106].

Figuren im Winterlied 24

Im Winterlied 24 treten mehrere Figurengruppen auf. Zum einen gibt es das Sänger-Ich, zum anderen die Gruppe der dörper und nicht zuletzt die Dame, um welche die beiden zuvor genannten werben. Doch nicht alle Figuren erhalten denselben Stellenwert. Im folgenden Abschnitt werden diese drei Figurengruppen und deren Auftreten im Winterlied 24 vorgestellt.

Die Darstellung der dörper

Die Gruppe der doerper tritt meist in den Winterliedern Neidharts auf: "Figuren, die Neidhart dörper genannt hat, gelten als ein Markenzeichen seiner Winterlieder. [...] dörper sind fiktive Figuren, die zur höfischen Welt und ihrer Ordnung im Kontrast stehen. Sie tragen zwar Zeichen der bäuerlichen Welt, sind aber keine Vertreter einer realen gesellschaftlichen Gruppe" [Schulze 2018: 96]. Zwar sind die dörper bei Neidhart ursprünglich nicht belegt, jedoch bei Walther von der Vogelweide, Heinrich von Veldeke und Gottfried von Straßburg: Hier ist von der doerperheit die Rede, was eine Abweichung vom höfischen Verhalten beschreibt. Um das Publikum zu unterhalten, geht Neidhart sowohl auf ihr Verhalten, als auch auf ihr Erscheinungsbild ein. Die dörper, die bei Neidhart auch unter den Begriffen getelinc, gouch, sprenzelaere, gebire oder dorfman auftauchen, treten prunkvoll auf, haben aber keine Manieren, sie stechen oft aus den Menschenmassen heraus und tragen auffällige Farben und Stickereien, um sich mit der höfischen Welt gleichzustellen bzw. sich dieser anzunähern. Sie tragen außerdem fast immer Waffen oder Schwerter bei sich, deren Beschreibung oft ganze Strophen gewidmet sind. Sie sind aggressiv, streiten oft, wobei Neidhart meistens involviert ist. Gründe hierfür sind zumeist das konkurrierende Werben um eine Frau, oder die Beeinträchtigung Neidharts beim Singen. Nicht genau bekannt ist, ob die Bauern tatsächlich in den ehemaligen Dörfern existiert haben. Neidhart schreibt aber über sie, weil er womöglich Kritik am Verfall des höfischen Lebensstils übt.

Namen

Interessant sind vor allem die zahlreichen Namen der dörper, die in diesem Lied genannt werden. Der Name Hildebolt kommt in diesem Winterlied besonders häufig vor (II, 6; V, 6; VIa, 3; IXa, 6). Außerdem ist von Willegêr (III, 2; V, 6), Engelmâr (V, 3), Weregant (VI, 4), Willeher (VIa, 2), Fridepreht (X, 1; Xa, 5) und Engeltrut (Xa, 5) die Rede. Die Aneinanderreihung vieler Namen kann zum einen sehr Realitätsnah wirken, da die Figuren dann konkret einer Rolle zugewiesen werden und so personalisieren. Andererseits kann eine Anhäufung verschiedener Namen aber auch Austauschbarkeit vermitteln. Zunächst seien Engelmâr und Vriderûn genannt, deren Erwähnung auf den Spiegelraub, welcher in mehreren Liedern thematisiert wird, verweist. Dieses Ereignis wird somit wieder aufgegriffen und wiederholt. Häufig tragen die aufgeführten Namen Wertungen in sich oder sind in sich widersprüchlich, wie zum Beispiel der Name "Engel-mâr". Zu Beobachten ist auch eine Gender-Asymmetrie: Bis auf Vriderûn werden in den Liedern Neidharts nur Männer benannt. Frauen tragen sonst keine Namen, sie werden zum Beispiel "Hildeboldes swester" (VI, 6) genannt.

Kleidung und Auftreten

Im folgenden Abschnitt soll die Kleidung der Gegenspieler des Sängers näher beleuchtet werden. Diese nimmt im Winterlied 24 einen bedeutenden Stellenwert ein. Am Ende von Strophe IV beginnt der Sänger, sich über den übertriebenen und unpassenden Kleidungsstil der dörper auszulassen: "gerne mugt ir hoeren, wie die dörper sint gekleidet: üppiclîch ist ir gewant" (VI, 6). Sie tragen "smale schaperûne, rôte hüete, rinkelohte schuohe, swarze hosen" (V, 1-2): Also enge Westen und kurze Mäntel, rote Helme, Schnallenschuhe und schwarze Hosen. Besonders die Farbe rot, die dem Adel vorbehalten war, sticht hier auffallend hervor. Was den Sänger aber am meisten aufregt, sind "ir phellerîne phosen" (V, 4), in diesen seidenen Gürteltaschen bewahren sie nämlich die Ingwerwurzel auf. Außerdem tragen sie "peckkelhauben, darczu lange swert" (VIa, 2), also auch Schwerter, welche das übertriebene Auftreten unterstreichen, gehörten zur Aufmachung der dörper. Explizit werden auch einige dörper bezüglich ihrer Kleidung beschrieben, so zum Beispiel Hildebolt: Er trägt "schapperûn" (VIa, 3), einen Kapuzenmantel, der ihm aber zerrissen wurde (VIa, 3). Friderpreht trägt "Rädelohte sporen" (X, 1) und "niuwen vezzel [...] baz dan zweier hende breit" (X, 2). Die Beschreibung des zuletzt genannten Schwertgurts durch Neidhart, deutet darauf hin, dass es für einfache Leute untypisch war, breite bzw. auffällige Schwertgurte zu tragen. Winterlied 24 zeigt, "dass die Bauern trotz Wohlstands und höfischen Auftretens zu wahrhaft höfischem Verhalten nicht fähig sind. Bei den Burschen zeigt sich das in der Neigung zur Gewalt [...]. Diese Konstruktion der Bauernfiguren dürfte der Grundeinstellung eines höfischen Publikums entsprochen haben: Bauern können nicht wirklich kultiviert sein, weil ihnen die geburtsbedingte adelige Exklusivität abgeht" [Hübner 2008: 59]. Vor allem, wie schon weiter oben erwähnt, wird dies in Strophe V deutlich: Die dörper kleiden sich wie Adlige, können sich aber in ihrem Verhalten nicht daran anpassen, wodurch eine Art Komik entsteht, die sich auch in der Beschreibung der Kleidung bemerkbar macht. Diese wird oft widersprüchlich beschrieben. In Strophe VIa ist etwa von einem engen Gewand die Rede, das gleichermaßen weit ist: "und dar zuo sîn enger roc wol drîer spannen breit" (VIa, 4).

Gewalt

Nicht nur gegen den Sänger üben die dörper Gewalt aus, sondern auch unter Ihresgleichen kommt es immer wieder zu Streitereien und Gewaltausbrüchen: "Meist ist erotische Konkurrenz der Auslöser, aber manchmal bedarf es ihrer gar nicht, damit der Haufen sich in ein Gegeneinander von Einzelgruppen auflöst" [Müller 1986: 433]. Die Streitereien untereinander werden zum Beispiel in Strophe V belegt: "sie stritten mit einander einen ganczen summer langen tag" (Va, 5). Mit der Erwähnung des Ingwers rückt zudem die Natursymbolik in den Fokus. Im Winterlied 24 kommt es zu Gewaltausschreitungen, für die eine Ingwerwurzel verantwortlich ist (V, 5-6). Ingwer war im Mittelalter sehr geschätzt und vor allem als Küchengewürz nicht mehr wegzudenken. Außerdem diente Ingwer als Aphrodisiakum, weshalb es wahrscheinlich ist, dass die dörper sich deshalb so um die Wurzel stritten. Möglicherweise befürchteten sie, die Auserwählte könnte sich nun nur noch für den Rivalen interessieren. Andererseits ist die Ingwer-Szene auch mit dem Spiegelraub vergleichbar, da der Dame auch hier etwas von einem Antagonisten geraubt bzw. gestohlen wird. Die Gewaltausbrüche der dörper können sich sowohl physisch als auch psychisch äußern. Ruh formuliert es treffend wenn er sagt: "Wie der Winter den Sommer verdrängt, so die sprenzelaere den Sänger von lieber stat (24 IV 1 [...]) [...]. Gewalttätig [...] wie der Winter sind die Dörper [...], vor deren Macht Sommer und Sänger zur Ohnmacht verdammt sind." Die Mädchen werden zudem immer wieder von den döper-Figuren bedrängt. Diese weichen nicht mehr von ihrer Seite, so auch im Winterlied 24: "den enkunde ich disen sumer nie von ir gedringen, sô der tanz gein âbent an der strâze gie entwer" (III, 3-4) [Ruh 1984: 121f.]. Peters fasst das gewaltvolle Verhalten der dörper treffend zusammen: Die dörper erscheinen "als ritterlich aufgeputzte Parvenus[3] die Mädchen beim Tanz belästigen, maltraitieren, feindliche Übergriffe auf das Landgut des Sängers, "Riuwental", ausüben, aber auch gegenseitig in erbitterte Raufereien und Prügeleien verstrickt sind und überhaupt mit ihrem Auftreten gleichsam als feindliche Gegenwelt die gesamte gesellschaftliche Ordnung aus den Fugen geraten lassen" [Peters 2000: 449].

Verhalten gegenüber der vrouwe

Gegenüber der vrouwe verhalten sich die dörper entgegen den Minneregeln, sodass "die in den Liedern agierenden dörper als Werbende auftreten, sich gemäß höfisch markierter Konventionen kleiden oder Waffen tragen, welche aber zugleich die Regeln höfischer Minnekommunikation nicht beherrschen und trotzdem dörperwîp oder vrouwe für sich gewinnen können" [Haufe 2003: 112]. Man könnte sagen, die dörper verhalten sich gegenüber der vrouwe, als wäre sie eine Trophäe, die man zur Not auch mit Gewalt verteidigt. Schuld an dem Streit der ausbricht sei, laut Neidhart, die Ingwerwurzel (VIa, 5). Es ist eine Ingwerwurzel, die hier im Mittelpunkt steht und nicht die vrouwe. Auch bei Hübner wird die vrouwe als "erotische[s] Objekt" bezeichnet" [Hübner 2008: 54]. In Strophe III wird hier besonders deutlich, wie die dörper die vrouwe vereinnahmen: "den enkunde ich disen sumer nie von ir gedringen" (III, 3), sie drängen sich der vrouwe unübersehbar auf. Außerdem wird in diesem Winterlied kurz auf den Spiegelraub hingewiesen. Hier wird Vriderûn ein edler, vergoldeter Spiegel, der eigentlich ein Teil der höfischen Welt ist, entwendet und zerbrochen, oder sie verliert ihn. Das Zerbrechen des Spiegels symbolisiert oft eine Vergewaltigung. Auch geht mit dem Verlust des Spiegels der Verlust des adligen Lebensgefühls einher. Neidhart schwört dabei immer Rache, was letztendlich wieder neues Leid bringt. Im Winterlied 24 aber gibt es zwei dörper, Hildebolt und Willegêr (V, 6), die der vrouwe noch Schlimmeres angetan haben, so Neidhart: "Engelmâr getet mir nie sô leide an Vriderûne, sam die zwêne tuont" (V, 3–4). Da das Ereignis um den Spiegelraub hier nicht weiter ausgeführt wird, liegt es nahe, "dass die Hörer über einen ausführlichen Verständnishintergrund verfügten" [Schulze 2018: 103]. In diesem Lied rückt "de[r] Vorfall in größere Zusammenhänge und [gibt] dem Ereignis symbolische Bedeutung" [Schulze 2018: 104], nämlich die, dass die dörper der vrouwe noch Grausameres als die Vergewaltigung angetan haben müssen und das adlige Lebensgefühl hier noch stärker schwindet.

Der Sänger

Die Rolle des Sänger-Ichs beläuft sich darauf, dass dieses zwar mit Gesang um seine Dame wirbt, allerdings keinen Erfolg bei ihr hat, wie die zweite Strophe des Liedes zeigt: "ez vervaehet niht, swaz ich ir lange hân gesungen" (II, 3). Der Misserfolg des Sängers beim Folgen der Frau ist in diesem Lied auf "[den] Widerstand und [die] Gleichgültigkeit" der Dame zurückzuführen [Ruh 1984: 119]. Außerdem steht er in Konkurrenz zu den dörpern, gegen die er sich nicht behaupten kann. Grund des Misserfolgs ist der dörper Willigêr (III, 3), der beim Tanz nicht von der Frau weicht, um die der Sänger ursprünglich geworben hatte. Obwohl Ruh in seinem Aufsatz nichts dergleichen erwähnt [Ruh 1984: 119], könnte man sagen, dass der Sänger seinen Gesang aufgrund seines Misserfolgs bei seiner Auserwählten aufgibt. Trotzdem hat der Sänger eine bedeutende Rolle, die ihn von den dörpern abhebt: "Die Position des Sänger-Ichs scheint insofern privilegiert, als dass es zugleich klagen, in der dörper-Welt kommunizieren und handeln sowie berichten kann und sich somit von dieser konkreten Figurenwelt distanziert" [Haufe 2003: 107]. Wenn der Sänger spricht, vertritt er nicht nur seine eigenen Interessen, sondern auch Werte, die für die Allgemeinheit gelten sollten: "Das Ich kommt nicht als dieses ganz besondere, unverwechselbare Individuum in seinen ganz einmaligen Erfahrungen und Wünschen, die sich auf diese eine Frau richten, zur Sprache, sondern in dem, was es mit den Antrieben und Wertvorstellungen aller (oder aller Guten) verbindet (verbinden sollte)" [Müller 1986: 415]. Immer wieder lässt der Sänger sich außerdem über die dörper aus und berichtet von ihren Gewalttaten, über die er sich so ärgert, dass sein Haar schon ergraut: "ir gewaltes bin ich vor in mînem schophe grâ" (IV, 4). "In seinen Winterlidern beginnen die Reflexionen des liebenden Sängers in der Regel mit einer (topischen) Winterklage, gefolgt von einer Liebesklage, an der sich eine Reihe von Strophen mit wüsten Verbalinjurien gegen die Dörper anschließen, die als rauflustige Bauernlümmerl nicht nur dem Sänger die eigene "frouwe" – gelegentlich mit Erfolg – abspenstig machen [...]" [Peters 2000: 449]. Zudem berichtet der Sänger aufgrund dessen Verfolgung in Strophe VIII von seiner Flucht nach Österreich: "des hân ich ze Beiern lâzen allez, daz ich ie gewan, unde var dâ hin gein Ôsterrîche und wil mich dingen an den werden Ôsterman" (VIII, 5-6).

Die Rolle der vrouwe

Im Allgemeinen ist die Rolle der vrouwe, mit wenigen Ausnahmen und wenn es sich nicht gerade um Vriderûn (V, 3) handelt, namenlos. Bei der Dame handelt es sich grundsätzlich um ein Bauernmädchen, das dem Sänger, der um sie wirbt, mit einer ablehnenden Haltung gegenüber steht und diesem immer wieder das Herz bricht: "Alsô hât diu vrouwe mîn daz herze mir betwungen" (II, 1). Nicht einmal Neidharts Gesang scheint sie zu interessieren: "ez vervaehet niht, swaz ich ir lange hân gesungen" (II, 3). Anders verhält sie sich gegenüber den dörpen: "Dem werbenden Sänger gegenüber verhält sich die vrouwe, dem Minnesangschema entsprechend, passiv-ablehnend. [...] Das Verhalten gegenüber den Dörpern ist zwar nicht aktiv, aber nachgiebig, denn sie stört sich nicht an dem aufdringlichen Verhalten der dörper, welches Neidhart erwähnt (III, 3). Werbung mit rûnen[4] und Handgreiflichkeiten weist sie nicht zurück" [Ruh 1984: 120]. Da aber auch die vrouwe, wie die dörper, zum Bauerngefolge gehört, lässt sich laut Hübner festhalten, dass sich die Bauernmädchen durch eine "leichtgläubige Verführbarkeit, die das Fehlen der nur Adeligen eigenen Ehre anzeigt" [Hübner 2008: 59], auszeichnen.

Der Natureingang

Der Wintereingang hält eine Strophe lang an. Darin beklagt der Sänger den zu Ende gegangenen Sommer und damit die Tänze und die Geselligkeit. Durch den Wegfall der beiden zuletzt genannten Aktivitäten fällt ein Schleier der Trauer und Sehnsucht auf die Menschen, die Hoffnungsvoll das Ende des Winters herbeisehnen. In Vers drei erfährt der Rezipient außerdem, dass das Sänger-Ich von seiner Angebeteten ebenfalls keinen Trost erfahren wird, da er bei dieser keinen Erfolg hat. Er fragt sich nun, wie er all das meistern und bis zum nächsten Sommer durchhalten soll. Selbst die Vögel leiden unter diesem Winter (I, 6).

Der Natureingang im Winterlied 24 wird vom Sänger vorgetragen. Es beginnt eine Klage, in der die Zeichen des Sommers negiert werden [Ruh 1984: 117]: "Sumer, dîner süezen weter müezen wir uns ânen" (I,1). Mit dem Verb anen was so viel wie "verzichten" heißt, werden hier die anfänglichen Sommerzeichen negiert.

Bedeutung der Orte

Im Winterlied 24 und auch in einigen anderen Neidhard-Liedern ist ein Ortswechsel beziehungsweise die Flucht des Sänger-Ichs, aufgrund verlorener Ehre ("Ich hân mînes herren hulde vloren âne schulde" (VIII, 1)), von Bayern (VIII, 5) nach Österreich (VIII, 6) zu erkennen: "Nahezu jeder literarhistorischen Darstellung von Leben und Werk Neidharts lässt sich entnehmen, dass dessen künstlerische Laufbahn jedenfalls in Bayern begonnen und nach Anfeindungen ihre Fortsetzung in Österreich am Hof Herzog Friedrichs II. gefunden hätte" [Bennewitz 2018: 38]. In Österreich erhält er vom Herzog eine Bleibe. Der Wechsel von Bayern nach Österreich findet sich auch schon bei anderen Autoren und intensiviert zudem die Identitätskrise des Sängers: "[D]ie Hofwechsel-Strophen sind primär binnenliterarisch zu verstehen. Die narrativen Fragmente vom Verlust Riuwentals, der Wendung nach Österreich und der 'Behausung' durch Herzog Friedrich sind eine groß angelegte Variante der aus Walthers Sangspruchdichtung bekannten Situation: 'Wechsel vom schlechten zum guten Herren'. Sie wirkt als inszenierte Identifikationskrise, die als Scharnier zwischen den Liedern mit Riuwental-Bezügen und denen mit österreichischem Ambiente fungiert" [Mertens 2018: 52].

Fazit: WL 24 als typisches Winterlied?

Das Winterlied 24 kann als typisches Winterlied klassifiziert werden, bezieht man sich auf Ruh [Ruh 1984: 116–125] und Schweikle [Schweikle 1990: 80–84]. Zwar ist eine Typisierung nach den Aspekten der Struktur und Perspektive nahezu unmöglich, da es bei den Winterliedern viele Untergruppierungen nach zumeist thematischen Einheiten gibt. Es beginnt mit einem Natureingang, genauer gesagt dem Wintereingang, in dem der vergangene Sommer beklagt und auf die Auswirkungen in der Natur eingegangen wird, indem die Anzeichen des Sommers mit Negationen beschrieben werden. Es kann außerdem als dörperkontroverses Lied eingeordnet werden, da der Sänger das Geschehen beobachtet, von der übertriebenen Kleidung der dörper berichtet sowie von denselben von der Dame weggedrängt wurde. Ein weiteres Kennzeichen sind einige Minneverse bzw. die Minneklage, die das Scheitern des werbenden Sängers thematisieren. Des Weiteren wird mit der Nennung Engelmârs und Vriderûns auf den Spiegelraub Bezug genommen. Thematisch wird das Geschehen nicht detailliert dargestellt, sondern zum Beispiel Personen – die dörper – beschrieben. Bezeichnend für die Winterlieder sind die Tanzszenen, bei welchen es hier um den Raub des Ingwers geht, der aber ebenfalls nur episodisch bleibt. Innerhalb der Dörperkontroversen Lieder, hat der Sänger, aufgrund der dörper-Konkurrenz und Gleichgültigkeit der vrouwe, Misserfolg bei seiner Dame, wie auch im Winterlied 24. Die vrouwe, bei der es sich um ein Bauernmädchen handelt, hat typischerweise keinen Namen und verhält sich passiv. Die dörper werden alle namentlich genannt und tragen pseudohöfische Frisuren und Kleidung in übertriebenem Maße. Sie vertreiben den Sänger von der Dame und scheuen auch nicht den Einsatz von physischer wie psychischer Gewalt, auch untereinander.

Literatur

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  • [*Bennewitz 2018] Bennewitz, Ingrid: Ein Autor und seine Geschichte(n), in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, Berlin/Boston 2018, S. 31–41.
  • [*Haufe 2003] Haufe, Hendrikje: Minne, Lärm und Gewalt. Zur Konstitution von Männlichkeit in den Winterliedern Neidharts, in: Agenturen des Geschlechts. Modelle von Männlichkeit in der Literatur des 13. Jahrhunderts, hg. von Martin Bausch et al., Göttingen 2003 (Agenturen 1), S. 101–122.
  • [*Hübner 2008] Hübner, Gert: Minnesang im 13. Jahrhundert: eine Einführung, Tübingen 2008.
  • [*Mertens 2018] Mertens, Volker: Neidhart: ,Minnesang' und .Autobiografie', in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, hg. von Margarete Springeth und Franz Viktor Spechtler, Berlin/Boston 2018, S. 43-54.
  • [*Müller 1986] Müller, Jan-Dirk: Strukturen gegenhöfischer Welt. Höfisches und nicht-höfisches Sprechen bei Neidhart, in: Höfische Literatur und Hofgesellschaft. Höfische Lebensformen um 1200. Kolloquium am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (3. bis 5. November 1983), hg. von Gert Kaiser und Jan-Dirk Müller, Düsseldorf 1986 (Studia humaniora 6), S. 409–453.
  • [*Peters 2000] Peters, Ursula: Neidharts Dörperwelt. Mittelalter-Philologie zwischen Gesellschaftsgeschichte und Kulturanthropologie, in: Huber, Martin / Lauber, Gerhard: Nach der Sozialgeschichte. Konzepte für eine Literaturwissenschaft zwischen Historischer Anthropologie, Kulturgeschichte und Medientheorie, Tübingen 2000.
  • [*Ruh 1984] Ruh, Kurt: Neidharts Lieder. Eine Beschreibung des Typus, in: Kleine Schriften. 1. Dichtung des Hoch- und Spätmittelalters, S. 107–128.
  • [*Schulze 2018] Schulze, Ursula: Grundthemen der Lieder Neidharts, in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, hg. von Margarete Springeth und Franz Viktor Spechtler, Berlin/Boston 2018, S. 95–116.
  • [*Schweikle 1990] Schweikle, Günther: Neidhart, Stuttgart 1990. S. 71-87.
  • [*Wachinger 1970] Wachinger, Burghart: Die sogenannten Trutzstrophen zu den Liedern Neidharts, in: Werner, Otmar / Naumann, Bernd (Hg.): Formen Mittelalterlicher Literatur. Siegfried Beyschlag zu seinem 65. Geburtstag von Kollegen, Freunden und Schülern (Göppingen Arbeiten zur Germanistik = Bd. 25), Göppingen 1970, S. 99–108.

Kommentar

  1. Alle Textstellen beziehen sich auf folgende Quelle: Abdruck nach der Textausgabe von Edmund Wießner (ATB): Die Lieder Neidharts, hg. v. Edmund Wießner, fortgef. v. Hanns Fischer, 5., verb. Auflage, rev. v. Paul Sappler, mit einem Melodienanhang v. Helmut Lomnitzer, Tübingen 1999 (ATB 44).
  2. Als "vrouwe" werden in der Minnelyrik hochgestellte Damen bezeichnet, und nicht die normale Frau. Erst im Neuhochdeutschen fand eine Generalisierung des Begriffs statt, bei welcher der Begriff eine Bedeutungserweiterung hin zur "Frau" erfahren hat. Im Artikel werden die Bezeichnungen vrouwe, Dame, Frau usw. gleichbedeutend verwendet.
  3. Vom frz. "parvenu(e)" = Neureiche(r)
  4. rûnen: heimlich u. leise reden, flüstern, raunen (https://woerterbuchnetz.de/?mode=Vernetzung&hitlist=&patternlist=&lemid=LV03293&sigle=Lexer#2)