Das Bild der Frau im Parzival (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Dieser Artikel befasst sich mit der Frau im Parzival-Roman Wolframs von Eschenbach. Dabei sollen möglichst viele Frauen aus verschiedenen Ständen untersucht werden. Zuerst wird aufgezeigt, welchen Stellenwert die Frau im Mittelalter hatte, damit man sehen kann, was sich davon in Wolframs Figuren wiederspiegelt. Anschließend werden einige Frauen des Werkes kurz charakterisiert und untersucht welchen Platz sie einnehmen und wie sie dargestellt werden. In diesem Zug werden auch einige Einteilung vorgenommen, welche Darstellungen positiv und welche negativ auffallen. Am Ende wird noch kurz dargestellt wie Wolfram das reale Vorbild der mittelalterlichen Frau in seinem Roman umgesetzt hat.


Die Darstellung der Frau in der höfischen Epik des Hochmittelalters

Die heutigen gebräuchlichen Titel der höfischen Epen des deutschen Hochmittelalters machen deutlich, dass das Hauptaugenmerk der Rezipienten auf dem jeweiligen Protagonisten, dem Titelhelden lag. Dies lässt sich daran erkennen, dass Texte, die ohne expliziten Titel aufgefunden wurden, von den späteren Schreibern meist nach dem charakteristischen männlichen Namen in der Erzählung benannt wurden. [Braunagel 2001: vgl. S. 5] Diese Praxis ist insofern unbefriedigend, da den Protagonisten meist weibliche Handlungsträgerinnen beigestellt sind, die auf Grund ihres Aktionspotentials oder ihrer Funktion in der Geschichte für den Verlauf der Handlung wichtig sind, sei es als Motivation einer Minnehandlung oder als Helferinnen und Ratgeber. Die Frauengestalten der höfischen Epik sind, obwohl sich das dort beschriebene ritterlich-höfische Umfeld nur wenig ändert, in den verschiedenen Werken in ihrer Ausgestaltung sehr unterschiedlich. Die Darstellung der verschiedenen Handlungsträgerinnen in ihrer Rolle als Frau variiert unter den einzelnen Autoren, wie auch unter deren verschiedenen Werken. Der wichtigen Rolle der Frauen in der Epik entspricht auch ein früh etabliertes Interesse der mediävistischen Forschung an den Frauengestalten. In vielen Arbeiten (z. B. von Weinhold, Eilte, Kump, Kinzel, Carle uvm.) geht es zum Beispiel um den Vergleich der Frauenfiguren in der mittelalterlichen Literatur zum realhistorischen Leben und um die Darstellungsmethodik der verschiedenen Dichter in Bezug auf ihre Frauenfiguren.


Die Relevanz des im Rahmen höfischen Erzählen so zentralen Bereichs der Geschlechterbeziehung für das Verständnis von Wolframs "Parzival" erstreckt sich auf der Ebene der Thematisierung zwischengeschlechtlicher Liebe, die diesen Roman von anderen nicht-geistlichen Erzähltraditionen des ausgehenden 12. Jahrhunderts abhebt. Indem Rittertum und Minne zu den entscheidenden Größen in seinem literarischen Entwurf einer höfischen Gesellschaftsordnung werden, definiert der Held, Parzival, sich nicht mehr ausschließlich über Kampfhandlungen, sondern auch über die Beziehung zu einer Partnerin. [Emmerling 2003: vgl. S. 2] Er gestaltet ein Verhältniss der Geschlechter zueinander, und zwar nicht im Sinn politischer oder dynastischer Überlegungen, wie es im feudalen Minnediskurs seiner Zeit üblich ist, sondern im Sinne eines menschlichen Miteinanders. In seiner fiktionalen Erzählung scheint auch ein Entwurf einer Weiblichkeit eine Rolle zu spielen. Inwieweit entspricht das dargestellte fiktionale Geschehen des Parzival und damit auch die Darstellung der Frauen und ihres Handelns der historischen Realität?

Wolfram stellte zwar allgemeine höfische Lebensumstände - wenn auch zugespitzt - realitätsnah dar, die Handlung des Parzival spielt jedoch im Großen und Ganzen eher in einem märchenhaften Umfeld. [Braunagel 2001:vgl. S. 7] Die höfische Literatur schafft sich in diesem Werk den Freiraum, Entwürfe zwischengeschlechtlicher Liebe durchzuspielen, die sich kaum mit den Lebensweltlichen Konzepten des 12. und 13. Jahrhunderts berühren, wie sie beispielsweise im kirchlichen und im feudalen Diskurs thematisiert werden. Ein Beispiel sind Eheschließungen im Mittelalter: Das Mädchen und die unverheiratete Frau wurden als reine Geschäfts- und Heiratsobjekte betrachtet. Daraus folgt, dass die Individualität der adeligen Frau, Gefühle wie Liebe oder Neigung bei der Partnerwahl wenig ins Gewicht fielen. Der personale Eigenwert der Frau trat hinter ihren sozialen und politischen Funktionswert zurück. Die Ehe wurde im Mittelalter zum Vertrag zwischen beiden Partnern. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass sich in einer Ehe, die aus politischen Motiven geschlossen wurde, dennoch Liebe zwischen den Ehepartnern entwickeln konnte. Ein solcher Fall, in dem persönliche Liebe in der Ehe entstand, war aber eine Ausnahme und gehörte nicht zum Kalkül der Heiratsplanung. So ist eheliche Treue in einer Gesellschaft, in der Ehe und Liebe getrennte Bereiche waren, nur aus gesellschaftlichen, allenfalls religiösen Motiven zu erwarten, nicht aber aus persönlichen. Schon gar nicht kann man mit Treue über den Tod hinaus rechnen.

Die Literatur wird also zum Medium für ein Durchspielen bloß denkbarer Möglichkeiten. Gleichzeitig handelt es sich um eine Auseinandersetzung mit Denkschemata in der unmittelbaren literarischen Tradition. Das Thema Geschlechterbeziehungen stellte für Wolfram ein textuelles Konstrukt dar, anhand dessen er sich mit den Konzepten seiner Zeitgenossen auseinandersetzte. Eine Analyse von Wolframs dargestellten Geschlechterverhältnissen, beziehungsweise seinen Frauenfiguren im Roman, ermöglicht einen Blick darauf, wie Wolfram am höfisch-literarischen Diskurs seiner Zeit teilnimmt und ihn entscheidend mit trägt.

Wolfram konzipiert eine episch strukturelle Rolle der Frauenfiguren dar, indem er sehr auf die Darstellung der Eigenschaften und Fähigkeiten der wichtigen Frauenfiguren als Vertreterinnen ihres Geschlechts und damit der geschlechtsspezifischen Eigenschaften eingeht. Im "Parzival" treten mehr handelnde und entscheidungstragende Frauen auf als in jedem anderen höfischen Roman des Hochmittelalters. Indem er jeder seiner Frauenfiguren ein individuelles Gesicht gibt, setzt er sich von den Darstellungskonventionen des Minnesang ab. Dort nämlich sind Frauen letztlich nichts anderes als poetische Abstraktionen erwünschter Verhaltensweisen. Bei der besungenen Frau handelt es sich meist um eine typisierte Frau. Wolframs Stärke liegt dagegen in der Individualisierung seiner Gestalten. Jede Figur hat ihre eigenen charakterlichen Züge und eine bestimmte Rolle im Handlungsgefüge des Romans. Der Frau als Begleiterin des Helden kommt eine deutlich strukturelle Funktion zu. Sie dient als Handlungsantrieb, als Ziel und als Symbol für die sowohl strukturell als auch inhaltlich wichtigen Daseinsstadien des Helden.[Braunagel 2001: S. 10]


Der Erzähler im "Parzival"

In der Interpretation des "Parzival" kommt der Ausgestaltung der Erzählerfigur eine wichtige Rolle zu, da diese die Handlung nicht nur vermittelt, sondern sich auch ein eigenes Profil verleiht und kommentierend eingreift. [Schaeuble 2003: S. 351] Bereits im Prolog kündigt er an, dass er von wiplichez wibes reht/weiblichem Weibestum (4, 11) erzählen wolle, also von Frauen, die der rechten fraulichen Wesensart entsprechen. In diesem Vorhaben hebt er sich in nichts von seinen Zeitgenossen ab, denn er stellt klassische Tugendforderungen an die höfische Dame, durch die sie auf einseitige Charaktereigenschaften reduziert werden. Er weist mit seiner Aufzählung "weiblicher" Tugenden wie kiusche, triuwe, maze, scham und staete(3, 1-8) auf ideale und in ihrer Tugendhaftigkeit vollkommene Frauengestalten hin. Diese Forderungen an eine höfische Dame enthalten eine angenommene Minderwertigkeit und Passivität der Frau. Später nimmt er eine Trennung innerhalb der "Gattung" Frau selbst vor:


Ez machet truric mir den lip, Traurig macht es meinen Leib, wenn ich die vielen sehe,
daz also mangiu heizet wip. die da den Namen Frau für sich in Anspruch nehmen.
ir stimme sinnt gleiche hel: Die Stimme klingt bei allen gleich hell,
genuoge sinnt gein falsche snel, doch unter ihnen ist eine gute Zahl von solchen,
Estriche falsches laere: die bereit sind, sich dem verrat in die Arme zu stürzen,
sus teilend sich diu märe. in etlichen anderen findet Verrat keinen Raum.
daz die gleiche sint genamt, Dass diese und jene den selben Namen tragen sollen,
des hat min herze sich geschamt. das ist eine Schande, die mein Herz tief fühlt.
wipheit, din ordentlicher site, Zum Wesen des Frausein in der Ordnung der Welt gehört,
dem wert und fuhr ie triwe mite. -und gehört seit je- die Treue.

(116, 5-14)


Richtige weibliche Art ist also seit jeher mit Treue verknüpft. Diejenigen Frauen hingegen, die diesem Ideal nicht entsprechen, sind des Lobes nicht wert, ja verdienen eigentlich nicht einmal, wip genannt zu werden. Indem Wolfram den Erzähler diese Perspektive einnehmen lässt, reproduziert er das im Mittelalter vorherrschende misogyne Frauenbild ebenso wie das damit zusammenhängende hierarchische Geschlechterverhältnis. Dass Wolfram mit seinem Konzept von idealer Weiblichkeit von den im höfisch-literarischen Diskurs vorherrschenden Konventionen abweicht, kommet erst im Zuge des Erzählens zum Ausdruck. In den Selbstaussagen und Erzählerkommentaren hingegen entwirft der Erzähler von sich das Bild des Durchschnittsmannes seiner Zeit, der seine Wünsche und Nöte preisgibt. Er nähert sich dadurch den realen Zuhörern an und äußert in der Freiheit dieser Rolle seine misogynen Standpunkte.

Ein durchgehendes Erzählmittel stellen dabei die tendenziösen Witze dar, in denen Sexuelles enthüllt wird. Im Mittelpunkt steht dabei immer der verführerische weibliche Körper, der die Begierde des Erzählers weckt. Die auf ihre Körperlichkeit reduzierte Frau ist dabei nicht bloß der Auslöser, sondern zugleich auch Objekt dieser Witze, in denen die Frauen als Lustobjekte imaginiert werden. [Schaeuble 2003: S. 199] Das Spektrum reicht dabei bis zur Vergewaltigungsphantasie, wie sie beim ersten Zusammentreffen Parzivals mit Jeschute:


het er gelernt sins vater site, Hätte er vom Vater das Betragen.
die werdecliche im wonte mite, das dem als einem rechten Ritter eigen war, gelernt,
diu buken wäre gehuret baz, so hätte er bei der Gelegenheit den Schildbuckel wahrlich besser gestoßen,
da diu herzoginne al eine saz, als da die Herzogin allein im Bett saß.

(139, 15-18)


Die Legitimation für ein derart sexistisches Sprechen über die Frauen liefern dem Erzähler diese selbst durch ihre verführerische Schönheit sowie ihre angenommene Sinnlichkeit, die ja den Hauptaspekt ihres charakterlichen Defizits ausmachen soll: wip sinnt et immer wip (450, 5) Die Bedeutung dieser Witze, deren Opfer die Frauen sind, erschließt sich aus der Häufigkeit ihrer Anwendung. Indem sich der Erzähler hier als Durchschnittsmann stilisiert, nähert er sich den realen Zuhörern an und bietet sich nun auch als Identifikationsfigur an. Diese diskursive Gewalt, die mitschwingt, korreliert nicht nur mit den im "Parzival" erzählten Formen struktureller Gewalt gegen Frauen auf der Handlungsebene, sondern weist auch deutliche Parallelen zur gesellschaftlichen Realität der Frau im hohen Mittelalter auf. [Schaeuble 2003: S. 202]


Die Rolle der Frauen an der Tafelrunde

Die Orientierung ritterlichen Handelns am Gewinn der Minne ist im gesamten Roman ein fester Bestandteil vorbildlichen Rittertums am Artushof. [Sieverding 1985: S. 168f.] Das belegt schon, dass für Gawan, den typischsten aller Artusritter, persönliches Glück nur durch die Vereinigung mit Orgeluse zu Stande kommen kann. Der Artushof und besonders Artus selbst sind im "Parzival" von Anfang an nicht mehr die einzig zentralen Norminstanzen ritterlichen Verhaltens. Ritterliche Bewährung, ritterlicher Kampf, erhalten Sinn und Wert primär aus ihrem Bezug auf die Frauen. Bereits im Prolog wird Artur nicht erwähnt, statt dessen wird als ein wesentlicher Orientierungspunkt ritterlichen Verhaltens die Frau eingeführt. Der Grund dafür liegt in der Beschreibung des Artushof durch Wolfram: Der Artushof im "Parzival" ist bei weitem kein so harmonischer Ort wie in anderen Artuswerken der Zeit. Ein wesentlicher Grund für ständige Streitereien ist darauf zurückzuführen, dass der Artushof im "Parzival" nicht mehr ein einfaches Fundament hat. neben die traditionelle "aventiure"-Ideologie als handlungbestimmendes Normsystem treten die 2minne"_Ideologie und die Interessen der Frau, die durch denArtushof mitvertreten werden müssen.

Äußerlich zeigt sich die veränderte ideologische Struktur unter anderem darin, dass Ginover neben Artus zur gleichrangigen und zum Teil auch gleichberechtigt mitentscheidenden Repräsentationsfigur aufsteigt.[Sieverding 1985: S. 223] Dies seinen der Art der Reaktion des Artushofes auf den Brief Galans verdeutlicht, mit dem dieser die Artusgesellschaft bittet, sie möge zu seinem Kampf gegen Gramoflanz nach Joflanze kommen. Galans Brief richtet sich ausdrücklich sowohl an Artus als auch an Joflanze, von beiden erbittet er Hilfe.


Artuse unt des wibe Dem Artus und dessen Frau,
dienst von sime liebe sei er mit seinem ganzen Leib ergeben
mit triwen unverschertet: und mit Treue ohne Scharte.

(625, 17-19)


Zudem erbittet er auch die Damen, ihn beim Kampf zu unterstützen:

daz si beide an triwe dachten Sie möchten doch der Treue, die sie mit ihm verbinde, gedenken
unt ze Joflanze braehten und sollten alle ihre Leute
die Massen mit frouwen schar: samt dem Heer der Damen nach Joflanze führen.

(625, 22-24)


Ginover und Artus sind gemeinsam als Repräsentanten der Artusgesellschaft angesprochen, Ginover ist nicht bloß dekorative Nebenfigur des glanzvollen Artus. Ist Ginover gleichberechtigt bei der Entscheidungsfindung, gilt gleiches für die Ausführung des Beschlusses, zu Galan zu reiten, wenn Ginover die Frauen auf die reise vorbereitet.

Ginovers Position am Artushof verweist darauf, dass die Ritterschaft im Dienst der Frau zu einer Wesentlichen Komponente des am Artushof gültigen Ritterideals geworden ist.

Vor diesem Hintergrund verblüfft eine Diskrepanz zu einer zweiten Beobachtung im Roman: An der Tafelrunde des Artushof dürfen nur die Frauen Platz nehmen, die einen amis haben, die sich also durch ein Minneverhältnis mit einem Ritter zu den gesellschaftlichen Normen der Gemeinschaft bekennen und so die Freude des Hofes im Rahmen eines Dienst-Lohn-Verhältnisses mit ihrem Ritter vermehren:


selch frowe was sunder amis, Eine Dame ohne Kavalier durfte es nicht wagen,
diu getorste niht decheinen wis bei der Tafelrunde zu erscheinen,
über tavelrunder komn. das war ganz ausgeschlossen.
het si dienst uf ir lon genomn Hatte sie aber bei einem Ritter Dienst gegen Lohn angenommen
und gap si lomes sicherheit, und ihm den Lohn mit ihrem Wort garantiert,
an tavelrunder ring si reit. so ritt sie an den Ring der Tafelrunde.
die andern muosenz lazen: Die anderen mussten es eben bleiben lassen
in ir Herberge se sazen. und in ihren Zelten sitzen.

(776, 17-24)


Hat also eine Frau keinen amis, beschränkt sich ihre Rolle am Artushof darauf, zusammen mit Hundertschaften weiterer Frauen die Repräsentationsgewalt eines Hofes oder Herrschers zu demonstrieren 8zum Beispiel beim Kampf Galans gegen Gramoflanz). In dieser schmückenden Rolle dienen die Frauen als Augenweide für die Herren des Hofes. [Emmerling 2003: S. 174f.]

Herzeloyde

Wolfram gibt der Geschichte Herzeloydes (im Gegensatz zu seiner Vorlage Chrétiens) breiten Raum und berichtet von ihr als eigenständige Person. [Emmerling 2003: S. 225] Sie ist eines der Bindeglieder zwischen Gahmurets Anschouwe-zyklus und dem Parzival Erzählstrang. Sie ist es, die sowohl in Buch II, also noch innerhalb der Anschouwe-Geschichte, handelnd in Erscheinung tritt, aber auch zu Beginn der Parzival-Handlung als Mutter des Titelhelden entscheidend für den Handlungsverlauf ist.

Wenn Herzeloyde zu Beginn ihres Auftretens sich selbst als Siegespreis eines Turniers ausschreibt, problematisiert Wolfram - ähnlich wie zuvor bei Belacane - die Herrschaft einer alleinstehenden Landesherrin. Sie benötigt die politische Absicherung ihrer Herrschaftsansprüche einen Mann, der zur Ausübung der Herrschaftsgewalt berechtigt ist. [Braunagel 2001: S.97f.] Wolfram zeichnet damit eingängiges und sich vor allem im "Parzival" ständig wiederholendes Grundmotiv der höfischen Epik: das so genannte Befreiungsmotiv. Es handelt sich hierbei un die Grundproblematik der Herrschaftssicherung einer alleinstehenden Landesherrin. Bemerkenswert bleibt trotzdem, dass Wolfram einer Frau einen eigenen Lebens- und Herrschaftsraum gibt, wo sie als Königin gesellschaftlich und politisch weitgehend unabhängig agieren kann. Diese zunächst rein formale Machtposition strahlt auf die charakterliche Gestaltung der Figur aus: Herzeloyde ist eine äußerst mächtige und aktive Frau. Sie nimmt das Recht für sich in Anspruch, ihr Leben im Rahmeneines allgemeinen höfischen Duktus selbst zu gestalten - vor allem bei der Wahl ihres Minnepartners. Den Höhepunkt der Darstellung einer selbstbestimmten Wahl des Minnepartners bildet zweifellos Herzeloydes Werbung um Gahmuret. Im Rahmen eines Turniers findet eine wohl recht ungewöhnliche Art der Ehefindung statt. Herzeloyde übernimmt durchweg den aktiven Part: Sie geht in Gahmurets Zelt, noch bevor dieser als Sieger feststeht, und lässt sich schließlich durch einen Ritterspruch Gahmuret zusprechen. Wolfram stellt Herzeloyde im zweiten Buch als selbstbewusste, in die Gesellschaft eingegliederte Frau dar, die um ihrer Rechte als Frau weiß und diese auch zu ihren Gunsten zu nutzen vermag. Damit bricht er mit den höfisch-literarischen Konventionen der Frauendarstellung.

Doch nach dem Tod Gahmurets wandelt sich Herzeloydes Verhalten. Wolfram riskiert einen weiteren Bruch mit arthurischen Erzähltraditionen im Rahmen der Gestaltung von Frauen, indem er den Aspekt Mutterschaft in die höfische Literatur einführt. In der Romanliteratur vor Wolfram ist die höfische Dame Minneherrin, Geliebte und Ehefrau. Die Rolle der Mutter wurde ausgespart, war sie doch für die stets im Vordergrund stehende Aufgabe der Frau, ihren Geliebten auf dem Weg zu einem vorbildlichen höfischen Ritter zu unterstützen, nicht von Belang. [Emmerling 2003: S. 234f] So stark Herzeloyde vor dem Tod ihres Mannes in die Gesellschaft eingegliedert war, so dezidiert entscheidet si sich also schwangere Witwe und baldige Mutter für ein Leben fern der Gesellschaft als Einsiedlerin. Herzeloyde tritt dabei nicht in den Erzählhintergrund, sondern ihre Rolle als Parzival Mutter und Erzieherin wird um so eindrücklicher beschrieben. Auch in dieser Rolle agiert sie sehr selbstbestimmt: Wolfram formuliert ihre Erziehung jenseits des Hofes nicht rein zum Schutz ihres Kindes. Herzeloyde möchte vor allem sich selbst den Schmerz ersparen, ihren geliebten Sohn ebenso wie ihren Mann an das Rittertum zu verlieren:


wan friesche daz mins herzen trut, "Denn wenn mein liebster Schatz erführe,
welch Ritters leben waere, was es mit dem Ritterlichen Leben auf sich hat,
daz wurde mir vil swaere. so wäre das ein großes Unglück für mich."

(117, 24-26)


Doch Wolfram hat stets Lob für Herzeloyde übrig. Er stellt ihre recht streitbaren Taten, wie die Erziehung Parzivals, in ein positives Licht. Durch die wiederholte Betonung, dass Herzeloyde aus aufrichtiger Mutterliebe und triwe handelt, möchte er verhindern, dass Herzeloyde von einem an den konventionellen Verhaltenskodex gewöhnten Rezipienten eine negative Beurteilung erfährt. Wolfram verzichtet auf die stereotypische Ausübung konventioneller Tugenden und stellt stattdessen die individuelle Umsetzung von bestimmten Werten in den Vordergrund.

So wird auch Herzeloyde mit aufopfernder Hingabe und großer Gefühlsstärke ausgezeichnet, nicht zuletzt bei der erschütternden Trauer, die Parzivals Mutter Herzeloyde (Wolfram von Eschenbach, Parzival) bei dessen Aufbruch in die Höfische Gesellschaft in den Tod treibt.


des morgens, do der tag erschein, Am Morgen, als der Tag aufging,
der knappe balde wart enein, war der Knabe kühn entschlossen,
im was gein Artuse gach. es trieb ihn mit Gewalt zu Artus hin.
Herzeloyde im kuste und lief im Die edle Herzeloyde küsste ihn und lief ihm
nach. nach.
der werlde riwe alda geschah. Da geschah, was allen Menschen weh tun muss:
do si ir sun niht langer sach Als sie ihren Sohn nicht mehr sah,
(do reit enwec: wemst deste baz?), der ritt davon - es wird ihm doch keiner je weiter, je besser nachrufen?-
do viel diu frouwe valsches laz da also fiel die Dame, die sich niemals hergab zu untreuen Dingen,
uf die erde, alda si jamer sneit zur Erde nieder. und es ging der Schmerz mit Messern über die hin:
so daz si ein sterben niht vermeit. So konnte sie dem Sterben nicht entkommen.
ir viel getriulicher tot Ihr Tod in treuer Liebe
der frouwen wert die hellenot. schützt die Dame vor dem Höllenfeuer.

(128, 13 – 128, 24)


Orgeluse

Keine andere Verbindung zwischen Mann und Frau findet im "Parzival" so viel Beachtung wie die dargestellte Beziehung zwischen Galan und der schönen Orgeluse. In Orgeluse kommt das Bild einer persönlichkeitsstarken und selbstbewussten Frau im höfischen Kontext zur Vollendung. Entscheidend ist, dass Wolfram diese Frau nicht in ihre Grenzen weist, sondern, dass er sie zu einer Repräsentantin eines neuen und für die damalige Zeit ungewöhnlich differenzierten Frauenbildes macht.

Gawan beginnt ein Gespräch mit ihr und hat in dessen Verlauf Spott und Verhöhnung zu ertragen. Dennoch tritt der Artusritter in den Dienst der Orgeluse. Im Auftrag der Herzogin trifft er auf Gramoflanz, der den ersten Ehemann Orgeluses tötete. Alles Streben Orgeluses scheint auf die Rache an Gramoflanz gerichtet. Orgeluse ist eine weibliche Heldin im Roman, aber sie ist es als kriegerische Figur, die Intrigen und damit tosten organisiert, die auszuführen ihr als Frau nicht zukommt. In ihr werden historisch bedingte und kulturell geprägte Weiblichkeitsmuster mit Verhaltensformen vermischt, die einem traditionell männlichen Rollenverständnis entsprechen. Sie spring zum Beispiel wie ein garzun 8Knappe) auf´s Pferd, statt sich von Galan dabei helfen zu lassen. Ihr oberflächliches Bild wird allgemein als schlecht dargestellt Schon der Name (Orgeluse = die Unverschämte) zeugt von ihrem schlechten Ruf. Vor Orgeluse wird gewarnt: Urins und der graue Ritter raten Galan ab, sich mit der verräterischen Herzogin einzulassen, in deren Dienst man Leib und Leben lassen kann: [Baisch1999: S.25]


du hast eine frouwen brat, Du hast eine Dame mitgebracht,
diu dins schaden hat gedaht. die hat dein Verderben im Sinn.
von ir schulen ist mir so we: Die ist an meinem Unglück Schuld.

(521, 25-28)


hüet daz iuch iht gehoene Gebt acht, dass nicht
miner frouwen schoene: die Schönheit meiner Herrin euch zum Gespött macht:
wan diu ist bi der süeze al sur, Die ist bei aller Süße sauer durch und durch,
reht als ein sunnenblicker schur. ein sonnenstrahlender Hagelschlag.

(514, 17-20)


Allerdings findet sich im Text auch ein Erzählerkommentar, der vor einer allzu schnellen Verurteilung ihres Auftretens gegenüber Galan warnt:

swer nu des wil volgen mir, Wer es hier mit mir und meinen Freunden hält,
der mide falsche rede gein ir. der hüte sich, was Böses zu sagen über diese Dame.
niemen sich verspreche, Es soll mir keiner zu früh losplappern,
ern wizze e was er reche, wenn er noch gar nicht weiß, wofür er sie bestraft,
unz er gewinne küende und ehe er erfährt,
wiez umb ir herze stüende. wie es um ihr Herz stand.

(516, 3-8)


Im "Parzival" wird sich als eigenständige, komplexe Figur dargestellt, die zu eigenständigem Handeln fähig ist. Im Gegensatz zum allgemein schlechten Charakterbild bei Chrétien wird die Orgeluse-Figur immer positiver beschrieben, je näher der Erzähler sie kennt und über die Hintergründe ihres Handelns informiert. Im Laufe der Geschichte entwickelt sie eine echte emotionale Bindung zu Galan und wandelt sich zu einer vorbildlichen Ehefrau.

Condwiramurs

Cundrie

Sigune

Jeschute

Literaturangaben

Braunagel, Robert: Die Frau in der höfischen Epik des Hochmittelalters : Entwicklungen in der literarischen Darstellung und Ausarbeitung weiblicher Handlungsträger, Ingolstadt 2001.


Schnyder, Mireille: Frau, Rubin und "âventiure". Zur "Frauenpassage" im Parzival-Prolog Wolframs von Eschenbach (2,23-3,24), in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Bd. 72 (1998), S. 3-17.


Scheuble, Robert: mannes manheit, vrouwen meister. Männliche Sozialisation und Formen der Gewalt gegen Frauen im Nibelungenlied und in Wolframs von Eschenbach Prazival. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Wien [u.a.]: Lang, 2005.


↑ Alle Zitate folgen der Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann, übers. von Dieter Kühn, 2 Bde., Frankfurt a.M. 2006. Buhmke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, in: Sammlung Metzler. Realien zur Literatur, 6 Bde., J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH, Stuttgart 1991.