Gramoflanz (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Gramoflanz ist ein König und zunächst bekannter Feind von König Artus und somit der Tafelrunde. Er ist der Sohn König Irots, den König Lot, der Vater Gawans erschlagen hat. Besondere Bedeutung erfährt Gramoflanz durch das Duell, welches er mit Gawan ausfechten will, was durch Parzivals wiederholtes Eingreifen jedoch verzögert wird. Gleichzeitig zeichnet sich Gramoflanz jedoch auch dadurch aus, dass er von ehrlicher Liebe zu Itonje, der Schwester Gawans (vgl. auch Artikel zu den Verwandtschaftsbeziehungen im Parzival) ergriffen ist und somit der Artusgesellschaft nahesteht. Diese Doppelrolle als Feind und Freund der Artusgesellschaft charakterisiert die Figur des Gramoflanz.


Episoden

Die Feindschaft zwischen Gramoflanz und Gawan (604,1- 610,24)[1]

Das erste Mal erscheint Gramoflanz, als Gawan um die Minne der Edeldame Orgeluse kämpft und in ihrem Dienst einen Zweig eines bestimmten Baumes abbricht. Mit diesem „Kranzraub“ fordert Gawan den König des Territoriums, auf dem der Baum steht heraus. So kommt es zur Feindschaft zwischen Gawan und Gramoflanz. Als sich die beiden Ritter einander vorstellen, erfahren sie, dass der noch ungesühnte Mord an Gramoflanz' Vater, König Irot, noch zusätzlich zwischen ihnen steht, da König Lot, der Mörder, aber eben auch Vater Gawans bereits tot ist und Gawan somit verpflichtet ist, den Blutracheanspruch des Gramoflanz zu akzeptieren. Sobald Gawan den Zweig abgebrochen hat, gesteht ihm Orgeluse zudem ihre Liebe und berichtet unter Tränen davon, wie Gramoflanz ihren geliebten ersten Mann Cidegast getötet habe, danach gewaltsam ihre Minne verlangt habe und sie zu diesem Zweck ein Jahr lang gefangen gehalten habe. Zwischen Gawan und Gramoflanz wird im Folgenden ein Duell vereinbart, welches vor der versammelten Tafelrunde und unter Beisein der Heere der Orgeluse, sowie des Gramoflanz stattfinden soll. Dies ist insofern eine Besonderheit, als dass Gramoflanz normalerweise nur mit mehr als einem einzigen Gegner kämpft, da ein Gegner alleine ihm keine Ehre einbringen könne:


Sîn muot durch hôchvart in twanc, Seine Grundsätze verboten im strikt -,
swie vil im ein man tet leit, er war nämlich überaus stolz -,
daz er doch mit dem niht streit, mit einem einzelnen Mann zu kämpfen,
irn wæren zwêne oder mêr. wenn er ihn auch noch so sehr beleidigt hätte.

604,12-15.


Die Minne zu Itonje

Ein weiteres wichtiges Merkmal des Gramoflanz besteht in seiner Minne zu Itonje, einer Schwester Gawans. Diese Minne unterscheidet sich sehr deutlich von der körperlich-gewaltsamen geprägten Minne Orgeluse gegenüber, da sie von Wolfram zunächst als "körperlos" beschrieben wird. Das Paar liebt sich gegenseitig, hat aber nur über Briefe und Geschenke (Gramoflanz empfängt einen Sperber und einen Hut aus Sinzester von Itonje) Kontakt miteinander und ist sich noch nie leibhaftig begegnet. Die Tatsache, dass es sich bei Itonje um die Schwester seines Todfeindes Gawan handelt, bringt Gramoflanz in keiner Sekunde dazu, an seiner Liebe zu zweifeln. Diese unauflösbaren Gegensätze, die sich in Gramoflanz vereinen und welche von Gawan auch deutlich angesprochen werden, (vgl. 609,1-609,24) halten Gramoflanz so auch nicht davon ab, den Zweikampf mit Gawan vor großem Publikum zu verlangen:


Uns ist ze prîse frumende Unserem Ruhm kann es nur nützen,
ob wir werde frouwen, wenn wir adelige Damen
den kampf lâzen schouwen. bei dem Kampf zuschauen lassen.
fünfzehen hundert bringe ich dar: Ich bringe fünzehnhundert mit,
ir habt ouch eine clâre schar und ihr habt auch eine gläzende Schar aufzubieten
ûf Schastel marveile. in Schastel marveile.

610,6-11


Der Zweikampf zwischen Gramoflanz und Gawan

Zweikampf zwischen Gramoflanz und Parzival

In dem später im Verlauf der Erzählung erfolgenden Zweikampf vor der Stadt Joflanze unterliegt Gramoflanz vermeintlich Gawan, doch tatsächlich war es Parzival, der ungebeten an der Stelle von Gawan gegen Gramoflanz antrat. Ein neuer Zweikampf wird für den darauf folgenden Tag angesetzt. Unterdessen bekräftigt Gramoflanz in einem Brief noch einmal seine Minne Itonje gegenüber. Dieser Brief dient als Auslöser für den bereits anwesenden König Artus seinen Neffen und Bruder der Itonje, Beacurs, auszusenden und Gramoflanz zu sich einzuladen. Der Kontakt mit dem als äußerst jugendlich und schön beschriebenen Beacurs weckt in Gramoflanz den unbändigen Willen, dessen Schwester Itonje von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu treten. Beacurs lädt Gramoflanz zu eben jenem Zwecke in das Lager König Artus‘ ein, wo Gramoflanz Itonje von selbst erkennt und sie küsst. Beacurs spielt hier durch seine Vermittlung eine wichtige Rolle im Plan des Friedensstifters König Artus. [McFarland 2004: vgl. S.189f.] Als Gramoflanz Itonje schließlich gegenüber steht, kommt ihre Liebe zu einem glücklichen Ende und die anwesenden Adeligen haben keinerlei Schwierigkeiten mehr Gramoflanz zu überzeugen, seinen Rachegesuch gegenüber Gawan und seiner Familie fallen zu lassen.

Zur Interpretation des Gramoflanz

Übertreibung als Motiv

Charakteristisch für Gramoflanz ist vor allem seine in beinahe jeder Hinsicht übertrieben wirkende Darstellung [Brüggen 2011: vgl. S.879] Ein erstes wichtiges Element bildet hier seine bereits erwähnte Weigerung, mit weniger als zwei Rittern gleichzeitig zu kämpfen (vgl.610,6-11), was selbst angesichts seines großen Rittertums (vgl. 445,23) als Vermessenheit erscheinen muss. So handeln nicht einmal die größten Kämpfer des Romans Parzival, Gawan und Feirefiz nach einem ähnlich strengen Kodex. Ein weitere Element der Übertreibung wird durch seine Liebe zu Itonje deutlich. Er liebt sie über alle Maßen, obwohl er sie noch niemals zu Gesicht hat und obwohl sie die Schwester seines Todfeindes Gawan ist. In das andere Extrem übertrieben wird seine Minne Orgeluse gegenüber dargestellt, die er, um sie für sich zu gewinnen gar gefangen nahm und, wie gezeigt, auch vor körperlicher Gewalt nicht zurückschreckte.


Die Zwiespältigkeit des Gramoflanz

In den ausgeführten Punkten, besonders in der unschuldig-rein wirkenden Fernliebe zu Itonje, die noch dadurch bekräftigt wird, dass Gramoflanz sie nach seiner Begegnung mit ihrem Bruder, auf den ersten Blick erkennt-


im sagte, wer sîn friundin was, Welche von denen seine Geliebte war,
ein brief den er ze velde las: das hatte ihm ein Brieg gesagt, den er draußen vor dem Lager gelesen hatte
ich mein daz er ir bruoder sach, ich meine ihren Bruder.
diu im vor al der werlde jach Den hatte er dort gesehen und in ihm sie,
ir werden minne tougen. die jetzt das Geheimnis ihrer edlen Liebe zu ihm vor allen Leuten kundtat.
Gramoflanzes ougen, Die Augen des Gramoflanz erkannten sie,
si erkanten diu im minne truoc. die ihn liebhatte.

724,19-25


- wird deutlich, dass Gegensätzlichkeit und Doppelung entscheidende Figurenmerkmale des Gramoflanz sind. Die in diesem Textausschnitt gezeigte, übertrieben sanft wirkende Gegenzeichnung des sonst eher gewalttätig wirkenden Gramoflanz trägt entscheidend zu seiner Figurenbedeutung bei, spiegelt sich doch in der hier zutage tretenden Zwiespältigkeit auch seine Doppelfunktion als Todfeind und Schwager Gawans, sowie als romantischer Liebhaber und kampfeslustiger Haudrauf [McFarland 2004: vgl. S. 184]. In diesem Kontext spielt selbstverständlich der geplante Kampf gegen Gawan eine bedeutende Rolle. Parzival, der sich als Gawan ausgibt rechnet damit, dass Gramoflanz ihn nicht erkennt, was schließlich auch eintritt. Gramoflanz zeigt sehr deutlich, dass ihm der Kampf mit Gawan trotz seiner Minne zu Itonje ein sehr ernstes Anliegen ist. Er zeigt keinerlei Anzeichen dafür, dass er seine Position als widersprüchlich wahrnimmt. Erst König Artus kann, nachdem der Kampf zwischen Gramoflanz und dem richtigen Gawan verschoben worden ist, wie gezeigt, mithilfe Beacurs friedenstiftend eingreifen. Die bisher charakteristische Doppelmoral des Gramoflanz löst sich also an dieser Stelle mit seiner Ablösung von der Vergangenheit auf. [McFarland 2004: vgl. S. 181f.] Diese Auflösung der negativen Seiten Gramoflanz' lässt sich während des Kampfes mit Parzival auch noch an anderer Stelle verdeutlichen:


der künec Gramoflanz pflac site, Der König Gramoflanz blieb in seiner Weise seinem alten Brauch treu:
im versmâhte sêre daz er strite Er hatte es immer mit Verachtung weit von sich gewiesen,
mit einem man: dô dûhte in nuo mit nur einem Mann zu kämpfen -
daz hie sehse griffen strîtes zuo. hier nun konnte er sich einbilden, dass er's gar mit sechsen zu tun hatte.

705,19-24


Die Aufgabe, die Wolfram Parzival zuweist besteht darin, die Arroganz des Gramoflanz, nur mit mehr als einem Gegner zu kämpfen, durch seine Kampfeskraft in Frage zu stellen. Durch das Gefühl, dass er mit sechs Gegnern gleichzeitig kämpfe, erübrigt sich sein überzogener Anspruch. [Harms 1963: vgl. S. 163]


Durch den Bruch mit der Vergangenheit und der Hochzeit mit Itonje wird Gramoflanz somit in die Artusgesellschaft integriert und die Motivik der Übertreibung und Doppelmoral löst sich auf.


Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Gramoflanz ein Beispiel für das von Wolfram häufig eingesetzte Stilmittel der Übertreibung sein kann. Sowohl seine Gewalttätigkeit, als auch seine Arroganz im Kampfverhalten oder seine minne zu Itonje lassen sich in diesem Kontext deuten. Erst unter dem positiven und vermittelnden Einfluss von König Artus lösen sich die Widersprüche in der Handlungsweise von Gramoflanz auf und ermöglichen ein Ende der Feindschaft zwischen ihm und der Artusgesellschaft.


Literaturnachweise

<HarvardReferences /> [*McFarland 2004] Timothy McFarland: Beacurs und Gramoflanz (722,1-724,30), Zur Wahrnehmung der Liebe und der Geliebten in Wolfarms Parzival, in: John Greenfield (Hrsg.): Wahrnehmung im Parzival Wolframs von Eschebach, Actas do Colóquio Internacional 15 e 16 de Novembro de 2002, Porto 2004.

[*Brüggen 2011] Brüggen,Elke/Bumke, Joachim: Figuren-Lexikon, Art. "Gramoflanz", in: Heinzle, Joachim (Hrsg.): Wolfram von Eschenbach. Ein Handbuch, Band II, Berlin/Boston 2011.

[*Harms 1963] Harms, Wolfang: Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten in der deutschen Literatur bis um 1300, München 1963.

  1. Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.