Raumsemantik
Einleitung
Der Versuch, die in Wolfram von Eschenbachs Parzival durchwanderten und angestrebten Räume geographisch zu situieren, ist ein Anfang, dem zum Verständnis der Szenen manches hinzugefügt werden kann. Orte sind definiert als „lokalisierbarer, oft auch im Hinblick auf seine Beschaffenheit bestimmbarer Platz“. [Stang 2014] Ein Ort ist objektiv beschreibbar und kann so zum Beispiel auch von einer anderen Person, die solcherlei Wegbeschreibung hört, gefunden werden. Dieser Geographie steht eine Semantik des Ortes nicht gegenüber, sondern kann ergänzen. Gerade fiktive Räume der Literatur sind meist auch für das Geschehen von Bedeutung. Im Parzival haben wir es mit fiktiven Räumen in einem fiktiven Roman zu tun. Nicht nur sind Räume durch die Augen der Protagonisten gesehen, sondern auch durch den Erzähler vermittelt. Auf dieser Metaebene kommt nun noch der moderne Leser ins Spiel, der den Raum in Vorstellungen evoziert. Die Umwelt-gegebenen Räume im Parzival, bezeichnet als Fluss, Wald oder zum Beispiel Burg, sind nur die Denotation. Auf der Ebene der Konnotation kommt einiges hinzu, so werden sich wahrscheinlich Ritter auf der angestrebten Burg befinden, weil Burgen von Rittern bewohnt sind, und ein Wald impliziert Lebewesen, die Bäume bevölkern. Des Weiteren sind Räume im Parzival nicht einfach da, sie sind konstruiert von der Betrachtungsweise der Protagonisten, also perspektivisch und nicht objektiv zu beschreiben. Sie sind eine Synthese von Handlungen und konstituieren den Verlauf von Handlungen gleichermaßen. Räume sind also Knoten in einem Netzwerk von Assoziationen, die die Analyse von Geschehnissen im Parzival bedingen. Erwähnten Überlegungen sollen vor allem anhand der Geschehnisse in Schastel Marveille analysiert werden und auf den Überlegungen zum 'Zauberschloss', welche sich im Artikel ‚Geografische Orte im Parzival‘ finden lassen, aufbauen.
Topologische Räume und ihre Gestaltung
Zur Raumsemantik gibt es einschlägige Artikel von Jurji m. Lotman, die hier kurz angerissen und mit weiteren raumtheoretischen Aspekten verknüpft werden sollen, um im zweiten Schritt anhand ausgewählter Szene im Parzival angewendet zu werden. Wichtig ist nach Lotman, dass die räumliche Ordnung einer literarischen und damit künstlichen Welt das organisierende Moment auch im Verlauf der Handlung darstellt, der Raum aber vor allem semantische Relationen ausdrückt. Räumliches wird so zum organisierenden Moment, um das sich nicht-räumliche Charakteristiken ordnen. [Scheffel 2009:141] Topographische Räume, wie sie im Artikel ‚Geographische Orte im Parzival‘ vermerkt sind, können mit semantischen Räumen zusammenfallen.[1] Die rein topographische Beschreibung einer Burg kann also, wie in unserem Fall und auch im Artikel vermerkt, mit der Bedeutung, Schastel Marveilles sei ein ‚Zauberschloss‘ (siehe Geographische Orte) und damit Höhepunkt auf Gawans aventiure, zusammenfallen. Schastel Marveille ist somit nicht nur Ort auf der Landkarte, sondern mit Bedeutung versehen. Des Weiteren kann häufig von topologischer Komplementarität auf nicht topologische, semantische Gegensatzpaare geschlossen werden. Lotmann rekurriert auf das Beispiel oben versus unten, welches semantisch eine Dichotomie von Himmel und Hölle, Diesseits und Jenseits ausdrücken könne.[2] Eine kulturelle Ordnung kann somit topologisch strukturiert sein, die räumliche Trennung von göttlicher Instanz im Himmel und weltlicher auf der Erde macht dies deutlich.
Raumkonstruktion
Ein Kunstwerk selbst ist nicht mimetisches Abbild der Wirklichkeit, es ist immer eine Übersetzung,[3] die ein Weltbild in ihrer eigenen, unbegrenzten Welt erstellt. Die erzählte Welt ist somit eine konstruierte Welt, welche auf kulturell Vorgegebenem basiert, aber durch literarische Verfahren etwas anderes entstehen lässt. Zusätzlich ist ihre Deutung Rezipient-abhängig: „ Das Verstehen fiktionaler Welten und Handlungen wird nicht alleine vom Text gesteuert, sondern auch vom Kontext und von Erfahrungen, Kenntnissen, Dispositionen und kognitiven Strukturen des Leser.“[4] Durch die Fokalisierung nun wird der Leser an einer bestimmten Perspektive orientiert, mit der er sich durch den Roman bewegt. So wird eine Sicht ermöglicht, die den Tiefenwahrnehmungen beispielsweise des Protagonisten folgt, worauf der Fokus der Betrachtung gelegt wird und worauf nicht. Dabei ist „Raumdarstellung nicht mimetisch, nicht Abbild irgendwelcher Wirklichkeit, sondern funktionale auf Handlung bezogen.“[5]
Spezifische Grenzen zwischen Räumen
Lotman geht insbesondere auf die Grenzen zwischen disjunkten Räumen ein, die hier nur insofern betrachten werden sollen, als dass sie topographisch markiert sein können. In einer Analyse des Schlosses marveille soll hier auf die Trennung zwischen innerhalb und außerhalb der verfluchten Burg rekurriert werden, zwei Räume, die durch ein Tor voneinander getrennt sind. Gâwân überquert diese Grenze. Auch interessant werden könnte die Trennung in einen Raum des Wissens und einen des Nicht-wissens. So geht es nach Schulz manchmal auch darum, „einen gemeinsamen Wissens- und Kommunikationsraum zu etablieren, der gegenüber der bedrohlichen gesellschaftlichen Außenwelt abgeschottet werden muß“[6] Auch brauchbar werden kann folgender theoretischer Aspekt: Auch Figuren, die den Helden an seinem Tun hindern (Gegner), des Weiteren natürliche Widrigkeiten wie Berge und Flüsse, können Grenzen zwischen „sujetrelevanten semantischen Felder“ darstellen. [Schulz 2012:181] Auch bei Beate Kellner heißt es bezüglich der Transgressionen und damit Überschreitungen der Protagonisten, diese seien meist topographisch markiert, beispielsweise durch einen Fluss oder ähnliches.[Schulz 2012:294] Unter anderem dadurch sind Räume wichtig für die Charakterisierung der Protagonisten, sie geben Aufschluss über dieselben.
Gawan in Schastel marveille
a) Betreten der Burg und die Trennung in vor und nach der Befreiung
Tor:‚ ich sag alz ichz hân vernomn. Do er waz für di porten komn, er vant den krâmaere, und des krâm niht laere‘ (562,21.24) Gâwân betritt die verfluchte Burg durch ein Tor, an dem ein ‚krâmaere‘ sitzt. Diese Schwelle zwischen Welt außerhalb der Burg und einem Innerhalb, dessen gesellschaftliche Ordnung zerstört ist, ist durch ein Tor markiert. Weitere Hinweise auf topographische Darstellung von disjunkten Räumen noch nicht gefunden. Bei Betreten der Burg wird diese als wehrhaft beschrieben, sie ist der Ort anstrengeder Aufgaben für Gâwân: !er vant der bürge wîte, daz ieslîch ir sîte, stuont mit bûwenlîcher wer. für allen sturm niht ein ber Gæb si ze drîzec jâren, op man ir wolte vâren.' (564,27-565,2) Nach der Befreiung allerdings wird der Held in ein gemütliches Bett gebracht und umsorgt: !diu alte küniginne wîs ein bette hiez bereiten, dâ für ein teppech breiten, bî einem guoten fiure‘ (578,7)
b) Künstlerische Ausgestaltung der Räume
Hier folgt eine Tabelle mit Textausschnitt: 565,13-566,30
„Erst durch die Befreiung der vierhundert gefangenen Frauen kehrt auf dem Schloss wieder Freude ein.“Geografische Orte im Parzival Der Burgraum lässt sich also zeitlich in ein vorher und nachher separieren. Vor Gâwâns Rettung ist die Burg ein Raum der Trauer, Düsternis, der mythischen Verwünschung und der zerstörten gesellschaftlichen Ordnung. Der Raum ist semantisch als Raum des Bösen aufgeladen. Nach der Befreiung ändert sich die Semantik des Raumes vollkommen, was jedoch kaum topographisch, sondern mehr dadurch deutlich wird, dass Leben in die Burg kommt und plötzlich 400 Jungfrauen die Burg bevölkern. So ist die Burg nach der Erlösung mehr über Geschehnisse charakterisiert und nun positiv konnotiert, denn über Wegemarkierungen.
c) Nachbarschaften: Mystik der Burg chiastisch zur göttlichen Gralsburg
Wir haben es hier nicht - wie auf der Gralsburg – mit einer Trennung in eine göttliche Burg und die Umgebung zu tun, sondern im Gegenteil, schastel marveil ist mystisch und teuflisch verflucht. Dies ist eine chiastische Überkreuzung mit der in Nachbarschaft liegenden Gralsburg… Zwischen diesen zwei Burgen tirtt Cundrie als Bindeglied auf, sie bringt Arznei für Gâwân. (580)
Zwischenfazit
Systemräume
Hier soll diskutiert werden, inwiefern Räume im "Parzival" als Systemräume charakterisiert werden können. Denn im klassischen Sinne können sie eher weniger identifiziert werden, eher über die Stimmung, die in ihnen vorherrscht. Das soll am Beispiel der in Munsalvesche vorherrschenden Trauer analysiert werden.
Bewegungsräume
Die Grahlsburg Munsalvesche und der Artushof sind klassische Bewegungsräume. Inwiefern sie sich aber unterscheiden, und welche Rolle die unterschiedliche Konzeption für den Gesamtkontext spielt, soll an dieser Stelle ausgearbeitet werden.
Literaturverzeichnis
Textausgabe
[*Parzival]Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
Forschungsliteratur
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- [*Schulz 2012] Schulz, Armin, 2012: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Berlin: de Gruyter.
<harvardreferences />
- [*Stang 2014] Stang, Christian, 2014: Ort; Rechtschreibung und Grammatik. Dudenredaktion, Bibliographisches Institut <Berlin> /. Berlin ; Mannheim ; Zürich. Dudenverl.
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- [*Scheffel 2009] Scheffel, Michael; Matias Martinez, 2009: Einführung in die Erzähltheorie. München: C.H. Beck, S.141.
- ↑ Schulz, Armin, 2012: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Berlin: de Gruyter. S.177.
- ↑ Schulz, Armin, 2012: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Berlin: de Gruyter. S.177.
- ↑ Lotman, Jurij M., 1993: Die Struktur literarischer Texte. München: Fink, S.311.
- ↑ Scheffel, Michael; Matias Martinez, 2009: Einführung in die Erzähltheorie. München: C.H. Beck, S.145.
- ↑ Kellner, Beate, 2009: Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen in Wolframs von Eschenbach "Parzival" S. 23-50 in: (Hg.), Wechselseitige Wahrnehmung der Religionen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit Berlin: de Gruyter. S.25.
- ↑ Schulz, Armin, 2012: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Berlin: de Gruyter. S.178.