Das Motiv des Niemandslands im Parzival (Funktion und Bedeutung)
Im Parzival tauchen immer wieder Episoden auf, in denen sich die Protagonisten sozusagen im Niemandsland zwischen zwei geografischen Orten befinden. Dieser Artikel gibt einen Überblick über diese Szenen "zwischen den Orten" und fragt nach der Funktion der Zwischenorte für die Narration und deren Bedeutung für den gesamten Roman.
Die hier besprochenen Orte grenzen sich also von den geografisch nachvollziehbaren, realen Orten im Parzival ab, die im Artikel Geografische Orte im Parzival behandelt werden. Es wird dabei weniger die Frage geklärt, wo genau die jeweiligen Szenen stattfinden, sondern nach der Funktion und der Bedeutung des Niemandslands für die jeweilige Szene und den Handlungsverlauf gefragt. Basierend auf Armin Schulz' umfassender Übersicht über verschiedene Konzeptionen von Raum und Zeit, versucht dieser Artikel, die semantische und handlungsbezogene Struktur der jeweiligen Zwischenorte im Parzival zu analysieren. [Schulz 2012: 292-316]
Raumkonzeptionen
Im Folgenden soll eine kurze Zusammenfassung einiger der Raumkonzeptionen gegeben werden, die Schulz aufführt und die für die Analyse der Zwischenorte im Parzival fruchtbar erscheinen. [Schulz 2012: 292-316]
Sonderräume
Sonderräume sind nach Schulz prägend "als Gegenwelten, als Räume der Fremdheitserfahrung, in denen der Held mit dem kategorial 'Anderen' der eigenen Kultur konfrontiert wird". [Schulz 2012: 310] Einen solchen Sonderraum stellt die Einöde Soltane dar, in der Herzeloyde Parzival aufzieht. Ein zentrales Merkmal von Soltane ist die räumliche Distanz zum Hof, da diese Distanz auch eine Distanz zwischen Natur und Kultur darstellt. Bei Schulz heißt es dazu: "Raum und Zeit sind funktional den Erfordernissen der Handlung unterworfen; innerhalb der dargestellten Welt sind sie offensichtlich nicht absolut bestimmbar, sondern nur Relationen." [Schulz 2012: 315] Soltane als nicht genau örtlich definierbarer Sonderraum, soll als Zufluchtsort dienen, in dem Herzeloyde versucht, ihren Sohn von allem Höfischen und fernzuhalten. Sie will damit verhindern, dass er dem ritterlichen Vorbild und Schicksal seines Vaters Gahmuret folgt, sie verlässt und wohlmöglich auch im Kampf getötet wird. Auffällig ist jedoch, dass obwohl Herzeloyde gerade die Distanz zum Hof sucht, sie trotzdem mit ihrer Lebensart in der Einöde an der höfischen Kultur festhält.
Eine genauere Beschreibung von Soltane findet sich in Geografische Orte im Parzival.
Diskontinuierliche Räume
Insulare Räume
Schwellenräume
Als Schwellenräume kann man diejenigen räumlichen Strukturen bezeichnen, die den Bereich zwischen zwei unterschiedlichen Sphären markieren. [Glaser 2004: 50] Wird die Sphäre des Artushofs verlassen, so tritt man in die Sphäre der Natur oder des Magischen ein. Der Übergang von einer Sphäre zur anderen kann durch einen Raum führen, der durch besondere Eigenschaften gekennzeichnet ist. Das Land um die Gralsburg, terre de salvaesche, ist ein solcher Schwellenraum. Parzivals Ritt von Pelrapeire nach Munsalvaesche erfolgt mit großer Schnelligkeit, ohne dass der Reiter dies bewusst wollte, denn Parzival war in Gedanken bei seiner Frau Condwiramurs (224,1-30). Ohne auf Wegen zu reiten (über ronen und durchez mos 224,20), kommt Parzival an einem Tag bis an einen See, wo er auf einen Fischer trifft. Der Rezipient erfährt nichts über das Verhältnis zur geographischen Lage zu Pelrapeire, außer dass die Strecke weiter ist als von Graharz nach Brobarz (224,27-30). So entsteht eine semantische Verunsicherung, die noch durch die fehlenden Beschreibungen des Sees und der vagen Beschreibung der Burg verstärkt wird.[Glaser 2004: 71-76] Der Rezipient erhält auch im weiteren verlauf der Geschichte nur spärliche visuelle Informationen über das Gralsland. Sigune erklärt, dass innerhalb von 30 Meilen um die Gralsburg nur bewaldetes Land zu finden ist, weder Dörfer noch bebautes Land (250, 20-30). Eine weitere Besonderheit ist, dass die Burg nur zufällig gefunden werden kann und dass sie nicht erreichbar ist, wenn man sie sucht, eine Erfahrung, die Parzival später macht. Er kommt wieder in das Gralsland (444) und trifft auf einen Templeisen, den er besiegt ohne dadurch der Burg näher zu kommen. Sowohl die Klause von Sigune als auch die Klause von Trevrizent befinden sich auf der Schwelle zu terre de salvaesche. Die Schwierigkeiten und die semantischen Verunsicherungen zeigen dem Rezipienten die große Bedeutung des Raums und seine Andersartigkeit gegenüber dem Artushof. [Glaser 2004: 84]
Bewegungsräume
Zwischenorte im Parzival
Das Zelt von Orilus und Jeschute
Das Zelt als Zeichen und Handlungsraum
Trevrizents Klause
Trevrizent fungiert als Parzivals Berater und Lehrer und beschreibt ihm die Ereignisse um das Gralsritual auf der Gralsburg Munsalvaesche. Seine Einsiedlerklause, als Ort zwischen den Haupthandlungsorten X und Y, bietet eine ideale, distanzierte Beobachterposition. Hier kann Trevrizent seinen Erinnerungen an die Zeit auf Munsalvaesche nachgehen und Perzival davon berichten. Trevrizent ist Munsalvaesche hier in seinen Gedanken einerseits nah, andererseits aber zeitlich entfernt. Parallel dazu ist auch der Zwischenort seiner Klause gleichzeitig örtlich nah und entfernt.
Parzivals Treffen mit Sigune
Parzival trifft im Laufe des Romans dreimal auf Sigune (Wolfram von Eschenbach, Parzival) (138,9 – 142,2; 249,11 – 255,30 und 435,1 – 442,26).
Das erste Treffen findet an einem Felsenhang statt, nachdem Parzival vom Zelt Jeschutes mit dem Ziel des Artushofs (hier noch in Nantes) weggeritten ist.
sus kom unser tœrscher knabe | __________ | |
geriten eine halden abe. | __________ | |
wîbes stimme er er hôrte
Die Figur des Aussteigers aus der höfischen Welt im Parzival FazitLiteraturverzeichnisTextausgabeWolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003. Sekundärliteratur<HarvardReferences/>
[*Schulz 2012] Schulz, Armin: Räume und Zeiten. In: Braun, Manuel/ Dunkel, Alexandra/ Müller Jan-Dirk: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Berlin/Boston, 2012. S.292-316. |