Parzival und Feirefiz (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
Dieser Artikel befasst sich mit dem Aufeinandertreffen von Parzival und seinem Bruder Feirefiz, denen die Identität des jeweils Anderen zuerst verborgen bleibt, sie sich daraufhin einen harten Kampf liefern und schließlich erkennen, dass sie Brüder sind. [1]
Parzival und der Heide (Buch XV, 735,5-737,18)[2]
Parzival begegnet einem Heiden, der sehr reich und mächtig zu sein scheint. Vom Erzähler erfährt der Leser, dass Feirefiz' Ausrüstung sehr wertvoll und ausgeschmückt, er selbst zudem sehr kampferfahren ist und ein Heer mit Männern verschiedenster Herkunft befehligt. Laut Raucheisen wird Feirefiz hier als vollkommener Ritter gezeigt, der vom Erzähler gar über Parzival gestellt wird [Raucheisen 1997: vgl. S. 71]. Zu diesem Zeitpunkt wird noch nicht explizit erwähnt, dass es sich bei dem Fremden um Parzivals Bruder Feirefiz handelt, allerdings kann der Leser dies schon erahnen, da Parzival bereits durch die Gralsbotin Cundrie darüber aufgeklärt wurde, dass er einen Bruder aus dem Orient hat (Buch VI, 317,2-10).
Kampf (Buch XV, 737,19-745,1)
Noch bevor es zum eigentlichen Kampf kommt, wird dieser als grundlos beschrieben. Hier klingt eine Kritik an der Zweikampf-Tradition mit, in der jeder Konflikt mit einer Tjost beseitigt wird. Indem der Erzähler beklagt, dass "die dâ umb unschulde striten (keiner dem anderen etwas schuldig war)" (737,24), hebt er die Sinnlosigkeit des bevorstehenden Kampfes hervor. Bereits an früheren Stellen finden sich ähnliche Bemerkungen. So wird beispielsweise auch der Kampf von Gawan mit Lischoys Gweljus als überflüssig beurteilt. [Bumke 2004: S.98] Die beiden kämpfen "niewan durch prises hulde (nur wegen des eigenen Ruhms)" (538,14), was an dieser Stelle somit als problematisch beurteilt wird. Diese Hinweise auf die Nutzlosigkeit der Kämpfe deuten an, dass in manchen Situationen Konflikte auch friedlich gelöst werden sollten. Das Problem ist die mangelnde Kommunikation vor dem Kampf: die Tjosten beginnen regelmäßig, ohne dass die Kämpfer auch nur ein Wort miteinander gesprochen haben.
Ferner könnte die Bemerkung, dass der Kampf zwischen Parzival und Feirefiz grundlos ist, ein weiterer Hinweis darauf sein, dass es sich bei dem Heiden um Parzivals Bruder handelt. Der Erzähler erwähnt sogar, dass er Angst um Parzival habe, hätte dieser nicht den Gral und seine Liebe zu Condwiramurs zur Hilfe. Dies deutet schon denen schweren Kampf an, der Parzival bevorsteht. Wenn die Verwandtschaft der beiden bisher nur angedeutet wurde, erlangt der Leser, im Gegensatz zu Parzival, nun darüber Gewissheit:
ich muoz ir strît mit triuwen klagen, | ich beklag den Kampf mit Recht, |
sît ein verch und ein bluot | weil sich hier ein Fleisch und Blut |
solch ungenâde ein andrer tuot. | derart erbarmungslos bekämpft. |
si wârn doch bêde eines mannes kint, | Sie hatten schließlich einen Vater: |
der geliurten triwe fundamint. | das Fundament der schieren Treue. |
740,1-6
Es entwickelt sich ein Kampf auf Augenhöhe zwischen den beiden. Feirefiz erhält Unterstützung durch einen Edelstein und die Liebe zu Secundille. Parzival seinerseits schöpft Kraft durch den Gral und sein Vertrauen auf Gott sowie die Liebe zu Condwiramurs. Der Heide gewinnt jedoch an Übergewicht, als Parzivals Schwert, das er einst seinem Verwandten Ither im Kampf abgenommen hatte, zerbricht. Dieser Kampf "weist zurück auf auf seinen ersten Kampf gegen Ither, der von Trevrizent als Brudermord gedeutet worden ist. Jetzt steht Parzival wirklich seinem Bruder gegenüber, den er so wenig erkennt, wie er damals in Ither seinen Verwandten erkannte und er schlägt auf ihn mit demselben Schwert ein, welches er damals dem toten Ither geraubt hat. Doch diesmal greift Gott ein: Er lässt Ithers Schwert zerbrechen und macht den Helden somit wehrlos. Damit verhindert Gott nicht nur einen wirklichen Brudermord, sondern erteilt seinem Helden auch eine Demütigung. Zum ersten Mal geht Parzival nicht als Sieger aus einem Kampf hervor." [Bumke 2004: 115]
Erkenntnis (Buch XV, 745,2-754,28)
Feirefiz lobt Parzivals Kampfkunst und deutet an, dass er den Kampf verloren hätte, wäre Parzivals Schwert nicht zerbrochen. Somit beweist Feirefiz zum einen Bescheidenheit, aber auch Respekt vor dem unterlegenen Gegner. Er fragt Parzival nach dessen Herkunft, doch dieser will ihm keine Auskunft darüber geben. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Parzival sich seine Unterlegenheit nicht eingestehen will. [Harms 1963: vgl. S. 166] Czerwinski betrachtet Parzivals Reaktion jedoch eher als Unvermögen, sich Verwandten gegenüber angemessen zu verhalten, obwohl ihm Feirefiz die Situation durch sein höfisches Verhalten erleichtert. [Czerwinski 1989: vgl. S. 155]. Während Ither, Artus oder Gawan in ihm bereits den "Sippenkörper" erkannt haben, benötigt Parzival erst einen Anstoß dazu, Verwandte als solche zu erkennen und folglich auch dementsprechend zu behandeln [Czerwinski 1989: vgl. S. 155]. Parzivals Weigerung führt dazu, dass Feirefiz sich mit dem Namen Anjou vorstellt. Parzival entgenet, dass auch er ein gebürtiger Anjou sei und ist darüber verärgert, dass der Fremde seinen Familiennamen trägt. Somit erkennt Parzival die Verwandtschaft zwischen ihm und seinem Gegenüber immer noch nicht, selbst als dieser seinen Namen nennt [Müller 2008: vgl. S. 207]. Er fordert Feirefiz auf, sein Gesicht zu enthüllen, erinnert sich nun aber daran, bereits von einem Bruder im Morgenland gehört haben, dessen Haut schwarz und weiß gefleckt sei. Bevor Feirefiz der Bitte nachkommt, wirft er sein Schwert in den Wald, wodurch er "Chancengleichheit mit Parzival" [Raucheisen 1997: S. 73] herstellt. Durch das Abnehmen des Helmes erkennt Parzival schließlich, dass es sich bei seinem Gegner um seinen Bruder handelt. Das Abnehmen der Helme steht somit stellvertretend für die Enthüllung der wahren Identität der zwei Ritter. Parzival wirkt seinem Bruder gegenüber nun beinahe demütig, da er diesen aus Respekt vor seiner Macht und seinem Alter mit "Sie" ansprechen will, ganz im Gegensatz zu seinem bisherigen Verhalten. Feirefiz seinerseits will Parzival als Anerkennung zwei Länder übergeben, wodurch seine Großzügigkeit verdeutlicht wird. Feirefiz erkennt, dass er in Parzival ein Stück seiner eigenen Identität gefunden hat [Bumke 2004: vgl. S. 116]:
beidiu mîn vater unde ouch duo | mein Vater und auch du, ihr beiden, |
und ich, wir wâren gar al ein, | und ich, wir waren völlig eins- |
doch ez an drîen stücken schein. | doch wir erscheinen dreigeteilt. |
752,8-10
"Die Anspielung auf die Trinität veranschaulicht die Erhabenheit der verwandtschaftlichen Identität." [Bumke 2004: S. 116]. Allerdings kann Feirefiz den Konflikt mit seinem Vater nicht mehr austragen, da dieser ja bereits tot ist. [Bumke 2004: vgl. S. 116] Letztendlich stellt dieses Aufeinandertreffen von Parzival und Feirefiz eine Familienzusammenführung dar, insofern die Nachkommen Gahmurets und somit auch der Orient und das Abendland zusammenfinden. Der Aspekt der Familienzsammenführung besteht jedoch nicht nur zwischen Parzival und Feirefiz, sondern wird später auf die gemeinsamen Verwandten der Brüder am Artushof ausgedehnt.
Quellen
<HarvardReferences />
[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach. Achte Auflage. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, 2004.
[*Czerwinski 1989] Czerwinski, Peter: Der Glanz der Abstraktion. Frühe Formen von Reflexivität im Mittelalter.Frankfurt/New York: Campus Verlag, 1989.
[*Harms 1963] Harms, Wolfgang: Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten in der deutschen Literatur bis um 1300. München: Eidos Verlag, 1963.
[*Müller 2008] Müller, Nicole: Feirefiz-Das Schriftstück Gottes. Frankfurt a.M.: Peter Lang GmbH, 2008.
[*Raucheisen 1997] Raucheisen, Alfred: Orient und Abendland. Ethisch-moralische Aspekte in Wolframs Epen Parzival und Willehalm. Frankfurt a.M.: Peter Lang GmbH, 1997.
<references>
- ↑ Weitere interessante Vergleiche in separaten Artikeln sind Parzival und Gahmuret im Vergleich sowie der Vergleich zwischen Gahmuret und Feirefiz
- ↑ sämtliche Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann, übers. von Dieter Kühn, 2 Bde., Frankfurt a.M. 2006.