Figurencharakteristik (Reinhart Fuchs)
Der folgende Beitrag analysiert die Figur Reinhart Fuchs aus dem gleichnamigen Tierepos von Heinrich der Glîchezâre und dessen Charakter.
Dabei werden verschiedene Verse mit Wortbelegen von "kvndikeit" und das Verhalten des Protagonisten in den Episoden untersucht und auf Deutungen und Zitate zurückgegriffen.
Übersetzungen [1]
Verse mit Wortbelegen „kvndikeit“
V. 217
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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REinhart kvndikeite pflac. | Reinhart pflegte seine Listigkeit. |
V. 307
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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do was im kvndikeite zit. | Da brauchte er dringend einen Einfall. |
V. 364
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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do bedorfte er wol kvndikeit: | Jetzt kam es wohl auf seine Geschicklichkeit an. |
V. 1162 - 1163
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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siner amien warf er dvrch den mvnt | Hinterlistig wedelte er seiner Geliebten |
sinen zagel dvrch kvndikeit. | den Schwanz durch ihren Mund. |
V. 1420 - 1421
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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ez sold in wol erlozen | Reinhart hätte ihn wohl |
Reinhart mit seiner kvndikeit. | von seiner Listigkeit erlösen können. |
V. 1822 - 1823
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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nieman evch gezelen mack | Niemand kann euch erzählen, |
Reinharts kvndikeit -, | wie hinterlistig Reinhart war-, |
V. 2037
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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Reinhart sich kvndikeite vleiz: | Reinhart wandte seine Listigkeit an: |
Verse mit Aussagen über Reinharts Charakter
Der Protagonist wird am Beginn des Tierepos wie folgt vorgestellt: [RF, V 9-10]
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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Iz hate vil vnchvste erkant vnd ist Reinhart genant. | Er trug viel Bosheit mit sich und wurde Reinhart genannt. |
Reinhart will Scantecler fangen, der aber zu hoch auf einem Ast sitzt. Der Fuchs überlegt, wie er an Scantecler herankommt[RF, V 104-105]
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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Reinhart begonde uben baz sine Liste, | Reinhart setzte am liebsten seine Listen ein, |
die er hat. | die er besaß. |
Reinhart will auch die Meise überlisten, aber sie hat schon viel über den Fuchs gehört und ist vorgewarnt. [RF, V 189 - 191]
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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die meyse sprach: "Reinhart, | Die Meise sprach: "Reinhart, |
mir ist vil manic ubel [] art | man hat mir häufig von vielen deiner bösen Eigenschaften |
von dir gesagt dicke. […]" | berichtet. […]" |
Nun will die Meise Reinharts Vertrauen testen und ihm drei Küsse geben, während er die Augen schließen soll, aber Reinhart hat nur böses im Sinn und versucht, sie zu fangen. [RF, V 197 - 199]
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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Reinhart wart vil gemeit | Reinhart war vergnügt |
von der cleinen leckerheit, | über die kleine Hinterlist, |
er vrevte sich vaste. | er freute sich sehr. |
Während der Wolf Isengrin und seine Söhne auf Beutejagd sind, wittert Reinhart die Gelegenheit und umwirbt Isengrins Frau. Später vergewaltigt Reinhart sie sogar. [RF, V 416 - 421]
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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sin wip nam er bi der hant | Er nahm seine Frau bei der Hand |
vnde bevalch si Reinharte sere | und empfahl sie an Reinharts |
an sine trewe vnde an sine ere. | Treue und an seine Ehre. |
Reinhart warb vmb di gevatern sin. | Aber Reinhart warb um seine Gevatterin. |
do hat aber er Ysengrin einen vbelen kamerere. | Da hatte Isengrin aber einen üblen Kämmerer, |
hi hebent sich vremde mere. | Denn von jetzt an begeben sich schändliche Geschichten. |
Eines Nachts geht Reinhart mit Isengrin zu einem zugefrorenen Weiher und bindet einen Eimer an dessen Schwanz, um Fische zu fangen. Isengrin bedenkt dabei aber nicht die Kälte, sondern ist nur auf seine Beute fixiert, sodass ihm der Schwanz festfriert. Damit geht Reinharts Plan auf. [RF, V 744]
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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Reinhart was los […]. | Reinhart war hinterhältig […]. |
Reinhart warnt Isengrin nicht vor den Gefahren der Kälte, obwohl sie sich Treue geschworen haben. [RF, V 753]
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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Reinhartis driuwe warin laz, […]. | Reinharts Treue war unzuverlässig. |
Isengrin wird von einem Ritter unabsichtlich gerettet: Dieser will ihn eigentlich töten, schneidet dem Wolf aber lediglich den Schwanz mit seinem Schwert ab, woraufhin dieser fliehen kann. Reinhart flüchtete schon längst vorher. [RF, V 823 - 826]
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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Reinhart, der uil hat gelogin, | Reinhart, der selbst schon viel gelogen hatte, |
der wirt noh hut betrogin. | wird heute noch selbst betrogen. |
doch behalf ime sin kundigkeit von notlichir arbeit. | Doch half ihm seine listige Art aus feindlicher Bedrängnis. |
Reinhart wird aufgrund seiner zahlreichen Hinterlisten und auch Morde verurteilt. Aber selbst im Gericht scheut er nicht davor, den König, der gleichzeitig Richter ist, zu hintergehen.' [RF, V 1865]
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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Reinhartes liste waren gros, […]. | Aber Reinharts Hinterlistigkeit war unendlich, […]. |
Reinhart gibt vor, den kranken König durch einen Trank zu heilen, jedoch braut Reinhart ihm seinen Tod: Der Trank ist vergiftet.[ RF, V 2172 - 2175]
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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Reinhart was vbele vnde rot, | Reinhart war böse und rot, |
daz tet er da vil wol schin: | das machte er vollends deutlich: |
er vergab dem herren sin. | er vergiftet seinen Herrn. |
Der Protagonist und seine Eigenschaften
Reinhart Fuchs wird als Protagonist oft mit dem Wort "kvndikeit" beschrieben, das je nach Kontext positiv oder negativ ausgelegt wird. Das Wort wird unter anderem mit 'Einfall', do was im kvndikeite zit (V. 307) oder 'Geschicklichkeit' do bedorfte er wol kvndikeit (V. 3640) übersetzt, aber auch mit 'Listigkeit', ez sold in wol erlozen Reinhart mit seiner kvndikeit (V.1420-1421) oder 'Hinterlistigkeit', nieman evch gezelen mack Reinharts kvndikeit (V. 1822-1823).[2] Der Protagonist stellt anderen Tieren gerne eine Falle oder hintergeht sie und macht sich ein Spaß daraus, wenn er erfolgreich war. Als schlauer, kluger Fuchs ist er den anderen Tieren oft überlegen und nutzt deren Leichtgläubigkeit und Naivität gerne mit einer List aus. Hinterlistig ist jemand, der heimlich bestrebt anderen Schaden zuzufügen oder sie zu betrügen. [3] Listig sein bedeutet, "die Fähigkeit verfügend, sich Umstände zur Erreichung seiner Absichten zu bedienen, die anderen verborgen sind" [4] . Und genau das ist Reinhart Fuchs: Er ist fähig, andere zu hintergehen und seine Eigenschaft als Fuchs auszunutzen, denn die meisten Tiere erkannten seine Überlegenheit nicht. Es bereitet dem Fuchs Freude, seine Listen vergnügen ihn und es macht ihm Spaß, wenn er andere Tiere hintergeht.
Sicherlich ist er auch ein einsames Tier, denn er macht sich nicht viele Freunde: Alle Tiere, denen er begegnet, fügt er irgendein Leid zu und schikaniert sie. Der Leser selbst kann über die Dummheit der anderen Tiere nur lachen und entwickelt Sympathie für den schlauen Fuchs. Für seine Einsamkeit ist der Fuchs selbst verantwortlich, denn in der Brunnenepisode wird klar, dass auch Reinhart eine Frau hat. Der Fuchs meint, im Spiegelbild des Brunnenwassers (V. 840 - 849 [5] ) seine Frau zu erblicken, die er wie sich selbst liebt. Aber er könne es nicht lassen, noch eine Geliebte, eine Minne zu haben. Die tiefere, emotionale Bindung besteht aber zu der Ehefrau, denn er erkennt sie in seinem eigene Spiegelbild und springt zu ihr hinunter. "Damit ist die Beziehung zwischen Fuchs-Mann und Fuchs-Frau entlang der im literarischen Diskurshöfischer Literatur diskutierten Idee einer Trennung von Ehe und Minne konstruiert [...]." [6]
Zum Beginn des Tierepos wird Reinhart Fuchs als "außergewöhnliches Tier" bezeichnet, das sein ganzes Trachten und seine Sinne auf Betrug und schlaue Winkelzüge richte und sich auf vielerlei Bosheit wohl verstanden habe (V. 1-10 [7]). Schon im Prolog wird regelrecht vor dem Fuchs gewarnt. Auch im Tierreich erzählt man nur schlechtes über Reinhart, die Meise habe schon viel über ihn und seine Taten gehört. Als Reinhart seinen König vergiftet, wird er als rot und böse betitelt. Im Tierepos wird der Protagonist einem Fuchs zugeordnet. Dieses Tier ist den andern Tieren körperlich nicht oft überlegen, aber er trotzt mit seiner Überlegenheit in Klugheit und Listigkeit. Die Hauptrolle kann nur einem Fuchs mit den zentralen Charaktereigenschaften Reinharts, wie seine Klugheit, Hinterlistigkeit und Tücke und seine Freude daran, zugeordnet werden, die er bewusst einsetzt, um seine Handlungsziele zu erreichen.
Reinhart als Täter und Opfer
Der Protagonist Reinhart Fuchs schadet im Tierepos vielen Tieren, nutzt deren Naivität aus und hintergeht sogar seine Verbündeten. Immer wieder setzt Reinhart seine Listen ein und strebt lediglich nach seinem eigenen Wohlergehen. Er nimmt dabei bereitwillig in Kauf, dass er andere verletzt, sowohl seelisch, als auch körperlich. Die Bedürfnisse seiner Umwelt interessieren ihn nicht. Aufgrund seiner Taten muss er sich vor Gericht behaupten, wo ihm die Todesstrafe droht. Niemand setzt sich vorerst für eine Verhandlung im Sinne einer verbindlichen Justiz ein. Die Episode der Gerichtsverhandlung offenbart somit auch den Egoismus und die Rücksichtslosigkeit der anderen Tiere. Auf diese Weise wird der Angeklagte vor Gericht selbst zum Opfer, denn ihm wird die formale Möglichkeit verwährt, sich gegen die zahlreichen Anschuldigungen zu verteidigen.
Reinhart der Verlierer
In den anfänglichen Episoden scheitert Reinhart zu genüge: Er will Bauern Lanzelins Hühner stehlen, die sich aber in Sicherheit bringen. Reinhart schnappt sich mit einer List den Hahn Scantecler, der dem Fuchs aber wieder entkommen kann, indem er ihn provoziert. Auch die Meise entwischt Reinhart, die schon vor ihm gewarnt wurde. Der Rabe Diezelin ergatterte einen Käse, den der Fuchs begehrt und deswegen den Raben hintergehen will, bringt sich dabei jedoch selbst in Gefahr, vor der er flüchten kann. Anschließend begegnet er dem Kater Diepreht, der der Fuchs in eine Wildfalle zu locken versucht, in die er selbst hinein fällt und sich noch rechtzeitig mit einer List vor der Axt des Bauern retten kann. All diesen Tieren versucht Reinhart Leid zuzufügen und will sie zu seinen Gunsten hintergehen. Jedoch gelingt ihm zunächst keine seiner Taten und seine Opfer kommen immer wieder davon.
"Ein Unglückstag Reinharts, und dies, obschon er seine kundekeit mannigfach unter Beweis stellt. Das steht im krassen Gegensatz zum Erfolg von Reinharts Finten in der Haupthandlung. Das epische Vorzeichen ist wohl deshalb verquer gesetzt, weil es im Hinblick auf die späteren, vielfach kriminell zu nennenden Taten des Protagonisten nötig schien, diesem beim Publikum einige Sympathien zu sichern: dem Erfolglosen mit reichen Gaben werden sie nie verwehrt." [8] Reinhart musste am Anfang bei seinen hinterlistigen Taten scheitern, um die Sympathie der Leser und anderen Tieren zu gewinnen. Hätte er nicht anfänglich verloren, hätte der Wolf Isengrin nicht in ein Bündnis mit dem Fuchs eingewilligt. Publikum und Tiere hätten kein Mitleid und er wäre nicht so ungeschoren davon gekommen. Allerdings sind seine bislang vollbrachten Taten noch harmlos.
Reinhart der Sieger
Reinhart scheiterte anfänglich bei körperlich unterlegenen Tieren, denn Hahn, Meise, Rabe und Kater waren körperlich schwächer als er. Mit seinen unzähligen Listen und seinem hinterlistigen Charakter gleicht er nun jegliche körperliche Überlegenheit anderer Tiere aus:
Obwohl Reinhart Fuchs mit dem Wolf Isengrin ein Bündnis abschließt, wird der Wolf immer und immer wieder zum Opfer. Mehrfach nutzt der Fuchs Isengrins Dummheit und seine Naivität aus. Weil der Wolf Isengrin von Natur aus verfressen ist, lockt Reinhart ihn wiederholt mit Futter und führt Isengrin so hinters Licht. Reinhart gelingen viele Listen, bis hin zur grausamen Kastration Isengrins und der Beschneidung seines Schwanzes, zagel. Als wäre es damit noch nicht genug, vergewaltigt Reinhart Isengrins Frau Hersant, die er schon lange begehrt, vor den Augen ihres Mannes. Reinharts nicht aufzuhaltender Drang, Isengrin sowohl seelisch, als auch körperlich zu verletzten, nimmt Isengrin alles: von seiner Männlichkeit bis hin zu seiner Würde und seinem Stolz.
Gerechtigkeit unter den Tieren
Schließlich will der Wolf Isengrin Rache an Reinhart Fuchs nehmen und setzt einen Gerichtstag an, zu dem sich viele Tiere um Isengrin als Unterstützung versammeln, während Reinhart nur Krimel, einen Dachs bei sich hat. Die anwesenden Tiere fordern gemeinsam unverzüglich ein Urteil bzw. eine Strafe für Reinhart, um sich an ihm zu rächen und ihn für all seine Taten büßen zu lassen. Alle sind sich einig, auch der König und gleichzeitig Richter, der Löwe Vrevel . Niemand verteidigte den Fuchs oder erhob Gegenrede gegen das ihm drohende Urteil. Bis auf des Kamel, welches "gottesfürchtig und weise" (V. 1439 [9]) ist, denn es erinnerte an ein Gerichtsverfahren im Sinne des Rechts: Der Angeklagte müsse drei Mal vor Gericht geladen werden, erscheine er nicht, wird er dafür mit dem Leben bezahlen. Reinharts Listenreichtum und seinen zahlreichen Schandtaten lassen sich in keinster Weise rechtfertigen. Allerdings fällen die Tiere in ihrer Wut und Zorn auf Reinhart ein vorschnelles Urteil, ohne sich der Gerechtigkeit, die sie selbst fordern, zu besinnen und in ihrem Sinn zu handeln. Reinhart wird hier selbst kurz zum Opfer der Gesellschaft im Tierepos. Aus dieser Rolle kann er sich aber auch wieder befreien und greift dabei auf seine Eigenschaft kvndikeit zurück, auf seine Schlauheit und seine Hinterlistigkeit.
Der König erweise sich zunächst als Gerichtsherr, der das Verfahren gegen den Fuchs ordnungsgemäß leite, indem er den abwesenden Reinhart nach Lehnsrecht dreimal laden lässt. Ebenso drohe er ihm, als der Fuchs die Königsboten übel zugerichtet heimschickt, rechtskonform mit Verbannung und Tod. Reinhart kehrt schließlich verkleidet als Arzt und Pilger bei dem Hoftag ein und verspricht den König Löwe Vrevel zu heilen, welcher brutal und aggressiv das Ameisenvolk zerstört hat. Dessen Lehensherr rächte sich und drang über das Ohr in das Hirn des Löwen ein, was dem Löwen Todesqualen verursachte. König Vrevel nutzte die Situation zu seinen Gunsten egoistisch aus: "Dem Fuchs vorbehaltlos vertrauend, lässt Vrevel nicht nur den Wolf enthäuten, sondern er opfert auch eine Reihe anderer Vasallen seiner Gesundheit. Nachdem deshalb die meisten übrigen Untertanen des Königs geflohen sind, heilt der falsche Arzt seinen königlichen Patienten nun mehr, um ihn dann zu vergiften und sich aus dem Staub zu machen." [10] Aus der Gerichtsverhandlung und der Fällung eines Urteils wird ein dramatischer Ausgang. Der Fuchs nutzt den Einwand des Kamels, dass auch ihm eine gerechte Verurteilung zustehe, und tötet im Gegenzug seinen Richter.
Der Protagonist handelt alles andere als gerecht. Reinharts Listen und Schandtaten sind nicht zu rechtfertigen, vor allem die Vergewaltigung Hersants nicht. Von Heinrich der Glîchezâre wird die Vergewaltigung nur kurz und undetailliert angeschnitten. Aber bei einer genauerer Interpretation Reinharts Handlungen, wird die Vergewaltigung, vor den Augen Hersants Mann, seinem eigentlichen Verbündeten, zum Höhepunkt seiner Ungerechtigkeit. Der Wolf Isengrin wird niemals Gerechtigkeit erlangen können. Reinhart überwindet am Ende den König Vrevel und das Gesellschaftssystem im Tierepos und kommt ungestraft davon. Der Fuchs bereut seine Taten nie und würde sich auch niemals als schuldig erweisen, für all seine mutwilligen Taten. "Rücksichtsloser Machtgebrauch, bloß äußerliche Rechtlichkeit, bestechliche Gerechtigkeit königliche Treulosigkeit bestimmen die öffentlichen Verhältnisse im Tierstaat. Deswegen bringt der König zunächst seine Vasallen um, um schließlich selber umgebracht zu werden." [11]
Gewalt und Macht in der Gesellschaft der Tiere
Herrschaft durch König Vrevel
Der Hoftag des Königs Vrevel bietet die Gelegenheit für den Gerichtstag, wo die von Reinhart Fuchs geschädigten Tiere Anklage gegen ihn erheben. Da die Szene in feudaler Anarchie endet, ermöglicht diese Episode die Steigerung in das Dramatische. Zu einer Katastrophe führt vor allem die "problematische Figur des Königs". Vrevel denkt, dass seine Schmerzen, die tatsächlich von der in sein Gehirn gedrungenen Ameise stammen, eine Bestrafung Gottes ist, da er seine königlichen Pflichten vernachlässigte. Das will er nun aufholen und den Gerichtstag vollziehen. Der Löwe bricht jedoch am Ende in Egoismus aus, und bringt deswegen nicht nur seine Untertanen um, sondern häutet auch den Wolf, um seiner Gesundheit Gutes zu tun.
Aus Vrevels brutalem Verhalten in der Ameisenepisode und auch dem gewaltsamen Vorgehen im Hoftag, lässt sich schließen, dass die königliche Macht im Tierepos allein auf Gewalt basiert und ausgeübt wird. Ebenso gerate die Schwachstelle der monarchischen Herrschaft in den Fokus: "die unsichere Eignung des Herrschers im Allgemeinen sowie die Manipulierbarkeit [...]"[12] durch beispielsweise Kommunikation und Gewalt. Die monarchische Spitze der feudalen Gesellschaftsordnung, die durch den Löwen Vrevel verkörpert wird, impliziere gleichzeitig eine prekäre Schwachstelle. Die neugeschaffene Textsorte Tierepos ermögliche "eine kritische Reflexion des Politischen, die in einer pragmatisch-illusionslosen Darstellung politischen Handelns fassbar wird."
Der Anti-Held Reinhart
"Eine besondere Rolle kommt dem Protagonisten zu. Reinhart ist es nämlich, der durch seine kundekeit die wahre Natur der Tierfiguren entlarvt [...], weil die Repräsentanten des Tieradels nicht ihren Idealen und Pflichten, sondern ihren natürlichen Interessen und Begierden folgen.", wie König Vrevel, der nur nach seiner Gesundheit strebt, und dafür das Recht mit Füßen trete, ebenso seine Getreuen schinden lasse, der Kapellan, der Bär Brun und der Kater Dieprecht, die aufgrund ihrer Gefräßigkeit vom amtlichen Auftrag abgelenkt werden. [13]
Auch Reinhart nutzt Gewalt immer wieder, um seine Machtposition zu demonstrieren, als der den anderen Tieren deutlich überlegene, schlaue Fuchs. Der Protagonist bekomme am Ende die Rolle des "Anti-Helden" zugeschrieben, denn er gewinnt den Gerichtstag, indem er alle Kläger umbringt, die ihm nach dem Leben trachten, und "zerstört auch nachhaltig die politische Ordnung der Tiergesellschaft", denn auch die monarchische Spitze, den König, stürzt und beseitigt er gnadenlos. [14]
Der Fuchs als Spiegel der Menschen
Der folgende Abschnitt bezieht sich auf Zitate und Forschungen und deren Deutungsvorschläge zu Widerspiegelung der Menschen durch Reinharts Charakter.
"Ein Wesenszug und das in perfekter Ausprägung bestimmt Charakter und damit Funktion der Tierfigur. Die Episierung geschieht, indem die Tiere handelnd ihre eigene Natur enthüllen. […] Man kann auch sagen: die Tiere geben sich menschlich, nehmen noble Lebensformen, Sitte, Vernunft, Ideologien in Anspruch, handeln indes immer als Tiere, ihrer Natur entsprechend. Das aber bedeutet, da die handelnden Tiere die Menschenwelt spiegeln, Demaskierung. Der Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit tut sich drastisch auf, die Menschen, hier die adlige Gesellschaft, enthüllen ihre wahren, nämlich die kreatürlichen Kräfte. […]" [15]
Einzelnachweise
- ↑ Heinrich der Glîchezære: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, hg. Karl-Heinz Götter, Stuttgart 1995.
- ↑ Heinrich der Glîchezære: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, hg. Karl-Heinz Götter, Stuttgart 1995.
- ↑ https://www.duden.de/rechtschreibung/hinterlistig
- ↑ https://www.duden.de/rechtschreibung/listig
- ↑ Heinrich der Glîchezære: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, hg. Karl-Heinz Götter, Stuttgart 1995.
- ↑ Mecklenburg, Michael: mir ist lait, daz der man min / ane zagel muz wesen (V. 1058f.). Zur Überlagerung von Animalität, Geschlecht und Emotion in Heinrichs Reinhart Fuchs, in: Abenteuerliche ‚Überkreuzungen‘. Vormoderne intersektional, Göttingen 2017, S. 96-97.
- ↑ Heinrich der Glîchezære: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, hg. Karl-Heinz Götter, Stuttgart 1995.
- ↑ Ruh, Kurt: Reinhart Fuchs. Eine antihöfische Kontrafaktur, in: Höfische Epik des deutschen Mittelalters, Berlin 1980, S. 18.
- ↑ Heinrich der Glîchezære: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, hg. Karl-Heinz Götter, Stuttgart 1995.
- ↑ Neudeck, Otto: Der Fuchs und seine Opfer: Prekäre Herrschaft im Zeichen von Macht und Gewalt. Die Fabel vom kranken Löwen und seiner Heilung in hochmittelalterlicher Tierepik, in: Reflexion des politischen in der europäischen Tierepik, München 2016, S. 22.
- ↑ Neudeck, Otto: Der Fuchs und seine Opfer: Prekäre Herrschaft im Zeichen von Macht und Gewalt. Die Fabel vom kranken Löwen und seiner Heilung in hochmittelalterlicher Tierepik, in: Reflexion des politischen in der europäischen Tierepik, München 2016, S. 22.
- ↑ Neudeck, Otto: Der Fuchs und seine Opfer: Prekäre Herrschaft im Zeichen von Macht und Gewalt. Die Fabel vom kranken Löwen und seiner Heilung in hochmittelalterlicher Tierepik, in: Reflexion des politischen in der europäischen Tierepik, München 2016, S. 23.
- ↑ Ruh, Kurt: Reinhart Fuchs. Eine antihöfische Kontrafaktur, in: Höfische Epik des deutschen Mittelalters, Berlin 1980, S. 31.
- ↑ Neudeck, Otto: Der Fuchs und seine Opfer: Prekäre Herrschaft im Zeichen von Macht und Gewalt. Die Fabel vom kranken Löwen und seiner Heilung in hochmittelalterlicher Tierepik, in: Reflexion des politischen in der europäischen Tierepik, München 2016, S. 22.
- ↑ Ruh, Kurt: Reinhart Fuchs. Eine antihöfische Kontrafaktur, in: Höfische Epik des deutschen Mittelalters, Berlin 1980, S. 30.