Hübner 2016: Schläue und Urteil (Reinhart Fuchs)

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Dieser Artikel stellt leitende Thesen, Argumente und Schlussfolgerungen zur Interpretation zusammmen, die Gert Hübner zum "Handlungswissen im Reinhart Fuchs" [1] formuliert.

Hauptthesen


  • da Reinhart auf die karnivorische Ernährung angewiesen ist; daher kann bspw. der Mord am Huhn nicht als moralisch verwerflich angesehen werden, da dieser unter das Naturrecht der Selbsterhaltung fällt; denn füchsisches Hühnerfressen ist nicht mit menschlichem Mord gleichzusetzen (vgl S. 90)
  • Die selbsterhaltene Schlauheit ist aus der Not der körperlichen Unterlegenheit geboren (vgl. S.87)
  • Handlungsziele wie Rache, ehebrecherisches Begehren und Machtgewinn lassen Reinharts Verhalten amoralisch werden (vgl. S.92)
  • Im Reinhart Fuchs werden Tiere als "Modelle menschlichen Handelns" betrachtet, weshalb die Figuren theoretisch über Handlungswissen verfügen (vgl. S.79). Nicht alle Handlungen sind somit auf Naturinstinkte zurückzuführen.
  • Handeln ohne Moral in einer Welt voller Gefahren, kann entschuldigt werden mit dem Argument der Selbsterhaltung, was einer der ersten Naturrechte ist. (vgl. S. 78)
  • Das Handeln der Tiere in Reinhart Fuchs begründet sich in ihrer Natur und nicht ihres freien Willens (vgl. S. 79).
  • Reinharts Klugheit liegt vor allem in der Deutung der Handlungssituation und der damit verbundenen Situationskontrolle. Diese erlangt er durch die Instrumentalisierung der Ordnungskonzepte. Seine Schwäche liegt in seiner, der Schlauheit zugrunde liegenden, Eitelkeit. (S. 88 f.)
  • Die Tiererzählung 'Reinhart Fuchs' demonstriert, dass der Mensch gefährlicher ist als die Tiere (vgl. S.93).
  • Im Reinhart Fuchs wird dargestellt, dass in einer amoralischen Welt nur Schlauheit Handlungserfolg verspricht, gegensätzlich führt das Laster der Torheit zum Verhängnis.
  • Jemand der sich behaupten möchte, muss dazu gewillt sein schlecht zu handeln, denn die meisten Menschen handeln schlecht, jemand der unentwegt Gutes tut würde folglich zugrunde gehen (vgl. S. 78).

Argumente (mit Belegen)


  • "Heinrichs Erzählung bietet mit ihren Beispielen für das Arrangieren und Deuten von Handlungssituationen, den Kalkülen auf das Handeln von Co-Akteuren und dessen Instrumentalisierung für das eigene Handeln geradezu eine Spielwiese für handlungstheoretische Analysen [...]" => dies ist kein tierisches Handeln, daher kann man nicht von Naturinstinkten sprechen, auf dessen Basis Handlungen vollzogen werden. (S.89)
  • "Die amoralische Schlauheit des Akteurs muss erstens als vernunftkontrolliert dargestellt und zweitens durch die tugendethische Schlechtigkeit der Co-Akteure, also durch ihre Lasterhaftigkeit, gerechtfertigt werden." (S. 81) --> das Verhalten Reinhart's wird durch die Leichtgläubigkeit und Unvorsichtigkeit seitens der Tiere, die ihm zum Opfer fallen, gerechtfertigt, denn diese Charaktereigenschaften gelten als Lasterhaft, da die Kardinaltugend "prudentia" nicht ausreichend stark ausgeprägt ist
  • Handlungsziele wie Rache oder ehebrecherisches Verhalten fallen "[...] nicht unter das Naturrecht auf Selbsterhaltung [...]" (S.92), d.h. dieses Verhalten ist für Reinhart nicht überlebensnotwendig, sondern hat vielmehr triebgesteuerte oder egoistische Hintergründe.
  • "Wenn Reinhart der physisch Stärkere ist, wie in den Anfangsepisoden mit den schwächeren Tieren (V. 13–384), reicht seine Schlauheit nicht für den Handlungserfolg." (S.83) ---> eine Bewertung der amoralischen Schlauheit ist somit auch immer von dem anderen Akteur abhängig (Reinhart-Diepreth verhält sich anders als Reinhart-Isnegrin)
  • "Nur Menschen können nach Gesetzen handeln, weil die im Unterschied zu Tieren einen freien Willen haben, der es erlaubt, Gesetze zu machen und zu befolgen oder zu brechen." (S. 79)
  • “nicht nur die Gewalt des Löwen, sondern ebenso die Schlauheit des Fuchses ist kein Produkt des vernunftgeleiteten freien Willens, sondern der Tiernatur." (S. 79)
  • "Indem der Fuchs gar nicht mehr wie ein Tier, sondern nur noch wie ein Mensch agiert [Motiv der Rache], übertrifft sein menschlischliches Handeln das teirische an Bestialität." (S.93f.)
  • "Schlauheit besteht demnach zunächst in der aktionalen Kontrolle über die Deutung der Handlungssituation. [...] Die [...] nützliche Situationsbedeutung muss deshalb entweder im Vorhinein mit dem kulturellen Wahrscheinlichkeitswissen übereinstimmen oder dem Co-Akteur im Rekurs auf Wahrscheinlichkeitswissen glaubhaft gemacht werden." (S.88) --> Rheinharts Schlauheit (die Situationsdeutung) beruht auf dem Prinzip der Abschätzung und Annäherung des Wahrscheinlichen und des Glaubhaft-Machens.
  • "Die Laster determinieren stets die Handlungsziele der jeweiligen Co-Akteure und plausibilisieren im Rekurs auf den Topos der Erkenntnistrübung durch die Affekte, dass die affektgetriebenen Betrugsopfer das Handlungsziel des Schlauen nicht erkennen. Der Bär beispielsweise fürchtet Reinhart (V 1513), vergisst jedoch wegen des in Aussicht gestellten Honigs jede Vorsicht."(S.93)
  • "Das Handlungsziel der Tiere kann nicht immer moralisch bewertet werden" (vgl. S. 87) "Werden die Ziele auf die menschliche Ebene übertragen, dann fallen die Ziele unter die Selbsterhaltung" (vgl. S. 87). Reinhart kann aufgrund seiner körperlichen Unterlegenheit nur durch List für seine eigene Selbsterhaltung sorgen.

Schlussfolgerungen zur Interpretation


  1. Alle Seitenagaben beziehen sich auf Hübner, Gert: Schläue und Urteil. Handlungswissen im ‚Reinhart Fuchs‘, in: Techniken der Sympathiesteuerung in Erzähltexten der Vormoderne. Potentiale und Probleme, hg. von Friedrich M. Dimpel und Hans Rudolf Velten, Heidelberg 2016, S. 77-96.