Mutter-Tochter-Dialoge am Beispiel von Sommerlied 18 (Neidhart)
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„Uns will ein sumer komen“,/ sprach ein magt: „jâ hân ich den von Riuwental vernomen.“ -
Bereits die zwei Eingangsverse des Sommerlieds 18 verweisen auf einen Grundtypus des Neidhartschen Sommerprogramms: Das Dialoglied. In der mediävistischen Forschung als formale und inhaltliche Neuschöpfung Neidharts aufgefasst, lassen sich die Gesprächsszenen in Mutter-Tochter-, Gespielinnen- sowie einzelne Sänger-Mädchen-Dialoge gliedern, wobei nach Dialogpartner*innen und thematischen Aspekten unterschieden wird. [Schweikle 1990: 72] Im Zuge dieses Artikels sollen die Mutter-Tochter-Dialoge am Beispiel von Sommerlied 18 näher untersucht werden.
Im ersten Teil soll zunächst auf den Typus der Frauen-Dialoglieder eingegangen werden, wobei der thematische Hintergrund, die Sprecherrollen sowie formale Aspekte in den Fokus rücken. Anschließend wird der Hauptschwerpunkt dieses Artikels betrachtet, eine spezifische Gesprächskonstellation des Liedtypus, welche einen Dialog zwischen Mutter und Tochter darstellt. In diesem Schritt soll die Typisierung der Rollenfiguren erläutert werden sowie Themen und Aspekte des Œuvre Neidharts, welche für den untersuchten Dialogtypus von Relevanz sind.
Aufbauend auf dem theoretischen Teil des Artikels, soll anschließend das Sommerlied 18 untersucht werden. Die Grundlage hierfür bildet eine Übersetzung mit Kommentarteil, woraufhin eine Analyse des Liedes erfolgt, in welcher formale sowie auffallende rhetorische Mittel betrachtet werden. Daran anknüpfend erfolgt eine Interpretation der Gesprächsszene, wobei die Rollenverteilung, Themen und Motive sowie der neidharttypische Aspekt des Spottens und Verspottens thematisiert werden. Folgenden Fragestellungen wird in diesem Schritt nachgegangen: Welche Rolle nehmen die muoter und tohter im Sommerlied 18 ein und inwieweit bricht Neidhart mit klassischen Minnesangkonventionen? Welche dominanten Themen und Motive des Neidhartschen Œuvres sind in der Gesprächsszene enthalten? In welchen Aspekten wird das Element des Spottens aufgegriffen und wer wird in diesem Lied der Lächerlichkeit preisgegeben? Der letzte Punkt des Artikels verweist abschließend auf weitere Mutter-Tochter-Dialoge sowie auf eine Sonderform des Typus, das sogenannte Altenlied.
Frauen-Dialoglieder
Besonders die Frauen-Dialoglieder, die Mutter-Tochter- und die Gespielinnen-Gespräche, sind charakteristisch für das Œuvre Neidharts. Sie weisen Elemente traditioneller Frauenlieder des hohen Minnesangs auf, in welchen die Dame den Geliebten begehrt und ihr Liebesverlangen sowie ihre Sehnsüchte offen kommuniziert. [Schweikle 1990: 72] Ein wesentliches Merkmal der Lieder Neidharts ist der Bruch mit höfischen Minnesangkonventionen, sowohl auf formaler als auch auf inhaltlicher Ebene. So merkt Hübner an, dass „[d]ie traditionellen Muster des Minnesangs […] auf den falschen Gegenstand und den falschen gesellschaftlichen Raum bezogen [werden]“. [Hübner 2008: 54] Ebenso wie ein Großteil der Lieder Neidharts Szenen des Dorflebens illustriert, stammen auch die Dialogpartnerinnen aus dem bäuerlichen Milieu. Neidhart setzt somit adlige Liebesideale in einen bäuerlichen, dörflichen Kontext - „eine neue Variante des höfischen Liebeslieds“. [Hübner 2008: 45]
Thematischer Hintergrund
Die sogenannte Pastourellensituation, das Zusammentreffen von Ritter und Dorfmädchen in einer Naturszenerie, stellt den thematischen Hintergrund der Frauen-Dialoglieder dar. Dabei ist für die Neidhartschen Sommerlieder charakteristisch, dass eine „Umkehrung des Werbungsschemas“ [Schweikle 1990: 72] eintritt, indem die Initiative von der weiblichen Figur ergriffen wird. Aber auch das subjektive Nacherzählen der Begegnung in Dialogform ist ein Merkmal Neidharts. Dabei kann die Begegnung mit dem Ritter in Verbindung mit Wünschen, Absichten oder gar Geständnissen geäußert werden. [Schweikle 1990: 72] Das Liebesziel stimmt mit dem fiktiven Schauplatz der Sommerlieder überein: Es ist der von Riuwental, der hier begehrt wird. Je nach Liedgattung und Szenerie variiert die Bezeichnung des Reuentalers – vom Heimatort des Sänger-Ichs, welches bestimmte Konnotationen mit sich bringt, zum Personennamen „eines zwar als höfisch, aber armselig charakterisierten Ritters“. [Schweikle 1990: 71] Lediglich in den Frauen-Dialogliedern, welche Elemente der Pastourelle aufweisen, wie etwa die Figur des Ritters oder den Naturbezug, bezeichnet Riuwental stets eine Rollenfigur, einen ritter (z. Bsp. SL 17, 26) oder knappen (z. Bsp. SL 1,2), welcher Gesprächsgegenstand und Objekt des Begehrens der Dialogpartnerinnen ist. [Schweikle 1990: 52; 54]
Ein Beispiel hierfür sind die Frauen-Dialoglieder SL 14 und SL 23, in welchen namentlich auf den Geliebten, das fiktive Sänger-Ich der Sommerlieder, referiert wird:
Gespielinnen-Gesprächslied SL 14: Den si alle nennent/ von Riuwental/ und sînen sanc erkennent/ wol über al,/ derst mir holt. [Neidhart 2008: 14]
Mutter-Tochter-Gesprächslied SL 23: über al/ müezen sîn die liute werden inne:/ mîn muot der strebt gein Riuwental. [Neidhart 2008: 22]
Diese Grundkonstellation wird in den Frauen-Dialogliedern immer wieder aufgegriffen: Ein Mädchen aus dem bäuerlichen Milieu setzt – entgegen aller gesellschaftlicher Standesnormen – ihre Hoffnung in eine Ehe mit von Riuwental. [Hübner 2008: 58]
Dialogpartnerinnen
Während bei den Mutter-Tochter-Gesprächsszenen eine Unterhaltung zwischen einem Bauernmädchen und ihrer Mutter geführt wird, tauschen sich bei den Gespielinnen-Dialogen zwei Dorfmädchen „auf der Ebene gleicher Interessen“ [Schweikle 1990: 76] untereinander aus. Gerade in den früher entstandenen Mutter-Tochter-Gesprächsliedern sind die Dialogpartnerinnen namenlos und werden beispielsweise als muoter, eide, tochter, kint, maget oder frouwe typisiert. Hingegen ist das Ziel des Begehrens, in den meisten Fällen das Sänger-Ich von Riuwental, bereits zu Beginn namentlich ausgewiesen. Die Vergabe von Namen ist erst ab Sommerlied 10 erkennbar, jedoch hauptsächlich in den Gespielinnen-Gesprächsliedern, in welchen die Freundinnen sich namentlich ansprechen oder auf andere gespilen referieren. Ab Sommerlied 24 tragen auch die Sprecherinnen Namen. [Schweikle 1990: 73]
Formale Aspekte
Die reine Dialogform tritt vorranging bei den Mutter-Tochter-Gesprächsliedern auf, wobei das Sänger-Ich in vereinzelten Liedern vollkommen verstummt. [Plotke 2010: 27] Die Gesprächspartnerinnen können dabei im alternierenden Wechsel zu Wort kommen, aber auch Halbstrophen und freiere Formen sind im Neidhartschen Œuvre vorzufinden. Bereits zu Beginn ist innerhalb der Frauen-Dialogliedern eine Vielzahl von formalen Erweiterungen erkennbar. Diese umfassen unter anderem das gattungstypische Element des sommerlichen Natureingangs, welches von einer Gesprächspartnerin vorgetragen wird, aber auch Inquitformeln – beispielsweise „sprach ein magt“ (SL 18) – sowie Zwischen- oder Schlussbemerkungen und Erzähleinschübe des lyrischen Ichs sind in den Dialogliedern vorzufinden. Zudem kann das Sänger-Ich als Rollenfigur auftreten, wie etwa als Geliebter des Dorfmädchens. Dabei können die Dialogtypen nicht immer strikt differenziert werden, da auch Kombinationsformen sowie Einschübe von Monolog- und Trutzstrophen vorherrschen. [Schweikle 1990: 73f.] Bei den Mutter-Tochter-Gesprächsliedern ist der Dialog selten abgeschlossen, sodass eine Fortsetzung durch weitere Strophen denkbar wäre. [Schweikle 1990: 75].
Mutter-Tochter-Dialoge
Grundkonstellation: Verstand vs. Gefühl
„[D]ie Konfliktkonstellation Mutter (Verstand) – Tochter (Gefühl)“ [Schulze 1991: 139 f.] stellt die Ausgangssituation des Dialogtypus dar und ist bereits bei Vorgängern Neidharts, wie etwa bei Dietmar von Eist, präsent. [Schulze 1991: 140] Die Tochter ist in den Gesprächsszenen als „tanz- und liebeslustig“ [Schweikle 1990: 74], als naiv und ahnungslos charakterisiert. Im Gegensatz dazu tritt die Mutter als vernünftig und erfahren auf: Sie warnt vor den „erotischen Gefährdungen“ [Schweikle 1990: 74], die der Sommer und die damit einhergehende Tanzsaison mit sich bringen. Da sie die Normen der Ständegesellschaft kennt, durchschaut sie „die höfische Maske des Reuentalers“ [Hübner 2008: 59]. Somit lässt die Mutter die romantische Illusion der Tochter zerplatzen, indem sie schonungslos auf die Realität verweist und den Versuch unternimmt, an ihr Urteilsvermögen zu appellieren. Die Reaktion der Tochter kann stur und uneinsichtig, vereinzelt sogar wütend und erbost, ausfallen. Sie beharrt auf dem Wunsch, eine Ehe mit von Riuwental zu führen und lehnt den Rat der Mutter, einen geeigneten Bewerber zu wählen, nachdrücklich ab. Zudem kann es zum Geständnis der bereits fortgeschrittenen Liebesaffäre kommen und den daraus resultierenden Konsequenzen. Aber auch besänftigende, bittende oder schmeichelnde Worte von Seiten der Tochter sind vorzufinden. [Schweikle 1990: 74 f.] Das Sänger-Ich erweckt in den Frauen-Dialoglieder bei den leichtgläubigen Dorfmädchen den Eindruck, er würde entsprechend adliger Liebesideale handeln. Doch nimmt dieser nicht die Rolle des höfischen Verehrers ein, sondern geht vielmehr seinen sexuellen Absichten nach: „Auf dem Dorf wird die höfische Kompetenz des Sängers zur bloßen Verführungsstrategie […].“ [Hübner 2008: 58]
Themen und Motive
Natureingang
Das Element des Natureingangs ist wohl eines der markantesten Charakteristika der Neidhartschen Literatur und symbolisiert im Falle der sommerlichen Dialoglieder die Lebensfreude und Hochstimmung, aber auch das Verlangen nach einer romantischen Begegnung, welches durch die verliebte Tochter zum Ausdruck gebracht wird. In den Dialogliedern wird der Natureingang oft von einer Gesprächspartnerin in Form einer Kurzformel eingebracht und bildet den Auftakt der romantischen Schwärmereien. [Schweikle 1990: 115] Zudem ist eine „Erotisierung der Naturmotive“ [Ruh 1984: 111] vorzufinden, insbesondere wenn der gattungstypische Liedeingang von einer weiblichen Sprecherin vorgetragen wird, wie etwa in Sommerlied 21:
Komen ist uns ein ein liehtiu ougenweide: |
man siht der rôsen wunder ûf der heide, |
die bluomen dringent durch daz gras. |
schône ein wise getouwet was, |
dâ mir mîn geselle zeinem kranze las. [Neidhart 2008: 16] |
„Die Wiese war mit Tau schön benetzt, auf welcher mein Geliebter mir einen Blumenkranz las“ - Die zweideutige Wendung „kranz lesen“ verweist, ähnlich wie „bluomen brechen“, auf Erotik und sexuelles Vergnügen. [Schweikle 1990: 109] Auch der gesellschaftliche Stand des Dorfmädchens bedingt eine „naturhaft-sinnliche Minne“ [Ruh 1984: 114], welche durch die Natursymbolik veranschaulicht wird.
huote-Motiv
Als huote, unter anderem übersetzt als „Schutz, Obhut, Fürsorge […]; Bewachung; Sicherheit; […] Vorsicht“ [Henning 2014: 161], bezeichnet man im Mittelhochdeutschen eine Autorität, welche das Zusammenkommen von Dame und Liebhaber verhindert [Schnell 1999: 150; 152] – ein Motiv, welches bereits im früheren Minnesang Anwendung gefunden hat und Liebesbeziehungen verkomplizierte. Die Mutter kann in den klassischen Mutter-Tochter-Dialogen als „Personalisierung des huote-Motivs“ [Schweikle 1990: 74] gedeutet werden, mit der Funktion, die Tochter vom Verführer fernzuhalten. Die Reaktion auf den Tanzwunsch der Tochter kann dabei mehr oder weniger verständnisvoll ausfallen: von Bitten, Ratschlägen und Warnungen zu Verboten, Beschimpfungen und Drohungen. Die Erwähnung der zahlreichen Konsequenzen – wie etwa Liebeskummer, Ehrverlust, explizit eine Schwangerschaft – sollen die Tochter vom ritterlichen Liebhaber fernhalten. Zudem ist das Verstecken der Tanzkleider eine Maßnahme der huote-Rolle. [Schweikle 1990: 74 f.]
Zwar stimmt die Rollenverteilung der klassischen Mutter-Tochter-Dialoge mit gesellschaftlichen Normen überein - denn die Mutter überwacht die Tochter - doch indem Neidhart das Motiv der huote in einer der Gesprächspartnerinnen aus dem bäuerlichen Milieu personifiziert, ironisiert und karikiert er traditionelle Minnesangmotivik, zieht sie ins Lächerliche und gibt sie dem Spott preis. Dies geschieht durch Ratschläge der Mutter, welche von der Tochter in die Praxis umgesetzt werden sollen, beispielsweise einen sozial passenden Partner in Erwägung zu ziehen, sowie durch lautstarke Auseinandersetzungen und Handgreiflichkeiten. Aber auch das Versagen und die vergebliche Mühe der Mutter, die Tochter von den ernsthaften Konsequenzen der Liebschaft zu überzeugen, verzerrt die eigentliche Funktion der huote. [Schweikle 1990: 107 f.]
Erotik, Sexualität und Tanz
Ein wesentliches Merkmal des Neidhartschen Werks ist die Darstellung von tabuisierten Themen, Erotik und Sexualität – sei es durch direkte oder aber auch metaphorische Begrifflichkeiten in Bezug auf intime Zusammenkünfte und erotische Körperzonen. [Schweikle 1990: 108] Dabei spielt das Tanzmotiv eine entscheidende Rolle, da die Tänze eine Gelegenheit bieten, um Liebhaber, insbesondere den von Riuwental, anzutreffen. Die Benennung der Tänze kann dabei eine zweideutige Bedeutung tragen, als auch mit sexuellen Konnotationen einhergehen (vgl. Kommentarteil SL 18). Ebenso erfüllt die Sangesthematik eine wichtige Funktion, da der Gesang die Hochstimmung ausdrückt und die Tänze begleitet, aber auch zur Frauenwerbung dient. So ist es in den Frauendialogliedern der von Riuwental, welcher durch seinen Gesang besticht [Schweikle 1990: 112-114], wie es beispielsweise in Sommerlied 14 von der Gesprächspartnerin erwähnt wird: „Den sie alle nennent/ von Riuwental/ und sînen sanc erkennent/ wol über al,/ […]!“. [Neidhart 2008: 14]
Vertauschtes Minneschema
Der klassische Minnesang thematisiert die Werbung um eine Dame, wobei drei wesentliche Rollen festzumachen sind: Der Sänger, welcher einen niedrigeren gesellschaftlichen Stand aufweist als die Dame – diese ist sozial, oder auch nur fiktiv, höhergestellt – sowie die Gesellschaft mit der Funktion der huote. Die huote verhindert die Zusammenkunft von Werbendem und frouwe und steht somit in Konflikt mit dem Sänger, aber auch mit der Dame, sofern sie ein Treffen mit ihrem Verehrer erstrebt. [Ruh 1984: 113]
Dieses Minneschema wird in den Mutter-Tochter-Gesprächsliedern folgendermaßen verkehrt: Die Tochter, welche die Rolle der frouwe einnimmt, ist dem Sänger sozial untergestellt und auch das Werbungsschema wird umgekehrt, indem die weibliche Figur eine Ehe mit von Riuwental erstrebt, was der Ritter jedoch nicht beabsichtigt. Somit liegt auch kein Dienst-Lohn-Verhältnis im Stil der hohen Minne vor. Auch das Motiv der huote ist nicht länger in der Gesellschaft personifiziert, sondern in der Rolle der Mutter, wobei keine gesellschaftliche Konfliktsituation auftritt, da der Streit lediglich zwischen ihr und der eigenen Tochter stattfindet. [Ruh 1984: 114] Auch das Sänger-Ich verhält sich in dieser Konstellation passiv, da er das Äquivalent zur Dame des hohen Sangs darstellt, das Objekt des Begehrens [Ruh 1984: 115] – ein extremer Gegensatz zu klassischen Minnesangkonventionen.
Mutter-Tochter-Dialoge am Beispiel von SL 18
Übersetzung und Inhalt
Strophe 1
"Uns wil ein sumer komen", | „Es wird ein Sommer zu uns kommen", |
sprach ein magt: "jâ hân ich den von Riuwental vernomen. | sprach ein Mädchen: „Ja, da habe ich von dem von Reuental erfahren. |
jâ wil ich in loben. | Ja, ich will ihn ehren (auch: sich verloben mit; versprechen, zusagen). |
mîn herze spilt gein im vor vreuden, als ez welle toben. | Mein Herz hüpft ihm vor Freude entgegen, als würde es toben/ von Sinnen sein. |
ich hœr in dort singen vor den kinden. | Ich höre ihn dort vor den jungen Leuten singen. |
jâne wil ich nimmer des erwinden, | Wahrlich, ich will es nie wieder beenden, |
ich springe an sîner hende zuo der linden." | ich springe an seiner Hand zur Linde." |
Neidharttypisch wird das Sommerlied 18 mit einem Natureingang begonnen und die Sprecherin äußert die Grundstimmung der ersten Strophe: Es herrscht sommerliche Hochfreude, welche mit euphorischer Verliebtheit einhergeht. Bereits hier wird der begehrte Favorit des Dorfmädchens genannt, der Ritter von Riuwental, sowie seine Gesangsqualitäten. Zudem wird die Kulisse der Romanze näher bestimmt: eine Naturszenerie bei der Linde.
Strophe 2
Diu muoter rief ir nâch; | Die Mutter rief ihr nach; |
sî sprach: "tohter, volge mir, niht lâ dir wesen gâch! | sie sagte: „Tochter, folge meinem Rat, verhalte dich nicht voreilig! |
weistû, wie geschach | Weißt du (nicht), |
dîner spilen Jiuten vert, alsam ir eide jach? | was deiner Gespielin Jiuten im Vorjahr geschah, wie es ihre Mutter vorhersagte? |
der wuohs von sînem reien ûf ir wempel, | Der wuchs das Bäuchlein aufgrund seines Tanzes, |
und gewan ein kint, daz hiez si lempel: | und sie bekam ein Kind, welches sie Lempel nannte: |
alsô lêrte er sî den gimpelgempel." | Also lehrte er sie den Tanz namens Gimpelgempel.“ (Doppelsinn) |
Die romantische Illusion des Dorfmädchens wird bereits in der zweiten Strophe zerstört – und zwar durch die Mutter, welche die Tochter ausdrücklich anweist, dem von Riuwental nicht zu folgen. Ihr Einwand stützt sich auf konkrete Konsequenzen, und zwar die Schwangerschaft der spilen Jiuten, welche zeigt, dass aus Spaß und Tanz, Ernst werden kann.
Strophe 3
"Muoter, lât iz sîn! | „Mutter, lass es sein! |
er sante mir ein rôsenschapel, daz het liehten schîn, | Er schickte mir einen Rosenkranz, der einen leuchtenden Glanz |
ûf daz houbet mîn, | auf meinen Kopf warf, |
und zwêne rôten golzen brâhte er her mir über Rîn: | und zwei rote Strümpfe brachte er mir über den Rhein: |
die trag ich noch hiwer an mînem beine. | Die trage ich noch heute an meinen Beinen. |
des er mich bat, daz weiz ich niewan eine. | Dass/ wobei er mir half, das weiß nur ich allein. |
jâ volge ich iuwer ræte harte kleine." | Ja, deshalb werde ich eurem Rat überhaupt nicht folgen.“ |
Die Tochter führt das Gespräch unnachgiebig mit Gegenargumenten fort: Sie beruft sich auf die Geschenke des Ritters Riuwental, welche belegen sollen, dass der Begehrte ernsthafte Absichten verfolgt – Grund genug für die Tochter, dem Rat der Mutter nicht zu folgen und stattdessen dem ritterlichen Favoriten nachzugehen. Zudem scheint die Aussage des Dorfmädchens „den Sinn eines frohlockenden verhüllten Geständnisses“ [Wiessner 1954: 45] zu enthalten, wenn sie anmerkt, dass nur ihr bekannt ist auf welcher Weise ihr der Ritter „half“.
Strophe 4
Der muoter der wart leit, | Die Mutter war es leid, |
daz diu tohter niht enhôrte, daz si ir vor geseit; | dass die Tochter nicht darauf hörte, was sie ihr vorhin gesagt hat; |
iz sprach diu stolze meit: | es sprach das übermütige Mädchen: |
"ich hân im gelobt: des hât er mîne sicherheit. | „Ich hab mich ihm versprochen: deshalb hat er mein Versprechen/ Zusage/ Treue. |
waz verliuse ich dâ mit mîner êren? | Warum sollte ich damit meine Ehre verlieren? (rhet. Frage) |
jâne wil ich nimmer widerkêren, | Ja, ich will nie mehr wiederkehren, |
er muoz mich sîne geile sprünge lêren." | er wird mich seine wilden/ fröhlichen Sprünge lehren.“ |
Auch in Strophe vier erklärt sich die Tochter weiter, mit dem Ziel, die Einwände der Mutter zu entkräftigen. Die junge Frau hat sich dem von Riuwental bereits versprochen und die erhoffte Heirat soll, anders als eine sexuelle Liebschaft, den Ehrverlust verhindern.
Strophe 5
Diu muoter sprach: "wol hin! | Die Mutter sprach: „So geh! |
verstû übel oder wol, sich, daz ist dîn gewin: | Wohl oder übel wird es dir (so) ergehen, aber sieh, das ist dein Erwerb/ Lohn/Preis. |
dû hâst niht guoten sin. | Du hast keinen guten Verstand/ Wahrnehmung/Menschenkenntnis. |
wil dû mit im gein Riuwental, dâ bringet er dich hin: | Willst du mit ihm ins Reuental gehen, dann bringt er dich dahin. |
alsô kan sîn treiros dich verkoufen. | So kann er deinen Tanz für sich verkaufen. (Reuental + Tanz negativ) |
er beginnt dich slahen, stôzen, roufen | Er beginnt dich zu schlagen, zu stoßen und zu verprügeln |
und müezen doch zwô wiegen bî dir loufen." | und doch müssen zwei Wiegen bei dir laufen.“ |
Die Mutter scheint zu resignieren, dennoch unternimmt sie einen letzten Versuch, an die Vernunft der Tochter zu appellieren. Sie nennt neben der Schwangerschaft und dem Ehrverlust, die gewaltsamen Folgen der Beziehung.
Kommentarteil und Erläuterungen
Formale Analyse
Interpretation
Grundkonstellation und Rollenverteilung
Themen und Motive
Komik und Spott
Korrespondierende Lieder und Variationen
Fazit
Literaturverzeichnis
<HarvardReferences /> [*Henning 2014] Henning, Beate: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch. In Zusammenarbeit mit Christa Hepfer und unter redaktioneller Mitwirkung von Wolfgang Bachofer, 6., durchgesehene Auflage, Berlin/ Boston 2014. <HarvardReferences /> [*Hübner 2008] Hübner, Gert: Minnesang im 13. Jahrhundert. Eine Einführung, Tübingen 2008. <HarvardReferences /> [*Neidhart 2008] Neidhart (von Reuental): Neidhart Lieder. Auswahl; mit den Melodien zu neun Liedern; mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch, übers., hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Helmut Lomnitzer, Stuttgart 2008. <HarvardReferences /> [*Plotke 2010] Plotke, Seraina: Neidhart als Spötter – Spott bei Neidhart, in: Mitteilung des Deutschen Germanistenverbandes 57/1 (2010), S. 23-34. <HarvardReferences /> [*Ruh 1984] Ruh, Kurt: Neidharts Lieder. Eine Beschreibung des Typus, in: Kleine Schriften. 1. Dichtung des Hoch- und Spätmittelalters, 1984, S. 107-128. <HarvardReferences /> [*Schnell 1999] Schnell, Rüder: Frauenlied, Manneslied und Wechsel im deutschen Minnesang. Überlegungen zu 'gender' und Gattung, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Bd.128 H.2 (1999), S. 127-184. <HarvardReferences /> [*Schulze 1991] Schulze, Ursula: Neidhart-Forschung von 1976 bis 1987, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Bd. 113 (1991), S. 124-153. <HarvardReferences /> [*Schweikle 1990] Schweikle, Günther: Neidhart, Stuttgart 1990.