Mutter-Tochter-Dialoge am Beispiel von Sommerlied 18 (Neidhart)

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„Uns will ein sumer komen“,/ sprach ein magt: „jâ hân ich den von Riuwental vernomen.“ -

Bereits die zwei Eingangsverse des Sommerlieds 18 verweisen auf einen Grundtypus des Neidhartschen Sommerprogramms: Das Dialoglied. In der mediävistischen Forschung als formale und inhaltliche Neuschöpfung Neidharts aufgefasst, lassen sich die Gesprächsszenen in Mutter-Tochter-, Gespielinnen- sowie einzelne Sänger-Mädchen-Dialoge gliedern, wobei nach Dialogpartner*innen und thematischen Aspekten unterschieden wird. [Schweikle 1990: 72] Im Zuge dieses Artikels sollen die Mutter-Tochter-Dialoge am Beispiel von Sommerlied 18 näher untersucht werden.

Der erste Teil behandelt zunächst den Typus der Frauen-Dialoglieder, wobei der thematische Hintergrund, die Sprecherrollen sowie formale Aspekte in den Fokus rücken. Anschließend wird der Hauptschwerpunkt dieses Artikels betrachtet, eine spezifische Gesprächskonstellation des Liedtypus, welche einen Dialog zwischen Mutter und Tochter darstellt. Hierbei soll die Typisierung der Rollenfiguren erläutert werden sowie Themen und Aspekte des Œuvre Neidharts, welche für den untersuchten Dialogtypus von Relevanz sind.

Aufbauend auf dem theoretischen Teil des Artikels, wird anschließend das Sommerlied 18 untersucht. Die Grundlage hierfür bildet eine Übersetzung mit Kommentarteil, woraufhin eine formale Analyse des Liedes erfolgt. Der anschließende Schritt befasst sich mit einer Interpretation der Gesprächsszene, wobei folgenden Fragestellungen nachgegangen werden soll: Welche Rolle nehmen die muoter und tohter im Sommerlied 18 ein und inwieweit bricht Neidhart mit klassischen Minnesangkonventionen? Welche dominanten Themen und Motive des Neidhartschen Œuvres sind in der Gesprächsszene enthalten? In welchen Aspekten wird das Element des Spottens aufgegriffen und wer wird in diesem Lied der Lächerlichkeit preisgegeben? Der letzte Punkt des Artikels verweist abschließend auf weitere Mutter-Tochter-Dialoge sowie auf eine Sonderform des Typus, das sogenannte Altenlied.

Frauen-Dialoglieder

Besonders die Frauen-Dialoglieder, die Mutter-Tochter- und die Gespielinnen-Gespräche, sind charakteristisch für das Œuvre Neidharts. Sie weisen Elemente traditioneller Frauenlieder des hohen Minnesangs auf, in welchen die Dame den Geliebten begehrt und ihr Liebesverlangen sowie ihre Sehnsüchte offen kommuniziert. [Schweikle 1990: 72] Ein wesentliches Merkmal der Lieder Neidharts ist der Bruch mit höfischen Minnesangkonventionen, sowohl auf formaler als auch auf inhaltlicher Ebene. So merkt Hübner an, dass „[d]ie traditionellen Muster des Minnesangs […] auf den falschen Gegenstand und den falschen gesellschaftlichen Raum bezogen [werden]“. [Hübner 2008: 54] Ebenso wie ein Großteil der Lieder Neidharts Szenen des Dorflebens illustriert, stammen auch die Dialogpartnerinnen aus dem bäuerlichen Milieu. Neidhart setzt somit adlige Liebesideale in einen bäuerlichen, dörflichen Kontext - „eine neue Variante des höfischen Liebeslieds“. [Hübner 2008: 45]

Thematischer Hintergrund

Die sogenannte Pastourellensituation, das Zusammentreffen von Ritter und Dorfmädchen in einer Naturszenerie, stellt den thematischen Hintergrund der Frauen-Dialoglieder dar. Dabei ist für die Neidhartschen Sommerlieder charakteristisch, dass eine „Umkehrung des Werbungsschemas“ [Schweikle 1990: 72] eintritt, indem die Initiative von der weiblichen Figur ergriffen wird. Aber auch das subjektive Nacherzählen der Begegnung in Dialogform ist ein Merkmal Neidharts. Dabei kann die Begegnung mit dem Ritter in Verbindung mit Wünschen, Absichten oder gar Geständnissen geäußert werden. [Schweikle 1990: 72] Das Liebesziel stimmt mit dem fiktiven Schauplatz der Sommerlieder überein: Es ist der von Riuwental, der hier begehrt wird. Je nach Liedgattung und Szenerie variiert die Bezeichnung des Reuentalers – vom Heimatort des Sänger-Ichs, welches bestimmte Konnotationen mit sich bringt, zum Personennamen „eines zwar als höfisch, aber armselig charakterisierten Ritters“. [Schweikle 1990: 71] Lediglich in den Frauen-Dialogliedern, welche Elemente der Pastourelle aufweisen, wie etwa die Figur des Ritters oder den Naturbezug, bezeichnet Riuwental stets eine Rollenfigur, einen ritter (z. Bsp. SL 17, 26) oder knappen (z. Bsp. SL 1,2), welcher Gesprächsgegenstand und Objekt des Begehrens der Dialogpartnerinnen ist. [Schweikle 1990: 52; 54]

Ein Beispiel hierfür sind die Frauen-Dialoglieder SL 14 und SL 23, in welchen namentlich auf den Geliebten, das fiktive Sänger-Ich der Sommerlieder, referiert wird:

Gespielinnen-Gesprächslied SL 14: Den si alle nennent/ von Riuwental/ und sînen sanc erkennent/ wol über al,/ derst mir holt. [Neidhart 2008: 14]

Mutter-Tochter-Gesprächslied SL 23: über al/ müezen sîn die liute werden inne:/ mîn muot der strebt gein Riuwental. [Neidhart 2008: 22]

Diese Grundkonstellation wird in den Frauen-Dialogliedern immer wieder aufgegriffen: Ein Mädchen aus dem bäuerlichen Milieu setzt – entgegen aller gesellschaftlicher Standesnormen – ihre Hoffnung in eine Ehe mit von Riuwental. [Hübner 2008: 58]

Dialogpartnerinnen

Während bei den Mutter-Tochter-Gesprächsszenen eine Unterhaltung zwischen einem Bauernmädchen und ihrer Mutter geführt wird, tauschen sich bei den Gespielinnen-Dialogen zwei Dorfmädchen „auf der Ebene gleicher Interessen“ [Schweikle 1990: 76] untereinander aus. Gerade in den früher entstandenen Mutter-Tochter-Gesprächsliedern sind die Dialogpartnerinnen namenlos und werden beispielsweise als muoter, eide, tochter, kint, maget oder frouwe typisiert. Hingegen ist das Ziel des Begehrens, in den meisten Fällen das Sänger-Ich von Riuwental, bereits zu Beginn namentlich ausgewiesen. Die Vergabe von Namen ist erst ab Sommerlied 10 erkennbar, jedoch hauptsächlich in den Gespielinnen-Gesprächsliedern, in welchen die Freundinnen sich namentlich ansprechen oder auf andere gespilen referieren. Ab Sommerlied 24 tragen auch die Sprecherinnen Namen. [Schweikle 1990: 73]

Formale Aspekte

Die reine Dialogform tritt vorranging bei den Mutter-Tochter-Gesprächsliedern auf, wobei das Sänger-Ich in vereinzelten Liedern vollkommen verstummt. [Plotke 2010: 27] Die Gesprächspartnerinnen können dabei im alternierenden Wechsel zu Wort kommen, aber auch Halbstrophen und freiere Formen sind im Neidhartschen Œuvre vorzufinden. Bereits zu Beginn ist innerhalb der Frauen-Dialogliedern eine Vielzahl von formalen Erweiterungen erkennbar. Diese umfassen unter anderem das gattungstypische Element des sommerlichen Natureingangs, welches von einer Gesprächspartnerin vorgetragen wird, aber auch Inquitformeln – beispielsweise „sprach ein magt“ (SL 18) – sowie Zwischen- oder Schlussbemerkungen und Erzähleinschübe des lyrischen Ichs sind in den Dialogliedern vorzufinden. Zudem kann das Sänger-Ich als Rollenfigur auftreten, wie etwa als Geliebter des Dorfmädchens. Dabei können die Dialogtypen nicht immer strikt differenziert werden, da auch Kombinationsformen sowie Einschübe von Monolog- und Trutzstrophen vorherrschen. [Schweikle 1990: 73f.] Bei den Mutter-Tochter-Gesprächsliedern ist der Dialog selten abgeschlossen, sodass eine Fortsetzung durch weitere Strophen denkbar wäre. [Schweikle 1990: 75].

Mutter-Tochter-Dialoge

Grundkonstellation: Verstand vs. Gefühl

„[D]ie Konfliktkonstellation Mutter (Verstand) – Tochter (Gefühl)“ [Schulze 1991: 139 f.] stellt die Ausgangssituation des Dialogtypus dar und ist bereits bei Vorgängern Neidharts, wie etwa bei Dietmar von Eist, präsent. [Schulze 1991: 140] Die Tochter ist in den Gesprächsszenen als „tanz- und liebeslustig“ [Schweikle 1990: 74], als naiv und ahnungslos charakterisiert. Im Gegensatz dazu tritt die Mutter als vernünftig und erfahren auf: Sie warnt vor den „erotischen Gefährdungen“ [Schweikle 1990: 74], die der Sommer und die damit einhergehende Tanzsaison mit sich bringen. Da sie die Normen der Ständegesellschaft kennt, durchschaut sie „die höfische Maske des Reuentalers“ [Hübner 2008: 59]. Somit lässt die Mutter die romantische Illusion der Tochter zerplatzen, indem sie schonungslos auf die Realität verweist und den Versuch unternimmt, an ihr Urteilsvermögen zu appellieren. Die Reaktion der Tochter kann stur und uneinsichtig, vereinzelt sogar wütend und erbost, ausfallen. Sie beharrt auf dem Wunsch, eine Ehe mit von Riuwental zu führen und lehnt den Rat der Mutter, einen geeigneten Bewerber zu wählen, nachdrücklich ab. Zudem kann es zum Geständnis der bereits fortgeschrittenen Liebesaffäre kommen und den daraus resultierenden Konsequenzen. Aber auch besänftigende, bittende oder schmeichelnde Worte von Seiten der Tochter sind vorzufinden. [Schweikle 1990: 74 f.] Das Sänger-Ich erweckt in den Frauen-Dialoglieder bei den leichtgläubigen Dorfmädchen den Eindruck, er würde entsprechend adliger Liebesideale handeln. Doch nimmt dieser nicht die Rolle des höfischen Verehrers ein, sondern geht vielmehr seinen sexuellen Absichten nach: „Auf dem Dorf wird die höfische Kompetenz des Sängers zur bloßen Verführungsstrategie […].“ [Hübner 2008: 58]

Themen und Motive

Natureingang

Das Element des Natureingangs ist wohl eines der markantesten Charakteristika der Neidhartschen Literatur und symbolisiert im Falle der sommerlichen Dialoglieder die Lebensfreude und Hochstimmung, aber auch das Verlangen nach einer romantischen Begegnung, welches durch die verliebte Tochter zum Ausdruck gebracht wird. In den Dialogliedern wird der Natureingang oft von einer Gesprächspartnerin in Form einer Kurzformel eingebracht und bildet den Auftakt der romantischen Schwärmereien. [Schweikle 1990: 115] Zudem ist eine „Erotisierung der Naturmotive“ [Ruh 1984: 111] vorzufinden, insbesondere wenn der gattungstypische Liedeingang von einer weiblichen Sprecherin vorgetragen wird, wie etwa in Sommerlied 21:

Komen ist uns ein ein liehtiu ougenweide:
man siht der rôsen wunder ûf der heide,
die bluomen dringent durch daz gras.
schône ein wise getouwet was,
dâ mir mîn geselle zeinem kranze las. [Neidhart 2008: 16]

„Die Wiese war mit Tau schön benetzt, auf welcher mein Geliebter mir einen Blumenkranz las“ - Die zweideutige Wendung „kranz lesen“ verweist, ähnlich wie „bluomen brechen“, auf Erotik und sexuelles Vergnügen. [Schweikle 1990: 109] Auch der gesellschaftliche Stand des Dorfmädchens bedingt eine „naturhaft-sinnliche Minne“ [Ruh 1984: 114], welche durch die Natursymbolik veranschaulicht wird.

huote-Motiv

Als huote, unter anderem übersetzt als „Schutz, Obhut, Fürsorge […]; Bewachung; Sicherheit; […] Vorsicht“ [Henning 2014: 161], bezeichnet man im Mittelhochdeutschen eine Autorität, welche das Zusammenkommen von Dame und Liebhaber verhindert [Schnell 1999: 150; 152] – ein Motiv, welches bereits im früheren Minnesang Anwendung gefunden hat und Liebesbeziehungen verkomplizierte. Die Mutter kann in den klassischen Mutter-Tochter-Dialogen als „Personalisierung des huote-Motivs“ [Schweikle 1990: 74] gedeutet werden, mit der Funktion, die Tochter vom Verführer fernzuhalten. Die Reaktion auf den Tanzwunsch der Tochter kann dabei mehr oder weniger verständnisvoll ausfallen: von Bitten, Ratschlägen und Warnungen zu Verboten, Beschimpfungen und Drohungen. Die Erwähnung der zahlreichen Konsequenzen, wie etwa Liebeskummer, Ehrverlust, explizit eine Schwangerschaft, sollen die Tochter vom ritterlichen Liebhaber fernhalten. Zudem ist das Verstecken der Tanzkleider eine Maßnahme der huote-Rolle. [Schweikle 1990: 74 f.]

Zwar stimmt die Rollenverteilung der klassischen Mutter-Tochter-Dialoge mit gesellschaftlichen Normen überein - denn die Mutter überwacht die Tochter - doch indem Neidhart das Motiv der huote in einer der Gesprächspartnerinnen aus dem bäuerlichen Milieu personifiziert, ironisiert und karikiert er traditionelle Minnesangmotivik, zieht sie ins Lächerliche und gibt sie dem Spott preis. Dies geschieht durch Ratschläge der Mutter, welche von der Tochter in die Praxis umgesetzt werden sollen, beispielsweise einen sozial passenden Partner in Erwägung zu ziehen, sowie durch lautstarke Auseinandersetzungen und Handgreiflichkeiten. Aber auch das Versagen und die vergebliche Mühe der Mutter, die Tochter von den ernsthaften Konsequenzen der Liebschaft zu überzeugen, verzerrt die eigentliche Funktion der huote. [Schweikle 1990: 107 f.]

Erotik und Tanz

Ein wesentliches Merkmal des Neidhartschen Werks ist die Darstellung von tabuisierten Themen, Erotik und Sexualität – sei es durch direkte oder aber auch metaphorische Begrifflichkeiten in Bezug auf intime Zusammenkünfte und erotische Körperzonen. [Schweikle 1990: 108] Dabei spielt das Tanzmotiv eine entscheidende Rolle, da die Tänze eine Gelegenheit bieten, um Liebhaber, insbesondere den von Riuwental, anzutreffen. Die Benennung der Tänze kann dabei eine zweideutige Bedeutung tragen, als auch mit sexuellen Konnotationen einhergehen (vgl. Kommentarteil und Erläuterungen). Ebenso erfüllt die Sangesthematik eine wichtige Funktion, da der Gesang die Hochstimmung ausdrückt und die Tänze begleitet, aber auch zur Frauenwerbung dient. So ist es in den Frauendialogliedern der von Riuwental, welcher durch seinen Gesang besticht [Schweikle 1990: 112-114], wie es beispielsweise in Sommerlied 14 von der Gesprächspartnerin erwähnt wird: „Den sie alle nennent/ von Riuwental/ und sînen sanc erkennent/ wol über al,/ […]!“. [Neidhart 2008: 14]

Vertauschtes Minneschema

Der klassische Minnesang thematisiert, zumeist im Rahmen der höfischen Gesellschaft, den Frauendienst und die Werbung um eine Dame, wobei drei wesentliche Rollen festzumachen sind: Der Sänger, welcher einen niedrigeren gesellschaftlichen Stand aufweist als die Dame – diese ist sozial, oder auch nur fiktiv, höhergestellt – sowie die Gesellschaft mit der Funktion der huote. Der Sänger hegt die Hoffnung, dass sein Minnedienst belohnt wird, doch bleibt sein Interesse in der Regel unerwidert. Die huote verhindert zusätzlich die Zusammenkunft von Werbendem und frouwe und steht somit in Konflikt mit dem Sänger-Ich, aber auch in abgeschwächter Form mit der Dame, sofern sie ein Treffen mit ihrem Verehrer erstrebt. [Ruh 1984: 113]

Diese Grundkonstellation wird in den Mutter-Tochter-Dialogen folgendermaßen verkehrt: Die Tochter ist dem ritterlichen Liebhaber sozial untergeordnet und stellt dabei das weibliche Pendant zum Sänger-Ich des hohen Sangs dar, indem das Werbungsschema und die Minnerelation verkehrt werden. Es ist in Neidharts Sommerliedern die frouwe, welche umschwärmt, begehrt und eine Ehe ersterbt. Das Dorfmädchen äußert offen ihre Liebessehnsucht und ignoriert die Tatsache, dass eine wahrhaftige Liebesbeziehung mit dem Ritter von Riuwental ausgeschlossen ist und dass jener für sie ein unerreichbares Ziel darstellt. Aufgrund der verkehrten Rollenkonstellation liegt auch kein Dienst-Lohn-Verhältnis im Stil der hohen Minne vor. Zudem ist das Motiv der huote nicht länger in der Gesellschaft personifiziert, sondern meist in der Rolle der Mutter. Dementsprechend entsteht keine gesellschaftliche Konfliktsituation: Die Auseinandersetzung verbleibt im Rahmen der Familie und wird lediglich zwischen ihr und der eigenen Tochter ausgetragen. [Ruh 1984: 114] Auch das Sänger-Ich verhält sich in dieser Konstellation passiv, da er das Äquivalent zur Dame des hohen Sangs darstellt, das Objekt des Begehrens [Ruh 1984: 115] – eine Konstellation, die wohl kaum extremer mit dem klassischen Minnesangschema kontrastieren könnte.

Mutter-Tochter-Dialoge am Beispiel von SL 18

Übersetzung und Inhalt

Strophe 1

"Uns wil ein sumer komen", „Es wird ein Sommer zu uns kommen",
sprach ein magt: "jâ hân ich den von Riuwental vernomen. sprach ein Mädchen: „Ja, da habe ich von dem von Reuental erfahren.
jâ wil ich in loben. Ja, ich will ihn ehren (auch: sich verloben mit; versprechen, zusagen).
mîn herze spilt gein im vor vreuden, als ez welle toben. Mein Herz hüpft ihm vor Freude entgegen, als würde es toben/ von Sinnen sein.
ich hœr in dort singen vor den kinden. Ich höre ihn dort vor den jungen Leuten singen.
jâne wil ich nimmer des erwinden, Wahrlich, ich will es nie wieder beenden,
ich springe an sîner hende zuo der linden [1]." ich springe an seiner Hand zur Linde."

Neidharttypisch wird das Sommerlied 18 mit einem Natureingang begonnen und die Sprecherin äußert die Grundstimmung der ersten Strophe: Es herrscht sommerliche Hochfreude, welche mit euphorischer Verliebtheit einhergeht. Bereits hier wird der begehrte Favorit des Dorfmädchens genannt, der Ritter von Riuwental, sowie seine Gesangsqualitäten. Zudem wird die Kulisse der Romanze näher bestimmt: eine Naturszenerie bei der Linde.

Strophe 2

Diu muoter rief ir nâch; Die Mutter rief ihr nach;
sî sprach: "tohter, volge mir, niht lâ dir wesen gâch! sie sagte: „Tochter, folge meinem Rat, verhalte dich nicht voreilig!
weistû, wie geschach Weißt du (nicht),
dîner spilen Jiuten vert, alsam ir eide jach? was deiner Gespielin Jiuten im Vorjahr geschah, wie es ihre Mutter vorhersagte?
der wuohs von sînem reien ûf ir wempel, Der wuchs das Bäuchlein aufgrund seines Tanzes,
und gewan ein kint, daz hiez si lempel: und sie bekam ein Kind, welches sie Lempel nannte:
alsô lêrte er sî den gimpelgempel." Also lehrte er sie den Tanz namens Gimpelgempel.“ (Doppelsinn)

Die romantische Illusion des Dorfmädchens wird bereits in der zweiten Strophe zerstört – und zwar durch die Mutter, welche die Tochter ausdrücklich anweist, dem von Riuwental nicht zu folgen. Ihr Einwand stützt sich auf konkrete Konsequenzen, und zwar die Schwangerschaft der spilen Jiuten, welche zeigt, dass aus Spaß und Tanz, Ernst werden kann.

Strophe 3

"Muoter, lât iz sîn! „Mutter, lass es sein!
er sante mir ein rôsenschapel, daz het liehten schîn, Er schickte mir einen Rosenkranz, der einen leuchtenden Glanz
ûf daz houbet mîn, auf meinen Kopf warf,
und zwêne rôten golzen brâhte er her mir über Rîn: und zwei rote Strümpfe brachte er mir über den Rhein:
die trag ich noch hiwer an mînem beine. Die trage ich noch heute an meinen Beinen.
des er mich bat, daz weiz ich niewan eine. Dass/ wobei er mir half, das weiß nur ich allein.
jâ volge ich iuwer ræte harte kleine." Ja, deshalb werde ich eurem Rat überhaupt nicht folgen.“

Die Tochter führt das Gespräch unnachgiebig mit Gegenargumenten fort: Sie beruft sich auf die Geschenke des Ritters Riuwental, welche belegen sollen, dass der Begehrte ernsthafte Absichten verfolgt – Grund genug für die Tochter, dem Rat der Mutter nicht zu folgen und stattdessen dem ritterlichen Favoriten nachzugehen. Zudem scheint die Aussage des Dorfmädchens „den Sinn eines frohlockenden verhüllten Geständnisses“ [Wiessner 1954: 45] zu enthalten, wenn sie anmerkt, dass nur ihr bekannt ist auf welcher Weise ihr der Ritter „half“.

Strophe 4

Der muoter der wart leit, Die Mutter war es leid,
daz diu tohter niht enhôrte, daz si ir vor geseit; dass die Tochter nicht darauf hörte, was sie ihr vorhin gesagt hat;
iz sprach diu stolze meit: es sprach das übermütige Mädchen:
"ich hân im gelobt: des hât er mîne sicherheit. „Ich hab mich ihm versprochen: deshalb hat er mein Versprechen/ Zusage/ Treue.
waz verliuse ich dâ mit mîner êren? Warum sollte ich damit meine Ehre verlieren? (rhet. Frage)
jâne wil ich nimmer widerkêren, Ja, ich will nie mehr wiederkehren,
er muoz mich sîne geile sprünge lêren." er wird mich seine wilden/ fröhlichen Sprünge lehren.“

Auch in Strophe vier erklärt sich die Tochter weiter, mit dem Ziel, die Einwände der Mutter zu entkräftigen. Die junge Frau hat sich dem von Riuwental bereits versprochen und die erhoffte Heirat soll, anders als eine sexuelle Liebschaft, den Ehrverlust verhindern.

Strophe 5

Diu muoter sprach: "wol hin! Die Mutter sprach: „So geh!
verstû übel oder wol, sich, daz ist dîn gewin: Wohl oder übel wird es dir (so) ergehen, aber sieh, das ist dein Erwerb/ Lohn/Preis.
dû hâst niht guoten sin. Du hast keinen guten Verstand/ Wahrnehmung/Menschenkenntnis.
wil dû mit im gein Riuwental, dâ bringet er dich hin: Willst du mit ihm ins Reuental gehen, dann bringt er dich dahin.
alsô kan sîn treiros dich verkoufen. So kann er deinen Tanz für sich verkaufen. (Reuental + Tanz negativ)
er beginnt dich slahen, stôzen, roufen Er beginnt dich zu schlagen, zu stoßen und zu verprügeln
und müezen doch zwô wiegen bî dir loufen." und doch müssen zwei Wiegen bei dir laufen.“

Die Mutter scheint zu resignieren, dennoch unternimmt sie einen letzten Versuch, an die Vernunft der Tochter zu appellieren. Sie nennt neben der Schwangerschaft und dem Ehrverlust, die gewaltsamen Folgen der Beziehung.

Kommentarteil und Erläuterungen

  1. Wiessner übersetzt linde als „Dorflinde“ [Wiessner 1954: 170], was bereits den Schauplatz des Dialogliedes innerhalb des bäuerlichen Milieus andeutet.

Formale Analyse

Interpretation

Grundkonstellation und Rollenverteilung

muoter, tohter und von Riuwental

Naiv und skeptisch, unerfahren und erfahren, unbedacht und vernünftig – die stereotypische Rollenverteilung und Typisierung von Mutter und Tochter findet in Sommerlied 18 ebenfalls Anwendung und bestimmt die Redeinhalte beider Figuren. Auch hier sind die Sprecherinnen nicht personalisiert, sie werden ihrer Rollenfunktion entsprechend als magt, muoter und tohter charakterisiert. Lediglich auf die Gespielen Jiuten sowie auf den von Riuwental wird namentlich referiert, jedoch findet sich im vorliegenden Dialog keine Nutzung des Standesattributs [Schweikle 1990: 52], was bereits den Bruch mit höfischen Normen andeutet. Während die Tochter stur und ignorant auf ihren Absichten beharrt und geradezu die fortgeschrittene Liebschaft mit dem begehrten Ritter andeutet, warnt die Mutter vor dem wahren Charakter des Liebhabers, seinen sexuellen Intentionen und den gewaltsamen Konsequenzen. Das Sänger-Ich verhält sich in dieser Konstellation passiv und ist lediglich ambiger Gesprächsinhalt, inszeniert als Ziel des Begehrens, aber auch als schamloser, gewaltsamer Verführer.

Themen und Motive

„Uns wil ein sumer komen“: Der Natureingang

Trotz der Beschränkung auf eine Kurzformel, ist auch in Sommerlied 18 der Natureingang als Gattungssignal ein wesentliches Element. Zwar wird hier keine explizite Pastourellensituation geschildert, in welcher das Dorfmädchen und der Ritter in freier Natur aufeinandertreffen, dennoch ist ein Bezug zur sommerlichen Umgebung erkennbar, indem auf die Linde referiert wird (I, „ich springe an sîner hende zuo der linden“). Neidharttypisch wird die sommerliche Euphorie in Bezug zur Gemütslage und Liebessituation des Sänger-Ichs, oder in diesem Fall der Sprecherin, gesetzt: Die blühende Umgebung geht mit der Verliebtheit und den Schwärmereien der Tochter einher und bildet den „Stimmungshintergrund“ [Schweikle 1990: 115] der ersten Strophe. Die Hochgefühle des Dorfmädchens werden durch die Personifizierung des Herzens veranschaulicht, es „spilt gein im vor vreuden, als ez welle toben“(I), sowie durch die Exklamationen „jâ“ und „jâne“ (I) – ein emotionaler Ausruf, welcher im Folgenden nicht nur in Verbindung mit Sommerfreude auftritt, sondern auch den naiven Übermut der Tochter illustriert. Das „Freude-Modell“ [Hübner 2008: 55], die Verknüpfung von blühender Natur und Hochstimmung, nicht selten auch einem Tanzaufruf, wird im weiteren Verlauf durch die Rolle der huote gebrochen.

„tohter, volge mir […]!“: Das huote-Motiv

Der Begriff der huote wird zwar im Sommerlied 18 nicht explizit genannt, dennoch kommt auch hier die Rolle der Behüterin der Mutter zu. Sie versucht durch Ratschläge und Warnungen das Vorhaben der Tochter abzuwenden. Dabei verweist sie auf konkrete Folgen, die Schwangerschaft der Gespielin Jiuten (vgl. II), indem sie mittels einer rhetorischen Frage an ihre unglückliche Liebschaft erinnert: „weistû, wie geschach/ dîner spilen Jiuten vert, alsam ir eide jach?“. Sie droht ihrer Tochter mit dem gleichen Schicksal, hält ihr den Spiegel vor, indem sie den Ehrverlust und die brutalen Folgen nennt: „er beginnt dich slahen, stôzen, roufen/ und müezen doch zwô wiegen bî dir loufen.“ Besonders die hyperbolische Beschreibung des gewaltsamen Verführers dominiert die Redeinhalte der Mutter. Ist der Gewaltaspekt doch sonst in den Winterliedern ein gar konstitutives Element, mit der Funktion das rüpelhafte, unhöfische Verhalten der Dörper zu charakterisieren, wird diese Thematik nun im Kontext weiblicher Sprecherrollen präsentiert. Der Gewalttäter ist auch hier kein Bauernbursche, wie beispielsweise Engelmar im Spiegelraub-Ereignis, sondern ein Ritter, welcher sich an jungen Frauen vergeht. Zudem impliziert die Mutter durch die allegorische Ortsbeschreibung des Reuentals, die unheilvolle Zukunft der jungen Frau, sollte diese dem Reuental tatsächlich blind folgen. Die Machtlosigkeit in Bezug auf die Sturheit der Tochter, äußert sie durch Exklamationen (II, „[…] niht lâ dir wesen gâch!“), wobei der lautstarke Ausruf in Strophe fünf bereits eine gewisse Resignation seitens der Mutter verrät (V, „wol hin!“). Der zu Beginn freudig konnotierte Tanz, mit all seiner Leichtigkeit, kann das Leben der Tochter ernsthaft beeinträchtigen.

Zwar argumentiert Schweikle, dass die Personifizierung des huote-Motivs in der Mutter „eine Persiflierung traditioneller Minnesang-Konstituenten“ [Schweikle 1990: 75] sei, doch wird hier ein natürliches, mit gesellschaftlichen Normen übereinstimmendes Verhältnis illustriert: Die Mutter will ihre Tochter behüten und vom zwielichtigen Verführer fernhalten. Auch mündet hier die Auseinandersetzung nicht im Kleiderverstecken, in Beleidigungen und Handgreiflichkeiten, was die derben Umgangsformen verhältnismäßig gering ausfallen lässt. Ferner schlägt sie der jungen Frau keinen sozial passenden Partner vor, was nochmals explizit auf ihren niedrigeren gesellschaftlichen Stand und das vertauschte Minneschema hinweisen würde. Dennoch ist die Mühe der Mutter vergebens, bleibt ihr doch letztendlich nur die Resignation, und auch die Charakterisierung des Ritters als gewaltsamen, schamlosen Verführer evoziert eine gewisse Komik, was Schweikles These wieder bestärkt. Im hohen Minnesang wäre kein gewalttätiger Verehrer denkbar, welcher die junge Frau mutwillig zum erotischen Miteinander verleitet und somit auch keine huote, die mit diesen Konsequenzen vergeblich droht.

„der wuohs von sînem reien ûf ir wempel“: Erotik und Tanz

Erotik und Tanzmotivik werden auch in dieser Gesprächsszene unmittelbar miteinander verknüpft. Dabei ist eine Entwicklung vom positiv konnotierten zum negativ behafteten Tanzbegriff innerhalb des Dialogs erkennbar. Zunächst werden in der Eingangsstrophe die sommerlichen Hochgefühle geschildert: Sowie das Herz vor Freude springt, springt auch das Dorfmädchen „an sîner hende zuo der linden“ (I). Zudem wird der Gesang des begehrten Sänger-Ichs genannt, welcher die freudige Stimmung zusätzlich steigert und als vermeintliche Frauenwerbung dient (vgl. I). Bereits in der darauffolgenden Strophe verweist die Mutter auf die Gefahren, welcher der Tanz mit seinen erotischen Verführungen birgt. Verursacht durch die sommerlichen Tänze, musste bereits Jiuten die Konsequenzen einer Schwangerschaft tragen. Weiterhin spielt sie auf die Doppeldeutigkeit des Tanzes gimpelgempel an (vgl. Kommentarteil und Erläuterungen), welcher die obszöne Art des Riuwentals bezeichnet, die erotische Verführung bei sommerlichen Feierlichkeiten, als auch eine sexuelle Anspielung auf das männliche Glied [Schweikle 1990: 109] und somit auf den Liebesakt, wodurch sie „das Tanz-Geschehen der Tochter gegenüber ins Verächtliche [zieht]“ [Plotke 2010: 28]. Die Tochter ist hingegen weiterhin abenteuerlustig und scheint dem sinnlichen Vergnügen nachgehen zu wollen, wenn sie auf die „geile[n] sprünge“ (IV) referiert, welche sie der Ritter lehren soll. Besonders in Strophe fünf werden die negativen Assoziationen nochmals deutlich hervorgehoben. Die Mutter nennt den „treiros“ (V) nicht mehr im Kontext der Hochstimmung aufgrund des endenden Winters. Vielmehr wird sein Tanz sie verkaufen und mit Gewalt einhergehen. Auch unter Neidharts Dörpern wird das Tanzgeschehen von Gewalt an Frauen begleitet (vgl. WL 14: IV, „eine kleine rîsen guot zarte er ab ir houbet“) und der höfische Verführer ordnet sich in dieses Muster ein, sollte er tatsächlich die junge Frau „slahen, stôzen, roufen“ (V). Zusätzlich werden die Folgen der Sinneslust nicht lange auf sich warten lassen und in der Empfängnis von Zwillingen enden. Auch hier ist die Umkehrung des Namens Riuwental unmittelbar mit der Tanzthematik verknüpft, vom Namen des Ritters, welchem die Tochter abenteuerlustig zu den Reigen folgt, zur allegorischen Begrifflichkeit des Jammertals, welche die Szenerie der gewaltsamen Folgen darstellt, die Konsequenzen des verführerischen Tanzes.

Die Sprechsituationen: Spotten und Verspotten

Korrespondierende Lieder und Variationen

Fazit

Literaturverzeichnis

<HarvardReferences /> [*Henning 2014] Henning, Beate: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch. In Zusammenarbeit mit Christa Hepfer und unter redaktioneller Mitwirkung von Wolfgang Bachofer, 6., durchgesehene Auflage, Berlin/ Boston 2014. <HarvardReferences /> [*Hübner 2008] Hübner, Gert: Minnesang im 13. Jahrhundert. Eine Einführung, Tübingen 2008. <HarvardReferences /> [*Neidhart 2008] Neidhart (von Reuental): Neidhart Lieder. Auswahl; mit den Melodien zu neun Liedern; mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch, übers., hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Helmut Lomnitzer, Stuttgart 2008. <HarvardReferences /> [*Plotke 2010] Plotke, Seraina: Neidhart als Spötter – Spott bei Neidhart, in: Mitteilung des Deutschen Germanistenverbandes 57/1 (2010), S. 23-34. <HarvardReferences /> [*Ruh 1984] Ruh, Kurt: Neidharts Lieder. Eine Beschreibung des Typus, in: Kleine Schriften. 1. Dichtung des Hoch- und Spätmittelalters, 1984, S. 107-128. <HarvardReferences /> [*Schnell 1999] Schnell, Rüder: Frauenlied, Manneslied und Wechsel im deutschen Minnesang. Überlegungen zu 'gender' und Gattung, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Bd.128 H.2 (1999), S. 127-184. <HarvardReferences /> [*Schulze 1991] Schulze, Ursula: Neidhart-Forschung von 1976 bis 1987, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Bd. 113 (1991), S. 124-153. <HarvardReferences /> [*Schweikle 1990] Schweikle, Günther: Neidhart, Stuttgart 1990.