Biografische Parallelen zwischen Gahmuret und Parzival (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Bei der Lektüre des Parzivals fällt auf, dass sich einige Ereignisse wiederholen oder zumindest stark gleichen. So benötigt etwa Parzival zwei Versuche, um den Gralkönig Anfortas von seinem Leiden zu erlösen. Außerdem wird das Motiv der Doppelung in der Gliederung des Romans in zwei Romanteile, die Parzival- und die Gawanerzählung, ersichtlich. Ebenso fallen bei der Beschreibung der Lebenswege von Parzival und Gahmuret starke Ähnlichkeiten und sich wiederholende Ereignisse ins Auge. Speziell diese Parallelen gilt es im Folgenden näher zu betrachten.

Auszug in die Fremde

Nachdem Gahmurets Vater, König Gandin, stirbt, erhält der ältere der beiden Söhne das gesamte Erbe und Gahmuret geht leer aus. Dem Vorschlag des Bruders, als Hausgenosse an dessen Hof zu bleiben, folgt er nicht und beschließt stattdessen in die Fremde hinauszuziehen und Rittertaten zu vollbringen. Seine Mutter und sein Bruder statten ihn mit kostbaren Gütern, wie etwa Kästen voller Edelsteine sowie einer Menge Gold in Klumpen („mangen guldinen kloz“, 10,5[1] ), aus. Außerdem bekommt er Pferde und Knappen. Die Mutter, zu der er ein enges Verhältnis hat, ist sehr traurig, dass ihr Sohn fort reitet. Ihr Abschiedsschmerz bei Gahmurets Aufbruch sowie ihr späterer „Tod an gebrochenem Herzen“[Bumke 2004: S. 45], da ihr älterer Sohn Galoes stirbt, können als Vorboten für das Schicksal von Herzeloyde, der Mutter Parzivals, gedeutet werden. [Bumke 2004: Vgl. S. 45] Auch Parzival verlässt seine Mutter um ein ruhmreicher Ritter zu werden. Jedoch fällt Herzeloyde in Ohnmacht, als er ihr seinen Wunsch mitteilt (125,30 – 126,3). Als sie wieder zu Bewusstsein kommt, erklärt Parzival ihr seine genauen Pläne und fordert zudem, sie möge ihm ein Pferd geben. Herzeloyde steht seinem Wunsch aufzubrechen nun nicht mehr im Weg und stattet ihn, wie zuvor Gahmurets Mutter, für seine Reise mit Pferd und Kleidung aus. Im Unterschied zu Gahmurets Mutter, die für ihren Sohn nur die edelsten Gegenstände und Pferde auswählt, gibt Herzeloyde ihrem Sohn nur ein sehr schlechtes Pferd und Narrenkleidung mit. So hofft sie, er würde verspottet werden und zu ihr zurückkehren.

si dâhte ‘in will im niht versagn: Sie dachte: „Ich will es ihm nicht verweigern,
ez muoz abr vil boese sîn.' es muss aber ein ganz schlechtes sein“.
do gedahte mêr diu künegîn Da fiel der Königin noch etwas ein:
'der liute vil bî spotte sint. „Viele Leute spotten gern.
tôren kleider sol mîn kint Mein Kind soll Narrenkleider
ob sîme liehten lîbe tragn tragen über seinem lichten Leib.
wirt er geroufet und geslagn, Wenn man ihn an den Haaren zerrt und prügelt,
so kumt er mir her wider wol.’ so kommt er gewiss zu mir zurück“.

126,22–29

Außerdem erhält Parzival von ihr einige Hinweise über richtiges Verhalten mit auf den Weg. Parzival reitet los und seine Mutter läuft ihm nach. Als sie ihn aus den Augen verliert, bricht sie tot zusammen (128,13–22). Parzival bemerkt dies allerdings nicht. Erst bei dem Einsiedler Trevrizent erfährt er, dass seine Mutter bei dem schmerzvollen, tränenreichen Abschied gestorben ist.

So lässt sich zusammenfassend sowohl bei der Lebensgeschichte des Vaters als auch bei der des Sohnes ein schmerzvoller Abschied von der Mutter, zu der ein enges Verhältnis besteht, ausfindig machen. Beide beschließen fort zu gehen, da sie Rittertaten bestreiten wollen und lassen eine traurige Mutter zurück. In beiden Fällen stirbt die Mutter an gebrochenem Herzen. Allerdings ist der Fortgang des Sohnes für Herzeloyde ein noch tieferer Schlag, als für die Mutter Gahmurets. Schließlich hat sie jahrelang versucht Parzival von dem Rittertum fern zu halten und lebte deshalb mit ihm in der Abgeschiedenheit.

Ehe

Neben dem Wunsch durch ritterliche Taten Ruhm zu erlangen und deshalb in die Fremde zu ziehen, können auch im Umgang der beiden Verwandten mit ihren jeweiligen Ehefrauen Parallelen ausgemacht werden:

Gahmurets erste Frau ist die dunkelhäutige Belacane. Sie ist, wie auch Gahmurets spätere Frau Herzeloyde und Parzivals Frau Condwiramurs, alleinige Herrscherin über ihr Königreich. Gahmuret hilft ihr, die Belagerung ihres Herrschaftsgebiets zu beenden, sie verlieben sich und es kommt schließlich zur Hochzeit der beiden. Aus der Ehe mit ihr geht Gahmurets erster Sohn Feirefiz hervor. Jedoch verlässt er die schwangere Belacane nach nur wenigen Wochen und macht sich heimlich mit dem Schiff davon. Er hinterlässt ihr lediglich einen Brief, in dem er ihr versichert, er würde zurückkommen, wenn sie sich taufen ließe. Dies scheint allerdings nicht der einzige Grund zu sein, warum er seine Frau verlassen muss, denn es ist in erster Linie seine unstillbare Sehnsucht nach ritterlichen Kämpfen, die ihn dazu treibt fortzuziehen.

dâ waz der stolze küene man, Der stolze, kühne Mann blieb dort,
unz er sich vaste senen began. bis ein Sehnen wild über ihn kam.
daz er niht rîterschefte vant, Es gab hier keine ritterlichen Abenteuer mehr für ihn,
des was sîn freude sorgen phant. deshalb hatten Unzufriedenheit und Trauer die Hand auf sein Glück gelegt.

54,17–20

Gahmurets zweite Frau Herzeloyde veranstaltet ein Turnier, da sie einen würdigen König finden will, der mit ihr ihr Königreich regiert. So gewinnt der Sieger des Wettkampfes ihre Hand sowie ihr Königreich Wales. Sie entschließt noch bevor das Turnier beendet ist, dass Gahmuret der neue König werden soll. Jedoch ist nicht nur Herzeloyde, sondern auch eine weitere Frau, Amphlise, um Gahmurets Gunst bemüht. Es kommt zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung in welcher der Richter sich für Herzeloyde ausspricht. Obwohl Gahmuret zuvor erklärt, er habe bereits eine Frau, die er sehr liebt („[...] ich hân ein wîp: diu ist mir lieber danne der lîp“, 94,5f.), gibt er schließlich dem Wunsch der Königin nach und willigt ein, sie zur Frau zu nehmen. Allerdings stellt er die Forderung, einmal im Monat auf Turniere reiten zu dürfen.

„ich wil frumen noch vil der sper enzwei: „Ich will noch viele Speere zu Splittern machen:
aller mânedglîch ein turnei, Alle Monate ein Turnier will ich besuchen,
des sult ir frouwe ruochen, dass müsst ihr mir,
daz ich den müeze suochen.“ meine Dame erlauben.“

97,7–11

Auch Parzival trifft auf eine jungfräuliche Königin, die alleine ein Land regiert. Ihr Name ist Condwiramurs. Ebenso kann in der Tatsache, dass Parzival, wie einst sein Vater, der in Not geratenen Königin hilft die Belagerung ihres Königreichs zu beenden, eine Parallele zu der Lebensgeschichte Gahmurets gesehen werden. Außerdem ist es erneut die Frau, die die Partei ergreift und den Ritter bittet ihr Mann zu werden. So umarmt die Königin ihn fest und sagt:

'in wirde niemer wîp "Ich will auf Erden
ûf erde decheines man, keinen anderen zum Mann nehmen
wan den ich umbevangen hân. als den, den ich hier in meinen Armen halte."

199,26–28

Außerdem fällt auf, dass Parzival zwar von der Schönheit der Königin tief beeindruckt ist (188,6–13), er dennoch häufig an Liaze, die Tochter seines Erziehers Gurnemanz, denkt.

Dô Lîâze wart genannt, Als da der Name der Liaze fiel,
nach ihr vil kumbers was gemant rief das mit Schmerzen die Sehnsucht nach ihr wach
der dienst gebende Parzivâl. in Parzival, denn ihr diente er um Liebe.

195,7–9

Hierin kann eine Parallele zu Gahmuret gezogen werden, dessen Gedanken noch häufig um Belacane kreisen. Wie einst sein Vater verlässt auch Parzival seine Ehefrau, um weiter Turniere zu bestreiten. Jedoch

Herzeloydes Traum

Deutungsansätze

Die zahlreichen Parallelen, die zwischen den Lebensgeschichten von Vater und Sohn ausgemacht werden können, werfen die Frage auf, ob der Lebensweg Parzivals bereits vor seiner Geburt vorherbestimmt ist. Auf diese Determiniertheit verweist insbesondere Ruth Sassenhausen. Denn Herzeloyde, die während ihrer Schwangerschaft vom Tod Gahmurets erfährt, hegt zunächst Suizidgedanken, beschließt dann jedoch am Leben zu bleiben. Der Grund dafür ist, dass sie glaubt, Gahmuret in der Gestalt ihres Kindes zurückzubekommen.

ich trage alhie doch sînen lîp Ich habe hier doch seinen Leib in meinem Schoß
und sînes verhes sâmen. und seine lebendige Saat.

109,26f.

Herzeloyde erachtet Gahmuret und Parzival als Einheit. Ihr Suizid würde somit ihren Gemahl ein zweites Mal töten („daz waer Gahmurets ander tôt“ 110,18). Die Doppelrolle Herzeloydes als Mutter und Ehefrau sowie die Doppelfunktion des Romanhelden als Gemahl und Sohn lassen zudem eine heilsgeschichtliche Interpretation zu: Denn Herzeloyde kann mit Maria verglichen werden, die „zugleich die Mutter Gottes und die Braut des Himmelkönigs ist“.[Sassenhausen 2007: S. 95] Folgt man dieser Interpretation weiter, kann Parzival als „die Wiederkehr des Vaters im Sohn figurieren und als Erlöserfigur“[Sassenhausen 2007: S. 95] gedeutet werden.

Außerdem weist Sassenhausen auf das starke Abhängigkeitsverhältnis Herzeloydes zu ihren männlichen Lebenspartnern hin. Denn in der gleichen Art, wie sie sich einst über ihren Ehemann definierte und dessen Tod sie in tiefe Suizidgedanken stürzt, ist ihr Sohn ihr ganzer Lebensinhalt. Die Tatsache, dass er sie verlässt, um ein Ritter zu werden, führt somit unweigerlich zum Tod der Mutter. [Sassenhausen 2007: S. 99] Es fällt des Weiteren auf, dass es sich bei dem Verhältnis zwischen Herzeloyde und Parzival nicht nur um ein enges Mutter-Sohn-Verhältnis halten kann. Denn ihre Zuneigung zu Parzival „übersteigt die normalen mütterlichen Regungen und transferiert sie in eine Partnerschaftsliebe“.[Sassenhausen 2007: S. 101] Somit kann von einer Umkehr des Ödipus-Mythos gesprochen werden, der als „Iokastekomplex“[Ernst 1999: S. 172] bezeichnet wird. Herzeloyde agiert als Mutter und Gemahlin zugleich. Parzival wird somit nicht wegen seiner eigenen Persönlichkeit geliebt, sondern lediglich, da er die Reeinkarnation seinen Vaters darstellt. [Sassenhausen 2007: Vgl. S. 101f.] Es verwundert, dass Herzeloyde zwar glaubt, in ihrem Sohn den toten Gahmuret weiterleben lassen zu können, es jedoch für möglich hält, ihn davon abzuhalten ein Ritter zu werden. Denn wenn der Sohn lediglich als Frucht des Vaters verstanden wird, so liegt es sehr nahe, dass er auch dessen Charaktereigenschaften haben wird. Herzeloydes Plan, ihn vom Rittertum abzuhalten ist somit schon zu Beginn zum Scheitern verurteilt.


Fazit

Es ließen sich zahlreiche Parallelen zwischen den Lebensgeschichten von Vater und Sohn ausmachen, wobei jedoch zu beachten ist, dass Gahmuret sehr früh gestorben ist, weshalb die Biografien nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt verglichen werden können. Des Weiteren kann vermutet werden, dass Herzeloyde durch die Annahme, in ihrem Sohn lediglich ein Weiterleben des toten Ehemanns zu sehen, stark dazu beigetragen hat, dass ihr Sohn sich sehr ähnlich entwickelt wie Gahmuret. Ähnliche Erlebnisse können somit auf die starke Wesensverwandschaft zurückgeführt werden. Deshalb ist es in keiner Weise überraschend, dass er auch Gahmurets ritterlichen Ehrgeiz und dessen Drang auf Turniere zu fahren, geerbt hat. Die Tatsache, dass er schließlich fortzieht um ritterlichen Ruhm zu erlangen und deshalb seine Mutter, sowie später seine Frau, verlässt, kann somit auf die von seinem Vater geerbten Charaktereigenschaften zurückgeführt werden.

Quellennachweise

<HarvardReferences />

[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36).

[*Ernst 1999] Ernst, Ulrich: Formen analytischen Erzählens im Parzival Wolframs von Eschenbach. Marginalien zu einem narrativen System des Hohen Mittelalters, in: Erzählstrukturen der Artusliteratur. Forschungsgeschichte und neue Ansätze, hg. von Friedrich Wolfenzettel, Tübingen 1999. S. 165–198.

[*Sassenhausen 2007] Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Gattungstheoretischer Ansatz und literaturpsychologische Deutung. Köln 2007.

  1. Alle Textstellen-Angaben aus Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.