570: Kontakte mit der vorislamischen arabischen Welt im Pilgerbericht des Antoninus Placentinus: Unterschied zwischen den Versionen

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==Kontextualisierung, Analyse, Interpretation==  
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Der anonyme Pilgerbericht gibt uns einen Einblick in die lateinisch-christliche Wahrnehmung der vorislamischen Welt. In Abila hätte der Reisende sogar mit mekkanischen Händlern zusammen kommen können, die diese Stadt (heute Eilat/ʿAqaba) am Roten Meer aufsuchten, weil es eine der Stellen für den Gewürz- und Transithandel nach Äthiopien oder Indien war (India kann auf Lateinisch in diesem Falle beides bedeuten).<ref name="ftn4">Crone, ''Trade'', S. 40–1; McCormick, ''Origins'', S. 35–6; Sivan, ''Palestine'', S. 343.</ref>Die von ihm beschriebenen Sarazenen bezeichnen eine Gruppe, deren Lebensraum sich vom Sinai bis nach Mesopotamien erstreckt. Nicht klar ist, inwieweit der anonyme Pilger fähig ist, zwischen verschiedenen “sarazenischen” Lebensweisen zu unterscheiden. Seine Beschreibung der Sarazenen auf dem Sinai gibt uns Einblick in die Lebensweise von wohl eher nomadischen Wüstenbewohnern, die in gewisse Handelsbeziehungen mit Pilgergruppen traten, ansonsten aber auch eine Bedrohung für Klöster, Einsiedeleien und Städte des Sinai darstellten.<ref name="ftn5">Rotter, ''Abendland'', S. 23. Vgl. auch Goffart, Roman Taxation, S. 177-183, zu den als ''condomas'' bezeichneten Militärposten.</ref> In Zusammenhang gebracht werden sie außerdem mit einem nichtmonotheistischen Steinkult, den man vielleicht als Mondkult identifizieren könnte<ref name="ftn6">Rotter, ''Abendland'', S. 23-24.</ref>, und der Elemente enthält, die auch in der späteren islamischen Tradition vorkommen. Hierzu zählen die Verbindung des Kalendariums mit den Mondphasen, die für den islamischen Kalender prägend ist. Eine Parallele findet sich ferner in einer vereinzelt auch der Kaʿba zugeschriebenen Legende einer Weiß-Schwarz-Verfärbung des Steines.<ref name="ftn7">Wensinck, Jomier, Kaʿba, S. 321.</ref> Schließlich erinnert die vom Anonymus zweimal erwähnte sarazenische Festperiode, die anscheinend mit einer Abstinenz von Kampfhandlungen einherging, an die im Koran (Q 9,5 und 9,36) in der arabisch-islamischen Tradition für die vorislamische Periode dokumentierten heiligen Monate, in denen Kampfhandlungen ebenfalls untersagt und Kulthandlungen ausgeführt wurden, anscheinend auch – wie hier beim Anonymus – im Frühjahr.<ref name="ftn8">Zur Datierung der vom Anonymus beschriebenen Kulthandlung auf das Frühjahr, siehe Rotter, ''Abendland'', S. 14. Zu den heiligen Monaten der vorislamischen Periode vgl. M. J. Kister, Radjab, in: ''EI2'', Bd. 8, S. 373-74. Für das Ende des 6. Jahrhunderts, wohl etwa zwischen 580 und 602, ist sogar eine inner-arabische Auseinandersetzung zwischen tribalen Einheiten dokumentiert, während derer die heiligen Monate explizit nicht respektiert wurden. Vgl. J. W. Fück, Fidjār, in: ''EI2'', Bd. 2, S. 883-84.</ref> Hervorzuheben ist, dass der Pilger sich nicht abfällig über den heidnischen Kult der Sarazenen auf dem Sinai äußert, was aus christlicher Perspektive damals durchaus üblich gewesen wäre.<ref name="ftn9">Rotter, ''Abendland'', S. 23-24.</ref>
Der anonyme Pilgerbericht gibt uns einen Einblick in die lateinisch-christliche Wahrnehmung der vorislamischen Welt. In Abila hätte der Reisende sogar mit mekkanischen Händlern zusammen kommen können, die diese Stadt (heute Eilat/ʿAqaba) am Roten Meer aufsuchten, weil es eine der Stellen für den Gewürz- und Transithandel nach Äthiopien oder Indien war (India kann auf Lateinisch in diesem Falle beides bedeuten).<ref name="ftn4">Crone, ''Trade'', S. 40–1; McCormick, ''Origins'', S. 35–6; Sivan, ''Palestine'', S. 343.</ref>Die von ihm beschriebenen Sarazenen bezeichnen eine Gruppe, deren Lebensraum sich vom Sinai bis nach Mesopotamien erstreckt. Nicht klar ist, inwieweit der anonyme Pilger fähig ist, zwischen verschiedenen “sarazenischen” Lebensweisen zu unterscheiden. Seine Beschreibung der Sarazenen auf dem Sinai gibt uns Einblick in die Lebensweise von wohl eher nomadischen Wüstenbewohnern, die in gewisse Handelsbeziehungen mit Pilgergruppen traten, ansonsten aber auch eine Bedrohung für Klöster, Einsiedeleien und Städte des Sinai darstellten.<ref name="ftn5">Rotter, ''Abendland'', S. 23. Vgl. auch Goffart, Roman Taxation, S. 177-183, zu den als ''condomas'' bezeichneten Militärposten.</ref> In Zusammenhang gebracht werden sie außerdem mit einem nichtmonotheistischen Steinkult, den man vielleicht als Mondkult identifizieren könnte<ref name="ftn6">Rotter, ''Abendland'', S. 23-24.</ref>, und der Elemente enthält, die auch in der späteren islamischen Tradition vorkommen. Hierzu zählen die Verbindung des Kalendariums mit den Mondphasen, die für den islamischen Kalender prägend ist. Eine Parallele findet sich ferner in einer vereinzelt auch der Kaʿba zugeschriebenen Legende einer Weiß-Schwarz-Verfärbung des Steines.<ref name="ftn7">Wensinck, Jomier, Kaʿba, S. 321.</ref> Schließlich erinnert die vom Anonymus zweimal erwähnte sarazenische Festperiode, die anscheinend mit einer Abstinenz von Kampfhandlungen einherging, an die im Koran (Q 9,5 und 9,36) in der arabisch-islamischen Tradition für die vorislamische Periode dokumentierten heiligen Monate, in denen Kampfhandlungen ebenfalls untersagt und Kulthandlungen ausgeführt wurden, anscheinend auch – wie hier beim Anonymus – im Frühjahr.<ref name="ftn8">Zur Datierung der vom Anonymus beschriebenen Kulthandlung auf das Frühjahr, siehe Rotter, ''Abendland'', S. 14. Zu den heiligen Monaten der vorislamischen Periode vgl. M. J. Kister, Radjab, in: ''EI2'', Bd. 8, S. 373-74. Für das Ende des 6. Jahrhunderts, wohl etwa zwischen 580 und 602, ist sogar eine inner-arabische Auseinandersetzung zwischen tribalen Einheiten dokumentiert, während derer die heiligen Monate explizit nicht respektiert wurden. Vgl. J. W. Fück, Fidjār, in: ''EI2'', Bd. 2, S. 883-84.</ref> Hervorzuheben ist, dass der Pilger sich nicht abfällig über den heidnischen Kult der Sarazenen auf dem Sinai äußert, was aus christlicher Perspektive damals durchaus üblich gewesen wäre.<ref name="ftn9">Rotter, ''Abendland'', S. 23-24.</ref>
Nicht deutlich wird, ob der anonyme Pilger mit der Verortung des Sergiusheiligtums in sarazenischem Gebiet in Syrien auch Sesshaftigkeit und eine Christianisierung bestimmter sarazenischer Gruppen implizieren will, die ja durchaus schon in früheren und zeitgenössischen Quellen erwähnt wird, auch in lateinischen.<ref name="ftn10">Etwa bei Hieronymus, Vita Hilarionis, ed./übers. Pierre LeClerc, Edgardo Morales (Hrsg.), ''Trois vies de moines. Paul, Malchus, Hilarion'' (SC 508), Paris: Éditions du Cerf, 2007, cap. 16,1-12. Vgl. Fisher et al., Arabs and Christianity, S. 287; Hainthaler, ''Christliche Araber'', S. 35-136.</ref> Die von ihm wohl nicht besuchte Grabstätte des hl. Sergius verortet der Pilger in der Stadt Tetrapyrgium, obwohl sie eigentlich im nahegelegenen Risapa, dem heutigen al-Ruṣāfa, zu lokalisieren ist.<ref name="ftn11">Rotter, ''Abendland'', S. 21, FN 44; Fowden, ''Barbarian Plain'', S. 60, FN 2.</ref> Bei al-Ruṣāfa handelt sich um ein ursprüngliches römisches Fort, im nördlichen Abschnitt der ''Strata Diocletiana'' gelegen, das zur Martyriumsstätte des hl. Sergius und damit zur Pilgerstätte und schließlich zu einer ''civitas'' und Metropole aufstieg.<ref name="ftn12">Fowden, ''Barbarian Plain'', S. 60, 90.</ref> Es lag zur Zeit des Reiseberichtes im Herrschaftsgebiet der Ghassaniden bzw. Ǧafnīden, die als christianisierte arabische Gruppe im byzantinischen Auftrag eine Art Pufferfunktion gegenüber der arabischen Halbinsel und dem persischen Sassanidenreich einnahmen<ref name="ftn13">Shahîd, Ghassān, in: ''EI2'', Bd. 2, S. 1020; Edwell et al., Arabs, S. 214-75.</ref> und auch mit dem Sergiuskult verbunden waren.<ref name="ftn14">Fisher et al., Arabs and Christianity, S. 282; Hainthaler, Christliche Araber, S. 76-77; Fisher, ''Between Empires'', S. 52-53.</ref> In al-Ruṣāfa hatte der Ǧafnide al-Munḏir (regn. ca. 568/69-581/82) einige Gebäude errichten lassen.<ref name="ftn15">Genequand, Archaeological Evidence, S. 202-205, Fowden, ''Barbarian Plain'', S. 149-73; Fisher, ''Between Empires'', S. 54-56.</ref> Dies alles ist dem anonymen Pilger ebensowenig bekannt wie die, etwa bei Victor von Tununna oder Johannes von Biclaro beschriebene Interaktion ǧafnidischer und naṣrīdischer Fürsten mit Byzanz und ihre Einbindung in die christologischen Kontroversen des 6. Jahrhunderts.<ref name="ftn16">Vgl. Victor Tonnenennsis, ''Chronica'', ed. Theodor Mommsen (MGH AA 11), Berlin: Weidmann, 1894, S. 195; vgl. Rotter, ''Abendland'', S. 132. Vgl. Iohannes abbas Biclarensis, ''Chronica'', ed. Theodor Mommsen (MGH AA 11), Berlin: Weidmann, 1894, a. 575,3, S. 214; '''vgl. das Kapitel in der Anthologie.''' Ausführlich zu den Ǧafniden und Naṣriden: Nöldeke, ''Die Ghassânischen Fürsten''; Fisher, ''Between Empires''.</ref> Dies ist vor allem seinem Blick als Pilger geschuldet, der v. a. biblische Reminiszenzen, Itinerarien und auffällige Phänomene auf der Route dokumentiert, sich aber nicht an einer systematischen ethnographischen und sowohl geo- als auch religionspolitischen Einordnung vorislamischer arabischer Gruppen versucht.|6=<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Antoninus Placentinus, ''Itinerarium'', ed. Jean-Paul Migne (PL 72), Paris: Migne, 1849, col. 897-917.</div>
Nicht deutlich wird, ob der anonyme Pilger mit der Verortung des Sergiusheiligtums in sarazenischem Gebiet in Syrien auch Sesshaftigkeit und eine Christianisierung bestimmter sarazenischer Gruppen implizieren will, die ja durchaus schon in früheren und zeitgenössischen Quellen erwähnt wird, auch in lateinischen.<ref name="ftn10">Etwa bei Hieronymus, Vita Hilarionis, ed./übers. Pierre LeClerc, Edgardo Morales (Hrsg.), ''Trois vies de moines. Paul, Malchus, Hilarion'' (SC 508), Paris: Éditions du Cerf, 2007, cap. 16,1-12. Vgl. Fisher et al., Arabs and Christianity, S. 287; Hainthaler, ''Christliche Araber'', S. 35-136.</ref> Die von ihm wohl nicht besuchte Grabstätte des hl. Sergius verortet der Pilger in der Stadt Tetrapyrgium, obwohl sie eigentlich im nahegelegenen Risapa, dem heutigen al-Ruṣāfa, zu lokalisieren ist.<ref name="ftn11">Rotter, ''Abendland'', S. 21, FN 44; Fowden, ''Barbarian Plain'', S. 60, FN 2.</ref> Bei al-Ruṣāfa handelt sich um ein ursprüngliches römisches Fort, im nördlichen Abschnitt der ''Strata Diocletiana'' gelegen, das zur Martyriumsstätte des hl. Sergius und damit zur Pilgerstätte und schließlich zu einer ''civitas'' und Metropole aufstieg.<ref name="ftn12">Fowden, ''Barbarian Plain'', S. 60, 90.</ref> Es lag zur Zeit des Reiseberichtes im Herrschaftsgebiet der Ghassaniden bzw. Ǧafnīden, die als christianisierte arabische Gruppe im byzantinischen Auftrag eine Art Pufferfunktion gegenüber der arabischen Halbinsel und dem persischen Sassanidenreich einnahmen<ref name="ftn13">Shahîd, Ghassān, in: ''EI2'', Bd. 2, S. 1020; Edwell et al., Arabs, S. 214-75.</ref> und auch mit dem Sergiuskult verbunden waren.<ref name="ftn14">Fisher et al., Arabs and Christianity, S. 282; Hainthaler, Christliche Araber, S. 76-77; Fisher, ''Between Empires'', S. 52-53.</ref> In al-Ruṣāfa hatte der Ǧafnide al-Munḏir (regn. ca. 568/69-581/82) einige Gebäude errichten lassen.<ref name="ftn15">Genequand, Archaeological Evidence, S. 202-205, Fowden, ''Barbarian Plain'', S. 149-73; Fisher, ''Between Empires'', S. 54-56.</ref> Dies alles ist dem anonymen Pilger ebensowenig bekannt wie die, etwa bei Victor von Tununna oder Johannes von Biclaro beschriebene Interaktion ǧafnidischer und naṣrīdischer Fürsten mit Byzanz und ihre Einbindung in die christologischen Kontroversen des 6. Jahrhunderts.<ref name="ftn16">Vgl. Victor Tonnenennsis, ''Chronica'', ed. Theodor Mommsen (MGH AA 11), Berlin: Weidmann, 1894, S. 195; vgl. Rotter, ''Abendland'', S. 132. Vgl. Iohannes abbas Biclarensis, ''Chronica'', ed. Theodor Mommsen (MGH AA 11), Berlin: Weidmann, 1894, a. 575,3, S. 214; vgl. die Beiträge [[575: Ein hispano-romanischer Besucher aus dem Westgotenreich beobachtet arabisch-byzantinische Beziehungen]] sowie
[[600: Papst Gregor der Große greift zugunsten des exilierten Ǧafnidenfürsten al-Munḏir b. al-Ḥāriṯ ein]]. Ausführlich zu den Ǧafniden und Naṣriden: Nöldeke, ''Die Ghassânischen Fürsten''; Fisher, ''Between Empires''.</ref> Dies ist vor allem seinem Blick als Pilger geschuldet, der v. a. biblische Reminiszenzen, Itinerarien und auffällige Phänomene auf der Route dokumentiert, sich aber nicht an einer systematischen ethnographischen und sowohl geo- als auch religionspolitischen Einordnung vorislamischer arabischer Gruppen versucht.|6=<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Antoninus Placentinus, ''Itinerarium'', ed. Jean-Paul Migne (PL 72), Paris: Migne, 1849, col. 897-917.</div>


<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Titus Tobler, ''De locis sanctis quæ perambulavit Antoninus martyr circa A. D. 570'', Saint-Gall: Huber und Comp., 1863.</div>
<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">Titus Tobler, ''De locis sanctis quæ perambulavit Antoninus martyr circa A. D. 570'', Saint-Gall: Huber und Comp., 1863.</div>
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