1243-1245: Rodrigo Jiménez de Radas polemisches Vorwort zur Historia Arabum: Unterschied zwischen den Versionen

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{{Kapitel LAT-DE TAB-5|Dominic Scheim|Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols, 1999, prologus, S. 87. Übersetzung nach: Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', übers. Matthias Maser, Berlin: LIT, 2006, S. 303-304.|5=== Autor & Werk ==
{{Kapitel LAT-DE TAB-5|Dominic Scheim|Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols, 1999, prologus, S. 87. Übersetzung nach: Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', übers. Matthias Maser, Berlin: LIT, 2006, S. 303-304.|5=== Autor & Werk ==
Bei Rodrigo Jiménez de Rada (geb. um 1170, gest. 1247) handelte es sich um einen der mächtigsten Männer der Iberischen Halbinsel des 13. Jahrhunderts. Als Sohn kastilischer und navarresischer Adliger wuchs er am Hofe Navarras auf und studierte zuerst in Bologna und danach in Paris Theologie sowie Jura. Nach seiner Rückkehr um 1207 agierte er als navarresischer Unterhändler beim Friedensschluss von Guadalajara, der im Angesicht der Bedrohung durch die nordafrikanischen Almohaden die Kämpfe zwischen Kastilien und Navarra beendete.<ref name="ftn1">Der Friedenschluss ermöglichte das Zusammenarbeiten der beiden Reiche im Rahmen der sogenannten Reconquista, siehe dazu: Büschgens, ''Die Politischen Verträge Alfons‘ VIII.'', S. 180-181. Der Vertrag als Edition in: Julio Gonzaléz, ''El reino de Castilla en la época de Alfonso VIII. Bd. 3'', Madrid: CSIC, 1960, S. 180-181, Nr. 814.</ref> 1208 wurde er zum Bischof von Osma gewählt, noch vor seiner Einsetzung aber zum Erzbischof von Toledo (sed. 1209-1247) erhoben. Gleichzeitig war er als Kanzler am Hofe Kastiliens unter Alfons VIII. (regn. 1158-1214)<ref name="ftn2">Sáez Sánchez, Alfons VIII., Sp. 395-396.</ref> tätig. Er ertrank während einer Rückreise aus Rom in der Rhone bei Lyon.<ref name="ftn3">Maser, ''Historia'', S. 9-12.</ref>
[§1] Bei Rodrigo Jiménez de Rada (geb. um 1170, gest. 1247) handelte es sich um einen der mächtigsten Männer der Iberischen Halbinsel des 13. Jahrhunderts. Als Sohn kastilischer und navarresischer Adliger wuchs er am Hofe Navarras auf und studierte zuerst in Bologna und danach in Paris Theologie sowie Jura. Nach seiner Rückkehr um 1207 agierte er als navarresischer Unterhändler beim Friedensschluss von Guadalajara, der im Angesicht der Bedrohung durch die nordafrikanischen Almohaden die Kämpfe zwischen Kastilien und Navarra beendete.<ref name="ftn1">Der Friedenschluss ermöglichte das Zusammenarbeiten der beiden Reiche im Rahmen der sogenannten Reconquista, siehe dazu: Büschgens, ''Die Politischen Verträge Alfons‘ VIII.'', S. 180-181. Der Vertrag als Edition in: Julio Gonzaléz, ''El reino de Castilla en la época de Alfonso VIII. Bd. 3'', Madrid: CSIC, 1960, S. 180-181, Nr. 814.</ref> 1208 wurde er zum Bischof von Osma gewählt, noch vor seiner Einsetzung aber zum Erzbischof von Toledo (sed. 1209-1247) erhoben. Gleichzeitig war er als Kanzler am Hofe Kastiliens unter Alfons VIII. (regn. 1158-1214)<ref name="ftn2">Sáez Sánchez, Alfons VIII., Sp. 395-396.</ref> tätig. Er ertrank während einer Rückreise aus Rom in der Rhone bei Lyon.<ref name="ftn3">Maser, ''Historia'', S. 9-12.</ref>


Während seines Episkopates versuchte er vor allem, an die frühere Rolle des Erzbischofs von Toledo unter westgotischer Herrschaft anzuknüpfen, die 711 mit der muslimischen Invasion beendet worden war. Dieses Bemühen gipfelte in seinem letztlich erfolglosen Versuch, sich vom Papst zum Primas, d.h. zum führenden Bischof der Iberischen Halbinsel erheben zu lassen. Seine mit dem Episkopat verbundene politische Stellung in Kastilien nutzte er zudem, um Widersacher aus den christlichen Orden und anderen Diözesen energisch zu bekämpfen. Gleichzeitig bemühte er sich im Auftrag und mit Unterstützung des Papstes darum, die Herrscher Kastiliens, Navarras, Leóns und Aragons im Kampf gegen die Muslime zu einen. So gelang es ihm mehrfach, inneriberische Streitigkeiten zwischen christlichen Herrschern zumindest für die Dauer von Kampfhandlungen zu unterdrücken. Auch außerhalb der Iberischen Halbinsel warb er um Unterstützung für bevorstehende Schlachten. Dabei bediente er sich in Predigten und Schreiben der bisher v. a. außerhalb der Iberischen Halbinsel im christlichen Europa verbreiteten Sprache des Kreuzzugsgedankens. Trotz seines Einsatzes wurde ihm auch nach dem großen Sieg eines christlichen Bündnisses gegen die Almohaden in der Schlacht bei Las Navas de Tolosa (1212) die Anerkennung des spanischen Primats auf dem IV. Laterankonzil 1215 verweigert. Lediglich die Stellung als päpstlicher Legat wurde ihm 1218 zugestanden. Nachdem er in mehreren, von ihm selbst angeführten Schlachten Anfang der 1220er Jahre Niederlagen erlitten hatte, konzentrierte er sich auf die bloße Mitwirkung beim Werben und Organisieren kastilischer Feldzüge.<ref name="ftn4">Maser, ''Historia'', S. 13-15. Cecini, ''Alcoranus'', S. 97-101.</ref>
[§2] Während seines Episkopates versuchte er vor allem, an die frühere Rolle des Erzbischofs von Toledo unter westgotischer Herrschaft anzuknüpfen, die 711 mit der muslimischen Invasion beendet worden war. Dieses Bemühen gipfelte in seinem letztlich erfolglosen Versuch, sich vom Papst zum Primas, d.h. zum führenden Bischof der Iberischen Halbinsel erheben zu lassen. Seine mit dem Episkopat verbundene politische Stellung in Kastilien nutzte er zudem, um Widersacher aus den christlichen Orden und anderen Diözesen energisch zu bekämpfen. Gleichzeitig bemühte er sich im Auftrag und mit Unterstützung des Papstes darum, die Herrscher Kastiliens, Navarras, Leóns und Aragons im Kampf gegen die Muslime zu einen. So gelang es ihm mehrfach, inneriberische Streitigkeiten zwischen christlichen Herrschern zumindest für die Dauer von Kampfhandlungen zu unterdrücken. Auch außerhalb der Iberischen Halbinsel warb er um Unterstützung für bevorstehende Schlachten. Dabei bediente er sich in Predigten und Schreiben der bisher v. a. außerhalb der Iberischen Halbinsel im christlichen Europa verbreiteten Sprache des Kreuzzugsgedankens. Trotz seines Einsatzes wurde ihm auch nach dem großen Sieg eines christlichen Bündnisses gegen die Almohaden in der Schlacht bei Las Navas de Tolosa (1212) die Anerkennung des spanischen Primats auf dem IV. Laterankonzil 1215 verweigert. Lediglich die Stellung als päpstlicher Legat wurde ihm 1218 zugestanden. Nachdem er in mehreren, von ihm selbst angeführten Schlachten Anfang der 1220er Jahre Niederlagen erlitten hatte, konzentrierte er sich auf die bloße Mitwirkung beim Werben und Organisieren kastilischer Feldzüge.<ref name="ftn4">Maser, ''Historia'', S. 13-15. Cecini, ''Alcoranus'', S. 97-101.</ref>


Rodrigo Jiménez de Rada war schon während seines Studiums schriftstellerisch aktiv geworden<ref name="ftn5">Pick, Jiménez de Rada, S. 919.</ref>, als er zwischen 1199-1203 das ''Breviarium historie catholice ''verfasste, welches biblische und profane Geschichten paraphrasiert und mit der Sendung der Apostel abschließt.<ref name="ftn6">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Breviarium historie catholice'' (lib. I-V), ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72a), Turnhout: Brepols, 1992, S. 3-320 u. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Breviarium historie catholice'' (lib. VI-IX), ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72b), Turnhout: Brepols, 1992, S. 321-594. Pick, ''Jiménez de Rada'', S. 919.</ref> Gerade zum Erzbischof von Toledo geworden, setzte er sich systematisch mit dem Islam und dem Judentum auseinander, als er 1213 zum Auftraggeber der Koranübersetzung des Marcus von Toledo wurde<ref name="ftn7">Cecini, ''Alcoranus'', S. 96, Ebd., S. 101-103.</ref> und um 1214 die judenfeindliche Schrift ''Dialogus libri vitae'' verfasste.<ref name="ftn8">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Dialogus de libri vitae'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols: 1999, S. 175-424.</ref> Nach dem Ende der Almohadenherrschaft auf der Iberischen Halbinsel widmete er sich ab 1229 im Auftrag Ferdinands III. (regn. 1217-1230 als König von Kastilien, 1230-1252 zusätzlich als König von León)<ref name="ftn9">Vones, Ferdinand III., Sp. 359-360.</ref> der Niederschrift der Geschichte Spaniens. Bis 1243 entstanden seine historiographischen Schriften zur römischen Geschichte der Iberischen Halbinsel (''Historia Romanorum''),<ref name="ftn10">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Romanorum'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols, 1999, S. 37-57. </ref> eine Geschichte der für die Iberische Halbinsel während der Völkerwanderung relevanten ''gentes ''der Hunnen, Vandalen, Sueben, Alanen und silingischen Vandalen'' ''(''Historia Hugnorum, Vandalorum et Suevorum, Alanorum et Silinhorum'')<ref name="ftn11">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Hugnorum, Vandalorum et Suevorum, Alanorum et Silinhorum'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols, 1999, S. 58-78. </ref> sowie eine Geschichte der spanischen Westgoten (''Historia de rebus Hispanie sive Historia Gothica'')<ref name="ftn12">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia de rebus Hispanie sive Historia Gothica'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72a), Turnhout: Brepols, 1987. </ref> als auch der Ostgoten (''Historia Ostrogothorum'').<ref name="ftn13">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Ostrogothorum'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols, 1999, S. 79-89. </ref> Die hier zitierte „Geschichte der Araber“ (''Historia Arabum'') wurde vor 1246, wahrscheinlich 1245, fertiggestellt.<ref name="ftn14">Werkdatierungen auf der Basis von Rodrigo Jiménez de Rada, ''Opera Omnia'', ed. Juan Fernández Valverde, 3 Bde. (CCCM 72, 72a-c), Turnhout: Brepols, 1987-1999, sowie Maser, Rodrigo, S. 343-355; Pick, Jiménez de Rada, S. 919.</ref>  
[§3] Rodrigo Jiménez de Rada war schon während seines Studiums schriftstellerisch aktiv geworden<ref name="ftn5">Pick, Jiménez de Rada, S. 919.</ref>, als er zwischen 1199-1203 das ''Breviarium historie catholice ''verfasste, welches biblische und profane Geschichten paraphrasiert und mit der Sendung der Apostel abschließt.<ref name="ftn6">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Breviarium historie catholice'' (lib. I-V), ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72a), Turnhout: Brepols, 1992, S. 3-320 u. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Breviarium historie catholice'' (lib. VI-IX), ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72b), Turnhout: Brepols, 1992, S. 321-594. Pick, ''Jiménez de Rada'', S. 919.</ref> Gerade zum Erzbischof von Toledo geworden, setzte er sich systematisch mit dem Islam und dem Judentum auseinander, als er 1213 zum Auftraggeber der Koranübersetzung des Marcus von Toledo wurde<ref name="ftn7">Cecini, ''Alcoranus'', S. 96, Ebd., S. 101-103.</ref> und um 1214 die judenfeindliche Schrift ''Dialogus libri vitae'' verfasste.<ref name="ftn8">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Dialogus de libri vitae'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols: 1999, S. 175-424.</ref> Nach dem Ende der Almohadenherrschaft auf der Iberischen Halbinsel widmete er sich ab 1229 im Auftrag Ferdinands III. (regn. 1217-1230 als König von Kastilien, 1230-1252 zusätzlich als König von León)<ref name="ftn9">Vones, Ferdinand III., Sp. 359-360.</ref> der Niederschrift der Geschichte Spaniens. Bis 1243 entstanden seine historiographischen Schriften zur römischen Geschichte der Iberischen Halbinsel (''Historia Romanorum''),<ref name="ftn10">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Romanorum'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols, 1999, S. 37-57. </ref> eine Geschichte der für die Iberische Halbinsel während der Völkerwanderung relevanten ''gentes ''der Hunnen, Vandalen, Sueben, Alanen und silingischen Vandalen'' ''(''Historia Hugnorum, Vandalorum et Suevorum, Alanorum et Silinhorum'')<ref name="ftn11">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Hugnorum, Vandalorum et Suevorum, Alanorum et Silinhorum'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols, 1999, S. 58-78. </ref> sowie eine Geschichte der spanischen Westgoten (''Historia de rebus Hispanie sive Historia Gothica'')<ref name="ftn12">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia de rebus Hispanie sive Historia Gothica'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72a), Turnhout: Brepols, 1987. </ref> als auch der Ostgoten (''Historia Ostrogothorum'').<ref name="ftn13">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Ostrogothorum'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols, 1999, S. 79-89. </ref> Die hier zitierte „Geschichte der Araber“ (''Historia Arabum'') wurde vor 1246, wahrscheinlich 1245, fertiggestellt.<ref name="ftn14">Werkdatierungen auf der Basis von Rodrigo Jiménez de Rada, ''Opera Omnia'', ed. Juan Fernández Valverde, 3 Bde. (CCCM 72, 72a-c), Turnhout: Brepols, 1987-1999, sowie Maser, Rodrigo, S. 343-355; Pick, Jiménez de Rada, S. 919.</ref>  


== Inhalt & Quellenkontext ==
== Inhalt & Quellenkontext ==
Beim zitierten Ausschnitt handelt es sich um das Vorwort zur ''Historia Arabum'' des Rodrigo Jiménez de Radas, deren ältestes erhaltenes Manuskript aus dem Jahre 1256 stammt. Rodrigo beendete die ''Historia Arabum ''um 1245.<ref name="ftn15">Maser, ''Rodrigo'', S. 353; Pick, Jiménez de Rada, S. 919.</ref>  
[§4] Beim zitierten Ausschnitt handelt es sich um das Vorwort zur ''Historia Arabum'' des Rodrigo Jiménez de Radas, deren ältestes erhaltenes Manuskript aus dem Jahre 1256 stammt. Rodrigo beendete die ''Historia Arabum ''um 1245.<ref name="ftn15">Maser, ''Rodrigo'', S. 353; Pick, Jiménez de Rada, S. 919.</ref>  


Im zitierten Prolog gibt Rodrigo einen Einblick in seine Beweggründe, das Werk zu schreiben. Als konkreten Ausgangspunkt nennt er den von Gott geschenkten und durch gotische Tüchtigkeit erwirkten Sieg Alfons’ VIII. (regn. 1158-1214) gegen die unter der Führung des ''Amiramomenium'' stehenden „Araber“. Bei ''Amiramomenium'' handelt es sich um eine verzerrte lateinische Schreibung des arabischen Kalifentitels „Beherrscher der Gläubigen“ (''amīr al-muʾminīn''). Gemeint sind hier der almohadische Kalif Muḥammad al-Nāṣir (regn. 595-610/1199-1213)<ref name="ftn16">Lévi-Provençal, al-Nāṣir, S. 989.</ref> und seine eher berberisch geprägten Truppen, deren Niederlage in der auf Arabisch als ''maʿrakat al-ʿIqāb'' bekannten Schlacht von Las Navas de Tolosa 1212 Rodrigo in ''Bilche'', heute Vilches nahe Jaén, verortet.<ref name="ftn17">Vgl. zur Schlacht: Monés, al-ʿIḳāb, S. 1055-1056, und García Fitz, ''Las Navas de Tolosa''.</ref> Das von ihm bald erwartete Ende der muslimischen Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel nimmt er zum Anlass, die bereits über 500 Jahre andauernde Geschichte des muslimischen Spaniens im Rückblick festzuhalten. Diese Periode habe, so Rodrigo, Verwüstung, Unglück und Leid hinterlassen, indem der nicht-arabische Teil Spanien in viele Teile zersplittert wurde und zwischen den einzelnen Reichen Kastilien, León, Navarra, Asturien und Aragón Feindschaften entstanden es die nichtarabischen Teile Spaniens zersplittert und zwischen den einzelnen Reichen Kastilien, León, Navarra, Asturien und Aragón Feindschaften produziert habe. In diesem Zusammenhang geißelt er das Versagen dieser Herrscher ebenso wie „Überläufer zu den Sarazenen“ (''transfugis ad Sarracenos''). Durch göttliche Unterstützung hätten es die Christen unter Führung Alfons’ VIII. nun allerdings geschafft, die bisher von den Muslimen ausgeübte Herrschaft zu übernehmen und Letztere dem bereits etablierten muslimischen Steuersystem (''sub tributo'' – gemeint ist das islamrechtliche Steuersystem der ''ḏimma'') zu unterwerfen. Nun solle, komplementär zu seinen anderen bereits verfassten Schriften zur Geschichte Spaniens und seiner Herrscher, auch ein Werk entstehen, welches die Herrschaftsperiode der Araber für die Nachwelt erhalte (''successiones et tempora volens posteris conservare''). Beginnen solle diese Geschichte mit dem Auftreten Muḥammads, dessen Religion Rodrigo als Irrglauben klassifiziert.  
[§5] Im zitierten Prolog gibt Rodrigo einen Einblick in seine Beweggründe, das Werk zu schreiben. Als konkreten Ausgangspunkt nennt er den von Gott geschenkten und durch gotische Tüchtigkeit erwirkten Sieg Alfons’ VIII. (regn. 1158-1214) gegen die unter der Führung des ''Amiramomenium'' stehenden „Araber“. Bei ''Amiramomenium'' handelt es sich um eine verzerrte lateinische Schreibung des arabischen Kalifentitels „Beherrscher der Gläubigen“ (''amīr al-muʾminīn''). Gemeint sind hier der almohadische Kalif Muḥammad al-Nāṣir (regn. 595-610/1199-1213)<ref name="ftn16">Lévi-Provençal, al-Nāṣir, S. 989.</ref> und seine eher berberisch geprägten Truppen, deren Niederlage in der auf Arabisch als ''maʿrakat al-ʿIqāb'' bekannten Schlacht von Las Navas de Tolosa 1212 Rodrigo in ''Bilche'', heute Vilches nahe Jaén, verortet.<ref name="ftn17">Vgl. zur Schlacht: Monés, al-ʿIḳāb, S. 1055-1056, und García Fitz, ''Las Navas de Tolosa''.</ref> Das von ihm bald erwartete Ende der muslimischen Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel nimmt er zum Anlass, die bereits über 500 Jahre andauernde Geschichte des muslimischen Spaniens im Rückblick festzuhalten. Diese Periode habe, so Rodrigo, Verwüstung, Unglück und Leid hinterlassen, indem der nicht-arabische Teil Spanien in viele Teile zersplittert wurde und zwischen den einzelnen Reichen Kastilien, León, Navarra, Asturien und Aragón Feindschaften entstanden es die nichtarabischen Teile Spaniens zersplittert und zwischen den einzelnen Reichen Kastilien, León, Navarra, Asturien und Aragón Feindschaften produziert habe. In diesem Zusammenhang geißelt er das Versagen dieser Herrscher ebenso wie „Überläufer zu den Sarazenen“ (''transfugis ad Sarracenos''). Durch göttliche Unterstützung hätten es die Christen unter Führung Alfons’ VIII. nun allerdings geschafft, die bisher von den Muslimen ausgeübte Herrschaft zu übernehmen und Letztere dem bereits etablierten muslimischen Steuersystem (''sub tributo'' – gemeint ist das islamrechtliche Steuersystem der ''ḏimma'') zu unterwerfen. Nun solle, komplementär zu seinen anderen bereits verfassten Schriften zur Geschichte Spaniens und seiner Herrscher, auch ein Werk entstehen, welches die Herrschaftsperiode der Araber für die Nachwelt erhalte (''successiones et tempora volens posteris conservare''). Beginnen solle diese Geschichte mit dem Auftreten Muḥammads, dessen Religion Rodrigo als Irrglauben klassifiziert.  


Neben dem Vorwort gliedert sich die ''Historia Arabum'' in 49 Kapitel, die sich jeweils mit einer Herrschaftsperiode oder einem wichtigen Ereignis der politischen Geschichte des muslimischen Spanien (Arab. ''al-Andalus'') befassen. Direkt an das Vorwort angeschlossen findet sich in den ersten sechs Kapiteln eine Muḥammadvita (cap. I-VI). Der polemische Charakter dieser Vita zeigt sich bereits in den Überschriften. So widmet Rodrigo beispielsweise ein Kapitel den „lügnerisch erfundenen Visionen“ (''visionibus mendaciter excogitatis)'' des Muḥammad.<ref name="ftn18">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. V, S. 92-96.</ref> Danach folgt eine kurze Darstellung der Geschichte von al-Andalus, die sich zunächst mit der muslimischen Invasion der Iberischen Halbinsel und Herrschaft der frühen Statthalter befasst und mit dem abbasidischen Sturz der Umayyaden sowie der Errichtung eines eigenständigen umayyadischen Emirats in Córdoba durch ʿAbd al-Raḥmān I. (regn. 138-172/756-788) im Jahre 138/756 endet (cap. VII-XVII).<ref name="ftn19">Lévi-Provençal, ʿAbd al-Raḥmān, S. 81-82.</ref> Es folgt eine nach Herrschern geordnete Geschichte des Emirats und Kalifats von Córdoba (cap. XVIII-XLVII), dessen um 422/1031 anzusetzendes Ende die von almoravidischen und almohadischen Invasionen gekennzeichnete Zeit der sogenannten Taifa-Reiche einleitet (cap. XLVIII und XLVIIII).  
[§6] Neben dem Vorwort gliedert sich die ''Historia Arabum'' in 49 Kapitel, die sich jeweils mit einer Herrschaftsperiode oder einem wichtigen Ereignis der politischen Geschichte des muslimischen Spanien (Arab. ''al-Andalus'') befassen. Direkt an das Vorwort angeschlossen findet sich in den ersten sechs Kapiteln eine Muḥammadvita (cap. I-VI). Der polemische Charakter dieser Vita zeigt sich bereits in den Überschriften. So widmet Rodrigo beispielsweise ein Kapitel den „lügnerisch erfundenen Visionen“ (''visionibus mendaciter excogitatis)'' des Muḥammad.<ref name="ftn18">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. V, S. 92-96.</ref> Danach folgt eine kurze Darstellung der Geschichte von al-Andalus, die sich zunächst mit der muslimischen Invasion der Iberischen Halbinsel und Herrschaft der frühen Statthalter befasst und mit dem abbasidischen Sturz der Umayyaden sowie der Errichtung eines eigenständigen umayyadischen Emirats in Córdoba durch ʿAbd al-Raḥmān I. (regn. 138-172/756-788) im Jahre 138/756 endet (cap. VII-XVII).<ref name="ftn19">Lévi-Provençal, ʿAbd al-Raḥmān, S. 81-82.</ref> Es folgt eine nach Herrschern geordnete Geschichte des Emirats und Kalifats von Córdoba (cap. XVIII-XLVII), dessen um 422/1031 anzusetzendes Ende die von almoravidischen und almohadischen Invasionen gekennzeichnete Zeit der sogenannten Taifa-Reiche einleitet (cap. XLVIII und XLVIIII).  


Diese „Geschichte der Araber“ unterscheidet sich in Ton und Stil deutlich von der vorausgehenden Muḥammadvita: Rodrigo verzichtet größtenteils auf religiöse Polemik und beschreibt die Regierungszeit der einzelnen Herrscher insgesamt nüchtern. Während er anfangs neben den Statthaltern von al-Andalus auch die Herrscher des gesamten arabischen Reiches unter umayyadischer Führung erwähnt, beschränkt er sich nach der Darstellung der Etablierung des umayyadischen Emirats von Córdoba 139/756 auf die Geschichte des muslimischen Spanien. Den größten Teil des Werkes nimmt die umayyadische Herrschaftsperiode ein. Nach deren Ende um 422/1031 behandelt Rodrigo die nachfolgende politische Konstellation in lediglich zwei Kapiteln. Allerdings finden die Geschichte der einzelnen Taifa-Reiche sowie die Machtübernahme der berberischen Almoraviden um 488/1095 und der Almohaden um 542/1148 bei Rodrigo auch innerhalb dieser zwei Kapitel nur wenig Beachtung. Wichtige Ereignisse werden eher listenartig aufgezählt, mit der Invasion der Almohaden endet das Werk mit dem Verweis auf die ''Historia de rebus Hispanie sive Historia Gothica''.<ref name="ftn20">Vgl. zur Herrschaft der Almoraviden und Almohaden: Bennison, ''Empires''.</ref>
[§7] Diese „Geschichte der Araber“ unterscheidet sich in Ton und Stil deutlich von der vorausgehenden Muḥammadvita: Rodrigo verzichtet größtenteils auf religiöse Polemik und beschreibt die Regierungszeit der einzelnen Herrscher insgesamt nüchtern. Während er anfangs neben den Statthaltern von al-Andalus auch die Herrscher des gesamten arabischen Reiches unter umayyadischer Führung erwähnt, beschränkt er sich nach der Darstellung der Etablierung des umayyadischen Emirats von Córdoba 139/756 auf die Geschichte des muslimischen Spanien. Den größten Teil des Werkes nimmt die umayyadische Herrschaftsperiode ein. Nach deren Ende um 422/1031 behandelt Rodrigo die nachfolgende politische Konstellation in lediglich zwei Kapiteln. Allerdings finden die Geschichte der einzelnen Taifa-Reiche sowie die Machtübernahme der berberischen Almoraviden um 488/1095 und der Almohaden um 542/1148 bei Rodrigo auch innerhalb dieser zwei Kapitel nur wenig Beachtung. Wichtige Ereignisse werden eher listenartig aufgezählt, mit der Invasion der Almohaden endet das Werk mit dem Verweis auf die ''Historia de rebus Hispanie sive Historia Gothica''.<ref name="ftn20">Vgl. zur Herrschaft der Almoraviden und Almohaden: Bennison, ''Empires''.</ref>


Als erstes und einziges lateinisches Werk des Mittelalters befasst sich die ''Historia Arabum'' eigenständig mit der Geschichte der muslimischen Herrschaft in al-Andalus. Gemeinsam mit den anderen erwähnten historiographischen Werken Rodrigos lässt es sich zu einer umfassenden Geschichte der Iberischen Halbinsel zusammenfügen, die von der römischen Periode bis in die Zeit Rodrigos reicht. Trotz aller Polemik gegen Muḥammad und die als Irrglaube charakterisierte Religion des Islam nimmt die „Geschichte der Araber“ in Rodrigos historiographischem Gesamtwerk einen gleichberechtigten Platz ein.<ref name="ftn21">Maser, ''Historia'', S. 2; Eine Ausformulierung findet sich bei Drews, ''Perspektiven'', S. 55: „Rodrigos Konzept historiographischer Integration beruht praktisch auf einer Einfügung von Segmenten heterogener Herkunft in ein Ganzes, ohne dabei die unterschiedlichen Perspektiven aufzuheben.“</ref>  
[§8] Als erstes und einziges lateinisches Werk des Mittelalters befasst sich die ''Historia Arabum'' eigenständig mit der Geschichte der muslimischen Herrschaft in al-Andalus. Gemeinsam mit den anderen erwähnten historiographischen Werken Rodrigos lässt es sich zu einer umfassenden Geschichte der Iberischen Halbinsel zusammenfügen, die von der römischen Periode bis in die Zeit Rodrigos reicht. Trotz aller Polemik gegen Muḥammad und die als Irrglaube charakterisierte Religion des Islam nimmt die „Geschichte der Araber“ in Rodrigos historiographischem Gesamtwerk einen gleichberechtigten Platz ein.<ref name="ftn21">Maser, ''Historia'', S. 2; Eine Ausformulierung findet sich bei Drews, ''Perspektiven'', S. 55: „Rodrigos Konzept historiographischer Integration beruht praktisch auf einer Einfügung von Segmenten heterogener Herkunft in ein Ganzes, ohne dabei die unterschiedlichen Perspektiven aufzuheben.“</ref>  


Als wichtigste Quelle für die frühe Periode der muslimischen Invasion und der Herrschaft der Statthalter von al-Andalus (cap. VII-XVIII zu den Jahren 711-756) diente ihm wohl v. a. die als „Chronik von 754“ oder als ''Continuatio hispana'' bekannte ''Chronica muzarabica.''<ref name="ftn22">Maser, ''Historia'', S. 144. Vgl. zur ''Chronica muzarabica'': [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/731:_Die_Chronica_muzarabica_zur_Ehe_des_Berbers_Munnuz_mit_der_Tochter_von_Eudo,_dux_von_Aquitanien 731: Die Chronica muzarabica zur Ehe des Berbers Munnuz mit der Tochter von Eudo, dux von Aquitanien].</ref> Allerdings fand Matthias Maser mindestens zwölf Textstellen, welche auch auf eine Benutzung arabischer Quellen für diese Periode hindeuten. Dabei folgte Rodrigo in mindestens drei Fällen diesen Quellen statt den Erzählungen in der ''Chronica muzarabica''.<ref name="ftn23">Maser, ''Historia'', S. 145-146.</ref>  
[§9] Als wichtigste Quelle für die frühe Periode der muslimischen Invasion und der Herrschaft der Statthalter von al-Andalus (cap. VII-XVIII zu den Jahren 711-756) diente ihm wohl v. a. die als „Chronik von 754“ oder als ''Continuatio hispana'' bekannte ''Chronica muzarabica.''<ref name="ftn22">Maser, ''Historia'', S. 144. Vgl. zur ''Chronica muzarabica'': [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/731:_Die_Chronica_muzarabica_zur_Ehe_des_Berbers_Munnuz_mit_der_Tochter_von_Eudo,_dux_von_Aquitanien 731: Die Chronica muzarabica zur Ehe des Berbers Munnuz mit der Tochter von Eudo, dux von Aquitanien].</ref> Allerdings fand Matthias Maser mindestens zwölf Textstellen, welche auch auf eine Benutzung arabischer Quellen für diese Periode hindeuten. Dabei folgte Rodrigo in mindestens drei Fällen diesen Quellen statt den Erzählungen in der ''Chronica muzarabica''.<ref name="ftn23">Maser, ''Historia'', S. 145-146.</ref>  


Für die Beschreibung der späteren umayyadischen Zeit benutzte Rodrigo wohl ausschließlich arabisches Quellenmaterial, auf das er schon im hier zitierten Vorwort verweist (''eorum scripturis''). Entsprechende arabischsprachige Werke standen in der erzbischöflichen Bibliothek von Toledo zur Verfügung, darunter vermutlich ein Exemplar der Chronik des Aḥmad b. Muḥammad al-Rāzī (gest. 344/955).<ref name="ftn24">Lévi-Provençal, al-Rāzī, S. 1227-1228. Maser, ''Historia'', S. 148. Vgl. König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 162-163, zu dessen heute weitestgehend verlorenem Werk.</ref> In der Forschung ist dabei umstritten, inwieweit diese Chronik die Grundlage für Rodrigos Ausführungen zur Periode umayyadischer Herrschaft bildete. Eine von Claudio Sánchez-Albornoz vertretene ältere Forschungsmeinung sah al-Rāzīs Chronik als Hauptquelle an.<ref name="ftn25">Maser, ''Historia'', S. 145-147.</ref> Auch eine Abhängigkeit von Ibn Ḥayyāns (gest. 469/1076)<ref name="ftn26">Huici Miranda, Ibn Ḥayyān, S. 789-790.</ref> ''al-Muqtabis'', dem wichtigsten historiographischen Werk zur Geschichte von al-Andalus, wurde diskutiert.'' ''Die Tatsache, dass die Chronik von al-Rāzī verloren und nur im Rahmen von Zitaten in späteren arabisch-islamischen Werken überliefert ist, u. a. im ebenfalls nicht vollständig überlieferten Werk des Ibn Ḥayyān, macht es schwierig, direkte textuelle Abhängigkeiten nachzuweisen. Die von Luis Molina Martínez, María Luisa Ávila und Matthias Maser vertretene neuere Forschung geht insgesamt eher von einer indirekten Abhängigkeit Rodrigos von der Chronik al-Rāzīs aus, die sowohl inhaltlichen als auch formalen Modellcharakter für mehrere spätere Werke arabisch-islamischer Historiographie hatte.<ref name="ftn27">Maser, ''Historia'', S. 150-152. Ders., S. 172-174. Zu den Untersuchungen Molinas und Ávilas vgl. Molina Martínez, ''Historia de al-Rāzī'', S. 440-441, und Ávila, ''Muqtabis'', S. 100-101.</ref> Maser resümiert, dass Rodrigos Quellengrundlage wohl keiner spezifischen arabischen Grundlage zugeordnet werden kann, sondern eher auf einer Reihe von Einzelüberlieferungen fußt.<ref name="ftn28">Maser, ''Historia'', S. 188-189.</ref> Wie gut Rodrigo die arabische Sprache beherrschte, ist ebenso umstritten wie die Frage, ob seine Verwendung arabischer Quellen nur dank der Unterstützung arabischkundiger Mitarbeiter möglich war. Sicher ist allerdings, dass sich sein Werk auf Übertragungen aus dem Arabischen ins Lateinische stützt. Dies lässt sich u. a. an einigen Übersetzungsfehlern zeigen, die Wolfram Drews nachweisen konnte.<ref name="ftn29">Drews, ''Sarazenen'', S. 261-262.</ref>
[§10] Für die Beschreibung der späteren umayyadischen Zeit benutzte Rodrigo wohl ausschließlich arabisches Quellenmaterial, auf das er schon im hier zitierten Vorwort verweist (''eorum scripturis''). Entsprechende arabischsprachige Werke standen in der erzbischöflichen Bibliothek von Toledo zur Verfügung, darunter vermutlich ein Exemplar der Chronik des Aḥmad b. Muḥammad al-Rāzī (gest. 344/955).<ref name="ftn24">Lévi-Provençal, al-Rāzī, S. 1227-1228. Maser, ''Historia'', S. 148. Vgl. König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 162-163, zu dessen heute weitestgehend verlorenem Werk.</ref> In der Forschung ist dabei umstritten, inwieweit diese Chronik die Grundlage für Rodrigos Ausführungen zur Periode umayyadischer Herrschaft bildete. Eine von Claudio Sánchez-Albornoz vertretene ältere Forschungsmeinung sah al-Rāzīs Chronik als Hauptquelle an.<ref name="ftn25">Maser, ''Historia'', S. 145-147.</ref> Auch eine Abhängigkeit von Ibn Ḥayyāns (gest. 469/1076)<ref name="ftn26">Huici Miranda, Ibn Ḥayyān, S. 789-790.</ref> ''al-Muqtabis'', dem wichtigsten historiographischen Werk zur Geschichte von al-Andalus, wurde diskutiert.'' ''Die Tatsache, dass die Chronik von al-Rāzī verloren und nur im Rahmen von Zitaten in späteren arabisch-islamischen Werken überliefert ist, u. a. im ebenfalls nicht vollständig überlieferten Werk des Ibn Ḥayyān, macht es schwierig, direkte textuelle Abhängigkeiten nachzuweisen. Die von Luis Molina Martínez, María Luisa Ávila und Matthias Maser vertretene neuere Forschung geht insgesamt eher von einer indirekten Abhängigkeit Rodrigos von der Chronik al-Rāzīs aus, die sowohl inhaltlichen als auch formalen Modellcharakter für mehrere spätere Werke arabisch-islamischer Historiographie hatte.<ref name="ftn27">Maser, ''Historia'', S. 150-152. Ders., S. 172-174. Zu den Untersuchungen Molinas und Ávilas vgl. Molina Martínez, ''Historia de al-Rāzī'', S. 440-441, und Ávila, ''Muqtabis'', S. 100-101.</ref> Maser resümiert, dass Rodrigos Quellengrundlage wohl keiner spezifischen arabischen Grundlage zugeordnet werden kann, sondern eher auf einer Reihe von Einzelüberlieferungen fußt.<ref name="ftn28">Maser, ''Historia'', S. 188-189.</ref> Wie gut Rodrigo die arabische Sprache beherrschte, ist ebenso umstritten wie die Frage, ob seine Verwendung arabischer Quellen nur dank der Unterstützung arabischkundiger Mitarbeiter möglich war. Sicher ist allerdings, dass sich sein Werk auf Übertragungen aus dem Arabischen ins Lateinische stützt. Dies lässt sich u. a. an einigen Übersetzungsfehlern zeigen, die Wolfram Drews nachweisen konnte.<ref name="ftn29">Drews, ''Sarazenen'', S. 261-262.</ref>


== Kontextualisierung, Analyse & Interpretation ==  
== Kontextualisierung, Analyse & Interpretation ==  
Die folgenden Ausführungen zielen darauf ab, Rodrigos ''Historia Arabum'' in den weiteren Kontext einer Periode der iberischen Geschichte einzuordnen, die von der christlichen Eroberung muslimischer Herrschaftsgebiete geprägt war und üblicherweise mit dem Schlagwort der ''Reconquista'' belegt wird. Nach kurzen Ausführungen zu den problematischen Implikationen dieses Begriffes geht es darum zu verstehen, ob und inwieweit sich der ideologische Rahmen dieses Eroberungsgeschehens in der ''Historia Arabum'' niederschlägt.
[§11] Die folgenden Ausführungen zielen darauf ab, Rodrigos ''Historia Arabum'' in den weiteren Kontext einer Periode der iberischen Geschichte einzuordnen, die von der christlichen Eroberung muslimischer Herrschaftsgebiete geprägt war und üblicherweise mit dem Schlagwort der ''Reconquista'' belegt wird. Nach kurzen Ausführungen zu den problematischen Implikationen dieses Begriffes geht es darum zu verstehen, ob und inwieweit sich der ideologische Rahmen dieses Eroberungsgeschehens in der ''Historia Arabum'' niederschlägt.


Rodrigos politisches und geistiges Umfeld war von der christlichen Eroberung muslimisch beherrschter Gebiete geprägt, die Ende des 18. Jahrhunderts als ''Reconquista'' („Rückeroberung“) konzeptualisiert und sowohl glorifiziert als auch kritisiert werden sollte.<ref name="ftn30">Zum konzeptuellen Gehalt und der Rezeptionsgeschichte des Reconquista-Begriffes siehe Jaspert, ''Reconquista'', S. 445-468. </ref> Der „Reizbegriff“ (Nikolas Jaspert) ''Reconquista ''ist dabei deswegen so umstritten, weil er die etwa acht Jahrhunderte währende muslimische Herrschaft und die noch länger dauernde muslimische Präsenz auf der Iberischen Halbinsel (711-1492) als illegitime Fremdokkupation eines Gebietes darstellt, das historisch als „Eigentum“ spanischer Christen betrachtet wird. Der ''Reconquista''-Begriff erfuhr insbesondere während des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) eine enorme ideologische Aufladung und ist dabei eng mit innerspanischen Auseinandersetzungen um den historischen, kulturellen und religiösen Charakter Spaniens verbunden und damit dem weiteren Themenfeld des spanischen Nationalismus zuzuordnen.<ref name="ftn31">Jaspert, ''Die Reconquista,'' S. 14.</ref>  
[§12] Rodrigos politisches und geistiges Umfeld war von der christlichen Eroberung muslimisch beherrschter Gebiete geprägt, die Ende des 18. Jahrhunderts als ''Reconquista'' („Rückeroberung“) konzeptualisiert und sowohl glorifiziert als auch kritisiert werden sollte.<ref name="ftn30">Zum konzeptuellen Gehalt und der Rezeptionsgeschichte des Reconquista-Begriffes siehe Jaspert, ''Reconquista'', S. 445-468. </ref> Der „Reizbegriff“ (Nikolas Jaspert) ''Reconquista ''ist dabei deswegen so umstritten, weil er die etwa acht Jahrhunderte währende muslimische Herrschaft und die noch länger dauernde muslimische Präsenz auf der Iberischen Halbinsel (711-1492) als illegitime Fremdokkupation eines Gebietes darstellt, das historisch als „Eigentum“ spanischer Christen betrachtet wird. Der ''Reconquista''-Begriff erfuhr insbesondere während des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) eine enorme ideologische Aufladung und ist dabei eng mit innerspanischen Auseinandersetzungen um den historischen, kulturellen und religiösen Charakter Spaniens verbunden und damit dem weiteren Themenfeld des spanischen Nationalismus zuzuordnen.<ref name="ftn31">Jaspert, ''Die Reconquista,'' S. 14.</ref>  


Problematisch ist auch, dass das ''Reconquista''-Konzept gerade außerhalb der spezialisierten Forschung häufig als übergreifendes Erklärungsmuster für die Konflikte zwischen christlich und muslimisch geführten Herrschaften auf der Iberischen Halbinsel genutzt wird. Zu beachten ist allerdings, dass es sich bei der Eroberung und Landnahme muslimischer Gebiete durch Christen keinesfalls um einen dauerhaften, von 711 bis zum Fall des muslimischen Granada 1492 geführten, religiös motivierten Rückeroberungskrieg handelte.<ref name="ftn32">Jaspert, ''Reconquista'', S. 450.</ref> Nach dem Phasenmodell von Odilo Engels war die Periode zwischen 711 und der Mitte des 11. Jahrhunderts weniger von der Idee eines Religionskrieges als von Grenzkämpfen geprägt. Erst ab der Mitte des 11. Jahrhunderts erfolgte eine starke ideologisch-religiöse Aufladung, die v. a. stärkerer päpstlicher Einflussnahme und einem Import des Kreuzzugsgedankens zuzuschreiben ist. Auch dann war das christliche Vordringen nach Süden jedoch nicht nur einer religiös verbrämten Kampfideologie verpflichtet. Iberische Herrscher versuchten, sich dem päpstlichen Einfluss wiederholt zu entziehen, beanspruchten die volle Kontrolle über das Expansionsgeschehen und drangen ab der Mitte des 13. Jahrhunderts nach dem Ende der Almohadenherrschaft deutlich langsamer nach Süden vor, so dass die letzte muslimische Bastion Granada erst 1492 erobert wurde.<ref name="ftn33">Engels, ''Reconquista'', S. 279-284.</ref>  
[§13] Problematisch ist auch, dass das ''Reconquista''-Konzept gerade außerhalb der spezialisierten Forschung häufig als übergreifendes Erklärungsmuster für die Konflikte zwischen christlich und muslimisch geführten Herrschaften auf der Iberischen Halbinsel genutzt wird. Zu beachten ist allerdings, dass es sich bei der Eroberung und Landnahme muslimischer Gebiete durch Christen keinesfalls um einen dauerhaften, von 711 bis zum Fall des muslimischen Granada 1492 geführten, religiös motivierten Rückeroberungskrieg handelte.<ref name="ftn32">Jaspert, ''Reconquista'', S. 450.</ref> Nach dem Phasenmodell von Odilo Engels war die Periode zwischen 711 und der Mitte des 11. Jahrhunderts weniger von der Idee eines Religionskrieges als von Grenzkämpfen geprägt. Erst ab der Mitte des 11. Jahrhunderts erfolgte eine starke ideologisch-religiöse Aufladung, die v. a. stärkerer päpstlicher Einflussnahme und einem Import des Kreuzzugsgedankens zuzuschreiben ist. Auch dann war das christliche Vordringen nach Süden jedoch nicht nur einer religiös verbrämten Kampfideologie verpflichtet. Iberische Herrscher versuchten, sich dem päpstlichen Einfluss wiederholt zu entziehen, beanspruchten die volle Kontrolle über das Expansionsgeschehen und drangen ab der Mitte des 13. Jahrhunderts nach dem Ende der Almohadenherrschaft deutlich langsamer nach Süden vor, so dass die letzte muslimische Bastion Granada erst 1492 erobert wurde.<ref name="ftn33">Engels, ''Reconquista'', S. 279-284.</ref>  


Trotz allem findet sich die Idee einer mit historischen Besitzansprüchen verknüpften und auch christlich legitimierten „Rückeroberung“ durchaus in mittelalterlichen christlichen Texten aus der Iberischen Halbinsel,<ref name="ftn34">Vgl. Bronisch, ''Reconquista.''</ref> so auch in Rodrigos eingangs zitierter Einleitung zur ''Historia Arabum''. Hier polemisiert der toledanische Erzbischof nicht nur gegen die Anhänger des Islam, indem er Muḥammad als „Begründer und Erfinder ihrer Sekte“ (''eorum secte … conditor et inuentor'') bezeichnet. Er spricht auch „von den Verwüstungen der Araber, die hoffentlich bald vorübergehen“ (''de excidiis Arabum, que utinam sint postrema'') und lobt seinen König Alfons VIII. dafür, dass er „dank Gottes Milde“ (''diuina clemencia miserante'') „die Tüchtigkeit der Goten wiederhergestellt“ (''Gothorum strenuitas restituta'') und „den Christen einen Weg der Vergeltung eröffnet hat“ (''talionis semitas aperuit Christianis''). Rodrigos ''Historia Arabum'' ist damit eindeutig in die Phase der stärker religiös-ideologisch gefärbten Periode christlicher Expansion in den muslimisch beherrschten Süden einzuordnen. Nichtsdestotrotz ist das ideologische Konzept der Reconquista in der ''Historia Arabum'' nur ansatzweise ausformuliert. Selbst die in der Einleitung auftauchenden genannten Elemente (göttliche Hilfe für die Christen, Rückbezug auf die Westgoten, Wiederherstellungs- und Vergeltungsgedanken) sind nicht überall präsent: Kämpfe zwischen Muslimen und Christen etwa werden in der ''Historia Arabum ''z. B. ohne Glaubenspathos beschrieben.<ref name="ftn35">Drews, ''Sarazenen'', S. 271-272. Vgl. dazu auch: Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXI, S. 117-118; cap. XXV, S. 121; cap. XXXII, S. 128-129.</ref>
[§14] Trotz allem findet sich die Idee einer mit historischen Besitzansprüchen verknüpften und auch christlich legitimierten „Rückeroberung“ durchaus in mittelalterlichen christlichen Texten aus der Iberischen Halbinsel,<ref name="ftn34">Vgl. Bronisch, ''Reconquista.''</ref> so auch in Rodrigos eingangs zitierter Einleitung zur ''Historia Arabum''. Hier polemisiert der toledanische Erzbischof nicht nur gegen die Anhänger des Islam, indem er Muḥammad als „Begründer und Erfinder ihrer Sekte“ (''eorum secte … conditor et inuentor'') bezeichnet. Er spricht auch „von den Verwüstungen der Araber, die hoffentlich bald vorübergehen“ (''de excidiis Arabum, que utinam sint postrema'') und lobt seinen König Alfons VIII. dafür, dass er „dank Gottes Milde“ (''diuina clemencia miserante'') „die Tüchtigkeit der Goten wiederhergestellt“ (''Gothorum strenuitas restituta'') und „den Christen einen Weg der Vergeltung eröffnet hat“ (''talionis semitas aperuit Christianis''). Rodrigos ''Historia Arabum'' ist damit eindeutig in die Phase der stärker religiös-ideologisch gefärbten Periode christlicher Expansion in den muslimisch beherrschten Süden einzuordnen. Nichtsdestotrotz ist das ideologische Konzept der Reconquista in der ''Historia Arabum'' nur ansatzweise ausformuliert. Selbst die in der Einleitung auftauchenden genannten Elemente (göttliche Hilfe für die Christen, Rückbezug auf die Westgoten, Wiederherstellungs- und Vergeltungsgedanken) sind nicht überall präsent: Kämpfe zwischen Muslimen und Christen etwa werden in der ''Historia Arabum ''z. B. ohne Glaubenspathos beschrieben.<ref name="ftn35">Drews, ''Sarazenen'', S. 271-272. Vgl. dazu auch: Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXI, S. 117-118; cap. XXV, S. 121; cap. XXXII, S. 128-129.</ref>


Möchte man Rodrigo als Vertreter oder, wie die ältere spanische Forschung, gar als Initiator einer sich konkretisierenden ''Reconquista''-Ideologie darstellen<ref name="ftn36">Vgl. Fuente, ''Elogio'', S. 8: „D. Rodrigo Jiménez de Rada […] que decidió la independencia de nuestra patria.” u. Ebd., S. 14: „D. Rodrigo pasó á Roma, interesó al enérgico Inocencio III., predicóse una cruzada á favor de España con las mismas indulgencies que para de la Palestina.”</ref>, so gilt zu berücksichtigen, dass sein Einsatz für den Krieg gegen muslimische Herrschaftsgebiete eine starke innerchristliche Komponente hatte und dabei eng mit dem Bischofssitz von Toledo verknüpft war. Seit der Einnahme Toledos durch Alfons VI. von León, Kastilien und Galizien (regn. 1065/1072-1109) im Jahre 1085<ref name="ftn37">Sáez Sánchez, Alfons VI., Sp. 398-399.</ref> stand eine Stadt unter christlicher Herrschaft, die in der späteren, stark zentralisierten Phase westgotischer Herrschaft (ca. 589-711) Königssitz und Austragungsort iberischer Reichskonzilien unter der spirituellen Führung des toledanischen Bischofs gewesen war.<ref name="ftn38">Vgl. Ziegler, ''Church and State''; King, ''Law and Society''.</ref> Rodrigos Engagement lässt sich in vieler Hinsicht als ein schon von seinen Amtsvorgängern seit 1085 betriebenes Bemühen lesen, dem Bischofssitz Toledo erneut diese zentrale Stellung in einem stärker geeinten Spanien zukommen zu lassen.<ref name="ftn39">Vgl. zum Primatsstreit des 12. Jahrhunderts: Holndonner, ''Kommunikation''.</ref> Angesichts von starken innerchristlichen Divergenzen bei gleichzeitigem Bestehen von Tributverträgen und Heiratsallianzen zwischen christlichen und muslimischen Herrschaften<ref name="ftn40">Jaspert, ''Die Reconquista'', S. 22-25.</ref> bemühte sich Rodrigo in seiner anfänglichen Rolle als Diplomat um die Schaffung einer innerchristlichen Front gegen die in kleine Einheiten (Arab''. ṭāʾifa'', Span. ''taifa'') zersplitterten muslimischen Herrschaftsgebiete, so im bereits oben erwähnten Vertrag von Guadalajara von 1207. Seine darauf folgenden eigenständigen militärischen Initiativen, seine im königlichen und päpstlichen Auftrag gemachten Reisen zum Zweck der Werbung um Finanz- und Humanressourcen, seine Nutzung von Kreuzzugsrhetorik und sein Einsatz für die Einführung des (päpstlich) kanonischen Rechts dienten alle diesem Ziel, christliche Kräfte zu sammeln und im Rahmen ihrer Führung gegen einen gemeinsamen Feind zu führen.<ref name="ftn41">Maser, ''Historia'', S. 23-25.</ref> Rodrigos Wunsch, diese Bemühungen nach dem christlichen Erfolg in der Schlacht von Las Navas de Tolosa 1212 durch die Verleihung des Primats über Spanien belohnt zu sehen, wurde enttäuscht: Als er seinen Anspruch auf dem IV. Laterankonzil 1215 in einer flammenden und zugleich beleidigenden Rede formulierte, lehnte das Konzil ab.<ref name="ftn42">Maser, ''Historia'', S. 13-14.</ref> Seinem Anspruch standen die Interessen anderer iberischer Bischöfe entgegen, die sein Machtstreben misstrauisch beäugten, u. a. den von ihm betriebenen Landkauf aus Privatmitteln.<ref name="ftn43">Pick, ''Conflict'', S. 34-35, Ebd., S. 48-49.</ref> Anders als Rodrigo sahen viele iberische Bischöfe den Titel des Primas nicht an die Geschichte des Westgotenreiches und damit nicht an Toledo gebunden.<ref name="ftn44">Drews sieht darin die Gegnerschaft der Bischöfe zu Rodrigos „neogotischer Ideologie“, dazu: Drews, ''Sarazenen'', S. 269-270.</ref> Auch wenn der Titel des Primas keine jurisdiktiven Kompetenzen beinhaltete, wurde der historisch legitimierte toledanische Anspruch als Bedrohung des eigenen Einflussbereiches empfunden.<ref name="ftn45">Deutlich wird dies durch die fortwährende Beanspruchung neuer Suffraganbistümer, siehe dazu: Maser, ''Historia'', S. 15-19.</ref> Widerstand regte sich insbesondere im Erzbistum von Santiago de Compostela, dessen prestigereicher Kult des hl. Jakobus angeblich bis in die Zeit der Apostel zurückreichte und dessen Schutzpatron mit dem Beinahmen „Maurentöter“ (''matamoros'') ebenso starke antimuslimische Bindungskraft aufweisen konnte wie der gotisch-toledanische Anspruch auf die Wiederherstellung westgotischer Verhältnisse.<ref name="ftn46">Maser, ''Historia'', S. 14-15. Vgl. zum Jakobuskult Herbers, ''Jakobsweg''.</ref> Rodrigos Scheitern wurde durch die 1218 erfolgte Verleihung des Amtes eines päpstlichen Legaten für Spanien teilweise kompensiert.<ref name="ftn47">Cecini, ''Alcoranus'', S. 98. Zu finden ist die Bulle bei: Gorosterratzu, ''Don Rodrigo'', Pamplona: T. Bescansa, 1925, S. 429, Nr. 54.</ref> Dennoch engagierte sich Rodrigo weiter – zunächst im Rahmen seiner meist wirkungslosen Kriegszüge gegen almohadische Truppen zwischen 1212 und 1224<ref name="ftn48">Maser, ''Historia'', S. 24.</ref>, ab 1224 als Diplomat, Organisator und Vermittler im Auftrag des kastilischen Königs Ferdinand III.<ref name="ftn49">Maser, ''Historia'', S. 25-26. </ref> Eine nachhaltige Anerkennung seiner Leistungen im innerchristlichen Spanien glaubte er womöglich aber nur in der Geschichtsschreibung zu finden. Diese ließ eine gesamtspanische Selbstpositionierung des toledanischen Bischofs zu, die ihm im realen Leben mehrmals verwehrt worden war.  
[§15] Möchte man Rodrigo als Vertreter oder, wie die ältere spanische Forschung, gar als Initiator einer sich konkretisierenden ''Reconquista''-Ideologie darstellen<ref name="ftn36">Vgl. Fuente, ''Elogio'', S. 8: „D. Rodrigo Jiménez de Rada […] que decidió la independencia de nuestra patria.” u. Ebd., S. 14: „D. Rodrigo pasó á Roma, interesó al enérgico Inocencio III., predicóse una cruzada á favor de España con las mismas indulgencies que para de la Palestina.”</ref>, so gilt zu berücksichtigen, dass sein Einsatz für den Krieg gegen muslimische Herrschaftsgebiete eine starke innerchristliche Komponente hatte und dabei eng mit dem Bischofssitz von Toledo verknüpft war. Seit der Einnahme Toledos durch Alfons VI. von León, Kastilien und Galizien (regn. 1065/1072-1109) im Jahre 1085<ref name="ftn37">Sáez Sánchez, Alfons VI., Sp. 398-399.</ref> stand eine Stadt unter christlicher Herrschaft, die in der späteren, stark zentralisierten Phase westgotischer Herrschaft (ca. 589-711) Königssitz und Austragungsort iberischer Reichskonzilien unter der spirituellen Führung des toledanischen Bischofs gewesen war.<ref name="ftn38">Vgl. Ziegler, ''Church and State''; King, ''Law and Society''.</ref> Rodrigos Engagement lässt sich in vieler Hinsicht als ein schon von seinen Amtsvorgängern seit 1085 betriebenes Bemühen lesen, dem Bischofssitz Toledo erneut diese zentrale Stellung in einem stärker geeinten Spanien zukommen zu lassen.<ref name="ftn39">Vgl. zum Primatsstreit des 12. Jahrhunderts: Holndonner, ''Kommunikation''.</ref> Angesichts von starken innerchristlichen Divergenzen bei gleichzeitigem Bestehen von Tributverträgen und Heiratsallianzen zwischen christlichen und muslimischen Herrschaften<ref name="ftn40">Jaspert, ''Die Reconquista'', S. 22-25.</ref> bemühte sich Rodrigo in seiner anfänglichen Rolle als Diplomat um die Schaffung einer innerchristlichen Front gegen die in kleine Einheiten (Arab''. ṭāʾifa'', Span. ''taifa'') zersplitterten muslimischen Herrschaftsgebiete, so im bereits oben erwähnten Vertrag von Guadalajara von 1207. Seine darauf folgenden eigenständigen militärischen Initiativen, seine im königlichen und päpstlichen Auftrag gemachten Reisen zum Zweck der Werbung um Finanz- und Humanressourcen, seine Nutzung von Kreuzzugsrhetorik und sein Einsatz für die Einführung des (päpstlich) kanonischen Rechts dienten alle diesem Ziel, christliche Kräfte zu sammeln und im Rahmen ihrer Führung gegen einen gemeinsamen Feind zu führen.<ref name="ftn41">Maser, ''Historia'', S. 23-25.</ref> Rodrigos Wunsch, diese Bemühungen nach dem christlichen Erfolg in der Schlacht von Las Navas de Tolosa 1212 durch die Verleihung des Primats über Spanien belohnt zu sehen, wurde enttäuscht: Als er seinen Anspruch auf dem IV. Laterankonzil 1215 in einer flammenden und zugleich beleidigenden Rede formulierte, lehnte das Konzil ab.<ref name="ftn42">Maser, ''Historia'', S. 13-14.</ref> Seinem Anspruch standen die Interessen anderer iberischer Bischöfe entgegen, die sein Machtstreben misstrauisch beäugten, u. a. den von ihm betriebenen Landkauf aus Privatmitteln.<ref name="ftn43">Pick, ''Conflict'', S. 34-35, Ebd., S. 48-49.</ref> Anders als Rodrigo sahen viele iberische Bischöfe den Titel des Primas nicht an die Geschichte des Westgotenreiches und damit nicht an Toledo gebunden.<ref name="ftn44">Drews sieht darin die Gegnerschaft der Bischöfe zu Rodrigos „neogotischer Ideologie“, dazu: Drews, ''Sarazenen'', S. 269-270.</ref> Auch wenn der Titel des Primas keine jurisdiktiven Kompetenzen beinhaltete, wurde der historisch legitimierte toledanische Anspruch als Bedrohung des eigenen Einflussbereiches empfunden.<ref name="ftn45">Deutlich wird dies durch die fortwährende Beanspruchung neuer Suffraganbistümer, siehe dazu: Maser, ''Historia'', S. 15-19.</ref> Widerstand regte sich insbesondere im Erzbistum von Santiago de Compostela, dessen prestigereicher Kult des hl. Jakobus angeblich bis in die Zeit der Apostel zurückreichte und dessen Schutzpatron mit dem Beinahmen „Maurentöter“ (''matamoros'') ebenso starke antimuslimische Bindungskraft aufweisen konnte wie der gotisch-toledanische Anspruch auf die Wiederherstellung westgotischer Verhältnisse.<ref name="ftn46">Maser, ''Historia'', S. 14-15. Vgl. zum Jakobuskult Herbers, ''Jakobsweg''.</ref> Rodrigos Scheitern wurde durch die 1218 erfolgte Verleihung des Amtes eines päpstlichen Legaten für Spanien teilweise kompensiert.<ref name="ftn47">Cecini, ''Alcoranus'', S. 98. Zu finden ist die Bulle bei: Gorosterratzu, ''Don Rodrigo'', Pamplona: T. Bescansa, 1925, S. 429, Nr. 54.</ref> Dennoch engagierte sich Rodrigo weiter – zunächst im Rahmen seiner meist wirkungslosen Kriegszüge gegen almohadische Truppen zwischen 1212 und 1224<ref name="ftn48">Maser, ''Historia'', S. 24.</ref>, ab 1224 als Diplomat, Organisator und Vermittler im Auftrag des kastilischen Königs Ferdinand III.<ref name="ftn49">Maser, ''Historia'', S. 25-26. </ref> Eine nachhaltige Anerkennung seiner Leistungen im innerchristlichen Spanien glaubte er womöglich aber nur in der Geschichtsschreibung zu finden. Diese ließ eine gesamtspanische Selbstpositionierung des toledanischen Bischofs zu, die ihm im realen Leben mehrmals verwehrt worden war.  


Als Chronist der gesamten spanischen Geschichte von den Römern bis zu seinen Lebzeiten wies Rodrigo „den Arabern“ neben Römern und Goten einen gleichberechtigten Platz in der Geschichte der Iberischen Halbinsel zu. Interessant ist dabei, dass Rodrigo der muslimischen Herrschaft auch dadurch eine eigene Daseinsberechtigung zuschreibt, indem er sie vornehmlich als innermuslimische politische Geschichte darstellt und ihre Beziehungen zur jüdischen und christlichen Umwelt weitestgehend ignoriert. In Bezug auf die umayyadische Hauptstadt Córdoba spricht Rodrigo nur von „den Cordobesern“ (''Cordubenses''), ohne jemals zu erläutern, inwieweit Christen und Juden zu dieser Bevölkerung zählten.<ref name="ftn50">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XLV, S. 143; cap. XLVII, S. 146.</ref> Juden und ihre Lebensverhältnisse unter muslimischer Herrschaft finden im gesamten Werk keine Erwähnung. Hinsichtlich der Christen erwähnt Rodrigo zwar, dass sie sich dem muslimischen Kopfsteuersystem unterzuordnen hatten, beschreibt aber nicht dessen konkrete Auswirkungen.<ref name="ftn51">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. IX, S. 99-101; cap. X, S. 101-102.</ref> Auch sonst beschränkt er sich auf punktuelle Aussagen, die er nicht immer evaluiert und v. a. nicht in einem weiteren Rahmen christlich-muslimischer Beziehungen verortet: Die Verschleppung von Kriegsgefangenen im Rahmen der muslimischen Invasion von 92/711 verurteilt er nicht.<ref name="ftn52">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. X, S. 101-102.</ref> Den Umgang der frühen muslimischen Statthalter mit den Christen beschreibt er als gierig, ungerecht und tyrannisch, konkretisiert dies aber nicht weiter.<ref name="ftn53">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. X, S. 101-102; cap. XII, S. 104-106.</ref> Die Haltung von 3000 christlichen Sklaven durch den umayyadischen Emir al-Ḥakam I. b. Hišām (regn. 180-206/796-822)<ref name="ftn54">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXII, S. 118-119. Zum Emir: Huici Miranda, al-Ḥakam I, S. 73-74.</ref> lässt er ebenso kommentarlos stehen wie den Hinweis auf die Mitwirkung von christlichen Soldaten in muslimischen Heeren.<ref name="ftn55">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXXV, S. 132-133.</ref> Seine Beschreibung eines Mordes an einem Christen durch den muslimischen Usurpatoren Muḥammad al-Mahdī bi-llāh (regn. 399/1009 bzw. 400/1010) wirkt relativ neutral: Indem er einen Christen ermorden ließ, der dem herrschenden Kalifen Abū l-Walīd Hišām al-Muʾayyad bi-llāh (regn. 365-399/976-1009 und 401-403/1010-1013) äußerlich ähnelte, soll al-Mahdī versucht haben, die Bevölkerung Córdobas vom Tod des Herrschers zu überzeugen. Rodrigo zufolge soll Hišām später das Grab des Christen besucht und sogar den Wunsch geäußert haben, dort ebenfalls bestattet zu werden (''Ego hic eligo sepulturam'').<ref name="ftn56">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXXVII, S. 135. Zu den genannten Kalifen: Lévi-Provençal, al-Mahdī, S. 1239-1240; Dunlop, Hishām II, S. 495-496.</ref> Zur Frage der gesellschaftlichen Stellung der Christen und Juden unter muslimischer Herrschaft gibt Rodrigo also kaum Antworten und nutzt die wenigen Hinweise darauf auch nicht, um gegen die umayyadische Herrschaft zu polemisieren. Auf die unter dem Schlagwort ''convivencia ''(„Zusammenleben“) häufig diskutierte Frage nach dem Miteinander der verschiedenen religiösen Gruppen unter muslimischer Herrschaft liefert die ''Historia Arabum'' kaum Antworten.<ref name="ftn57">Vgl. zur Übersicht über die Convivencia-Debatte: Jaspert, ''Minderheiten'', S. 15-44. </ref>
[§16] Als Chronist der gesamten spanischen Geschichte von den Römern bis zu seinen Lebzeiten wies Rodrigo „den Arabern“ neben Römern und Goten einen gleichberechtigten Platz in der Geschichte der Iberischen Halbinsel zu. Interessant ist dabei, dass Rodrigo der muslimischen Herrschaft auch dadurch eine eigene Daseinsberechtigung zuschreibt, indem er sie vornehmlich als innermuslimische politische Geschichte darstellt und ihre Beziehungen zur jüdischen und christlichen Umwelt weitestgehend ignoriert. In Bezug auf die umayyadische Hauptstadt Córdoba spricht Rodrigo nur von „den Cordobesern“ (''Cordubenses''), ohne jemals zu erläutern, inwieweit Christen und Juden zu dieser Bevölkerung zählten.<ref name="ftn50">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XLV, S. 143; cap. XLVII, S. 146.</ref> Juden und ihre Lebensverhältnisse unter muslimischer Herrschaft finden im gesamten Werk keine Erwähnung. Hinsichtlich der Christen erwähnt Rodrigo zwar, dass sie sich dem muslimischen Kopfsteuersystem unterzuordnen hatten, beschreibt aber nicht dessen konkrete Auswirkungen.<ref name="ftn51">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. IX, S. 99-101; cap. X, S. 101-102.</ref> Auch sonst beschränkt er sich auf punktuelle Aussagen, die er nicht immer evaluiert und v. a. nicht in einem weiteren Rahmen christlich-muslimischer Beziehungen verortet: Die Verschleppung von Kriegsgefangenen im Rahmen der muslimischen Invasion von 92/711 verurteilt er nicht.<ref name="ftn52">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. X, S. 101-102.</ref> Den Umgang der frühen muslimischen Statthalter mit den Christen beschreibt er als gierig, ungerecht und tyrannisch, konkretisiert dies aber nicht weiter.<ref name="ftn53">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. X, S. 101-102; cap. XII, S. 104-106.</ref> Die Haltung von 3000 christlichen Sklaven durch den umayyadischen Emir al-Ḥakam I. b. Hišām (regn. 180-206/796-822)<ref name="ftn54">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXII, S. 118-119. Zum Emir: Huici Miranda, al-Ḥakam I, S. 73-74.</ref> lässt er ebenso kommentarlos stehen wie den Hinweis auf die Mitwirkung von christlichen Soldaten in muslimischen Heeren.<ref name="ftn55">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXXV, S. 132-133.</ref> Seine Beschreibung eines Mordes an einem Christen durch den muslimischen Usurpatoren Muḥammad al-Mahdī bi-llāh (regn. 399/1009 bzw. 400/1010) wirkt relativ neutral: Indem er einen Christen ermorden ließ, der dem herrschenden Kalifen Abū l-Walīd Hišām al-Muʾayyad bi-llāh (regn. 365-399/976-1009 und 401-403/1010-1013) äußerlich ähnelte, soll al-Mahdī versucht haben, die Bevölkerung Córdobas vom Tod des Herrschers zu überzeugen. Rodrigo zufolge soll Hišām später das Grab des Christen besucht und sogar den Wunsch geäußert haben, dort ebenfalls bestattet zu werden (''Ego hic eligo sepulturam'').<ref name="ftn56">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXXVII, S. 135. Zu den genannten Kalifen: Lévi-Provençal, al-Mahdī, S. 1239-1240; Dunlop, Hishām II, S. 495-496.</ref> Zur Frage der gesellschaftlichen Stellung der Christen und Juden unter muslimischer Herrschaft gibt Rodrigo also kaum Antworten und nutzt die wenigen Hinweise darauf auch nicht, um gegen die umayyadische Herrschaft zu polemisieren. Auf die unter dem Schlagwort ''convivencia ''(„Zusammenleben“) häufig diskutierte Frage nach dem Miteinander der verschiedenen religiösen Gruppen unter muslimischer Herrschaft liefert die ''Historia Arabum'' kaum Antworten.<ref name="ftn57">Vgl. zur Übersicht über die Convivencia-Debatte: Jaspert, ''Minderheiten'', S. 15-44. </ref>


Bemerkenswert bleibt Rodrigos vergleichsweise neutrale bis positive Darstellung der umayyadischen Herrschaft, die v. a. im Vergleich zu der schon erwähnten Periode der Statthalter, insbesondere aber zu Rodrigos Darstellung berberischer Herrschaft hervortritt. Schon in seiner Beschreibung der Statthalterperiode übernimmt Rodrigo die Beschreibung eines durch einen Berber verübtes Massaker an Christen aus der ''Chronica muzarabica.''<ref name="ftn58">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XIII, S. 106-108. Diese Quellenstelle ist behandelt unter [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/731:_Die_Chronica_muzarabica_zur_Ehe_des_Berbers_Munnuz_mit_der_Tochter_von_Eudo,_dux_von_Aquitanien 731: Die Chronica muzarabica zur Ehe des Berbers Munnuz mit der Tochter von Eudo, dux von Aquitanien].</ref> Er schildert mehrere erfolglose Versuche von Berbergruppen, umayyadische Herrscher zur Auslöschung der Christen zu bewegen<ref name="ftn59">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXVI, S. 121-123; cap. XXXIII, S. 130.</ref> oder gar zu stürzen, so etwa den von Rodrigo durchaus positiv beschriebenen Hišam II.<ref name="ftn60">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXVII, S. 123-124.</ref> Mehrfach schmäht er die Berber (''Barbarii'') als „Barbaren“ (''barbari'')<ref name="ftn61">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXXIII, S. 130; cap. IXXXX, S. 137-138.</ref>, deren kollektive Unverschämtheit er in einem Kapitel unter dem Titel „Von den Unverschämtheiten der Berber“ ins Zentrum stellt (''de insolentiis Barbariorum'').<ref name="ftn62">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXVII, S. 123-124.</ref>  
[§17] Bemerkenswert bleibt Rodrigos vergleichsweise neutrale bis positive Darstellung der umayyadischen Herrschaft, die v. a. im Vergleich zu der schon erwähnten Periode der Statthalter, insbesondere aber zu Rodrigos Darstellung berberischer Herrschaft hervortritt. Schon in seiner Beschreibung der Statthalterperiode übernimmt Rodrigo die Beschreibung eines durch einen Berber verübtes Massaker an Christen aus der ''Chronica muzarabica.''<ref name="ftn58">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XIII, S. 106-108. Diese Quellenstelle ist behandelt unter [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/731:_Die_Chronica_muzarabica_zur_Ehe_des_Berbers_Munnuz_mit_der_Tochter_von_Eudo,_dux_von_Aquitanien 731: Die Chronica muzarabica zur Ehe des Berbers Munnuz mit der Tochter von Eudo, dux von Aquitanien].</ref> Er schildert mehrere erfolglose Versuche von Berbergruppen, umayyadische Herrscher zur Auslöschung der Christen zu bewegen<ref name="ftn59">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXVI, S. 121-123; cap. XXXIII, S. 130.</ref> oder gar zu stürzen, so etwa den von Rodrigo durchaus positiv beschriebenen Hišam II.<ref name="ftn60">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXVII, S. 123-124.</ref> Mehrfach schmäht er die Berber (''Barbarii'') als „Barbaren“ (''barbari'')<ref name="ftn61">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXXIII, S. 130; cap. IXXXX, S. 137-138.</ref>, deren kollektive Unverschämtheit er in einem Kapitel unter dem Titel „Von den Unverschämtheiten der Berber“ ins Zentrum stellt (''de insolentiis Barbariorum'').<ref name="ftn62">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXVII, S. 123-124.</ref>  


Vor dem Hintergrund, dass ab dem 11. Jahrhundert mit den Almoraviden und den Almohaden zwei berberische Dynastien die Herrschaft über al-Andalus übernommen hatten, lässt sich die ''Historia Arabum'' nach Wolfram Drews auch als eine Art „Aussöhnung“ mit der Periode umayyadischer Herrschaft und als (nachgeschobene) Begründung für die christliche Eroberung muslimischer Territorien betrachten: Drews zufolge erlitt die Bevölkerung der Iberischen Halbinsel aus Rodrigos Perspektive wie einst die Christen des Westgotenreiches 92/711 durch den Einfall der Almoraviden und Almohaden erneut das Schicksal einer Fremdherrschaft. Die autochthonen Muslime und Christen hätten unter berberischer Herrschaft ein gemeinsames Schicksal der Fremdherrschaft geteilt und damit eine Gemeinschaft gegenüber den fremden Invasoren gebildet. Durch das Erlöschen eines verteidigungsfähigen umayyadischen Kalifats hätten die autochthonen, arabisch geprägten Muslime der Iberischen Halbinsel allerdings ihren Herrschaftsanspruch verloren. Da Spanien nicht den Berbern preisgegeben werden durfte, musste es nun von Christen verteidigt werden.<ref name="ftn63">Drews, ''Sarazenen'', S. 268.</ref>  
[§18] Vor dem Hintergrund, dass ab dem 11. Jahrhundert mit den Almoraviden und den Almohaden zwei berberische Dynastien die Herrschaft über al-Andalus übernommen hatten, lässt sich die ''Historia Arabum'' nach Wolfram Drews auch als eine Art „Aussöhnung“ mit der Periode umayyadischer Herrschaft und als (nachgeschobene) Begründung für die christliche Eroberung muslimischer Territorien betrachten: Drews zufolge erlitt die Bevölkerung der Iberischen Halbinsel aus Rodrigos Perspektive wie einst die Christen des Westgotenreiches 92/711 durch den Einfall der Almoraviden und Almohaden erneut das Schicksal einer Fremdherrschaft. Die autochthonen Muslime und Christen hätten unter berberischer Herrschaft ein gemeinsames Schicksal der Fremdherrschaft geteilt und damit eine Gemeinschaft gegenüber den fremden Invasoren gebildet. Durch das Erlöschen eines verteidigungsfähigen umayyadischen Kalifats hätten die autochthonen, arabisch geprägten Muslime der Iberischen Halbinsel allerdings ihren Herrschaftsanspruch verloren. Da Spanien nicht den Berbern preisgegeben werden durfte, musste es nun von Christen verteidigt werden.<ref name="ftn63">Drews, ''Sarazenen'', S. 268.</ref>  


Indem Rodrigo die umayyadische Herrschaft im Nachhinein als legitim anerkannte und die autochthonen Muslime in eine Art iberische Schicksalsgemeinschaft einbezog, war es Rodrigo möglich, den christlichen Eroberern eine neue Rolle zuzuweisen. Sie waren nun nicht nur Befreier mozarabischer Christen und Vergeltung übende Wiederhersteller westgotisch-christlicher Ordnung, sondern wurden auch zu Befreiern der autochthonen arabisch geprägten Muslime. Durch das nun christliche Steuerjoch wurden diese zwar ebenso untergeordnet wie einst die Christen und Juden, in dieser untergeordneten Rolle allerdings als Teil der gesamtspanischen Bevölkerung und Geschichte anerkannt und gewürdigt. Drews sieht in dieser Einbeziehung eine Art „Naturalisierung“ der iberischen Muslime. Durch das lange Zusammenleben auf der Iberischen Halbinsel hätten sich die religiösen Grenzen in einer Art protonationalen Identität teilweise aufgelöst, die in der ''Historia Arabum ''Niederschlag finde.<ref name="ftn64">Drews, ''Sarazenen'', S. 271.</ref>
[§19] Indem Rodrigo die umayyadische Herrschaft im Nachhinein als legitim anerkannte und die autochthonen Muslime in eine Art iberische Schicksalsgemeinschaft einbezog, war es Rodrigo möglich, den christlichen Eroberern eine neue Rolle zuzuweisen. Sie waren nun nicht nur Befreier mozarabischer Christen und Vergeltung übende Wiederhersteller westgotisch-christlicher Ordnung, sondern wurden auch zu Befreiern der autochthonen arabisch geprägten Muslime. Durch das nun christliche Steuerjoch wurden diese zwar ebenso untergeordnet wie einst die Christen und Juden, in dieser untergeordneten Rolle allerdings als Teil der gesamtspanischen Bevölkerung und Geschichte anerkannt und gewürdigt. Drews sieht in dieser Einbeziehung eine Art „Naturalisierung“ der iberischen Muslime. Durch das lange Zusammenleben auf der Iberischen Halbinsel hätten sich die religiösen Grenzen in einer Art protonationalen Identität teilweise aufgelöst, die in der ''Historia Arabum ''Niederschlag finde.<ref name="ftn64">Drews, ''Sarazenen'', S. 271.</ref>


Rodrigos gleichberechtigte Einbeziehung der Geschichte des umayyadischen al-Andalus in seine Gesamtgeschichte Spaniens lässt sich vielleicht vor dem Hintergrund erklären, dass Rodrigo einem friedlichen Zusammenleben verschiedener Religionsgruppen gegenüber nicht feindlich eingestellt war. Dies ergibt sich – trotz seiner judenfeindlichen Schrift und seines wohl eher polemisch motivierten Auftrags zur Übersetzung des Koran – aus seinen Kontakten zur jüdischen und muslimischen Gemeinde Toledos.<ref name="ftn65">Pick, ''Conflict'', S. 6.</ref> Prämisse hierfür scheint für ihn allerdings gewesen zu sein, dass diese ''convivencia'' in Form eines „hierarchisierten Religionspluralismus“ unter der Obhut der Kirche stattfand und dieser eine missionarische Wirksamkeit eröffnete.<ref name="ftn66">Pick, ''Conflict'', S. 127. Zum Begriff des „hierarchisierten Religionspluralismus“ vgl. König, Convivencia als hierarchisierter Religionspluralismus.</ref> Rodrigos Bemühen um Einbeziehung der autochthonen Muslime mag aber auch pragmatische Gründe gehabt haben: Im 13. Jahrhundert war die Anzahl der Muslime auf der Iberischen Halbinsel noch sehr groß. Um eine auf Dauer angelegte stabile christliche Herrschaft in den eroberten Gebieten zu etablieren, bedurfte es der Duldung auch durch die muslimische Bevölkerung. Vor diesem Hintergrund mag Rodrigo die Geschichte des umayyadischen al-Andalus bewusst in seine Gesamtgeschichte Spaniens eingefügt haben, um durch die Schaffung eines historisch verankerten und religionsübergreifenden „protonationalen“ Bewusstseins der christlichen Herrschaft über Muslime Legitimität zu verleihen.<ref name="ftn67">Drews, ''Sarazenen'', S. 265-266.</ref> Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass Rodrigo mit der Wahl der lateinischen Sprache eine Leserschaft ansprach, die weniger aus der einfachen, geschweige denn muslimischen Bevölkerung Kastiliens bestand, sondern wohl eher dem gebildeten kirchlichen Milieu zuzuweisen ist.
[§20] Rodrigos gleichberechtigte Einbeziehung der Geschichte des umayyadischen al-Andalus in seine Gesamtgeschichte Spaniens lässt sich vielleicht vor dem Hintergrund erklären, dass Rodrigo einem friedlichen Zusammenleben verschiedener Religionsgruppen gegenüber nicht feindlich eingestellt war. Dies ergibt sich – trotz seiner judenfeindlichen Schrift und seines wohl eher polemisch motivierten Auftrags zur Übersetzung des Koran – aus seinen Kontakten zur jüdischen und muslimischen Gemeinde Toledos.<ref name="ftn65">Pick, ''Conflict'', S. 6.</ref> Prämisse hierfür scheint für ihn allerdings gewesen zu sein, dass diese ''convivencia'' in Form eines „hierarchisierten Religionspluralismus“ unter der Obhut der Kirche stattfand und dieser eine missionarische Wirksamkeit eröffnete.<ref name="ftn66">Pick, ''Conflict'', S. 127. Zum Begriff des „hierarchisierten Religionspluralismus“ vgl. König, Convivencia als hierarchisierter Religionspluralismus.</ref> Rodrigos Bemühen um Einbeziehung der autochthonen Muslime mag aber auch pragmatische Gründe gehabt haben: Im 13. Jahrhundert war die Anzahl der Muslime auf der Iberischen Halbinsel noch sehr groß. Um eine auf Dauer angelegte stabile christliche Herrschaft in den eroberten Gebieten zu etablieren, bedurfte es der Duldung auch durch die muslimische Bevölkerung. Vor diesem Hintergrund mag Rodrigo die Geschichte des umayyadischen al-Andalus bewusst in seine Gesamtgeschichte Spaniens eingefügt haben, um durch die Schaffung eines historisch verankerten und religionsübergreifenden „protonationalen“ Bewusstseins der christlichen Herrschaft über Muslime Legitimität zu verleihen.<ref name="ftn67">Drews, ''Sarazenen'', S. 265-266.</ref> Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass Rodrigo mit der Wahl der lateinischen Sprache eine Leserschaft ansprach, die weniger aus der einfachen, geschweige denn muslimischen Bevölkerung Kastiliens bestand, sondern wohl eher dem gebildeten kirchlichen Milieu zuzuweisen ist.


Als vielschichtiges Werk steht die ''Historia Arabum'' damit im Spannungsfeld mehrerer Interessen. Durch das Verfassen einer eigenen Geschichte der arabischen Herrschaft wird deren Bedeutung auch für das zukünftige Spanien anerkannt, gleichzeitig wird diese Zeit damit aber auch als abgeschlossen markiert. Mit der Ausklammerung der Berber und der gleichberechtigten Integration der umayyadischen Periode in die gesamtspanische Geschichte diente die ''Historia Arabum'' auch dazu, die Notwendigkeit der ''Reconquista ''zu begründen. Der besondere Charakter dieses Werkes, der sich im religiös relativ neutralen Zugeständnis und der Anerkennung einer eigenen arabischen Geschichte der Iberischen Halbinsel manifestiert, wird dabei allerdings unter die Vorstellung einer neuen, neogotisch-kastilisch geprägten protospanischen Identitätskonstruktion subsumiert, die Religionspluralismus nur unter christlicher Hegemonie dulden kann. Durchdrungen ist diese Geschichtskonstruktion dabei auch von Rodrigos eigenem Interesse, die überragende Rolle Toledos für die gesamtspanische Geschichte in Wort und Tat herauszustellen. Seine Schrift erlaubt somit einen Einblick in das Leben und Denken eines Mannes, der sich als Diplomat, Erzbischof, Politiker, Militär und Historiker dem christlichen Wahrheitsanspruch, der Zurückdrängung muslimischer (insbesondere berberischer) Herrschaft und der kastilisch-toledanischen Führungsrolle verpflichtet fühlte, gleichzeitig aber bereit war, unter weitgehendem Verzicht auf religiöse Polemik eine historische Phase muslimischer Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel als erinnerungswürdige Periode und als vollwertigen Teil einer gesamtspanischen Geschichte anzuerkennen.|6=Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Francisco Antonio de Lorenzana y Butrón (SS.PP. I), Madrid: Ioachimum Ibarra, 1793, S. 242-283.
[§21] Als vielschichtiges Werk steht die ''Historia Arabum'' damit im Spannungsfeld mehrerer Interessen. Durch das Verfassen einer eigenen Geschichte der arabischen Herrschaft wird deren Bedeutung auch für das zukünftige Spanien anerkannt, gleichzeitig wird diese Zeit damit aber auch als abgeschlossen markiert. Mit der Ausklammerung der Berber und der gleichberechtigten Integration der umayyadischen Periode in die gesamtspanische Geschichte diente die ''Historia Arabum'' auch dazu, die Notwendigkeit der ''Reconquista ''zu begründen. Der besondere Charakter dieses Werkes, der sich im religiös relativ neutralen Zugeständnis und der Anerkennung einer eigenen arabischen Geschichte der Iberischen Halbinsel manifestiert, wird dabei allerdings unter die Vorstellung einer neuen, neogotisch-kastilisch geprägten protospanischen Identitätskonstruktion subsumiert, die Religionspluralismus nur unter christlicher Hegemonie dulden kann. Durchdrungen ist diese Geschichtskonstruktion dabei auch von Rodrigos eigenem Interesse, die überragende Rolle Toledos für die gesamtspanische Geschichte in Wort und Tat herauszustellen. Seine Schrift erlaubt somit einen Einblick in das Leben und Denken eines Mannes, der sich als Diplomat, Erzbischof, Politiker, Militär und Historiker dem christlichen Wahrheitsanspruch, der Zurückdrängung muslimischer (insbesondere berberischer) Herrschaft und der kastilisch-toledanischen Führungsrolle verpflichtet fühlte, gleichzeitig aber bereit war, unter weitgehendem Verzicht auf religiöse Polemik eine historische Phase muslimischer Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel als erinnerungswürdige Periode und als vollwertigen Teil einer gesamtspanischen Geschichte anzuerkennen.|6=Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Francisco Antonio de Lorenzana y Butrón (SS.PP. I), Madrid: Ioachimum Ibarra, 1793, S. 242-283.


Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. José Lozano Sánchez, Sevilla: Publicaciones de la Universidad, ²1993.
Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. José Lozano Sánchez, Sevilla: Publicaciones de la Universidad, ²1993.
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