1071-1072: Wilhelm von Apulien über die normannische Eroberung Palermos: Unterschied zwischen den Versionen

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[§12] Neben dem Umgang mit der Bevölkerung legen alle lateinischen Quellen ein besonderes Augenmerk auf die im Quellenexzerpt genannte Marienkirche, welche den Triumph des Christentums über die vormals islamische Hauptstadt symbolisiert. Es ist dabei nicht zufällig, dass diese Kirche dort lokalisiert wird, wo sich zuvor die Hauptmoschee der Stadt befunden haben soll. Wilhelm von Apulien zufolge soll diese Moschee von Guiskard zerstört und das Gotteshaus für die heilige Jungfrau neu errichtet worden sein. Bei Gaufredus Malaterra und Amatus von Montecassino gewinnt man hingegen den Eindruck, dass eine Transformation des Gebäudes stattfand, indem die ehemalige Moschee durch Gottesdienstfeierlichkeiten „gereinigt“ bzw. geweiht und vielleicht in Teilen umgestaltet wurde. Angesichts der Ressourcenfrage, die sich für die unmittelbare Phase nach der fünfmonatigen Belagerung stellt, scheint dies die überzeugendere Darstellung.<ref name="ftn21">Anderer Ansicht ist Longo, Norman Cathedral.</ref> Es unterstreicht außerdem das Selbstverständnis der Normannen, Wiederhersteller und nicht Begründer des christlichen Glaubens in Sizilien zu sein. So wird die Moschee in der Parallelüberlieferung denn auch als ehemalige Kirche der Stadt und sogar als erzbischöflicher Sitz identifiziert. Diese Deutung stimmt überdies mit den arabischen Quellen des 10. und 11. Jahrhunderts überein, die den Standort der Moschee, wenn nicht gar das Gebäude selbst, mit der Basilika der byzantinischen Stadt gleichsetzen.<ref name="ftn22">Amatus Casinensis, ''Historia Normannorum'', ed. Guéret-Laferté, lib. 6, cap. 19, S. 431-432; Ibn Ḥawqal, ''Kitāb ṣūrat al-arḍ'', ed. von Michael J. De Goeje, bearb. von Johannes H. Kramers (Bibliotheca geographorum Arabicorum 2a), Leipzig: Harrasowitz, 1938, S. 119; Al-Muqaddasī, ''Kitāb Aḥsan at-taqāsīm fī maʿrifat al-aqālīm'', ed. Michael J. De Goeje (Bibliotheca geographorum Arabicorum 3), Leiden: Brill, 1877, S. 225.</ref> Sowohl Malaterra und Amatus als auch die urkundliche Überlieferung zeugen davon, dass die Eroberer unmittelbar nach der Einnahme der Stadt einen Erzbischof in die Moschee-Kathedrale eingesetzt haben, um den christlichen Glauben zu „restaurieren“. Dafür nahmen sie einen lokalen Geistlichen, der eigentlich Grieche war und unter islamischer Herrschaft in einem Dorf nahe der Hauptstadt gedient hatte. Damit wurde das erste Erzbistum unter normannischer Herrschaft bzw. in der nachislamischen Zeit auf Sizilien etabliert. Vom Papst im Amt bestätigt, wurde der Grieche Nikodemos erst in den späteren 1080ern durch einen Lateiner ersetzt.<ref name="ftn23">Gaufredus Malatera, ''De rebus gestis'','' ''ed. Lucas-Avenel, lib. 2, cap. 45, S. 387; ''Documenti latini e greci del conte Ruggero I di Calabria e Sicilia'', ed. Julia Becker (Ricerche dell’Istituto Storico Germanico di Roma 9), Rom: Viella, 2013, Nr. 27, S. 125-126; Becker, ''Roger I''., S. 68-172.</ref>  
[§12] Neben dem Umgang mit der Bevölkerung legen alle lateinischen Quellen ein besonderes Augenmerk auf die im Quellenexzerpt genannte Marienkirche, welche den Triumph des Christentums über die vormals islamische Hauptstadt symbolisiert. Es ist dabei nicht zufällig, dass diese Kirche dort lokalisiert wird, wo sich zuvor die Hauptmoschee der Stadt befunden haben soll. Wilhelm von Apulien zufolge soll diese Moschee von Guiskard zerstört und das Gotteshaus für die heilige Jungfrau neu errichtet worden sein. Bei Gaufredus Malaterra und Amatus von Montecassino gewinnt man hingegen den Eindruck, dass eine Transformation des Gebäudes stattfand, indem die ehemalige Moschee durch Gottesdienstfeierlichkeiten „gereinigt“ bzw. geweiht und vielleicht in Teilen umgestaltet wurde. Angesichts der Ressourcenfrage, die sich für die unmittelbare Phase nach der fünfmonatigen Belagerung stellt, scheint dies die überzeugendere Darstellung.<ref name="ftn21">Anderer Ansicht ist Longo, Norman Cathedral.</ref> Es unterstreicht außerdem das Selbstverständnis der Normannen, Wiederhersteller und nicht Begründer des christlichen Glaubens in Sizilien zu sein. So wird die Moschee in der Parallelüberlieferung denn auch als ehemalige Kirche der Stadt und sogar als erzbischöflicher Sitz identifiziert. Diese Deutung stimmt überdies mit den arabischen Quellen des 10. und 11. Jahrhunderts überein, die den Standort der Moschee, wenn nicht gar das Gebäude selbst, mit der Basilika der byzantinischen Stadt gleichsetzen.<ref name="ftn22">Amatus Casinensis, ''Historia Normannorum'', ed. Guéret-Laferté, lib. 6, cap. 19, S. 431-432; Ibn Ḥawqal, ''Kitāb ṣūrat al-arḍ'', ed. von Michael J. De Goeje, bearb. von Johannes H. Kramers (Bibliotheca geographorum Arabicorum 2a), Leipzig: Harrasowitz, 1938, S. 119; Al-Muqaddasī, ''Kitāb Aḥsan at-taqāsīm fī maʿrifat al-aqālīm'', ed. Michael J. De Goeje (Bibliotheca geographorum Arabicorum 3), Leiden: Brill, 1877, S. 225.</ref> Sowohl Malaterra und Amatus als auch die urkundliche Überlieferung zeugen davon, dass die Eroberer unmittelbar nach der Einnahme der Stadt einen Erzbischof in die Moschee-Kathedrale eingesetzt haben, um den christlichen Glauben zu „restaurieren“. Dafür nahmen sie einen lokalen Geistlichen, der eigentlich Grieche war und unter islamischer Herrschaft in einem Dorf nahe der Hauptstadt gedient hatte. Damit wurde das erste Erzbistum unter normannischer Herrschaft bzw. in der nachislamischen Zeit auf Sizilien etabliert. Vom Papst im Amt bestätigt, wurde der Grieche Nikodemos erst in den späteren 1080ern durch einen Lateiner ersetzt.<ref name="ftn23">Gaufredus Malatera, ''De rebus gestis'','' ''ed. Lucas-Avenel, lib. 2, cap. 45, S. 387; ''Documenti latini e greci del conte Ruggero I di Calabria e Sicilia'', ed. Julia Becker (Ricerche dell’Istituto Storico Germanico di Roma 9), Rom: Viella, 2013, Nr. 27, S. 125-126; Becker, ''Roger I''., S. 68-172.</ref>  


[§13] Neben der Kirche wurde in die Stadtstruktur, so Wilhelm von Apulien, durch die Errichtung oder Befestigung von Kastellen eingegriffen. Diese sollten der Verteidigung der noch jungen und empfindlichen Herrschaft einer kleinen Elite in der überwiegend muslimischen Metropole dienen. Wilhelm verweist darauf mit der Bemerkung, dass die Kastelle den zurückbleibenden Getreuen Guiskards Schutz vor der sizilischen Bevölkerung gaben. Durch andere Quellen können diese Kastelle näher lokalisiert werden: Eines befand sich am Palermitaner Hafen und eines auf der ehemaligen Akropolis der Stadt.<ref name="ftn24">Jäckh, Space and Place, S. 72-79.</ref> Den in Palermo stationierten Truppen sollte nach Abzug des Herzogs ein Soldat vorstehen, der den Titel ''amiratus'' erhielt. Dank einiger Urkunden kann er als Petrus Vidonis/ Bidonis identifiziert werden.<ref name="ftn25">Ménager, ''Amiratus'', S. 23-26 und S. 181-184;'' Documenti latini e greci'', ed. Becker, Nr. 6, S. 53-55; Becker, ''Roger I''., S. 168-172.</ref> Dass dieser Titel eine latinisierte Form des Arabischen ist, wurde bereits erwähnt. Bemerkenswert ist außerdem, dass Wilhelm mit diesem Titel offenbar die Herrschaft oder Aufsicht über die Stadt Palermo verbindet. Dies ließe vermuten, dass nicht nur der Titel, sondern auch die mit dem Ort behaftete Bedeutung Palermos als Hauptstadt von den Muslimen übernommen wurde. Nach Petrus Vidonis lag das Amt des ''amiratus'' für mehrere Jahrzehnte in der Hand arabischsprachiger Griechen, die maßgeblich dafür verantwortlich waren, die normannische Verwaltung in Sizilien nach Gepflogenheiten der fatimidischen Verwaltungspraxis aufzuziehen.<ref name="ftn26">Johns, ''Arabic Administration''.</ref> So wurden königliche Dokumente in Sizilien bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts häufig und bis zur Zeit Friedrichs II. vereinzelt auf Arabisch ausgestellt. Mit Arabisch als Sprache der normannisch-sizilischen Herrscher wurde aber auch schon in den Monaten nach der Einnahme Palermos experimentiert, als dort Münzen (''ṭarī'') mit arabischen Herrschertitulaturen für Robert Guiskard und Roger I. geprägt wurden. Diese weisen eine Mischform islamischer Ehrentitel mit der arabischen Transliteration lateinischer Titel auf (''al-dūqat'' für ''dux'', ''al-qūmis'' für ''comes'')<ref name="ftn27">Johns, Titoli arabi. </ref> und beinhalten bisweilen auch den ersten Teil des islamischen Glaubensbekenntnisses (''šahada''), welches den Monotheismus beschwört (''Lā ilāha illā ʾllāh'', „Es gibt keinen Gott außer Gott“), nicht aber Muḥammad als Gesandten bzw. Propheten ehrt (''Muḥammadun rasūlu ʾllāh'', „Muḥammad ist der Gesandte Gottes“). Sowohl die Münzprägung als auch die Arabisierung der Titulaturen lassen auf die unmittelbar an die Eroberung anschließende Repräsentation der neuen Herrscher schließen.  
[§13] Neben der Kirche wurde in die Stadtstruktur, so Wilhelm von Apulien, durch die Errichtung oder Befestigung von Kastellen eingegriffen. Diese sollten der Verteidigung der noch jungen und empfindlichen Herrschaft einer kleinen Elite in der überwiegend muslimischen Metropole dienen. Wilhelm verweist darauf mit der Bemerkung, dass die Kastelle den zurückbleibenden Getreuen Guiskards Schutz vor der sizilischen Bevölkerung gaben. Durch andere Quellen können diese Kastelle näher lokalisiert werden: Eines befand sich am Palermitaner Hafen und eines auf der ehemaligen Akropolis der Stadt.<ref name="ftn24">Jäckh, Space and Place, S. 72-79.</ref> Den in Palermo stationierten Truppen sollte nach Abzug des Herzogs ein Soldat vorstehen, der den Titel ''amiratus'' erhielt. Dank einiger Urkunden kann er als Petrus Vidonis/ Bidonis identifiziert werden.<ref name="ftn25">Ménager, ''Amiratus'', S. 23-26 und S. 181-184;'' Documenti latini e greci'', ed. Becker, Nr. 6, S. 53-55; Becker, ''Roger I''., S. 168-172.</ref> Dass dieser Titel eine latinisierte Form des Arabischen ist, wurde bereits erwähnt. Bemerkenswert ist außerdem, dass Wilhelm mit diesem Titel offenbar die Herrschaft oder Aufsicht über die Stadt Palermo verbindet. Dies ließe vermuten, dass nicht nur der Titel, sondern auch die mit dem Ort behaftete Bedeutung Palermos als Hauptstadt von den Muslimen übernommen wurde. Nach Petrus Vidonis lag das Amt des ''amiratus'' für mehrere Jahrzehnte in der Hand arabischsprachiger Griechen, die maßgeblich dafür verantwortlich waren, die normannische Verwaltung in Sizilien nach Gepflogenheiten der fatimidischen Verwaltungspraxis aufzuziehen.<ref name="ftn26">Johns, ''Arabic Administration''.</ref> So wurden königliche Dokumente in Sizilien bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts häufig und bis zur Zeit Friedrichs II. vereinzelt auf Arabisch ausgestellt. Mit Arabisch als Sprache der normannisch-sizilischen Herrscher wurde aber auch schon in den Monaten nach der Einnahme Palermos experimentiert, als dort Münzen (''ṭarī'') mit arabischen Herrschertitulaturen für Robert Guiskard und Roger I. geprägt wurden. Diese weisen eine Mischform arabisch-islamischer Titel mit der arabischen Transliteration lateinischer Titel auf (''al-dūqat'' für ''dux'', ''al-qūmis'' für ''comes'')<ref name="ftn27">Johns, Titoli arabi. </ref> und beinhalten auch das islamische Glaubensbekenntnis (''šahada''). Sowohl die Münzprägung als auch die Arabisierung der Titulaturen lassen auf die unmittelbar an die Eroberung anschließende Repräsentation der neuen Herrscher schließen.  


[§14] Von Relevanz sind schließlich auch die erwähnten Gefangenen aus Palermo, die Guiskard mit sich nach Apulien geführt haben soll. Jenen Geiseln wurde von der Forschung bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt, da sie von Wilhelm von Apulien zum einen nicht näher identifiziert werden und man zum anderen überwiegend davon ausging, dass in Palermo zum Zeitpunkt der Eroberung ohnehin keine politische Führung mehr aktiv war. Einige judäo-arabische Dokumente aus der Kairener Geniza lassen aber vermuten, dass die Geschicke Palermos in den letzten Jahren vor der Einnahme durch die Normannen von einem städtischen Rat (''šūrā'') gelenkt wurden, dem wiederum Repräsentanten und Anführer vorstanden.<ref name="ftn28">Al-Nuwayrī, ''Nihāyat al-arab fī funūn al-adab'', ed. by Naǧīb Muṣṭafā Fawwāz and Ḥikmat Kašlī Fawwāz, vol. 24, Beirut: Dār al-Kutub al-ʿIilmīyat, 2004, S. 498; Nef, Islamic Palermo, S. 49-51, bes. Fußnote 57 S. 50.</ref> Dies würde auch mit den von Malaterra erwähnten ''primores'' zusammenpassen, welche die Übergabe Palermos verhandelten, sowie mit den von Amatus beschriebenen Führern (''cayte'', vom Arabischen ''al-qāʾid''), welche die Normannen in die Stadt geleitet haben sollen. Wie bereits erwähnt, beschrieb Amatus von Montecassino die Gefangenen als Söhne der wichtigsten Familien der ganzen Region. Dieser Hinweis ließe darauf schließen, dass der Herzog gezielt versuchte, jene militärisch-politischen sowie symbolisch-autoritativen Personen(gruppen) der Stadt und ihrer Umgebung zu entfernen, die in Zukunft womöglich gegen ihn rebellieren könnten.  
[§14] Von Relevanz sind schließlich auch die erwähnten Gefangenen aus Palermo, die Guiskard mit sich nach Apulien geführt haben soll. Jenen Geiseln wurde von der Forschung bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt, da sie von Wilhelm von Apulien zum einen nicht näher identifiziert werden und man zum anderen überwiegend davon ausging, dass in Palermo zum Zeitpunkt der Eroberung ohnehin keine politische Führung mehr aktiv war. Einige judäo-arabische Dokumente aus der Kairener Geniza lassen aber vermuten, dass die Geschicke Palermos in den letzten Jahren vor der Einnahme durch die Normannen von einem städtischen Rat (''šūrā'') gelenkt wurden, dem wiederum Repräsentanten und Anführer vorstanden.<ref name="ftn28">Al-Nuwayrī, ''Nihāyat al-arab fī funūn al-adab'', ed. by Naǧīb Muṣṭafā Fawwāz and Ḥikmat Kašlī Fawwāz, vol. 24, Beirut: Dār al-Kutub al-ʿIilmīyat, 2004, S. 498; Nef, Islamic Palermo, S. 49-51, bes. Fußnote 57 S. 50.</ref> Dies würde auch mit den von Malaterra erwähnten ''primores'' zusammenpassen, welche die Übergabe Palermos verhandelten, sowie mit den von Amatus beschriebenen Führern (''cayte'', vom Arabischen ''al-qāʾid''), welche die Normannen in die Stadt geleitet haben sollen. Wie bereits erwähnt, beschrieb Amatus von Montecassino die Gefangenen als Söhne der wichtigsten Familien der ganzen Region. Dieser Hinweis ließe darauf schließen, dass der Herzog gezielt versuchte, jene militärisch-politischen sowie symbolisch-autoritativen Personen(gruppen) der Stadt und ihrer Umgebung zu entfernen, die in Zukunft womöglich gegen ihn rebellieren könnten.  
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