1009: Adémar von Chabannes über die Zerstörung der Grabeskirche zu Jerusalem: Unterschied zwischen den Versionen

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{{Kapitel LAT-DE TAB-4|Johannes Georg Stolk und Theresa Jäckh|Adémar de Chabannes: Chronicon (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis 129), ed. Pascale Bourgain, Turnhout: Brepols, 1999, lib. 3, cap. 47, S. 166-167, übers. von Johannes Georg Stolk.|5=== Autor/in & Werk ==
{{Kapitel LAT-DE TAB-4|Johannes Georg Stolk und Theresa Jäckh|Adémar de Chabannes: Chronicon (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis 129), ed. Pascale Bourgain, Turnhout: Brepols, 1999, lib. 3, cap. 47, S. 166-167, übers. von Johannes Georg Stolk.|5=== Autor/in & Werk ==


Adémar von Chabannes wurde um 989 in eine Familie des niederen Adels aus der gleichnamigen Ortschaft Chabannes in Aquitanien geboren. Im Alter von sieben Jahren trat er in das Kloster Saint-Cybard d’Angoulême ein, wechselte im Jahr 1007 aber in die Abtei Saint-Martial in Limoges, wo er sein Noviziat beendete.<ref name="ftn1">Landes, Relics, S. 85.</ref> 1014 empfing er die Priesterweihe in Saint-Cybard. Dort begann er einige Jahre später auch mit der Materialsammlung für seine Chronik, aus der die hier zitierte Textpassage entstammt.<ref name="ftn2">Adémar de Chabannes, Chronique, übers. Chauvin/ Pon, S. 11.</ref>  
[§1] Adémar von Chabannes wurde um 989 in eine Familie des niederen Adels aus der gleichnamigen Ortschaft Chabannes in Aquitanien geboren. Im Alter von sieben Jahren trat er in das Kloster Saint-Cybard d’Angoulême ein, wechselte im Jahr 1007 aber in die Abtei Saint-Martial in Limoges, wo er sein Noviziat beendete.<ref name="ftn1">Landes, Relics, S. 85.</ref> 1014 empfing er die Priesterweihe in Saint-Cybard. Dort begann er einige Jahre später auch mit der Materialsammlung für seine Chronik, aus der die hier zitierte Textpassage entstammt.<ref name="ftn2">Adémar de Chabannes, Chronique, übers. Chauvin/ Pon, S. 11.</ref>  


Ab etwa 1028 war Adémar Anhänger einer lokalen Bewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, den Schutzpatron des Klosters, Saint-Martial von Limoges (gest. im 3. Jh.), zum Apostel Christi zu erklären. Im Rahmen dessen verfasste Adémar zwei Schriften, mit denen er zum einen die Lebensdaten Martials in die gemutmaßte Lebenszeit Jesu Christi verlegte (''Commemoratio abbatum sanctis Martialis'') und zum anderen das Apostolat des Heiligen in Form eines gefälschten päpstlichen Briefes bestätigte (''Epistola de apostelatu sancti Martialis''). Neben diesen (pseudo-)hagiographischen Texten hat Adémar von Chabannes Predigten, kleinere geistliche Schriften und unzählige Kopien und Illustrationen zu den Fabeln des Phaedrus (gest. im 1. Jh.) angefertigt.<ref name="ftn3">Adémar de Chabannes, Opera omnia. Ps. 2: opera liturgica et poetica musica cum textibus, 2 Bde. (Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis 245-245A), ed. James Grier, Turnhout: Brepols, 2012.</ref> Von Bedeutung ist außerdem sein Beitrag zur sogenannten St.-Martial-Schule, die sich um die Abtei von Limoges formierte und für ihre ein- und mehrstimmigen Musikkompositionen bekannt ist.<ref name="ftn4">Grier, Adémar.</ref>
[§2] Ab etwa 1028 war Adémar Anhänger einer lokalen Bewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, den Schutzpatron des Klosters, Saint-Martial von Limoges (gest. im 3. Jh.), zum Apostel Christi zu erklären. Im Rahmen dessen verfasste Adémar zwei Schriften, mit denen er zum einen die Lebensdaten Martials in die gemutmaßte Lebenszeit Jesu Christi verlegte (''Commemoratio abbatum sanctis Martialis'') und zum anderen das Apostolat des Heiligen in Form eines gefälschten päpstlichen Briefes bestätigte (''Epistola de apostelatu sancti Martialis''). Neben diesen (pseudo-)hagiographischen Texten hat Adémar von Chabannes Predigten, kleinere geistliche Schriften und unzählige Kopien und Illustrationen zu den Fabeln des Phaedrus (gest. im 1. Jh.) angefertigt.<ref name="ftn3">Adémar de Chabannes, Opera omnia. Ps. 2: opera liturgica et poetica musica cum textibus, 2 Bde. (Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis 245-245A), ed. James Grier, Turnhout: Brepols, 2012.</ref> Von Bedeutung ist außerdem sein Beitrag zur sogenannten St.-Martial-Schule, die sich um die Abtei von Limoges formierte und für ihre ein- und mehrstimmigen Musikkompositionen bekannt ist.<ref name="ftn4">Grier, Adémar.</ref>


Sein bedeutendstes Werk ist aber die bereits erwähnte Chronik, die als ''Chronicon'' oder ''Historia'' überliefert ist. Diese ist in drei Bücher aufgeteilt, welche die fränkische Geschichte in Aquitanien von ihren Anfängen bis in die Lebzeit Adémars beschreiben. Dafür behandelt er im ersten Buch die Ursprünge des karolingischen Geschlechts, die er der römischen Tradition folgend auf Troja zurückführt, bis hin zum Tod Pippins (regn. 751-768). Das zweite Buch konzentriert sich auf die Herrschaft Karls des Großen (regn. 768-814). Das dritte Buch deckt die Zeit von dessen Tod bis 1029 ab. Der Wert der Chronik liegt besonders im dritten Buch, während die ersten beiden Bücher überwiegend eine Kompilation darstellen.<ref name="ftn5">Adémar de Chabannes, Chronique, übers. Chauvin/ Pon, S. 17.</ref> So sind die ersten 51 Kapitel des ersten Buches beispielsweise dem ''Liber Historiae Francorum'' entliehen, für die übrigen Kapitel des ersten und zweiten Buches bediente sich Adémar anderer Werke wie der Fortsetzung der Fredegar-Chroniken oder der ''Annales regni Francorum''.<ref name="ftn6">Adémar de Chabannes, Chronique, übers. Chauvin/ Pon, S. 18-19.</ref> Erst ab dem 16. Kapitel des dritten Buches bzw. in der Zeit nach 830 enthält die Chronik originelles Material.  
[§3] Sein bedeutendstes Werk ist aber die bereits erwähnte Chronik, die als ''Chronicon'' oder ''Historia'' überliefert ist. Diese ist in drei Bücher aufgeteilt, welche die fränkische Geschichte in Aquitanien von ihren Anfängen bis in die Lebzeit Adémars beschreiben. Dafür behandelt er im ersten Buch die Ursprünge des karolingischen Geschlechts, die er der römischen Tradition folgend auf Troja zurückführt, bis hin zum Tod Pippins (regn. 751-768). Das zweite Buch konzentriert sich auf die Herrschaft Karls des Großen (regn. 768-814). Das dritte Buch deckt die Zeit von dessen Tod bis 1029 ab. Der Wert der Chronik liegt besonders im dritten Buch, während die ersten beiden Bücher überwiegend eine Kompilation darstellen.<ref name="ftn5">Adémar de Chabannes, Chronique, übers. Chauvin/ Pon, S. 17.</ref> So sind die ersten 51 Kapitel des ersten Buches beispielsweise dem ''Liber Historiae Francorum'' entliehen, für die übrigen Kapitel des ersten und zweiten Buches bediente sich Adémar anderer Werke wie der Fortsetzung der Fredegar-Chroniken oder der ''Annales regni Francorum''.<ref name="ftn6">Adémar de Chabannes, Chronique, übers. Chauvin/ Pon, S. 18-19.</ref> Erst ab dem 16. Kapitel des dritten Buches bzw. in der Zeit nach 830 enthält die Chronik originelles Material.  


Adémars Werk ist geprägt von der zu seiner Zeit weit verbreiteten Endzeiterwartung. Die Forschung nimmt sogar an, dass Adémars Beschäftigung mit Geschichte und Chronographie darauf abzielte, genaueres Wissen über das Kommen der Apokalypse und des Antichristen zu gewinnen, die für die Jahre zwischen 1025 und 1037 erwartet wurden.<ref name="ftn7">Landes Relics, S. 125, 287.</ref> Mit der Niederschrift der Chronik begann Adémar vermutlich um 1025. Ein erster „Entwurf“, in der hier verwendeten Edition als ''Alpha ''bezeichnet, datiert auf 1026/1027. Ihm folgte die Version ''Beta'', die Adémar 1028 in Angoulême zusammentrug.<ref name="ftn8">Adémar de Chabannes, Chronique, übers. Chauvin/ Pon, S. 15.</ref> Die Version ''Gamma'', das ausführlichste Manuskript, wurde wahrscheinlich 1029 fertiggestellt.<ref name="ftn9">Landes, Relics, S. 217-221.</ref> 1033 brach Adémar zu einer Pilgerreise nach Jerusalem auf, um das Ende der Welt im Schutze Gottes zu erleben.<ref name="ftn10">Landes, Relics, S. 326-327.</ref> Seine Werke hatte er zuvor abgeschlossen und in der Abtei von Limoges zurückgelassen.<ref name="ftn11">Landes, Relics, S. 324-327, 315.</ref> 1034 verstarb Adémar von Chabannes vermutlich in der Nähe von Jerusalem.
[§4] Adémars Werk ist geprägt von der zu seiner Zeit weit verbreiteten Endzeiterwartung. Die Forschung nimmt sogar an, dass Adémars Beschäftigung mit Geschichte und Chronographie darauf abzielte, genaueres Wissen über das Kommen der Apokalypse und des Antichristen zu gewinnen, die für die Jahre zwischen 1025 und 1037 erwartet wurden.<ref name="ftn7">Landes Relics, S. 125, 287.</ref> Mit der Niederschrift der Chronik begann Adémar vermutlich um 1025. Ein erster „Entwurf“, in der hier verwendeten Edition als ''Alpha ''bezeichnet, datiert auf 1026/1027. Ihm folgte die Version ''Beta'', die Adémar 1028 in Angoulême zusammentrug.<ref name="ftn8">Adémar de Chabannes, Chronique, übers. Chauvin/ Pon, S. 15.</ref> Die Version ''Gamma'', das ausführlichste Manuskript, wurde wahrscheinlich 1029 fertiggestellt.<ref name="ftn9">Landes, Relics, S. 217-221.</ref> 1033 brach Adémar zu einer Pilgerreise nach Jerusalem auf, um das Ende der Welt im Schutze Gottes zu erleben.<ref name="ftn10">Landes, Relics, S. 326-327.</ref> Seine Werke hatte er zuvor abgeschlossen und in der Abtei von Limoges zurückgelassen.<ref name="ftn11">Landes, Relics, S. 324-327, 315.</ref> 1034 verstarb Adémar von Chabannes vermutlich in der Nähe von Jerusalem.


== Inhalt & Quellenkontext ==
== Inhalt & Quellenkontext ==
Die vorliegende Quellenstelle entstammt der Chronik Adémars, genauer gesagt dem 47. Kapitel des dritten Buches, und behandelt die Zerstörung der Grabeskirche in Jerusalem. Dieses Ereignis wird im einleitenden Satz auf die dritten Kalenden des Oktobers (= 29. September) 1010 datiert, wobei aus anderen Quellen hervorgeht, dass sich die Zerstörung schon im Vorjahr zugetragen hatte.<ref name="ftn12">Vgl. zu den unterschiedlichen Datierungen in den Quellen Krönung, al-Ḥākim, S. 140; Weltecke, Zerstörung, S. 267.</ref> Als Täter nennt Adémar noch im selben Atemzug „die Juden und Sarazenen“. Die eigentliche Erzählung beginnt dann damit, dass Adémar die Ursache der Zerstörung erläutert: „Die westlichen Juden“ und „die Sarazenen Spaniens“ hätten Sendschreiben in den Orient geschickt und darin behauptet, dass „die Franken“ mit der Aushebung eines Heeres zur Besetzung der „sarazenischen Länder im Orient“ beschäftigt seien. Ob dieser Kunde sei der „Nebukadnezar von Babylon“ in großen Zorn geraten und habe auf Rache an den Christen gesonnen. Mit dem „Nebukadnezar von Babylon“ ist, wie sich aus den historischen Umständen schließen lässt, der fatimidische Kalif al-Ḥākim (regn. 386-411/996-1021) gemeint, den Adémar wohl in Anlehnung an die im Alten Testament beschriebenen Könige Babylons mit dem Namen Nebukadnezar belehnt.<ref name="ftn13">Adémar de Chabannes, Chronique, übers. Chauvin / Pon , S. 259.</ref> Babylon hingegen war in lateinischen Quellen eine gängige Bezeichnung sowohl für die abbasidische Hauptstadt Bagdad (nahe des biblischen Babylon am Euphrat) als auch, wie hier, für die fatimidische Hauptstadt Kairo (nahe der römischen Militärfestung Babylon, des späteren al-Fusṭāṭ bzw. Alt-Kairos). Weiter weiß Adémar zu berichten, dass der Herrscher als ''Admiratus'' bezeichnet worden sei, was entweder wörtlich mit „der Bewunderte“ übersetzt oder aber als eine Latinisierung des arabisch-islamischen Titels ''amīr'' gedeutet werden könnte, was „Befehlshaber“ oder „Herrscher“ heißen kann, in der erweiterten Form ''amīr al-muʾminīn'' (Befehlshaber der Gläubigen) aber auch den Titel des Kalifen darstellt.<ref name="ftn14">Vgl. Al-Dūrī, Amīr; Hamilton, Amīr al-Muʾminīn.</ref>
[§5] Die vorliegende Quellenstelle entstammt der Chronik Adémars, genauer gesagt dem 47. Kapitel des dritten Buches, und behandelt die Zerstörung der Grabeskirche in Jerusalem. Dieses Ereignis wird im einleitenden Satz auf die dritten Kalenden des Oktobers (= 29. September) 1010 datiert, wobei aus anderen Quellen hervorgeht, dass sich die Zerstörung schon im Vorjahr zugetragen hatte.<ref name="ftn12">Vgl. zu den unterschiedlichen Datierungen in den Quellen Krönung, al-Ḥākim, S. 140; Weltecke, Zerstörung, S. 267.</ref> Als Täter nennt Adémar noch im selben Atemzug „die Juden und Sarazenen“. Die eigentliche Erzählung beginnt dann damit, dass Adémar die Ursache der Zerstörung erläutert: „Die westlichen Juden“ und „die Sarazenen Spaniens“ hätten Sendschreiben in den Orient geschickt und darin behauptet, dass „die Franken“ mit der Aushebung eines Heeres zur Besetzung der „sarazenischen Länder im Orient“ beschäftigt seien. Ob dieser Kunde sei der „Nebukadnezar von Babylon“ in großen Zorn geraten und habe auf Rache an den Christen gesonnen. Mit dem „Nebukadnezar von Babylon“ ist, wie sich aus den historischen Umständen schließen lässt, der fatimidische Kalif al-Ḥākim (regn. 386-411/996-1021) gemeint, den Adémar wohl in Anlehnung an die im Alten Testament beschriebenen Könige Babylons mit dem Namen Nebukadnezar belehnt.<ref name="ftn13">Adémar de Chabannes, Chronique, übers. Chauvin / Pon , S. 259.</ref> Babylon hingegen war in lateinischen Quellen eine gängige Bezeichnung sowohl für die abbasidische Hauptstadt Bagdad (nahe des biblischen Babylon am Euphrat) als auch, wie hier, für die fatimidische Hauptstadt Kairo (nahe der römischen Militärfestung Babylon, des späteren al-Fusṭāṭ bzw. Alt-Kairos). Weiter weiß Adémar zu berichten, dass der Herrscher als ''Admiratus'' bezeichnet worden sei, was entweder wörtlich mit „der Bewunderte“ übersetzt oder aber als eine Latinisierung des arabisch-islamischen Titels ''amīr'' gedeutet werden könnte, was „Befehlshaber“ oder „Herrscher“ heißen kann, in der erweiterten Form ''amīr al-muʾminīn'' (Befehlshaber der Gläubigen) aber auch den Titel des Kalifen darstellt.<ref name="ftn14">Vgl. Al-Dūrī, Amīr; Hamilton, Amīr al-Muʾminīn.</ref>


In Reaktion auf den Inhalt der Briefe und die darin hervorbeschworene Bedrohung durch eine fränkische Armee habe der Kalif den Befehl erlassen, dass alle Christen in seinem Herrschaftsbereich „zu Sarazenen werden“ (''fieri Sarraceni'', d.h. den Islam annehmen) oder aber enteignet oder getötet werden sollten. Adémar hebt an dieser Stelle hervor, dass mit Ausnahme des Patriarchen von Jerusalem und zweier junger Brüder in Ägypten keiner würdig gewesen sei, für Christus zu sterben, was heißen soll, dass die meisten Christen die Konversion, diese drei aber das Martyrium gewählt hätten.  
[§6] In Reaktion auf den Inhalt der Briefe und die darin hervorbeschworene Bedrohung durch eine fränkische Armee habe der Kalif den Befehl erlassen, dass alle Christen in seinem Herrschaftsbereich „zu Sarazenen werden“ (''fieri Sarraceni'', d.h. den Islam annehmen) oder aber enteignet oder getötet werden sollten. Adémar hebt an dieser Stelle hervor, dass mit Ausnahme des Patriarchen von Jerusalem und zweier junger Brüder in Ägypten keiner würdig gewesen sei, für Christus zu sterben, was heißen soll, dass die meisten Christen die Konversion, diese drei aber das Martyrium gewählt hätten.  


Jene Angriffe auf die Christen seien weiter darin ausgeartet, dass die Kirche des Heiligen Georg in der Stadt Lod sowie weitere, nicht näher spezifizierte Kirchen, schließlich sogar die Heilig-Grab-Basilika in Jerusalem (''basilica sepulchri Domini'') durch die Schergen des Kalifen, die Adémar abwechselnd als Heiden (''pagani'') oder Sarazenen (''Saraceni'') bezeichnet, zerstört wurden. Adémar betont an dieser Stelle, dass es trotz Brandlegung nicht gelungen sei, den „Stein des Monuments“ (''lapidus monumenti'') zu zerstören. Mit diesem Stein könnte entweder das in den Evangelien beschriebene Felsgrab Jesu gemeint sein (Mk 15,46) oder aber der Grundstein des im 4. Jahrhundert von Eusebius von Caesarea (gest. 330/340) beschriebenen Monuments über dem Grab<ref name="ftn15">Eusebius von Cäsarea, ''Vier Bücher über das Leben des Kaisers Konstantin und des Kaisers Konstantin Rede an die Versammlung der Heiligen (Vita Constantini et Oratio ad coetum sanctorum). ''Ausgewählte Schriften, aus dem Griechischen (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Bd. 9), übers. von Johannes M. Pfättisch/ Andreas Bigelmair, München 1913, lib. 3, cap. 34-39, S. 118-119.</ref>, die so genannte Ädikula.  
[§7] Jene Angriffe auf die Christen seien weiter darin ausgeartet, dass die Kirche des Heiligen Georg in der Stadt Lod sowie weitere, nicht näher spezifizierte Kirchen, schließlich sogar die Heilig-Grab-Basilika in Jerusalem (''basilica sepulchri Domini'') durch die Schergen des Kalifen, die Adémar abwechselnd als Heiden (''pagani'') oder Sarazenen (''Saraceni'') bezeichnet, zerstört wurden. Adémar betont an dieser Stelle, dass es trotz Brandlegung nicht gelungen sei, den „Stein des Monuments“ (''lapidus monumenti'') zu zerstören. Mit diesem Stein könnte entweder das in den Evangelien beschriebene Felsgrab Jesu gemeint sein (Mk 15,46) oder aber der Grundstein des im 4. Jahrhundert von Eusebius von Caesarea (gest. 330/340) beschriebenen Monuments über dem Grab<ref name="ftn15">Eusebius von Cäsarea, ''Vier Bücher über das Leben des Kaisers Konstantin und des Kaisers Konstantin Rede an die Versammlung der Heiligen (Vita Constantini et Oratio ad coetum sanctorum). ''Ausgewählte Schriften, aus dem Griechischen (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Bd. 9), übers. von Johannes M. Pfättisch/ Andreas Bigelmair, München 1913, lib. 3, cap. 34-39, S. 118-119.</ref>, die so genannte Ädikula.  


Weiter berichtet Adémar, dass die Sarazenen außerdem versuchten, die Kirche in Bethlehem, die den Geburtsort Jesu markieren soll, zu zerstören, was auf wundersame Weise ebenfalls verhindert wurde: Durch ein gleißendes Licht (''lux fulgurans'') seien nämlich alle Heiden beim Angriff auf die Kirche verendet und die Kirche unversehrt geblieben. Ähnliches beschreibt Adémar im Zusammenhang mit dem Angriff von 10.000 bewaffneten Sarazenen auf das Katharinenkloster auf dem Sinai. Beim Marsch auf das Kloster habe sowohl dieses als auch der Berg Sinai gleichsam in hellen Flammen gestanden. Dies habe den Sarazenen den Zugang verwehrt, so dass das Kloster und seine Mönche unversehrt blieben.  
[§8] Weiter berichtet Adémar, dass die Sarazenen außerdem versuchten, die Kirche in Bethlehem, die den Geburtsort Jesu markieren soll, zu zerstören, was auf wundersame Weise ebenfalls verhindert wurde: Durch ein gleißendes Licht (''lux fulgurans'') seien nämlich alle Heiden beim Angriff auf die Kirche verendet und die Kirche unversehrt geblieben. Ähnliches beschreibt Adémar im Zusammenhang mit dem Angriff von 10.000 bewaffneten Sarazenen auf das Katharinenkloster auf dem Sinai. Beim Marsch auf das Kloster habe sowohl dieses als auch der Berg Sinai gleichsam in hellen Flammen gestanden. Dies habe den Sarazenen den Zugang verwehrt, so dass das Kloster und seine Mönche unversehrt blieben.  


Als der Kalif davon erfahren habe, seien er und das gesamte „sarazenische Volk“ von Reue erfüllt gewesen, sodass al-Ḥākim den Beschluss erlassen habe, die Kirche wiederaufzubauen. An dieser Stelle betont Adémar, dass sich die neue Basilika nicht mit der ursprünglichen, von Helena (gest. ca. 329), der Mutter Kaiser Konstantins (regn. 306/324-337), erbauten Kirche messen könne. Schließlich berichtet Adémar von einer dreijährigen Hungersnot, die über „das Land der Sarazenen“ gekommen sei und unzählige Opfer gefordert habe. Zusätzlich seien dort „Völker aus Arabien“ (''gentes Arabiae)'' eingefallen, die als Exekutoren eines göttlichen Strafgerichtes den Kalifen gefangen nahmen, ihn auf grausame Weise töteten und seinen Leichnam im Meer versenkten.
[§9] Als der Kalif davon erfahren habe, seien er und das gesamte „sarazenische Volk“ von Reue erfüllt gewesen, sodass al-Ḥākim den Beschluss erlassen habe, die Kirche wiederaufzubauen. An dieser Stelle betont Adémar, dass sich die neue Basilika nicht mit der ursprünglichen, von Helena (gest. ca. 329), der Mutter Kaiser Konstantins (regn. 306/324-337), erbauten Kirche messen könne. Schließlich berichtet Adémar von einer dreijährigen Hungersnot, die über „das Land der Sarazenen“ gekommen sei und unzählige Opfer gefordert habe. Zusätzlich seien dort „Völker aus Arabien“ (''gentes Arabiae)'' eingefallen, die als Exekutoren eines göttlichen Strafgerichtes den Kalifen gefangen nahmen, ihn auf grausame Weise töteten und seinen Leichnam im Meer versenkten.


== Kontextualisierung, Analyse & Interpretation ==
== Kontextualisierung, Analyse & Interpretation ==
Adémars Erzählung zur Zerstörung der Grabeskirche in Jerusalem stellt auf vielschichtige Weise mehrere Bezüge zwischen dem lateinisch-christlichen Westen und der arabisch-islamischen Sphäre her und verbindet diese mit innerchristlichen Diskursen. Der folgende Abschnitt geht zunächst auf die Geschichte der Grabeskirche und ihre Bedeutung für lateinische Christen ein und erörtert dann vor dem Hintergrund mehrerer Parallelquellen Adémars Darstellung und Begründung der antichristlichen Maßnahmen des Fatimidenkalifen al-Ḥākim und ihrer Folgen. Abschließend stehen Adémars Wissen über die mit den „Völkern Arabiens“ zusammenhängenden innerfatimidischen Entwicklungen sowie seine potenziellen Informationsquellen im Zentrum. </div>
[§10] Adémars Erzählung zur Zerstörung der Grabeskirche in Jerusalem stellt auf vielschichtige Weise mehrere Bezüge zwischen dem lateinisch-christlichen Westen und der arabisch-islamischen Sphäre her und verbindet diese mit innerchristlichen Diskursen. Der folgende Abschnitt geht zunächst auf die Geschichte der Grabeskirche und ihre Bedeutung für lateinische Christen ein und erörtert dann vor dem Hintergrund mehrerer Parallelquellen Adémars Darstellung und Begründung der antichristlichen Maßnahmen des Fatimidenkalifen al-Ḥākim und ihrer Folgen. Abschließend stehen Adémars Wissen über die mit den „Völkern Arabiens“ zusammenhängenden innerfatimidischen Entwicklungen sowie seine potenziellen Informationsquellen im Zentrum. </div>


Die zitierte Passage verdeutlicht zunächst einmal das Interesse des Autors am Heiligtum der Grablege Jesu, deren Zerstörung eine Erschütterung für die christliche Welt bedeutete und dem Jahr 1010 den Beinamen ''annus terribilis'' einbrachte. Indem sie den Hügel Golgota und das Felsengrab Christi durch eine Baugruppe vereint, bildet die Grabeskirche in Jerusalem bis heute einen der zentralsten bedeutendsten Bezugspunkte der Christenheit und eine ihrer bedeutendsten Wallfahrtsstätten.<ref name="ftn16">Arbeiter, Grabeskirche, S. 10.</ref> Unter Kaiser Konstantin wurden in Palästina Kult- und Gedenkstätten an den wichtigsten Lebensstationen Jesu (Geburt, Kreuzigung, Grablege, Auferstehung, Himmelfahrt) errichtet und die Region somit als christlicher Erinnerungsraum ausgestaltet.<ref name="ftn17">Arbeiter, Grabeskirche, S. 7.</ref> Dazu gehörte auch die Grabeskirche, über deren ursprüngliche Form Eusebius von Caesarea berichtet, dass die Anlage im Westen das von einer Ädikula markierte Felsgrab umfasste, über dem eine Rotunde errichtet war, und im Osten eine Basilika.<ref name="ftn18">Arbeiter, Grabeskirche, S. 10</ref> Geweiht im Jahr 335 erlangte der Ort bald eine herausragende Bedeutung als Pilgerzentrum, sodass Jerusalem zur Begegnungsstätte zwischen Christen unterschiedlicher Herkunft und Konfession sowie Vertretern anderer Religionen, v. a. Juden und später Muslimen, wurde.<ref name="ftn19">[https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/570:_Kontakte_mit_der_vorislamischen_arabischen_Welt_im_Pilgerbericht_des_Antoninus_Placentinus Vgl. 570: Kontakte mit der vorislamischen arabischen Welt im Pilgerbericht des Antoninus Placentinus].</ref> Die Kirche wurde bis zu ihrer Zerstörung durch al-Ḥākim mehrfach beschädigt und restauriert, so nach der Invasion der Sassaniden (614) durch den byzantinischen Kaiser Herakleios (regn. 610-641) im Jahr 630. Im Zuge der arabisch-islamischen Expansion wurde die Stadt erobert, das Heiligtum blieb den Christen aber erhalten, wobei es Mitte des 8. Jahrhunderts von einem schweren Erdbeben erschüttert wurde. Durch den Angriff auf die Kirche unter dem Kalifen al-Ḥākim nahm sie den schwerwiegendsten Schaden, sodass – entgegen der Behauptungen Adémars – offenbar sogar die Strukturen am eigentlichen Felsgrab in Mitleidenschaft gezogen wurden.<ref name="ftn20">Zur Baugeschichte vgl. Ousterhout, Rebuilding.</ref> </div>
Die zitierte Passage verdeutlicht zunächst einmal das Interesse des Autors am Heiligtum der Grablege Jesu, deren Zerstörung eine Erschütterung für die christliche Welt bedeutete und dem Jahr 1010 den Beinamen ''annus terribilis'' einbrachte. Indem sie den Hügel Golgota und das Felsengrab Christi durch eine Baugruppe vereint, bildet die Grabeskirche in Jerusalem bis heute einen der zentralsten bedeutendsten Bezugspunkte der Christenheit und eine ihrer bedeutendsten Wallfahrtsstätten.<ref name="ftn16">Arbeiter, Grabeskirche, S. 10.</ref> Unter Kaiser Konstantin wurden in Palästina Kult- und Gedenkstätten an den wichtigsten Lebensstationen Jesu (Geburt, Kreuzigung, Grablege, Auferstehung, Himmelfahrt) errichtet und die Region somit als christlicher Erinnerungsraum ausgestaltet.<ref name="ftn17">Arbeiter, Grabeskirche, S. 7.</ref> Dazu gehörte auch die Grabeskirche, über deren ursprüngliche Form Eusebius von Caesarea berichtet, dass die Anlage im Westen das von einer Ädikula markierte Felsgrab umfasste, über dem eine Rotunde errichtet war, und im Osten eine Basilika.<ref name="ftn18">Arbeiter, Grabeskirche, S. 10</ref> Geweiht im Jahr 335 erlangte der Ort bald eine herausragende Bedeutung als Pilgerzentrum, sodass Jerusalem zur Begegnungsstätte zwischen Christen unterschiedlicher Herkunft und Konfession sowie Vertretern anderer Religionen, v. a. Juden und später Muslimen, wurde.<ref name="ftn19">[https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/570:_Kontakte_mit_der_vorislamischen_arabischen_Welt_im_Pilgerbericht_des_Antoninus_Placentinus Vgl. 570: Kontakte mit der vorislamischen arabischen Welt im Pilgerbericht des Antoninus Placentinus].</ref> Die Kirche wurde bis zu ihrer Zerstörung durch al-Ḥākim mehrfach beschädigt und restauriert, so nach der Invasion der Sassaniden (614) durch den byzantinischen Kaiser Herakleios (regn. 610-641) im Jahr 630. Im Zuge der arabisch-islamischen Expansion wurde die Stadt erobert, das Heiligtum blieb den Christen aber erhalten, wobei es Mitte des 8. Jahrhunderts von einem schweren Erdbeben erschüttert wurde. Durch den Angriff auf die Kirche unter dem Kalifen al-Ḥākim nahm sie den schwerwiegendsten Schaden, sodass – entgegen der Behauptungen Adémars – offenbar sogar die Strukturen am eigentlichen Felsgrab in Mitleidenschaft gezogen wurden.<ref name="ftn20">Zur Baugeschichte vgl. Ousterhout, Rebuilding.</ref> </div>
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Die Schriften christlicher Autoren aus der islamisch beherrschten Sphäre weisen andere Deutungsmuster auf: Als Begründung für al-Ḥākims Befehl zur Zerstörung der Grabeskirche führen sie an, dass der Kalif die von den Christen als wundersam gefeierte Niederkunft des Heiligen Feuers zum Osterfest unterbinden wollte.<ref name="ftn29">Callahan, Destruction, S. 16.</ref> Dieser Ansatz findet sich interessanterweise nicht nur bei christlichen, sondern auch bei arabisch-islamischen Chronisten.<ref name="ftn30">Jestice, Conspiracy?, S. 28.</ref> Bei der Jerusalemer Osterliturgie und den zugehörigen Feierlichkeiten handelte es sich um ein interreligiöses Fest, an welchem neben Christen verschiedener Denominationen auch Muslime unterschiedlichen sozialen Ranges Teil hatten<ref name="ftn31">Kedar, Convergence, S. 59-69.</ref> und dabei sogar organisatorische Funktionen ausübten.<ref name="ftn32">Weltecke, Anfragen, S. 260-261.</ref> Einige arabisch-islamische Autoren vermuteten, dass die an der Heiliggrabkirche lebenden Mönche aber Hilfsmittel zur Entfachung des Heiligen Feuers anwendeten, was al-Ḥākim erfahren und als böswillige Täuschung und Häme aufgefasst haben soll. Daraufhin habe er die Zerstörung der Grabeskirche veranlasst.<ref name="ftn33">Canard, Destruction, S. 39-42.</ref> Weiterhin ist hinsichtlich der Rezeption al-Ḥākims erratischer und diskriminierender Entscheidungen interessant, dass beispielsweise der koptische Bischof Michael von Tinnis (gest. im 11. Jh.) die Maßnahmen gegen die Christen als Strafe Gottes zum einen für den Ämterkauf in den koptischen Diözesen ansah, zum anderen damit begründete, dass innerchristliche Konflikte zu häufig an außerkirchliche Obrigkeiten, wie den Kalifen, getragen worden seien, was nun in Dissens und Zerstörung münde.<ref name="ftn34">Weltecke, Anfragen, S. 267.</ref> Im Vergleich zur orientalisch-christlichen Rezeption findet bei Adémar also eine deutliche Verlagerung der Ursachen statt.</div>
Die Schriften christlicher Autoren aus der islamisch beherrschten Sphäre weisen andere Deutungsmuster auf: Als Begründung für al-Ḥākims Befehl zur Zerstörung der Grabeskirche führen sie an, dass der Kalif die von den Christen als wundersam gefeierte Niederkunft des Heiligen Feuers zum Osterfest unterbinden wollte.<ref name="ftn29">Callahan, Destruction, S. 16.</ref> Dieser Ansatz findet sich interessanterweise nicht nur bei christlichen, sondern auch bei arabisch-islamischen Chronisten.<ref name="ftn30">Jestice, Conspiracy?, S. 28.</ref> Bei der Jerusalemer Osterliturgie und den zugehörigen Feierlichkeiten handelte es sich um ein interreligiöses Fest, an welchem neben Christen verschiedener Denominationen auch Muslime unterschiedlichen sozialen Ranges Teil hatten<ref name="ftn31">Kedar, Convergence, S. 59-69.</ref> und dabei sogar organisatorische Funktionen ausübten.<ref name="ftn32">Weltecke, Anfragen, S. 260-261.</ref> Einige arabisch-islamische Autoren vermuteten, dass die an der Heiliggrabkirche lebenden Mönche aber Hilfsmittel zur Entfachung des Heiligen Feuers anwendeten, was al-Ḥākim erfahren und als böswillige Täuschung und Häme aufgefasst haben soll. Daraufhin habe er die Zerstörung der Grabeskirche veranlasst.<ref name="ftn33">Canard, Destruction, S. 39-42.</ref> Weiterhin ist hinsichtlich der Rezeption al-Ḥākims erratischer und diskriminierender Entscheidungen interessant, dass beispielsweise der koptische Bischof Michael von Tinnis (gest. im 11. Jh.) die Maßnahmen gegen die Christen als Strafe Gottes zum einen für den Ämterkauf in den koptischen Diözesen ansah, zum anderen damit begründete, dass innerchristliche Konflikte zu häufig an außerkirchliche Obrigkeiten, wie den Kalifen, getragen worden seien, was nun in Dissens und Zerstörung münde.<ref name="ftn34">Weltecke, Anfragen, S. 267.</ref> Im Vergleich zur orientalisch-christlichen Rezeption findet bei Adémar also eine deutliche Verlagerung der Ursachen statt.</div>


Neben der Zerstörung christlicher Heiligtümer und ihrer Hintergründe fällt im behandelten Quellenausschnitt auch die Schilderung der Folgen umfangreich aus. So seien der Kalif und alle Muslime nach dem Feuerwunder vom Sinai, das vielleicht eine Anspielung auf das biblische Motiv des brennenden Dornbuschs auf dem Sinai (Ex 3,2) sein mag (ein Brombeerbusch wird heute als ''rubus sanctus'' im Katharinenkloster als Ableger dieses Dornbusches verehrt), von großer Reue überkommen worden, weshalb er den Wiederaufbau der Grabeskirche erlaubt habe.<ref name="ftn35">Zum Wiederaufbau vgl. Ousterhout, Rebuilding.</ref> Bis dieser allerdings zwischen Kalif und byzantinischem Kaiser verhandelt war, verging einige Zeit, sodass erst unter Kaiser Michael IV. Paphlagon (regn. 1034-1041) oder Konstantin IX. Monomachos (regn. 1042-1055) der eigentliche Wiederaufbau vorgenommen wurde.<ref name="ftn36">Halm, ''Kalifen'', S. 339-347, 349; für die spätere Datierung Ousterhout, Wiederaufbau.</ref> Adémars Aussage, die wiederaufgebaute Kirche gleiche nicht der ursprünglichen, von Kaiser Konstantins Mutter Helena errichteten Kirche, ist somit als rhetorisch zu deuten.
[§11] Neben der Zerstörung christlicher Heiligtümer und ihrer Hintergründe fällt im behandelten Quellenausschnitt auch die Schilderung der Folgen umfangreich aus. So seien der Kalif und alle Muslime nach dem Feuerwunder vom Sinai, das vielleicht eine Anspielung auf das biblische Motiv des brennenden Dornbuschs auf dem Sinai (Ex 3,2) sein mag (ein Brombeerbusch wird heute als ''rubus sanctus'' im Katharinenkloster als Ableger dieses Dornbusches verehrt), von großer Reue überkommen worden, weshalb er den Wiederaufbau der Grabeskirche erlaubt habe.<ref name="ftn35">Zum Wiederaufbau vgl. Ousterhout, Rebuilding.</ref> Bis dieser allerdings zwischen Kalif und byzantinischem Kaiser verhandelt war, verging einige Zeit, sodass erst unter Kaiser Michael IV. Paphlagon (regn. 1034-1041) oder Konstantin IX. Monomachos (regn. 1042-1055) der eigentliche Wiederaufbau vorgenommen wurde.<ref name="ftn36">Halm, ''Kalifen'', S. 339-347, 349; für die spätere Datierung Ousterhout, Wiederaufbau.</ref> Adémars Aussage, die wiederaufgebaute Kirche gleiche nicht der ursprünglichen, von Kaiser Konstantins Mutter Helena errichteten Kirche, ist somit als rhetorisch zu deuten.


Weiter berichtet Adémar von einer Hungersnot, die die muslimischen Länder (''omnem terram Sarracenorum'') gleichsam als Strafe heimsuchte, außerdem erwähnt er den Einfall so genannter „Völker Arabiens“ (''gentes Arabiae''), die den Kalifen schließlich getötet haben sollen. Während Adémar den Begriff „Sarazenen“ (''Sarraceni'') sowohl allgemein als Oberbegriff für die Muslime als auch speziell für die Gefolgsleute des Fatimidenkalifen al-Ḥākim verwendet, sind mit den ''gentes Arabiae'' hier wohl arabische Beduinenstämme gemeint. Welche genau aber unter diesem Begriff subsumiert werden, ist nicht eindeutig zu klären. Zum einen könnte es sich um die Stämme der Banū Hilāl und Banū Sulaym handeln, die bereits im 2./8. Jahrhundert von der arabischen Halbinsel nach Ägypten gekommen waren und nach der fatimidischen Gründung Kairos (358/969) nach Oberägypten zwangsumgesiedelt,<ref name="ftn37">Grohmann, al-Arab.</ref> Anfang des 11. Jahrhunderts dann nach Nordafrika (''Ifrīqiya'') weiterdirigiert wurden, um dort gegen die Dynastie der Ziriden zu kämpfen, die sich der schiitischen Vormacht der Fatimiden nicht beugen wollte. Mitglieder der Banū Hilāl verwüsteten die Gebiete Nordafrikas beträchtlich, so dass es den Fatimiden kurzzeitig gelang, ihre Herrschaft dort wieder durchzusetzen. Bald aber entfernten sich die Banū Hilāl von ihren fatimidischen Auftraggebern, führten eigenständige militärische Aktionen durch und legten den schiitischen zugunsten des sunnitischen Islam ab. Zum anderen hatte al-Ḥākim aber auch mit anderen Gruppen arabischer Beduinen zu kämpfen, nämlich in der Cyrenaika (395/1004), wo von Córdoba aus dirigierte Stämme gen Ägypten vordrangen, sowie in einer Revolte in Palästina (402/1011-1012).<ref name="ftn38">Halm, ''Kalifen'', S. 209-224; Halm, ''Fatimiden'', S. 218.</ref> Dass Adémar, wenn auch nur äußerst vage, über diese Vorgänge informiert war, ist durchaus beachtlich.  
[§12] Weiter berichtet Adémar von einer Hungersnot, die die muslimischen Länder (''omnem terram Sarracenorum'') gleichsam als Strafe heimsuchte, außerdem erwähnt er den Einfall so genannter „Völker Arabiens“ (''gentes Arabiae''), die den Kalifen schließlich getötet haben sollen. Während Adémar den Begriff „Sarazenen“ (''Sarraceni'') sowohl allgemein als Oberbegriff für die Muslime als auch speziell für die Gefolgsleute des Fatimidenkalifen al-Ḥākim verwendet, sind mit den ''gentes Arabiae'' hier wohl arabische Beduinenstämme gemeint. Welche genau aber unter diesem Begriff subsumiert werden, ist nicht eindeutig zu klären. Zum einen könnte es sich um die Stämme der Banū Hilāl und Banū Sulaym handeln, die bereits im 2./8. Jahrhundert von der arabischen Halbinsel nach Ägypten gekommen waren und nach der fatimidischen Gründung Kairos (358/969) nach Oberägypten zwangsumgesiedelt,<ref name="ftn37">Grohmann, al-Arab.</ref> Anfang des 11. Jahrhunderts dann nach Nordafrika (''Ifrīqiya'') weiterdirigiert wurden, um dort gegen die Dynastie der Ziriden zu kämpfen, die sich der schiitischen Vormacht der Fatimiden nicht beugen wollte. Mitglieder der Banū Hilāl verwüsteten die Gebiete Nordafrikas beträchtlich, so dass es den Fatimiden kurzzeitig gelang, ihre Herrschaft dort wieder durchzusetzen. Bald aber entfernten sich die Banū Hilāl von ihren fatimidischen Auftraggebern, führten eigenständige militärische Aktionen durch und legten den schiitischen zugunsten des sunnitischen Islam ab. Zum anderen hatte al-Ḥākim aber auch mit anderen Gruppen arabischer Beduinen zu kämpfen, nämlich in der Cyrenaika (395/1004), wo von Córdoba aus dirigierte Stämme gen Ägypten vordrangen, sowie in einer Revolte in Palästina (402/1011-1012).<ref name="ftn38">Halm, ''Kalifen'', S. 209-224; Halm, ''Fatimiden'', S. 218.</ref> Dass Adémar, wenn auch nur äußerst vage, über diese Vorgänge informiert war, ist durchaus beachtlich.  


Die Aussage, al-Ḥākim sei durch diese „Völker Arabiens“ zu Tode gekommen, ist allerdings nicht zu belegen. Der fatimidische Herrscher war bekannt für seine nächtlichen Ausritte, die manche Forscher auf eine ernste Schlafstörung zurückführen. Im Jahr 411/1021 kam al-Ḥākim nach einem dieser Ausritte nicht wieder zurück. Lediglich sein Esel und seine von Dolchstichen zerfetzten Gewänder wurden einige Tage später gefunden.<ref name="ftn39">Halm, ''Fatimiden'', S. 183.</ref> Vom fehlenden Leichnam des Kalifen scheint auch Adémar gewusst zu haben, betont er doch, dass der mit Blei beschwerte Körper ins Meer geworfen worden sei. Woher genau Adémar seine Informationen zu den Ereignissen im fatimidischen Herrschaftsgebiet erhielt, bleibt ungewiss. Doch weiß man, dass Adémar den byzantinischen Geistlichen Simeon (auch Simeon von Trier genannt) 1027 in Angoulême traf, als Simeon mit einem Begleiter namens Kosmas im Auftrag des auf dem Sinai gelegenen Katharinenklosters durch Lateineuropa reiste. Nach Einschätzung von Alfred Haverkamp ist dies die wesentliche Inspiration und Quelle Adémars gewesen, um über das Heilige Land und Ägypten in der sonst stark auf Aquitanien fokussierten Chronik zu berichten.<ref name="ftn40">Haverkamp, Simeon, S. 5.</ref>
[§13] Die Aussage, al-Ḥākim sei durch diese „Völker Arabiens“ zu Tode gekommen, ist allerdings nicht zu belegen. Der fatimidische Herrscher war bekannt für seine nächtlichen Ausritte, die manche Forscher auf eine ernste Schlafstörung zurückführen. Im Jahr 411/1021 kam al-Ḥākim nach einem dieser Ausritte nicht wieder zurück. Lediglich sein Esel und seine von Dolchstichen zerfetzten Gewänder wurden einige Tage später gefunden.<ref name="ftn39">Halm, ''Fatimiden'', S. 183.</ref> Vom fehlenden Leichnam des Kalifen scheint auch Adémar gewusst zu haben, betont er doch, dass der mit Blei beschwerte Körper ins Meer geworfen worden sei. Woher genau Adémar seine Informationen zu den Ereignissen im fatimidischen Herrschaftsgebiet erhielt, bleibt ungewiss. Doch weiß man, dass Adémar den byzantinischen Geistlichen Simeon (auch Simeon von Trier genannt) 1027 in Angoulême traf, als Simeon mit einem Begleiter namens Kosmas im Auftrag des auf dem Sinai gelegenen Katharinenklosters durch Lateineuropa reiste. Nach Einschätzung von Alfred Haverkamp ist dies die wesentliche Inspiration und Quelle Adémars gewesen, um über das Heilige Land und Ägypten in der sonst stark auf Aquitanien fokussierten Chronik zu berichten.<ref name="ftn40">Haverkamp, Simeon, S. 5.</ref>


Abschließend sei darauf hingewiesen, dass aus der Zerstörung der Grabeskirche in den kommenden Generationen ein Legitimationsgrund für eine kriegerische Unternehmung im Heiligen Land abgeleitet wurde: Papst Sergius IV. (sed. 1009-1012) soll als Antwort auf die Zerstörung des Heiligen Grabes erste Pläne für einen Kreuzzug entworfen und diese in einer Kreuzzugsenzyklika verkündet haben.<ref name="ftn41">Erdmann, ''Kreuzzugsgedanke'', S. 102.</ref> Darin wird die Zerstörung des Heiligen Grabes sowie die stärker werdende Unterdrückung und sogar Verfolgung der Christen als Grund zur Führung eines Krieges gegen die „Feinde Gottes“ bzw. die Muslime benannt. Diese Schrift gilt zwar allgemein als Fälschung, deutet aber gleichwohl die weitreichende Wirkungsgeschichte dieser Begebenheit an.<ref name="ftn42">Schaller, Kreuzzugsenzyklika; Cowdrey, Martyrdom, S. 49-50.</ref>  
[§14] Abschließend sei darauf hingewiesen, dass aus der Zerstörung der Grabeskirche in den kommenden Generationen ein Legitimationsgrund für eine kriegerische Unternehmung im Heiligen Land abgeleitet wurde: Papst Sergius IV. (sed. 1009-1012) soll als Antwort auf die Zerstörung des Heiligen Grabes erste Pläne für einen Kreuzzug entworfen und diese in einer Kreuzzugsenzyklika verkündet haben.<ref name="ftn41">Erdmann, ''Kreuzzugsgedanke'', S. 102.</ref> Darin wird die Zerstörung des Heiligen Grabes sowie die stärker werdende Unterdrückung und sogar Verfolgung der Christen als Grund zur Führung eines Krieges gegen die „Feinde Gottes“ bzw. die Muslime benannt. Diese Schrift gilt zwar allgemein als Fälschung, deutet aber gleichwohl die weitreichende Wirkungsgeschichte dieser Begebenheit an.<ref name="ftn42">Schaller, Kreuzzugsenzyklika; Cowdrey, Martyrdom, S. 49-50.</ref>  


Die hier zitierte Quellenpassage fasst somit nicht nur ein entscheidendes historisches Ereignis und dessen „Ursachen“ und Konsequenzen zusammen, sondern vermittelt auch einen Einblick in die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster, mit denen ein Mönch in Aquitanien um das Jahr 1000 Ereignisse im Heiligen Land und in muslimisch beherrschten Gebieten erklärte. So vermittelt Adémar nicht nur eines von mehreren Narrativen zur Zerstörung der Grabeskirche sowie zu den soziopolitischen Verhältnissen unter der Herrschaft des Kalifen al-Ḥākim. Er gibt gleichzeitig einen Eindruck von der aufkeimenden Judenfeindschaft und der Furcht vor Häresien in einem durch Endzeiterwartung ohnehin gespannten lateinischen Westen. Damit vermittelt die Quellenstelle wichtige Einblicke in die lateinchristlich-muslimischen sowie lateinchristlich-jüdischen Beziehungen im frühen 11. Jahrhundert.|6=Adémar de Chabannes, ''Chronicon'', ed. Pascale Bourgain (Corpus Christianorum Continuatio Mediaeualis 129), Turnhout: Brepols, 1999.
[§15] Die hier zitierte Quellenpassage fasst somit nicht nur ein entscheidendes historisches Ereignis und dessen „Ursachen“ und Konsequenzen zusammen, sondern vermittelt auch einen Einblick in die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster, mit denen ein Mönch in Aquitanien um das Jahr 1000 Ereignisse im Heiligen Land und in muslimisch beherrschten Gebieten erklärte. So vermittelt Adémar nicht nur eines von mehreren Narrativen zur Zerstörung der Grabeskirche sowie zu den soziopolitischen Verhältnissen unter der Herrschaft des Kalifen al-Ḥākim. Er gibt gleichzeitig einen Eindruck von der aufkeimenden Judenfeindschaft und der Furcht vor Häresien in einem durch Endzeiterwartung ohnehin gespannten lateinischen Westen. Damit vermittelt die Quellenstelle wichtige Einblicke in die lateinchristlich-muslimischen sowie lateinchristlich-jüdischen Beziehungen im frühen 11. Jahrhundert.|6=Adémar de Chabannes, ''Chronicon'', ed. Pascale Bourgain (Corpus Christianorum Continuatio Mediaeualis 129), Turnhout: Brepols, 1999.


Adémar de Chabannes, ''Chronique'', trans. Yves Chauvin und Georges Pon (Miroir du Moyen Âge), Turnhout: Brepols, 2003.
Adémar de Chabannes, ''Chronique'', trans. Yves Chauvin und Georges Pon (Miroir du Moyen Âge), Turnhout: Brepols, 2003.
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