1010-1028: Ersterwähnung eines Astrolabs im lothringischen Raum in einem Brief Radulfs von Lüttich: Unterschied zwischen den Versionen

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{{Kapitel LAT-DE|Mohamed Qassiti|Radulfus, Leodiensis magister, ep. 5 ad Ragimboldum, magistrum Coloniensem, ed. Paul Tannery, Abbé Clerval, Une correspondance d’écolâtres du onzième siècle, in: ''Notices et extraits'' 36/2 (1901) S. 487–543, hier: S. 529; übers. Mohamed Qassiti.|''Astrolabium misissem uobis iudicandum, sed est nobis exemplar ad aliud construendum: cuius de scientia si quid affectatis, ad missam sancti lan(berti) non uos pigeat aduenire. Forsitan non penitebit: alioquin uidere tantummodo astrolabium non magis iuuabit quam lippum pictae tabulae, fomenta podagrum.''|Ich würde Euch das Astrolabium zusenden, sodass Ihr Euch eine Meinung bilden könnt, doch ist es unser Modell, um ein anderes zu bauen. Wenn Ihr danach strebt, mehr zu erfahren, dann kommt zum Fest des heiligen Lambert. Ihr werdet es wohl nicht bereuen: Ein Astrolabium lediglich zu sehen, wird nicht mehr nützen als „Gemälde einem Triefäugigen, warme Kompressen einem Gichtkranken“ [Hor. Epist. I,2,52].|
{{Kapitel LAT-DE|Mohamed Qassiti|Radulfus, Leodiensis magister, ep. 5 ad Ragimboldum, magistrum Coloniensem, ed. Paul Tannery, Abbé Clerval, Une correspondance d’écolâtres du onzième siècle, in: ''Notices et extraits'' 36/2 (1901) S. 487–543, hier: S. 529; übers. Mohamed Qassiti.|''Astrolabium misissem uobis iudicandum, sed est nobis exemplar ad aliud construendum: cuius de scientia si quid affectatis, ad missam sancti lan(berti) non uos pigeat aduenire. Forsitan non penitebit: alioquin uidere tantummodo astrolabium non magis iuuabit quam lippum pictae tabulae, fomenta podagrum.''|Ich würde Euch das Astrolabium zusenden, sodass Ihr Euch eine Meinung bilden könnt, doch ist es unser Modell, um ein anderes zu bauen. Wenn Ihr danach strebt, mehr zu erfahren, dann kommt zum Fest des heiligen Lambert. Ihr werdet es wohl nicht bereuen: Ein Astrolabium lediglich zu sehen, wird nicht mehr nützen als „Gemälde einem Triefäugigen, warme Kompressen einem Gichtkranken“ [Hor. Epist. I,2,52].|<nowiki>==Autor/in & Werk==</nowiki>
 
==Autor/in & Werk==
[§1] Radulf von Lüttich war Lehrer an der Domschule von Lüttich in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Dort war er Schüler Wazos, des späteren Bischofs von Lüttich (sed. 1042–1048).<ref name="ftn1">Kupper, Wazo, Sp. 2082.</ref> Eine Weile studierte er auch bei Fulbert, Bischof von Chartres (sed. 1006–1028).<ref name="ftn2">MacKinney, ''Bishop'', S. 15. Zu Fulberts Biographie vgl. Giese, Briefsammlung, S. 5–7.</ref> Radulfs Herkunft ist unklar; eine adlige Abstammung kann nicht als gesichert gelten. Sein Zeitgenosse Bischof Durand von Lüttich (sed. 1021–1026) etwa, vor seiner Amtszeit ebenfalls Schüler an der Lütticher Domschule, entstammte einer Familie von Hörigen.<ref name="ftn3">Kupper, Durandus, Sp. 1466.</ref>
[§1] Radulf von Lüttich war Lehrer an der Domschule von Lüttich in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Dort war er Schüler Wazos, des späteren Bischofs von Lüttich (sed. 1042–1048).<ref name="ftn1">Kupper, Wazo, Sp. 2082.</ref> Eine Weile studierte er auch bei Fulbert, Bischof von Chartres (sed. 1006–1028).<ref name="ftn2">MacKinney, ''Bishop'', S. 15. Zu Fulberts Biographie vgl. Giese, Briefsammlung, S. 5–7.</ref> Radulfs Herkunft ist unklar; eine adlige Abstammung kann nicht als gesichert gelten. Sein Zeitgenosse Bischof Durand von Lüttich (sed. 1021–1026) etwa, vor seiner Amtszeit ebenfalls Schüler an der Lütticher Domschule, entstammte einer Familie von Hörigen.<ref name="ftn3">Kupper, Durandus, Sp. 1466.</ref>


[§2] Radulfs Schreiben an den Kölner Magister Ragimbold, welches das hier zu behandelnde Exzerpt beinhaltet, ist Teil einer aus insgesamt neun Stücken bestehenden Briefsammlung, die in vier Handschriften überliefert ist, von denen ''Paris, BN, ms. lat. 6401'' (Brief 1–8) und ''Paris, BN, ms. lat. 7377 C'' (Brief 4 und 9) die wichtigsten darstellen.<ref name="ftn4">Beschreibung der Handschriften bei Tannery-Clerval, ''Correspondance'', S. 488–491; Folkerts, ''„Boethius“'', S. 5–7; Borst, ''Zahlenkampfspiel'', S. 100–101, 308–309. Zu ''Ms. 6401'' vgl. die Bibliographie bei Gneuss und Lapidge, ''Manuscripts'', S. 639–640. Digitalisate von ''Ms. 6401'' und ''Ms. 7377 C'' unter: [https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b90671348 https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b90671348] und [https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b9072623x/f4.item https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b9072623x/f4.item]. </ref> Joanna Story zufolge entstand ''Ms. lat. 6401'' Ende des 10. Jahrhunderts in der englischen Benediktinerabtei Ramsey oder in der französischen Benediktinerabtei Fleury durch die Hand eines mit der Ramseyer Schrift vertrauten Schreibers. Anfang des 11. Jahrhunderts wurde der Codex in Fleury um die Briefe Radulfs und Ragimbolds und weitere Texten erweitert. Die Abschrift erfolgte also nur wenige Jahre nach dem Briefwechsel.<ref name="ftn5">Story, Boethius, S. 256–257.</ref>  
[§2] Radulfs Schreiben an den Kölner Magister Ragimbold, welches das hier zu behandelnde Exzerpt beinhaltet, ist Teil einer aus insgesamt neun Stücken bestehenden Briefsammlung, die in vier Handschriften überliefert ist, von denen ''Paris, BN, ms. lat. 6401'' (Brief 1–8) und ''Paris, BN, ms. lat. 7377 C'' (Brief 4 und 9) die wichtigsten darstellen.<ref name="ftn4">Beschreibung der Handschriften bei Tannery-Clerval, ''Correspondance'', S. 488–491; Folkerts, ''„Boethius“'', S. 5–7; Borst, ''Zahlenkampfspiel'', S. 100–101, 308–309. Zu ''Ms. 6401'' vgl. die Bibliographie bei Gneuss und Lapidge, ''Manuscripts'', S. 639–640. Digitalisate von ''Ms. 6401'' und ''Ms. 7377 C'' unter: [https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b90671348 https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b90671348] und [https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b9072623x/f4.item https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b9072623x/f4.item]. </ref> Joanna Story zufolge entstand ''Ms. lat. 6401'' Ende des 10. Jahrhunderts in der englischen Benediktinerabtei Ramsey oder in der französischen Benediktinerabtei Fleury durch die Hand eines mit der Ramseyer Schrift vertrauten Schreibers. Anfang des 11. Jahrhunderts wurde der Codex in Fleury um die Briefe Radulfs und Ragimbolds und weitere Texte erweitert. Die Abschrift erfolgte also nur wenige Jahre nach dem Briefwechsel.<ref name="ftn5">Story, Boethius, S. 256–257.</ref>  


[§3] Vier Briefe stammen von Radulf, vier von seinem Briefpartner Ragimbold von Köln. Den neunten Brief eines Mönchs B. an Ragimbold konnte die Forschung noch keinem Verfasser sicher zuordnen. Die Abfolge der Stücke gestaltet sich dabei wie folgt:<ref name="ftn6">Manitius, ''Geschichte'', S. 780, orientiert sich bei seiner Zählung offensichtlich an der Anordnung der Briefe in Ms. 6401. Diese Zählung wird hier übernommen. </ref>  
[§3] Vier Briefe stammen von Radulf, vier von seinem Briefpartner Ragimbold von Köln. Den neunten Brief eines Mönchs B. an Ragimbold konnte die Forschung noch keinem Verfasser sicher zuordnen. Die Abfolge der Stücke gestaltet sich dabei wie folgt:<ref name="ftn6">Manitius, ''Geschichte'', S. 780, orientiert sich bei seiner Zählung offensichtlich an der Anordnung der Briefe in Ms. 6401. Diese Zählung wird hier übernommen. </ref>  
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[§12] Diese epistolarische Quelle ist das erste Zeugnis für die Existenz eines Astrolabs im lateinischen Westen.<ref name="ftn35">Manitius, ''Geschichte'', S. 779; Burnett, Works, S. 71, FN 31.</ref> Die Rolle Lothringens bei diesem Transferprozess ist in der Forschung früh hervorgehoben worden.<ref name="ftn36">Thompson, Introduction; Welborn, Lotharingia. Zuccato, Girls, S. 100, sieht in Lothringen eine späte Phase des Transferprozesses, die er in die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts legt.</ref> Dennoch sind viele zentrale Fragen, wie etwa, welche arabischen Quellen verwendet wurden und welche Akteure im Einzelnen beteiligt waren, auch nach dem aktuellen Stand der Forschung nicht gesichert zu beantworten. Um Radulfs Brief in diesem Kontext näher zu betrachten, geht dieser Beitrag wie folgt vor: Auf eine kurze Beschreibung von Aufbau und Verwendung des Astrolabiums folgt zunächst ein knapper Abriss der Geschichte bis zum Transfer in die lateinischsprachige Sphäre – da Instrumente aus diesem Zeitraum nicht erhalten sind, werden hierbei v. a. Astrolabtexte betrachtet werden. In einem nächsten Schritt wird dann der eigentliche Prozess des Transfers von Astrolab und dazugehörigen Texten zu beleuchten sein, wobei auf den relevanten Gelehrtenkreis, einzelne Texte, die Form der genutzten Instrumente und Forschungskontroversen näher eingegangen wird. Am Schluss steht dann die Frage der Rezeption des Briefwechsels zwischen Radulf und Ragimbold in Lothringen und darüber hinaus, wie auch die weitere Rolle der Region für den Transfer von Astrolabwissen. Auch hier werden schriftliche Quellen im Vordergrund stehen.  
[§12] Diese epistolarische Quelle ist das erste Zeugnis für die Existenz eines Astrolabs im lateinischen Westen.<ref name="ftn35">Manitius, ''Geschichte'', S. 779; Burnett, Works, S. 71, FN 31.</ref> Die Rolle Lothringens bei diesem Transferprozess ist in der Forschung früh hervorgehoben worden.<ref name="ftn36">Thompson, Introduction; Welborn, Lotharingia. Zuccato, Girls, S. 100, sieht in Lothringen eine späte Phase des Transferprozesses, die er in die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts legt.</ref> Dennoch sind viele zentrale Fragen, wie etwa, welche arabischen Quellen verwendet wurden und welche Akteure im Einzelnen beteiligt waren, auch nach dem aktuellen Stand der Forschung nicht gesichert zu beantworten. Um Radulfs Brief in diesem Kontext näher zu betrachten, geht dieser Beitrag wie folgt vor: Auf eine kurze Beschreibung von Aufbau und Verwendung des Astrolabiums folgt zunächst ein knapper Abriss der Geschichte bis zum Transfer in die lateinischsprachige Sphäre – da Instrumente aus diesem Zeitraum nicht erhalten sind, werden hierbei v. a. Astrolabtexte betrachtet werden. In einem nächsten Schritt wird dann der eigentliche Prozess des Transfers von Astrolab und dazugehörigen Texten zu beleuchten sein, wobei auf den relevanten Gelehrtenkreis, einzelne Texte, die Form der genutzten Instrumente und Forschungskontroversen näher eingegangen wird. Am Schluss steht dann die Frage der Rezeption des Briefwechsels zwischen Radulf und Ragimbold in Lothringen und darüber hinaus, wie auch die weitere Rolle der Region für den Transfer von Astrolabwissen. Auch hier werden schriftliche Quellen im Vordergrund stehen.  


[§13] Das Astrolab ist ein zweidimensionales Modell des Himmels in Bezug auf den Horizont eines bestimmten Ortes zu einem beliebigen Zeitpunkt<sup>.</sup><ref name="ftn37">Eine gute Einführung bieten North, Astrolabe; Stautz, ''Astrolabiensammlungen'', S. 99–122.</ref> In eine Grundscheibe (''mater'') werden eine oder mehrere Ortsscheiben eingelegt, die für bestimmte geographische Breiten stehen. Darüber befindet sich eine drehbare, durchbrochene Scheibe (''rete''), die ein Netz (Arabisch: ''ʿankabūt'') der Positionen der wichtigsten Fixsterne und den Tierkreis wiedergibt. Mithilfe eines Alhidade (Arabisch: ''al-ʿiḍāda'') genannten, drehbaren Zeigers werden Skalen und Positionspunkte, die auf der Rückseite eingraviert werden, zugeordnet. Mit dem Instrument lassen sich u. a. Auf- und Untergangszeiten von Sternen und Tageszeiten beobachten und ermitteln.  
[§13] Das Astrolab ist ein zweidimensionales Modell des Himmels in Bezug auf den Horizont eines bestimmten Ortes zu einem beliebigen Zeitpunkt.<ref name="ftn37">Eine gute Einführung bieten North, Astrolabe; Stautz, ''Astrolabiensammlungen'', S. 99–122.</ref> In eine Grundscheibe (''mater'') werden eine oder mehrere Ortsscheiben eingelegt, die für bestimmte geographische Breiten stehen. Darüber befindet sich eine drehbare, durchbrochene Scheibe (''rete''), die ein Netz (Arabisch: ''ʿankabūt'') der Positionen der wichtigsten Fixsterne und den Tierkreis wiedergibt. Mithilfe eines Alhidade (Arabisch: ''al-ʿiḍāda'') genannten, drehbaren Zeigers werden Skalen und Positionspunkte, die auf der Rückseite eingraviert werden, zugeordnet. Mit dem Instrument lassen sich u. a. Auf- und Untergangszeiten von Sternen und Tageszeiten beobachten und ermitteln.  


[§14] Bereits Ptolemaios<ref name="ftn38">Toomer, Ptolemy.</ref> (gest. ca. 170) erwähnt im ''Almagest'' ein ''astrolabon'' (''ἀστρολάβον'') genanntes Gerät, wobei es sich aber eher um eine Armillarsphäre, einem Unterrichtszwecken dienendem Modell des Sonnensystems mit die Planetensphären symbolisierenden Ringen, gehandelt haben dürfte.<ref name="ftn39">Stückelberger, Ptolemaios. Zur älteren Forschungsmeinung, die darunter noch ein Astrolab verstand, vgl. u. a. Neugebauer, History, S. 240. Eine kurze Beschreibung mit Abbildung einer Armillarsphäre in: ''Ioannes Philoponus, De usu astrolabii eiusque constructione'', herausgegeben, übersetzt und erläutert von Alfred Stückelberger, S. 66–67.</ref> Frühe Abhandlungen zum Astrolab stammen vom alexandrinischen Gelehrten Johannes Philoponos (gest. 540)<ref name="ftn40">''Ioannes Philoponus, De usu astrolabii eiusque constructione'', herausgegeben, übersetzt und erläutert von Alfred Stückelberger.</ref> und dem syrischen Bischof Severus Sebokht (gest. 666–667).<ref name="ftn41">Zu seiner Biographie vgl. ''McMahon, Severus Sebokht. Seine unvollständig erhaltene Abhandlung bei Nau, Traité.''</ref> Die ersten bekannten arabischen Astrolabtraktate verfassten in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts ʿAlī b. ʿIsā (fl. um 215/830)<ref name="ftn42">Bolt, ʿAlī, S. 34. Eine Edition seines ''Kitāb al-ʿamal bi-l-aṣṭurlāb'' bei Cheikho, Kitāb. Eine deutsche Übersetzung bietet Schoy, Gebrauch. Mindestens ein weiteres ʿAlī b. ʿIsā zugewiesenes Traktat ist noch unediert. Ich danke Petra Schmidl (Erlangen) für Literaturhinweise zu ʿAlī b. ʿIsā und für die Zusendung ihrer Edition.</ref> und Muḥammad b. Mūsā al-Ḫwārizmī<ref name="ftn43">Zu seiner Biographie vgl. Toomer, Al‐Khwārizmī. Eine Edition seines Astrolabtraktats mit englischer Übersetzung bietet Charette-Schmidl, Astronomy, S. 115–124, 140–150. </ref> (gest. ca. 235/850).<ref name="ftn44">Eine Liste wichtiger griechischer, syrischer, arabischer und lateinischer Astrolabtexte bietet Kunitzsch, Reception, S. 249–252.</ref> Einige von al-Ḫwārizmīs Arbeiten waren, zusammen mit anderen astronomischen Schriften aus dem islamischen Osten, spätestens im 10. Jahrhundert in al-Andalus bekannt.<ref name="ftn45">Juste, ''Alchandreana'', S. 5–6. Zu al-Ḫwārizmīs astronomischen Tafeln, die nur in der lateinischen Übersetzung einer andalusischen Version, nicht aber im arabischen Original, auf uns gekommen sind, vgl. King und Samsó, Handbooks, S. 33–35; jetzt auch Samsó, ''Sides'', S. 23, 688–708.</ref>
[§14] Bereits Ptolemaios<ref name="ftn38">Toomer, Ptolemy.</ref> (gest. ca. 170) erwähnt im ''Almagest'' ein ''astrolabon'' (''ἀστρολάβον'') genanntes Gerät, wobei es sich aber eher um eine Armillarsphäre, einem Unterrichtszwecken dienendem Modell des Sonnensystems mit die Planetensphären symbolisierenden Ringen, gehandelt haben dürfte.<ref name="ftn39">Stückelberger, Ptolemaios. Zur älteren Forschungsmeinung, die darunter noch ein Astrolab verstand, vgl. u. a. Neugebauer, History, S. 240. Eine kurze Beschreibung mit Abbildung einer Armillarsphäre in: ''Ioannes Philoponus, De usu astrolabii eiusque constructione'', herausgegeben, übersetzt und erläutert von Alfred Stückelberger, S. 66–67.</ref> Frühe Abhandlungen zum Astrolab stammen vom alexandrinischen Gelehrten Johannes Philoponos (gest. 540)<ref name="ftn40">''Ioannes Philoponus, De usu astrolabii eiusque constructione'', herausgegeben, übersetzt und erläutert von Alfred Stückelberger.</ref> und dem syrischen Bischof Severus Sebokht (gest. 666–667).<ref name="ftn41">Zu seiner Biographie vgl. ''McMahon, Severus Sebokht. Seine unvollständig erhaltene Abhandlung bei Nau, Traité.''</ref> Die ersten bekannten arabischen Astrolabtraktate verfassten in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts ʿAlī b. ʿIsā (fl. um 215/830)<ref name="ftn42">Bolt, ʿAlī, S. 34. Eine Edition seines ''Kitāb al-ʿamal bi-l-aṣṭurlāb'' bei Cheikho, Kitāb. Eine deutsche Übersetzung bietet Schoy, Gebrauch. Mindestens ein weiteres ʿAlī b. ʿIsā zugewiesenes Traktat ist noch unediert. Ich danke Petra Schmidl (Erlangen) für Literaturhinweise zu ʿAlī b. ʿIsā und für die Zusendung ihrer Edition.</ref> und Muḥammad b. Mūsā al-Ḫwārizmī<ref name="ftn43">Zu seiner Biographie vgl. Toomer, Al‐Khwārizmī. Eine Edition seines Astrolabtraktats mit englischer Übersetzung bietet Charette-Schmidl, Astronomy, S. 115–124, 140–150. </ref> (gest. ca. 235/850).<ref name="ftn44">Eine Liste wichtiger griechischer, syrischer, arabischer und lateinischer Astrolabtexte bietet Kunitzsch, Reception, S. 249–252.</ref> Einige von al-Ḫwārizmīs Arbeiten waren, zusammen mit anderen astronomischen Schriften aus dem islamischen Osten, spätestens im 10. Jahrhundert in al-Andalus bekannt.<ref name="ftn45">Juste, ''Alchandreana'', S. 5–6. Zu al-Ḫwārizmīs astronomischen Tafeln, die nur in der lateinischen Übersetzung einer andalusischen Version, nicht aber im arabischen Original, auf uns gekommen sind, vgl. King und Samsó, Handbooks, S. 33–35; jetzt auch Samsó, ''Sides'', S. 23, 688–708.</ref>
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[§16] Kontrovers diskutiert wird in der Forschung die Rolle Gerberts von Aurillac (um 950–1003), des späteren Papstes Silvester II. (sed. 999–1003) bei diesem Transferprozess.<ref name="ftn48">Seine Biographie aus wissenschaftshistorischer Perspektive behandelt Struik, Gerbert. Zu Gerberts Rolle als Wissensmediator siehe [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-en/index.php/984:_Some_Letters_by_Gerbert_d%E2%80%99Aurillac_Dealing_with_%E2%80%9CArabic%E2%80%9D_Mathematics_and_Astrology 984: Some Letters by Gerbert d’Aurillac Dealing with “Arabic” Mathematics and Astrology]</ref> Gerbert hatte Graf Borrell von Barcelona (r. 947–992) im Jahre 967 nach Katalonien begleitet und unter Bischof Hatto von Vich (sed. 957-971) in der Nähe Ripolls studiert. Dort scheint er auch mit arabischer Wissenschaft in Berührung gekommen zu sein.<ref name="ftn49">Richer von Saint-Remi, ''Historiae'', ed. Hoffmann (MGH SS 38), lib. III, cap. 43, S. 191–192. Zu den Lehrzentren der Region vgl. Vones, Bischofsbild. Zu Gerberts dortigen Studien vgl. Lindgren, Gerbert, S. 291, die ihm allerdings noch die Verwendung eines Astrolabs zuschreibt, und McCluskey, ''Astronomies'', S. 175–176.</ref> Da viele Handschriften des Astrolabtraktats ''De utilitatibus astrolabii'' den Namen Gerberts tragen, tendierte die Forschung lange dazu, ihm sowohl die Autorschaft der Abhandlung, als auch die eigene Verwendung des Astrolabs zuzuschreiben.<ref name="ftn50">Mehrere dieser Handschriften beschreibt Bubnov, ''Gerberti'', S. 112–114. Bubnov ordnet den Text unter den ''Dubia'' ein, tendiert aber zu einer Zuschreibung des Textes zu Gerbert; ebenso noch Bergmann, Traktat, S. 99.</ref> Die jüngere Forschung verhält sich zurückhaltender und ist davon abgewichen, da die Quellen keine eindeutige Aussage zulassen. So beschreibt Richer von Reims (gest. nach 998) in seinen ''Historiae'' den Astronomieunterricht Gerberts an der Domschule von Reims und nennt eine Reihe von Instrumenten, die Gerbert wohl als didaktische Hilfsmittel dienten. Das Astrolab bleibt dabei jedoch unerwähnt.<ref name="ftn51">Richer Von Saint-Remi, ''Historiae'', ed. Hoffmann (MGH SS 38), lib. III, cap. 50–51, S. 195–198.</ref> Indizien dafür, dass Gerbert zumindest Kenntnis von den Astrolabtexten des alten Corpus hatte, sind dagegen vorhanden. In einem Brief von 984<ref name="ftn52">''Die Briefsammlung Gerberts von Reims'', ed. Fritz Weigle (MGH Briefe der deutschen Kaiserzeit 2), Weimar: Hahnsche Buchhandlung, 1966, Nr. 24, S. 46–47.</ref> bittet er den Adressaten Lupitus von Barcelona (gest. nach 984)<ref name="ftn53">Die Forschung konnte ihn noch nicht einwandfrei identifizieren. Einen frühen Annäherungsversuch unternimmt Lattin, Lupitus, S. 58–64, die ihn mit dem gleichnamigen Barceloner Archidiakon gleichsetzt. Freudenhammer, Lupitus, hat jüngst versucht zu beweisen, dass es sich um einen von al-Andalus nach Barcelona emigrierten, einfachen mozarabischen Kleriker handele.</ref>, ihm ein von diesem übersetztes bzw. kopiertes (das verwendete Verb ''transferre'' ist mehrdeutig) Werk zur ''astrologia'' zu senden. Dabei könnte es sich um die ''Sententie astrolabii'' handeln, auch sie Teil des „alten Corpus“.  
[§16] Kontrovers diskutiert wird in der Forschung die Rolle Gerberts von Aurillac (um 950–1003), des späteren Papstes Silvester II. (sed. 999–1003) bei diesem Transferprozess.<ref name="ftn48">Seine Biographie aus wissenschaftshistorischer Perspektive behandelt Struik, Gerbert. Zu Gerberts Rolle als Wissensmediator siehe [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-en/index.php/984:_Some_Letters_by_Gerbert_d%E2%80%99Aurillac_Dealing_with_%E2%80%9CArabic%E2%80%9D_Mathematics_and_Astrology 984: Some Letters by Gerbert d’Aurillac Dealing with “Arabic” Mathematics and Astrology]</ref> Gerbert hatte Graf Borrell von Barcelona (r. 947–992) im Jahre 967 nach Katalonien begleitet und unter Bischof Hatto von Vich (sed. 957-971) in der Nähe Ripolls studiert. Dort scheint er auch mit arabischer Wissenschaft in Berührung gekommen zu sein.<ref name="ftn49">Richer von Saint-Remi, ''Historiae'', ed. Hoffmann (MGH SS 38), lib. III, cap. 43, S. 191–192. Zu den Lehrzentren der Region vgl. Vones, Bischofsbild. Zu Gerberts dortigen Studien vgl. Lindgren, Gerbert, S. 291, die ihm allerdings noch die Verwendung eines Astrolabs zuschreibt, und McCluskey, ''Astronomies'', S. 175–176.</ref> Da viele Handschriften des Astrolabtraktats ''De utilitatibus astrolabii'' den Namen Gerberts tragen, tendierte die Forschung lange dazu, ihm sowohl die Autorschaft der Abhandlung, als auch die eigene Verwendung des Astrolabs zuzuschreiben.<ref name="ftn50">Mehrere dieser Handschriften beschreibt Bubnov, ''Gerberti'', S. 112–114. Bubnov ordnet den Text unter den ''Dubia'' ein, tendiert aber zu einer Zuschreibung des Textes zu Gerbert; ebenso noch Bergmann, Traktat, S. 99.</ref> Die jüngere Forschung verhält sich zurückhaltender und ist davon abgewichen, da die Quellen keine eindeutige Aussage zulassen. So beschreibt Richer von Reims (gest. nach 998) in seinen ''Historiae'' den Astronomieunterricht Gerberts an der Domschule von Reims und nennt eine Reihe von Instrumenten, die Gerbert wohl als didaktische Hilfsmittel dienten. Das Astrolab bleibt dabei jedoch unerwähnt.<ref name="ftn51">Richer Von Saint-Remi, ''Historiae'', ed. Hoffmann (MGH SS 38), lib. III, cap. 50–51, S. 195–198.</ref> Indizien dafür, dass Gerbert zumindest Kenntnis von den Astrolabtexten des alten Corpus hatte, sind dagegen vorhanden. In einem Brief von 984<ref name="ftn52">''Die Briefsammlung Gerberts von Reims'', ed. Fritz Weigle (MGH Briefe der deutschen Kaiserzeit 2), Weimar: Hahnsche Buchhandlung, 1966, Nr. 24, S. 46–47.</ref> bittet er den Adressaten Lupitus von Barcelona (gest. nach 984)<ref name="ftn53">Die Forschung konnte ihn noch nicht einwandfrei identifizieren. Einen frühen Annäherungsversuch unternimmt Lattin, Lupitus, S. 58–64, die ihn mit dem gleichnamigen Barceloner Archidiakon gleichsetzt. Freudenhammer, Lupitus, hat jüngst versucht zu beweisen, dass es sich um einen von al-Andalus nach Barcelona emigrierten, einfachen mozarabischen Kleriker handele.</ref>, ihm ein von diesem übersetztes bzw. kopiertes (das verwendete Verb ''transferre'' ist mehrdeutig) Werk zur ''astrologia'' zu senden. Dabei könnte es sich um die ''Sententie astrolabii'' handeln, auch sie Teil des „alten Corpus“.  


[§17] Gerberts Schüler Fulbert von Chartres, der Lehrer Radulfs von Lüttich, könnte die ''Sententie astrolabii'' bei Gerbert in Reims kennengelernt haben.<ref name="ftn54">Belege für ein Studium Fulberts bei Gerbert aus seinen Briefen und aus historiographischen Quellen bei DeMayo, Students, S. 102–103. Burnett, King, S. 334, hält es für möglich, dass Fulbert seine Textsammlung aus der Benediktinerabtei Saint-Mesmin de ''Micy'' erhielt.</ref> Es haben sich von ihm angefertigte astronomische Notizen erhalten, die seine Vertrautheit mit dem alten Corpus belegen.<ref name="ftn55">McVaugh und Behrends, Fulbert , S. 176–177; Juste, ''Alchandreana'', S. 6–7.</ref> Ein von Fulbert in Hexametern verfasstes Lehrgedicht<ref name="ftn56">Dieses auch bei Behrends, ''Letters'', S. 260–261.</ref> mit arabischen Sternnamen ist das erste lateinische Gedicht mit arabischen Begriffen überhaupt<ref name="ftn57">Burnett, King, S. 334.</ref> und basiert anscheinend auf einer Liste der zwölf Tierkreiszeichen mit ihrer lateinischen Bezeichnung, denen die arabischen Namen besonders heller Fixsterne beigeordnet sind. Diese Liste wurde von der Forschung als Zusammenfassung eines Kapitels von ''De stellis horarum'' erkannt, einem der Traktate des alten Corpus.<ref name="ftn58">Millás, ''Assaig'', S. 292; McCluskey, ''Astronomies'', S. 171.</ref> Die dritte Notiz ist eine Liste von 28 arabischen Astrolabtermini, 24 davon sind mit lateinischer Übersetzung wiedergegeben. Fulbert erstellte diese Liste mithilfe der ''Sententie astrolabii''.<ref name="ftn59">Belege für ein Studium Fulberts bei Gerbert aus seinen Briefen und aus historiographischen Quellen bei DeMayo, Students, S. 102–103.</ref> Der Text der ''Sententie ''gibt u. a. eine Sterntafel der auf der Rete anzubringenden Fixsterne wieder, zu denen auch die Sternnamen auf Fulberts Liste zählen. Paul Kunitzsch hat nachgewiesen, dass ein Großteil der Abhandlung eine direkte Übersetzung des ''Kitāb al-ʿamal bi-l-asṭurlāb' 'von al-Ḫwārizmī ist; andere Passagen geben zumindest den Inhalt wieder.<ref name="ftn60">Kunitzsch, Al-Khwarizmi.</ref> Die ''Sententie'' gehören noch zu den Astrolabtexten frühen Stadiums, die in Ermangelung einer lateinischer Fachterminologie die arabischen Termini in Transkription wiedergeben und erläutern.<ref name="ftn61">Kunitzsch, Vermittler, S. 149–151; Burnett, Translating, S. 59–72. Ein Glossar der arabischen Termini und ihrer lateinischen Erklärung im Traktat bei Schramm, Astrolabtext, S. 279–282.</ref> Sie hatten einen beträchtlichen Einfluss auf Inhalt und Terminologie der mittelalterlichen Astrolabliteratur, etwa der in zahlreichen Handschriften überlieferten Schriften Hermanns des Lahmen (gest. 1054).<ref name="ftn62">Hermann von Reichenaus Astrolabtraktate ''De mensura astrolabii'' und ''De utilitatibus astrolabii'' harren noch einer modernen Edition. Vorarbeiten von Arno Borst (1925–2007) als Teil seines Nachlasses im Universitätsarchiv Konstanz. Vgl. zum aktuellen Forschungsstand Juste, Hermann.</ref>  
[§17] Gerberts Schüler Fulbert von Chartres, der Lehrer Radulfs von Lüttich, könnte die ''Sententie astrolabii'' bei Gerbert in Reims kennengelernt haben.<ref name="ftn54">Belege für ein Studium Fulberts bei Gerbert aus seinen Briefen und aus historiographischen Quellen bei DeMayo, Students, S. 102–103. Burnett, King, S. 334, hält es für möglich, dass Fulbert seine Textsammlung aus der Benediktinerabtei Saint-Mesmin de ''Micy'' erhielt.</ref> Es haben sich von ihm angefertigte astronomische Notizen erhalten, die seine Vertrautheit mit dem alten Corpus belegen.<ref name="ftn55">McVaugh und Behrends, Fulbert , S. 176–177; Juste, ''Alchandreana'', S. 6–7.</ref> Ein von Fulbert in Hexametern verfasstes Lehrgedicht<ref name="ftn56">Dieses auch bei Behrends, ''Letters'', S. 260–261.</ref> mit arabischen Sternnamen ist das erste lateinische Gedicht mit arabischen Begriffen überhaupt<ref name="ftn57">Burnett, King, S. 334.</ref> und basiert anscheinend auf einer Liste der zwölf Tierkreiszeichen mit ihrer lateinischen Bezeichnung, denen die arabischen Namen besonders heller Fixsterne beigeordnet sind. Diese Liste wurde von der Forschung als Zusammenfassung eines Kapitels von ''De stellis horarum'' erkannt, einem der Traktate des alten Corpus.<ref name="ftn58">Millás, ''Assaig'', S. 292; McCluskey, ''Astronomies'', S. 171.</ref> Die dritte Notiz ist eine Liste von 28 arabischen Astrolabtermini, 24 davon sind mit lateinischer Übersetzung wiedergegeben. Fulbert erstellte diese Liste mithilfe der ''Sententie astrolabii''.<ref name="ftn59">Belege für ein Studium Fulberts bei Gerbert aus seinen Briefen und aus historiographischen Quellen bei DeMayo, Students, S. 102–103.</ref> Der Text der ''Sententie ''gibt u. a. eine Sterntafel der auf der Rete anzubringenden Fixsterne wieder, zu denen auch die Sternnamen auf Fulberts Liste zählen. Paul Kunitzsch hat nachgewiesen, dass ein Großteil der Abhandlung eine direkte Übersetzung des ''Kitāb al-ʿamal bi-l-asṭurlāb'' von al-Ḫwārizmī ist; andere Passagen geben zumindest den Inhalt wieder.<ref name="ftn60">Kunitzsch, Al-Khwarizmi.</ref> Die ''Sententie'' gehören noch zu den Astrolabtexten frühen Stadiums, die in Ermangelung einer lateinischer Fachterminologie die arabischen Termini in Transkription wiedergeben und erläutern.<ref name="ftn61">Kunitzsch, Vermittler, S. 149–151; Burnett, Translating, S. 59–72. Ein Glossar der arabischen Termini und ihrer lateinischen Erklärung im Traktat bei Schramm, Astrolabtext, S. 279–282.</ref> Sie hatten einen beträchtlichen Einfluss auf Inhalt und Terminologie der mittelalterlichen Astrolabliteratur, etwa der in zahlreichen Handschriften überlieferten Schriften Hermanns des Lahmen (gest. 1054).<ref name="ftn62">Hermann von Reichenaus Astrolabtraktate ''De mensura astrolabii'' und ''De utilitatibus astrolabii'' harren noch einer modernen Edition. Vorarbeiten von Arno Borst (1925–2007) als Teil seines Nachlasses im Universitätsarchiv Konstanz. Vgl. zum aktuellen Forschungsstand Juste, Hermann.</ref>  


[§18] Radulf und Ragimbold müssen durch Fulbert von Chartres Kenntnis vom alten Corpus erhalten haben.<ref name="ftn63">McVaugh und Behrends, Fulbert, S. 172, 174.</ref> So bietet der „akademische Stammbaum“ von Gerbert von Aurillac über Fulbert von Chartres zu Radulf von Lüttich eine mögliche Erklärung dafür, wie erste Astrolabkenntnisse und ein Astrolab von Katalonien ins lothringische Lüttich gelangten. In der Forschung wurde allerdings auch darauf hingewiesen, dass Fulbert über die französischen Benediktinerabteien Fleury und Micy an sein Wissen gelangt sein könnte.<ref name="ftn64">Burnett, King, S. 330–338; Samsó, ''Sides'', S. 398–399.</ref>  
[§18] Radulf und Ragimbold müssen durch Fulbert von Chartres Kenntnis vom alten Corpus erhalten haben.<ref name="ftn63">McVaugh und Behrends, Fulbert, S. 172, 174.</ref> So bietet der „akademische Stammbaum“ von Gerbert von Aurillac über Fulbert von Chartres zu Radulf von Lüttich eine mögliche Erklärung dafür, wie erste Astrolabkenntnisse und ein Astrolab von Katalonien ins lothringische Lüttich gelangten. In der Forschung wurde allerdings auch darauf hingewiesen, dass Fulbert über die französischen Benediktinerabteien Fleury und Micy an sein Wissen gelangt sein könnte.<ref name="ftn64">Burnett, King, S. 330–338; Samsó, ''Sides'', S. 398–399.</ref>  


[§19] Wie wir bereits in §11 sahen, lässt sich anhand der Quellen nicht mehr feststellen, ob Ragimbold sich ein Astrolabium beschafft und sich selbst dem Studium von Astrolabtraktaten gewidmet hat. Mindestens ein Codex aus dem Kölner Raum, der astronomisch-mathematisches Wissen aus der arabisch-islamischen Sphäre weitergibt, ließe sich jedoch mit Ragimbold in Verbindung bringen: Die Mitte des 11. Jahrhunderts erweiterte Sammelhandschrift ''British Library, Harley 3595''.<ref name="ftn65">Beschrieben bei Folkerts, ''„Boethius”'', S. 4–5. Zur Kölner Provenienz des Manuskripts Mayr-Harting, ''Church'', S. 240. Ein Digitalisat unter: [http://www.bl.uk/manuscripts/FullDisplay.aspx?ref=Harley_MS_3595 http://www.bl.uk/manuscripts/FullDisplay.aspx?ref=Harley_MS_3595]. </ref> Sie enthält neben Boethius’ ''De arithmetica'' – die im Briefwechsel zwischen Radulf und Ragimbold eine wichtige Rolle spielt – u. a. auch Teile einer als ''Geometria incerti auctoris'' bezeichneten Schrift eines anonymen Verfassers, die die Verwendung des Astrolabs zur Lösung geodätischer Probleme beschreibt.<ref name="ftn66">Anonymus, Geometria incerti auctoris, ed. Nicolaus Bubnov in: Nicolaus Bubnov, ''Gerberti postea Silvestri II papae Opera mathematica (972–1003)'', Berlin: R. Friedländer & Sohn, 1899, S. 310–364, S. 317–318: „Si fuerit altitudo in aequalitate, tali poterit mensurari inspectione. Sumatur ab altimetra astrolabium, et in medietate quadrati in postica ejus planitie exarati constituatur mediclinium, ut hac scilicet positione sit mediclinium alterius partis astrolabii in numero graduum dierum XLV, et tandiu ab eo ante et retro aestimando pergatur, donec per utrumque ipsius mediclinii foramen altitudinis summitas inspiciatur.” Auszugsweise auch ediert bei Millás, ''Assaig'', S. 302–304. Zu dieser Schrift vgl. Folkerts, ''Aufgabensammlung'', S. 39; Vogel, Vermessungsproblem, S. 364–366. ''Harley 3595'' wurde von Bubnov für seine Edition nicht herangezogen; sein Text weicht stellenweise von dem der Handschrift ab. </ref> Sie ist oft gemeinsam mit der von Gerbert von Aurillac verfassten ''Geometria'' kopiert worden.<ref name="ftn67">Zur Gerberts ''Geometria'' vgl. Lindgren, Gerbert, S. 296, 300. </ref> Buch III, in dem das Astrolab Erwähnung findet, ist zwar nicht enthalten, doch muss der Schreiber es gekannt haben. Zusätzliche Signifikanz erhält die Handschrift dadurch, dass der ''Geometria incerti auctoris'' eine weitere mathematische Schrift, eines unbekannten Verfassers vorangestellt ist, die in der Forschung gemeinhin als „''Boethius“ Geometrie II'' bezeichnet wird. Sie wurde nach 1000 wahrscheinlich in Lothringen verfasst und gibt auf fol. 62<sup>r</sup> eine Abakustafel mit Zahlzeichen wieder, die man als „westarabische Ġubārziffern“ bezeichnet. Die Ziffernnamen ''arbas ''(vgl. Arabisch ''arbaʿ''), ''quimas ''(Arabisch ''ḫamsa'') und ''temenias ''(Arabisch ''ṯamāniya'') zeigen sogar noch Anklänge ans Arabische.<ref name="ftn68">Folkerts, ''„Boethius”'', S. 86–89, 105–107; eine Abbildung der Ġubārziffern in Appendix II; eine Abbildung der Manuskriptseite auf Tafel 11. </ref> In seiner Eigenschaft als Leiter der Domschule wird Ragimbold als ''bibliotecarius'' auch die Aufsicht über Domschulbibliothek und angeschlossenes Skriptorium gehabt haben und konnte das Anfertigen von Kopien beider Abhandlungen veranlassen. Dass die Verantwortung für die Domschulbibliotheken den Magistern oblag, bezeugt für die Trierer Domschule eine Urkunde von 1075, in welcher der Domscholaster Winricus auch als ''bibliothekarius ''bezeichnet wird. Eine weitere Urkunde von 1083 nennt seinen Amtsnachfolger Petrus ebenfalls in doppelter Funktion als Domschullehrer und Bibliothekar.<ref name="ftn69">''Urkundenbuch zur Geschichte der jetzt die Preussischen Regierungsbezirke Coblenz und Trier bildenden mittelrheinischen Territorien, Bd. 1: Von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1169'', ed. Heinrich Beyer, Koblenz: J. Hölscher, 1860, Nr. 375, S. 433: „Ego Winricus prime sedis sancti Petri archischolasticus et bibliothekarius recognovi:“ Ebd., Nr. 378, S. 436: „Petrus scolasticus et bibliotecarius hanc cartam recognovit et recitavit.“ Diese und weitere Belege aus dem Zeitraum um 1100 besprochen bei Nolden, Zeugnisse, S. 122–127.</ref> Zwar kämen neben der Domschule theoretisch auch die Skriptorien der zahlreichen Klöster in Köln und Umgebung als Entstehungsort für die zweite Hälfte von ''MS Harley 3595'' in Betracht.<ref name="ftn70">Zur damaligen Kölner Klosterlandschaft vgl. Schieffer, Klosterlandschaft, S. 278–282.</ref> Doch findet sich um 1050 in Köln außer Ragimbold kein weiterer Gelehrter, der dafür in Frage käme. Ein Großteil der Handschriften aus der in der British Library befindlichen Sammlung Harley gehörte zudem ursprünglich zum Bestand der Kölner Domschulbibliothek.<ref name="ftn71">Vgl. zur Bestandsgeschichte Clark, Library.</ref> Ragimbold bleibt also der wahrscheinlichste Auftraggeber für die Kompilation des Codex. Die hier aufgezeigte mögliche Verbindung zwischen der Korrespondenz Radulfs und Ragimbolds und ''MS Harley 3595'' fand in der Forschung bislang keine Beachtung. Eine systematische Untersuchung der astronomisch-mathematischen Handschriftenbestände der Kölner Domschulbibliothek im 11. Jahrhundert könnte hier möglicherweise interessante Antworten liefern!  
[§19] Wie wir bereits in §11 sahen, lässt sich anhand der Quellen nicht mehr feststellen, ob Ragimbold sich ein Astrolabium beschafft und sich selbst dem Studium von Astrolabtraktaten gewidmet hat. Mindestens ein Codex aus dem Kölner Raum, der astronomisch-mathematisches Wissen aus der arabisch-islamischen Sphäre weitergibt, ließe sich jedoch mit Ragimbold in Verbindung bringen: Die Mitte des 11. Jahrhunderts erweiterte Sammelhandschrift ''British Library, Harley 3595''.<ref name="ftn65">Beschrieben bei Folkerts, ''„Boethius”'', S. 4–5. Zur Kölner Provenienz des Manuskripts Mayr-Harting, ''Church'', S. 240. Ein Digitalisat unter: [http://www.bl.uk/manuscripts/FullDisplay.aspx?ref=Harley_MS_3595 http://www.bl.uk/manuscripts/FullDisplay.aspx?ref=Harley_MS_3595]. </ref> Sie enthält neben Boethius’ ''De arithmetica'' – die im Briefwechsel zwischen Radulf und Ragimbold eine wichtige Rolle spielt – u. a. auch Teile einer als ''Geometria incerti auctoris'' bezeichneten Schrift eines anonymen Verfassers, die die Verwendung des Astrolabs zur Lösung geodätischer Probleme beschreibt.<ref name="ftn66">Anonymus, Geometria incerti auctoris, ed. Nicolaus Bubnov in: Nicolaus Bubnov, ''Gerberti postea Silvestri II papae Opera mathematica (972–1003)'', Berlin: R. Friedländer & Sohn, 1899, S. 310–364, S. 317–318: „Si fuerit altitudo in aequalitate, tali poterit mensurari inspectione. Sumatur ab altimetra astrolabium, et in medietate quadrati in postica ejus planitie exarati constituatur mediclinium, ut hac scilicet positione sit mediclinium alterius partis astrolabii in numero graduum dierum XLV, et tandiu ab eo ante et retro aestimando pergatur, donec per utrumque ipsius mediclinii foramen altitudinis summitas inspiciatur.” Auszugsweise auch ediert bei Millás, ''Assaig'', S. 302–304. Zu dieser Schrift vgl. Folkerts, ''Aufgabensammlung'', S. 39; Vogel, Vermessungsproblem, S. 364–366. ''Harley 3595'' wurde von Bubnov für seine Edition nicht herangezogen; sein Text weicht stellenweise von dem der Handschrift ab. </ref> Sie ist oft gemeinsam mit der von Gerbert von Aurillac verfassten ''Geometria'' kopiert worden.<ref name="ftn67">Zur Gerberts ''Geometria'' vgl. Lindgren, Gerbert, S. 296, 300. </ref> Buch III, in dem das Astrolab Erwähnung findet, ist zwar nicht enthalten, doch muss der Schreiber es gekannt haben. Zusätzliche Signifikanz erhält die Handschrift dadurch, dass der ''Geometria incerti auctoris'' eine weitere mathematische Schrift, eines unbekannten Verfassers vorangestellt ist, die in der Forschung gemeinhin als „''Boethius“ Geometrie II'' bezeichnet wird. Sie wurde nach 1000 wahrscheinlich in Lothringen verfasst und gibt auf fol. 62<sup>r</sup> eine Abakustafel mit Zahlzeichen wieder, die man als „westarabische Ġubārziffern“ bezeichnet. Die Ziffernnamen ''arbas ''(Arabisch ''arbaʿ''), ''quimas ''(Arabisch ''ḫamsa'') und ''temenias ''(Arabisch ''ṯamāniya'') zeigen sogar noch Anklänge ans Arabische.<ref name="ftn68">Folkerts, ''„Boethius”'', S. 86–89, 105–107; eine Abbildung der Ġubārziffern in Appendix II; eine Abbildung der Manuskriptseite auf Tafel 11. </ref> In seiner Eigenschaft als Leiter der Domschule wird Ragimbold als ''bibliotecarius'' auch die Aufsicht über Domschulbibliothek und angeschlossenes Skriptorium gehabt haben und konnte das Anfertigen von Kopien beider Abhandlungen veranlassen. Dass die Verantwortung für die Domschulbibliotheken den Magistern oblag, bezeugt für die Trierer Domschule eine Urkunde von 1075, in welcher der Domscholaster Winricus auch als ''bibliothekarius ''bezeichnet wird. Eine weitere Urkunde von 1083 nennt seinen Amtsnachfolger Petrus ebenfalls in doppelter Funktion als Domschullehrer und Bibliothekar.<ref name="ftn69">''Urkundenbuch zur Geschichte der jetzt die Preussischen Regierungsbezirke Coblenz und Trier bildenden mittelrheinischen Territorien, Bd. 1: Von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1169'', ed. Heinrich Beyer, Koblenz: J. Hölscher, 1860, Nr. 375, S. 433: „Ego Winricus prime sedis sancti Petri archischolasticus et bibliothekarius recognovi:“ Ebd., Nr. 378, S. 436: „Petrus scolasticus et bibliotecarius hanc cartam recognovit et recitavit.“ Diese und weitere Belege aus dem Zeitraum um 1100 besprochen bei Nolden, Zeugnisse, S. 122–127.</ref> Zwar kämen neben der Domschule theoretisch auch die Skriptorien der zahlreichen Klöster in Köln und Umgebung als Entstehungsort für die zweite Hälfte von ''MS Harley 3595'' in Betracht.<ref name="ftn70">Zur damaligen Kölner Klosterlandschaft vgl. Schieffer, Klosterlandschaft, S. 278–282.</ref> Doch findet sich um 1050 in Köln außer Ragimbold kein weiterer Gelehrter, der dafür in Frage käme. Ein Großteil der Handschriften aus der in der British Library befindlichen Sammlung Harley gehörte zudem ursprünglich zum Bestand der Kölner Domschulbibliothek.<ref name="ftn71">Vgl. zur Bestandsgeschichte Clark, Library.</ref> Ragimbold bleibt also der wahrscheinlichste Auftraggeber für die Kompilation des Codex. Die hier aufgezeigte mögliche Verbindung zwischen der Korrespondenz Radulfs und Ragimbolds und ''MS Harley 3595'' fand in der Forschung bislang keine Beachtung. Eine systematische Untersuchung der astronomisch-mathematischen Handschriftenbestände der Kölner Domschulbibliothek im 11. Jahrhundert könnte hier möglicherweise interessante Antworten liefern!  


[§20] Radulfs Brief beinhaltet keinerlei Informationen zu Form und Aussehen des Astrolabs. Jedoch erlaubt der Rückgriff auf Instrumente, ihre mögliche Verwendung und ihre Darstellung im 11. Jahrhundert Überlegungen darüber anzustellen, wie Radulfs Astrolab ausgesehen haben könnte. 1962 beschrieb Marcel Destombes das sogenannte „karolingische Astrolab“, ein Instrument ''katalanischer Provenienz, dass Ende des 10. Jahrhunderts konstruiert wurde.'' Es hatte bereits mehrere Ortsscheiben, die sich noch nach an den ptolemäischen Klimata orientieren, während die meisten ostarabischen Astrolabien schon Scheiben für bestimmte Breitengrade besaßen.<ref name="ftn72">Vgl. zum Begriff „Klimata“ Borrelli, ''Aspects'', S. 41–42. Grundlage der Beschäftigung mit dem Thema bildet immer noch Honigmann, ''Klimata''.</ref> David A. King spricht von westislamischen, also andalusischen Einflüssen,<ref name="ftn73">King, European Astrolabe, S. 365.</ref> betont aber, dass die Inschrift ROMA ET FRANCIA auf einer der Scheiben auf einen lateinischen Ursprung des Astrolabs verweist.<ref name="ftn74">King, European Astrolabe, S. 374.</ref> Spuren eines weiteren zeitgenössischen Astrolabs findet man in der Handschrift ''BN Paris, ms. lat. 7412''.<ref name="ftn75">Die folgenden Ausführungen nach Kunitzsch, ''Traces'', S. 113−120.</ref> Das Manuskript bietet den Text der ''Sententie astrolabii'' und verwandte Texte, seine Entstehungszeit fällt in die Mitte des 11. Jahrhunderts. Die letzten neun Seiten zeigen Zeichnungen eines kompletten Astrolabs mit Rete und Vorder- und Rückseite der Mater und der Ortsscheiben für die sieben Klimata. Der Kopist hatte anscheinend ein westarabisches Astrolab vor sich und gab die arabischen Inschriften äußerst genau wieder. Die Rückseite der Mater nennt sogar den Namen des Astrolabbauers in kufischer Schrift: ''ʿamal Ḫalaf bin al-Muʿāḍ'' (hergestellt von Ḫalaf b. al-Muʿāḍ). Radulfs Astrolab dürfte also den andalusischen Instrumenten nachempfunden gewesen sein, oder zumindest viele ihrer Elemente übernommen haben. Die Tatsache, dass sich Radulf und Ragimbold vornehmlich über geometrische Fragen austauschten und dass Radulfs Brief in Sammelhandschriften wie ''Paris, BN, ms. lat. 7377 C'' neben geometrischen Abhandlungen wie Gerberts Geometria und der Geometria incerti auctoris zu finden ist, verleitete Mary Catherine Welborn zu der Annahme, es habe sich bei Radulfs Instrument um ein arabisches Quadrantastrolab gehandelt, das v. a. der Landvermessung gedient habe.<ref name="ftn76">Welborn, Lotharingia, S. 191–192.</ref> Spätere Forschungen haben allerdings gezeigt, dass Quadrantastrolabien selbst in arabischen Traktaten frühestens im 12. Jahrhundert nachweisbar sind.<ref name="ftn77">King, Remarks, S. 17–20.</ref>
[§20] Radulfs Brief beinhaltet keinerlei Informationen zu Form und Aussehen des Astrolabs. Jedoch erlaubt der Rückgriff auf Instrumente, ihre mögliche Verwendung und ihre Darstellung im 11. Jahrhundert Überlegungen darüber anzustellen, wie Radulfs Astrolab ausgesehen haben könnte. 1962 beschrieb Marcel Destombes das sogenannte „karolingische Astrolab“, ein Instrument ''katalanischer Provenienz, dass Ende des 10. Jahrhunderts konstruiert wurde.'' Es hatte bereits mehrere Ortsscheiben, die sich noch nach an den ptolemäischen Klimata orientieren, während die meisten ostarabischen Astrolabien schon Scheiben für bestimmte Breitengrade besaßen.<ref name="ftn72">Vgl. zum Begriff „Klimata“ Borrelli, ''Aspects'', S. 41–42. Grundlage der Beschäftigung mit dem Thema bildet immer noch Honigmann, ''Klimata''.</ref> David A. King spricht von westislamischen, also andalusischen Einflüssen,<ref name="ftn73">King, European Astrolabe, S. 365.</ref> betont aber, dass die Inschrift ROMA ET FRANCIA auf einer der Scheiben auf einen lateinischen Ursprung des Astrolabs verweist.<ref name="ftn74">King, European Astrolabe, S. 374.</ref> Spuren eines weiteren zeitgenössischen Astrolabs findet man in der Handschrift ''BN Paris, ms. lat. 7412''.<ref name="ftn75">Die folgenden Ausführungen nach Kunitzsch, ''Traces'', S. 113−120.</ref> Das Manuskript bietet den Text der ''Sententie astrolabii'' und verwandte Texte, seine Entstehungszeit fällt in die Mitte des 11. Jahrhunderts. Die letzten neun Seiten zeigen Zeichnungen eines kompletten Astrolabs mit Rete und Vorder- und Rückseite der Mater und der Ortsscheiben für die sieben Klimata. Der Kopist hatte anscheinend ein westarabisches Astrolab vor sich und gab die arabischen Inschriften äußerst genau wieder. Die Rückseite der Mater nennt sogar den Namen des Astrolabbauers in kufischer Schrift: ''ʿamal Ḫalaf bin al-Muʿāḍ'' (hergestellt von Ḫalaf b. al-Muʿāḍ). Radulfs Astrolab dürfte also den andalusischen Instrumenten nachempfunden gewesen sein, oder zumindest viele ihrer Elemente übernommen haben. Die Tatsache, dass sich Radulf und Ragimbold vornehmlich über geometrische Fragen austauschten und dass Radulfs Brief in Sammelhandschriften wie ''Paris, BN, ms. lat. 7377 C'' neben geometrischen Abhandlungen wie Gerberts Geometria und der Geometria incerti auctoris zu finden ist, verleitete Mary Catherine Welborn zu der Annahme, es habe sich bei Radulfs Instrument um ein arabisches Quadrantastrolab gehandelt, das v. a. der Landvermessung gedient habe.<ref name="ftn76">Welborn, Lotharingia, S. 191–192.</ref> Spätere Forschungen haben allerdings gezeigt, dass Quadrantastrolabien selbst in arabischen Traktaten frühestens im 12. Jahrhundert nachweisbar sind.<ref name="ftn77">King, Remarks, S. 17–20.</ref>
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