1243-1245: Rodrigo Jiménez de Radas polemisches Vorwort zur Historia Arabum: Unterschied zwischen den Versionen

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[§2] Während seines Episkopates versuchte er vor allem, an die frühere Rolle des Erzbischofs von Toledo unter westgotischer Herrschaft anzuknüpfen, die 711 mit der muslimischen Invasion beendet worden war. Dieses Bemühen gipfelte in seinem letztlich erfolglosen Versuch, sich vom Papst zum Primas, d.h. zum führenden Bischof der Iberischen Halbinsel erheben zu lassen. Seine mit dem Episkopat verbundene politische Stellung in Kastilien nutzte er zudem, um Widersacher aus den christlichen Orden und anderen Diözesen energisch zu bekämpfen. Gleichzeitig bemühte er sich im Auftrag und mit Unterstützung des Papstes darum, die Herrscher Kastiliens, Navarras, Leóns und Aragons im Kampf gegen die Muslime zu einen. So gelang es ihm mehrfach, inneriberische Streitigkeiten zwischen christlichen Herrschern zumindest für die Dauer von Kampfhandlungen zu unterdrücken. Auch außerhalb der Iberischen Halbinsel warb er um Unterstützung für bevorstehende Schlachten. Dabei bediente er sich in Predigten und Schreiben der bisher v. a. außerhalb der Iberischen Halbinsel im christlichen Europa verbreiteten Sprache des Kreuzzugsgedankens. Trotz seines Einsatzes wurde ihm auch nach dem großen Sieg eines christlichen Bündnisses gegen die Almohaden in der Schlacht bei Las Navas de Tolosa (1212) die Anerkennung des spanischen Primats auf dem IV. Laterankonzil 1215 verweigert. Lediglich die Stellung als päpstlicher Legat wurde ihm 1218 zugestanden. Nachdem er in mehreren, von ihm selbst angeführten Schlachten Anfang der 1220er Jahre Niederlagen erlitten hatte, konzentrierte er sich auf die bloße Mitwirkung beim Werben und Organisieren kastilischer Feldzüge.<ref name="ftn4">Maser, ''Historia'', S. 13-15. Cecini, ''Alcoranus'', S. 97-101.</ref>
[§2] Während seines Episkopates versuchte er vor allem, an die frühere Rolle des Erzbischofs von Toledo unter westgotischer Herrschaft anzuknüpfen, die 711 mit der muslimischen Invasion beendet worden war. Dieses Bemühen gipfelte in seinem letztlich erfolglosen Versuch, sich vom Papst zum Primas, d.h. zum führenden Bischof der Iberischen Halbinsel erheben zu lassen. Seine mit dem Episkopat verbundene politische Stellung in Kastilien nutzte er zudem, um Widersacher aus den christlichen Orden und anderen Diözesen energisch zu bekämpfen. Gleichzeitig bemühte er sich im Auftrag und mit Unterstützung des Papstes darum, die Herrscher Kastiliens, Navarras, Leóns und Aragons im Kampf gegen die Muslime zu einen. So gelang es ihm mehrfach, inneriberische Streitigkeiten zwischen christlichen Herrschern zumindest für die Dauer von Kampfhandlungen zu unterdrücken. Auch außerhalb der Iberischen Halbinsel warb er um Unterstützung für bevorstehende Schlachten. Dabei bediente er sich in Predigten und Schreiben der bisher v. a. außerhalb der Iberischen Halbinsel im christlichen Europa verbreiteten Sprache des Kreuzzugsgedankens. Trotz seines Einsatzes wurde ihm auch nach dem großen Sieg eines christlichen Bündnisses gegen die Almohaden in der Schlacht bei Las Navas de Tolosa (1212) die Anerkennung des spanischen Primats auf dem IV. Laterankonzil 1215 verweigert. Lediglich die Stellung als päpstlicher Legat wurde ihm 1218 zugestanden. Nachdem er in mehreren, von ihm selbst angeführten Schlachten Anfang der 1220er Jahre Niederlagen erlitten hatte, konzentrierte er sich auf die bloße Mitwirkung beim Werben und Organisieren kastilischer Feldzüge.<ref name="ftn4">Maser, ''Historia'', S. 13-15. Cecini, ''Alcoranus'', S. 97-101.</ref>


[§3] Rodrigo Jiménez de Rada war schon während seines Studiums schriftstellerisch aktiv geworden<ref name="ftn5">Pick, Jiménez de Rada, S. 919.</ref>, als er zwischen 1199-1203 das ''Breviarium historie catholice ''verfasste, welches biblische und profane Geschichten paraphrasiert und mit der Sendung der Apostel abschließt.<ref name="ftn6">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Breviarium historie catholice'' (lib. I-V), ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72a), Turnhout: Brepols, 1992, S. 3-320 u. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Breviarium historie catholice'' (lib. VI-IX), ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72b), Turnhout: Brepols, 1992, S. 321-594. Pick, ''Jiménez de Rada'', S. 919.</ref> Gerade zum Erzbischof von Toledo geworden, setzte er sich systematisch mit dem Islam und dem Judentum auseinander, als er 1213 zum Auftraggeber der Koranübersetzung des Marcus von Toledo wurde<ref name="ftn7">Cecini, ''Alcoranus'', S. 96, Ebd., S. 101-103.</ref> und um 1214 die judenfeindliche Schrift ''Dialogus libri vitae'' verfasste.<ref name="ftn8">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Dialogus de libri vitae'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols: 1999, S. 175-424.</ref> Nach dem Ende der Almohadenherrschaft auf der Iberischen Halbinsel widmete er sich ab 1229 im Auftrag Ferdinands III. (regn. 1217-1230 als König von Kastilien, 1230-1252 zusätzlich als König von León)<ref name="ftn9">Vones, Ferdinand III., Sp. 359-360.</ref> der Niederschrift der Geschichte Spaniens. Bis 1243 entstanden seine historiographischen Schriften zur römischen Geschichte der Iberischen Halbinsel (''Historia Romanorum''),<ref name="ftn10">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Romanorum'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols, 1999, S. 37-57. </ref> eine Geschichte der für die Iberische Halbinsel während der Völkerwanderung relevanten ''gentes ''der Hunnen, Vandalen, Sueben, Alanen und silingischen Vandalen'' ''(''Historia Hugnorum, Vandalorum et Suevorum, Alanorum et Silinhorum'')<ref name="ftn11">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Hugnorum, Vandalorum et Suevorum, Alanorum et Silinhorum'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols, 1999, S. 58-78. </ref> sowie eine Geschichte der spanischen Westgoten (''Historia de rebus Hispanie sive Historia Gothica'')<ref name="ftn12">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia de rebus Hispanie sive Historia Gothica'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72a), Turnhout: Brepols, 1987. </ref> als auch der Ostgoten (''Historia Ostrogothorum'').<ref name="ftn13">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Ostrogothorum'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols, 1999, S. 79-89. </ref> Die hier zitierte „Geschichte der Araber“ (''Historia Arabum'') wurde vor 1246, wahrscheinlich 1245, fertiggestellt.<ref name="ftn14">Werkdatierungen auf der Basis von Rodrigo Jiménez de Rada, ''Opera Omnia'', ed. Juan Fernández Valverde, 3 Bde. (CCCM 72, 72a-c), Turnhout: Brepols, 1987-1999, sowie Maser, Rodrigo, S. 343-355; Pick, Jiménez de Rada, S. 919.</ref>  
[§3] Rodrigo Jiménez de Rada war schon während seines Studiums schriftstellerisch aktiv geworden<ref name="ftn5">Pick, Jiménez de Rada, S. 919.</ref>, als er zwischen 1199-1203 das ''Breviarium historie catholice ''verfasste, welches biblische und profane Geschichten paraphrasiert und mit der Sendung der Apostel abschließt.<ref name="ftn6">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Breviarium historie catholice'' (lib. I-V), ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72a), Turnhout: Brepols, 1992, S. 3-320 u. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Breviarium historie catholice'' (lib. VI-IX), ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72b), Turnhout: Brepols, 1992, S. 321-594. Pick, Jiménez de Rada, S. 919.</ref> Gerade zum Erzbischof von Toledo geworden, setzte er sich systematisch mit dem Islam und dem Judentum auseinander, als er 1213 zum Auftraggeber der Koranübersetzung des Marcus von Toledo wurde<ref name="ftn7">Cecini, ''Alcoranus'', S. 96, Ebd., S. 101-103.</ref> und um 1214 die judenfeindliche Schrift ''Dialogus libri vitae'' verfasste.<ref name="ftn8">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Dialogus de libri vitae'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols: 1999, S. 175-424.</ref> Nach dem Ende der Almohadenherrschaft auf der Iberischen Halbinsel widmete er sich ab 1229 im Auftrag Ferdinands III. (regn. 1217-1230 als König von Kastilien, 1230-1252 zusätzlich als König von León)<ref name="ftn9">Vones, Ferdinand III., Sp. 359-360.</ref> der Niederschrift der Geschichte Spaniens. Bis 1243 entstanden seine historiographischen Schriften zur römischen Geschichte der Iberischen Halbinsel (''Historia Romanorum''),<ref name="ftn10">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Romanorum'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols, 1999, S. 37-57. </ref> eine Geschichte der für die Iberische Halbinsel während der Völkerwanderung relevanten ''gentes ''der Hunnen, Vandalen, Sueben, Alanen und silingischen Vandalen'' ''(''Historia Hugnorum, Vandalorum et Suevorum, Alanorum et Silinhorum'')<ref name="ftn11">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Hugnorum, Vandalorum et Suevorum, Alanorum et Silinhorum'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols, 1999, S. 58-78. </ref> sowie eine Geschichte der spanischen Westgoten (''Historia de rebus Hispanie sive Historia Gothica'')<ref name="ftn12">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia de rebus Hispanie sive Historia Gothica'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72a), Turnhout: Brepols, 1987. </ref> als auch der Ostgoten (''Historia Ostrogothorum'').<ref name="ftn13">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Ostrogothorum'', ed. Juan Fernández Valverde (CCCM 72c), Turnhout: Brepols, 1999, S. 79-89. </ref> Die hier zitierte „Geschichte der Araber“ (''Historia Arabum'') wurde vor 1246, wahrscheinlich 1245, fertiggestellt.<ref name="ftn14">Werkdatierungen auf der Basis von Rodrigo Jiménez de Rada, ''Opera Omnia'', ed. Juan Fernández Valverde, 3 Bde. (CCCM 72, 72a-c), Turnhout: Brepols, 1987-1999, sowie Maser, Rodrigo, S. 343-355; Pick, Jiménez de Rada, S. 919.</ref>  


== Inhalt & Quellenkontext ==
== Inhalt & Quellenkontext ==
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[§16] Als Chronist der gesamten spanischen Geschichte von den Römern bis zu seinen Lebzeiten wies Rodrigo „den Arabern“ neben Römern und Goten einen gleichberechtigten Platz in der Geschichte der Iberischen Halbinsel zu. Interessant ist dabei, dass Rodrigo der muslimischen Herrschaft auch dadurch eine eigene Daseinsberechtigung zuschreibt, indem er sie vornehmlich als innermuslimische politische Geschichte darstellt und ihre Beziehungen zur jüdischen und christlichen Umwelt weitestgehend ignoriert. In Bezug auf die umayyadische Hauptstadt Córdoba spricht Rodrigo nur von „den Cordobesern“ (''Cordubenses''), ohne jemals zu erläutern, inwieweit Christen und Juden zu dieser Bevölkerung zählten.<ref name="ftn50">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XLV, S. 143; cap. XLVII, S. 146.</ref> Juden und ihre Lebensverhältnisse unter muslimischer Herrschaft finden im gesamten Werk keine Erwähnung. Hinsichtlich der Christen erwähnt Rodrigo zwar, dass sie sich dem muslimischen Kopfsteuersystem unterzuordnen hatten, beschreibt aber nicht dessen konkrete Auswirkungen.<ref name="ftn51">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. IX, S. 99-101; cap. X, S. 101-102.</ref> Auch sonst beschränkt er sich auf punktuelle Aussagen, die er nicht immer evaluiert und v. a. nicht in einem weiteren Rahmen christlich-muslimischer Beziehungen verortet: Die Verschleppung von Kriegsgefangenen im Rahmen der muslimischen Invasion von 92/711 verurteilt er nicht.<ref name="ftn52">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. X, S. 101-102.</ref> Den Umgang der frühen muslimischen Statthalter mit den Christen beschreibt er als gierig, ungerecht und tyrannisch, konkretisiert dies aber nicht weiter.<ref name="ftn53">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. X, S. 101-102; cap. XII, S. 104-106.</ref> Die Haltung von 3000 christlichen Sklaven durch den umayyadischen Emir al-Ḥakam I. b. Hišām (regn. 180-206/796-822)<ref name="ftn54">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXII, S. 118-119. Zum Emir: Huici Miranda, al-Ḥakam I, S. 73-74.</ref> lässt er ebenso kommentarlos stehen wie den Hinweis auf die Mitwirkung von christlichen Soldaten in muslimischen Heeren.<ref name="ftn55">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXXV, S. 132-133.</ref> Seine Beschreibung eines Mordes an einem Christen durch den muslimischen Usurpatoren Muḥammad al-Mahdī bi-llāh (regn. 399/1009 bzw. 400/1010) wirkt relativ neutral: Indem er einen Christen ermorden ließ, der dem herrschenden Kalifen Abū l-Walīd Hišām al-Muʾayyad bi-llāh (regn. 365-399/976-1009 und 401-403/1010-1013) äußerlich ähnelte, soll al-Mahdī versucht haben, die Bevölkerung Córdobas vom Tod des Herrschers zu überzeugen. Rodrigo zufolge soll Hišām später das Grab des Christen besucht und sogar den Wunsch geäußert haben, dort ebenfalls bestattet zu werden (''Ego hic eligo sepulturam'').<ref name="ftn56">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXXVII, S. 135. Zu den genannten Kalifen: Lévi-Provençal, al-Mahdī, S. 1239-1240; Dunlop, Hishām II, S. 495-496.</ref> Zur Frage der gesellschaftlichen Stellung der Christen und Juden unter muslimischer Herrschaft gibt Rodrigo also kaum Antworten und nutzt die wenigen Hinweise darauf auch nicht, um gegen die umayyadische Herrschaft zu polemisieren. Auf die unter dem Schlagwort ''convivencia ''(„Zusammenleben“) häufig diskutierte Frage nach dem Miteinander der verschiedenen religiösen Gruppen unter muslimischer Herrschaft liefert die ''Historia Arabum'' kaum Antworten.<ref name="ftn57">Vgl. zur Übersicht über die Convivencia-Debatte: Jaspert, ''Minderheiten'', S. 15-44. </ref>
[§16] Als Chronist der gesamten spanischen Geschichte von den Römern bis zu seinen Lebzeiten wies Rodrigo „den Arabern“ neben Römern und Goten einen gleichberechtigten Platz in der Geschichte der Iberischen Halbinsel zu. Interessant ist dabei, dass Rodrigo der muslimischen Herrschaft auch dadurch eine eigene Daseinsberechtigung zuschreibt, indem er sie vornehmlich als innermuslimische politische Geschichte darstellt und ihre Beziehungen zur jüdischen und christlichen Umwelt weitestgehend ignoriert. In Bezug auf die umayyadische Hauptstadt Córdoba spricht Rodrigo nur von „den Cordobesern“ (''Cordubenses''), ohne jemals zu erläutern, inwieweit Christen und Juden zu dieser Bevölkerung zählten.<ref name="ftn50">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XLV, S. 143; cap. XLVII, S. 146.</ref> Juden und ihre Lebensverhältnisse unter muslimischer Herrschaft finden im gesamten Werk keine Erwähnung. Hinsichtlich der Christen erwähnt Rodrigo zwar, dass sie sich dem muslimischen Kopfsteuersystem unterzuordnen hatten, beschreibt aber nicht dessen konkrete Auswirkungen.<ref name="ftn51">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. IX, S. 99-101; cap. X, S. 101-102.</ref> Auch sonst beschränkt er sich auf punktuelle Aussagen, die er nicht immer evaluiert und v. a. nicht in einem weiteren Rahmen christlich-muslimischer Beziehungen verortet: Die Verschleppung von Kriegsgefangenen im Rahmen der muslimischen Invasion von 92/711 verurteilt er nicht.<ref name="ftn52">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. X, S. 101-102.</ref> Den Umgang der frühen muslimischen Statthalter mit den Christen beschreibt er als gierig, ungerecht und tyrannisch, konkretisiert dies aber nicht weiter.<ref name="ftn53">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. X, S. 101-102; cap. XII, S. 104-106.</ref> Die Haltung von 3000 christlichen Sklaven durch den umayyadischen Emir al-Ḥakam I. b. Hišām (regn. 180-206/796-822)<ref name="ftn54">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXII, S. 118-119. Zum Emir: Huici Miranda, al-Ḥakam I, S. 73-74.</ref> lässt er ebenso kommentarlos stehen wie den Hinweis auf die Mitwirkung von christlichen Soldaten in muslimischen Heeren.<ref name="ftn55">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXXV, S. 132-133.</ref> Seine Beschreibung eines Mordes an einem Christen durch den muslimischen Usurpatoren Muḥammad al-Mahdī bi-llāh (regn. 399/1009 bzw. 400/1010) wirkt relativ neutral: Indem er einen Christen ermorden ließ, der dem herrschenden Kalifen Abū l-Walīd Hišām al-Muʾayyad bi-llāh (regn. 365-399/976-1009 und 401-403/1010-1013) äußerlich ähnelte, soll al-Mahdī versucht haben, die Bevölkerung Córdobas vom Tod des Herrschers zu überzeugen. Rodrigo zufolge soll Hišām später das Grab des Christen besucht und sogar den Wunsch geäußert haben, dort ebenfalls bestattet zu werden (''Ego hic eligo sepulturam'').<ref name="ftn56">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXXVII, S. 135. Zu den genannten Kalifen: Lévi-Provençal, al-Mahdī, S. 1239-1240; Dunlop, Hishām II, S. 495-496.</ref> Zur Frage der gesellschaftlichen Stellung der Christen und Juden unter muslimischer Herrschaft gibt Rodrigo also kaum Antworten und nutzt die wenigen Hinweise darauf auch nicht, um gegen die umayyadische Herrschaft zu polemisieren. Auf die unter dem Schlagwort ''convivencia ''(„Zusammenleben“) häufig diskutierte Frage nach dem Miteinander der verschiedenen religiösen Gruppen unter muslimischer Herrschaft liefert die ''Historia Arabum'' kaum Antworten.<ref name="ftn57">Vgl. zur Übersicht über die Convivencia-Debatte: Jaspert, ''Minderheiten'', S. 15-44. </ref>


[§17] Bemerkenswert bleibt Rodrigos vergleichsweise neutrale bis positive Darstellung der umayyadischen Herrschaft, die v. a. im Vergleich zu der schon erwähnten Periode der Statthalter, insbesondere aber zu Rodrigos Darstellung berberischer Herrschaft hervortritt. Schon in seiner Beschreibung der Statthalterperiode übernimmt Rodrigo die Beschreibung eines durch einen Berber verübtes Massaker an Christen aus der ''Chronica muzarabica.''<ref name="ftn58">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XIII, S. 106-108. Diese Quellenstelle ist behandelt unter [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/731:_Die_Chronica_muzarabica_zur_Ehe_des_Berbers_Munnuz_mit_der_Tochter_von_Eudo,_dux_von_Aquitanien 731: Die Chronica muzarabica zur Ehe des Berbers Munnuz mit der Tochter von Eudo, dux von Aquitanien].</ref> Er schildert mehrere erfolglose Versuche von Berbergruppen, umayyadische Herrscher zur Auslöschung der Christen zu bewegen<ref name="ftn59">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXVI, S. 121-123; cap. XXXIII, S. 130.</ref> oder gar zu stürzen, so etwa den von Rodrigo durchaus positiv beschriebenen Hišam II.<ref name="ftn60">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXVII, S. 123-124.</ref> Mehrfach schmäht er die Berber (''Barbarii'') als „Barbaren“ (''barbari'')<ref name="ftn61">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXXIII, S. 130; cap. IXXXX, S. 137-138.</ref>, deren kollektive Unverschämtheit er in einem Kapitel unter dem Titel „Von den Unverschämtheiten der Berber“ ins Zentrum stellt (''de insolentiis Barbariorum'').<ref name="ftn62">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXVII, S. 123-124.</ref>  
[§17] Bemerkenswert bleibt Rodrigos vergleichsweise neutrale bis positive Darstellung der umayyadischen Herrschaft, die v. a. im Vergleich zu der schon erwähnten Periode der Statthalter, insbesondere aber zu Rodrigos Darstellung berberischer Herrschaft hervortritt. Schon in seiner Beschreibung der Statthalterperiode übernimmt Rodrigo die Beschreibung eines durch einen Berber verübtes Massaker an Christen aus der ''Chronica muzarabica.''<ref name="ftn58">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XIII, S. 106-108. Diese Quellenstelle ist behandelt unter [https://wiki.uni-konstanz.de/transmed-de/index.php/731:_Die_Chronica_muzarabica_zur_Ehe_des_Berbers_Munnuz_mit_der_Tochter_von_Eudo,_dux_von_Aquitanien 731: Die Chronica muzarabica zur Ehe des Berbers Munnuz mit der Tochter von Eudo, dux von Aquitanien].</ref> Er schildert mehrere erfolglose Versuche von Berbergruppen, umayyadische Herrscher zur Auslöschung der Christen zu bewegen<ref name="ftn59">Vgl. Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXVI, S. 121-123; cap. XXXIII, S. 130.</ref> oder gar zu stürzen, so etwa den von Rodrigo durchaus positiv beschriebenen Hišam II.<ref name="ftn60">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXVII, S. 123-124.</ref> Mehrfach schmäht er die Berber (''Barbarii'') als „Barbaren“ (''barbari'')<ref name="ftn61">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXXIII, S. 130; cap. XXXIX, S. 137-138.</ref>, deren kollektive Unverschämtheit er in einem Kapitel unter dem Titel „Von den Unverschämtheiten der Berber“ ins Zentrum stellt (''de insolentiis Barbariorum'').<ref name="ftn62">Rodrigo Jiménez de Rada, ''Historia Arabum'', ed. Valverde (CCCM 72c), cap. XXVII, S. 123-124.</ref>  


[§18] Vor dem Hintergrund, dass ab dem 11. Jahrhundert mit den Almoraviden und den Almohaden zwei berberische Dynastien die Herrschaft über al-Andalus übernommen hatten, lässt sich die ''Historia Arabum'' nach Wolfram Drews auch als eine Art „Aussöhnung“ mit der Periode umayyadischer Herrschaft und als (nachgeschobene) Begründung für die christliche Eroberung muslimischer Territorien betrachten: Drews zufolge erlitt die Bevölkerung der Iberischen Halbinsel aus Rodrigos Perspektive wie einst die Christen des Westgotenreiches 92/711 durch den Einfall der Almoraviden und Almohaden erneut das Schicksal einer Fremdherrschaft. Die autochthonen Muslime und Christen hätten unter berberischer Herrschaft ein gemeinsames Schicksal der Fremdherrschaft geteilt und damit eine Gemeinschaft gegenüber den fremden Invasoren gebildet. Durch das Erlöschen eines verteidigungsfähigen umayyadischen Kalifats hätten die autochthonen, arabisch geprägten Muslime der Iberischen Halbinsel allerdings ihren Herrschaftsanspruch verloren. Da Spanien nicht den Berbern preisgegeben werden durfte, musste es nun von Christen verteidigt werden.<ref name="ftn63">Drews, ''Sarazenen'', S. 268.</ref>  
[§18] Vor dem Hintergrund, dass ab dem 11. Jahrhundert mit den Almoraviden und den Almohaden zwei berberische Dynastien die Herrschaft über al-Andalus übernommen hatten, lässt sich die ''Historia Arabum'' nach Wolfram Drews auch als eine Art „Aussöhnung“ mit der Periode umayyadischer Herrschaft und als (nachgeschobene) Begründung für die christliche Eroberung muslimischer Territorien betrachten: Drews zufolge erlitt die Bevölkerung der Iberischen Halbinsel aus Rodrigos Perspektive wie einst die Christen des Westgotenreiches 92/711 durch den Einfall der Almoraviden und Almohaden erneut das Schicksal einer Fremdherrschaft. Die autochthonen Muslime und Christen hätten unter berberischer Herrschaft ein gemeinsames Schicksal der Fremdherrschaft geteilt und damit eine Gemeinschaft gegenüber den fremden Invasoren gebildet. Durch das Erlöschen eines verteidigungsfähigen umayyadischen Kalifats hätten die autochthonen, arabisch geprägten Muslime der Iberischen Halbinsel allerdings ihren Herrschaftsanspruch verloren. Da Spanien nicht den Berbern preisgegeben werden durfte, musste es nun von Christen verteidigt werden.<ref name="ftn63">Drews, ''Sarazenen'', S. 268.</ref>  
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