1250: Der Regionalherrscher al-Azraq schreibt an die Königin von Aragón: Unterschied zwischen den Versionen

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[§15] Im deutlichen Gegensatz zu diesen Titulaturen präsentiert sich der Absender als Muḥammad b. Huḏayl, „Euer Untergebener und Diener (''min ʿabdikum wa-ḫadīmikum''), der Eure gesegneten und edlen Hände küsst“ und nimmt Bezug auf seinen Beinamen (''laqab'')'' ''al-Azraq, unter dem er bekannt sei.<ref name="ftn22">Quellentext oben: „(…) min ʿabdikum wa-ḫadīmikum wa-muqabbil yadaykum al-mubāraka al-karīma Muḥammad bin Huḏayl aš-šāhir bi-l-Azraq (…)“.</ref> Diese zurückhaltende Selbstbezeichnung steht weit hinter jener Titulatur zurück, die ihm im Abkommen von 1245 zuteilwird. Im arabischen Text ist er „der erhabenste, hochgeborene, höchste, eminenteste, herausragendste ''wazīr'' Abū ʿAbd Allāh bin Huḏayl, möge Gott ihn ehren“,<ref name="ftn23">Burns/Chevedden, ''Negotiating Cultures'', S. 48: „(…) al-wazīr al-aǧall al-ḥasīb al-arfaʿ al-asmā al-asnā Abū ʿAbd Allāh bin Huḏayl akramahu Allāh (…)“. Hinsichtlich des Wesir-Titels (Arab.: ''wazīr'', Roman.: ''alguazil'') ist zu beachten, dass diese und andere Amtsbezeichnungen (u. a. ''qāʾid'', ''raʾīs'') im ''Šarq al-Andalus'' des 13. Jahrhunderts nicht mehr mit klar zu definierenden oder abgrenzbaren Kompetenzen verbunden waren, s. dazu schon Burns, ''Islam'', S. 365–367; zu weiteren Definitionsmöglichkeiten des Terminus ''wazīr'' Zaman, Eddé, Carmona, Lambton, İnalcik, ''Wazīr''.</ref> im romanischen Text immerhin „Abū ʿAbd Allāh bin Huḏayl, Wesir und Herr von Alcalá“.<ref name="ftn24">Burns/Chevedden, ''Negotiating Cultures'', S. 35: „(…) Habuabdele Yvan Fudayl, alguazil et senor Dalcala (…)“. Über den Entstehungsprozess beider Textvarianten ist nichts Konkretes bekannt, doch haben die Editoren (S. 54–59) anhand verschiedener Anhaltspunkte vermutet, dass die endgültige Version des Vertrages wahrscheinlich in der Kanzlei des Infanten hergestellt wurde. Es ist aber dennoch gut denkbar, dass al-Azraq und seine Berater über Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die für die muslimische Seite verwendeten Titulaturen verfügt und dies in den Vorverhandlungen zur textlichen Ausgestaltung auch thematisiert haben könnten.</ref> Kaum verwundern kann es hingegen, dass der König ihn in seinen Urkunden lediglich als „unseren Verräter“ (''traditor noster'') und ohne jede Titulatur bezeichnen ließ.<ref name="ftn25">Vgl. etwa Robert Ignatius Burns (Hrsg.), ''Diplomatarium of the Crusader Kingdom of Valencia. The Registered Charters of its Conqueror Jaume I., 1257–1276'', 4 Bde., Princeton/Oxford: Princeton University Press, 1985–2007, Bd. 2, Nr. 79, 85, S. 70, 75: „(…) Aladrachum traditorem nostrum (…)“, Nr. 91, S. 80: „(…) Aladrach proditorem nostrum (…)“. Der Llibre dels feits hat meist nur ''al-Azraq'' in verschiedenen altkatalanischen Schreibvarianten.</ref>
[§15] Im deutlichen Gegensatz zu diesen Titulaturen präsentiert sich der Absender als Muḥammad b. Huḏayl, „Euer Untergebener und Diener (''min ʿabdikum wa-ḫadīmikum''), der Eure gesegneten und edlen Hände küsst“ und nimmt Bezug auf seinen Beinamen (''laqab'')'' ''al-Azraq, unter dem er bekannt sei.<ref name="ftn22">Quellentext oben: „(…) min ʿabdikum wa-ḫadīmikum wa-muqabbil yadaykum al-mubāraka al-karīma Muḥammad bin Huḏayl aš-šāhir bi-l-Azraq (…)“.</ref> Diese zurückhaltende Selbstbezeichnung steht weit hinter jener Titulatur zurück, die ihm im Abkommen von 1245 zuteilwird. Im arabischen Text ist er „der erhabenste, hochgeborene, höchste, eminenteste, herausragendste ''wazīr'' Abū ʿAbd Allāh bin Huḏayl, möge Gott ihn ehren“,<ref name="ftn23">Burns/Chevedden, ''Negotiating Cultures'', S. 48: „(…) al-wazīr al-aǧall al-ḥasīb al-arfaʿ al-asmā al-asnā Abū ʿAbd Allāh bin Huḏayl akramahu Allāh (…)“. Hinsichtlich des Wesir-Titels (Arab.: ''wazīr'', Roman.: ''alguazil'') ist zu beachten, dass diese und andere Amtsbezeichnungen (u. a. ''qāʾid'', ''raʾīs'') im ''Šarq al-Andalus'' des 13. Jahrhunderts nicht mehr mit klar zu definierenden oder abgrenzbaren Kompetenzen verbunden waren, s. dazu schon Burns, ''Islam'', S. 365–367; zu weiteren Definitionsmöglichkeiten des Terminus ''wazīr'' Zaman, Eddé, Carmona, Lambton, İnalcik, ''Wazīr''.</ref> im romanischen Text immerhin „Abū ʿAbd Allāh bin Huḏayl, Wesir und Herr von Alcalá“.<ref name="ftn24">Burns/Chevedden, ''Negotiating Cultures'', S. 35: „(…) Habuabdele Yvan Fudayl, alguazil et senor Dalcala (…)“. Über den Entstehungsprozess beider Textvarianten ist nichts Konkretes bekannt, doch haben die Editoren (S. 54–59) anhand verschiedener Anhaltspunkte vermutet, dass die endgültige Version des Vertrages wahrscheinlich in der Kanzlei des Infanten hergestellt wurde. Es ist aber dennoch gut denkbar, dass al-Azraq und seine Berater über Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die für die muslimische Seite verwendeten Titulaturen verfügt und dies in den Vorverhandlungen zur textlichen Ausgestaltung auch thematisiert haben könnten.</ref> Kaum verwundern kann es hingegen, dass der König ihn in seinen Urkunden lediglich als „unseren Verräter“ (''traditor noster'') und ohne jede Titulatur bezeichnen ließ.<ref name="ftn25">Vgl. etwa Robert Ignatius Burns (Hrsg.), ''Diplomatarium of the Crusader Kingdom of Valencia. The Registered Charters of its Conqueror Jaume I., 1257–1276'', 4 Bde., Princeton/Oxford: Princeton University Press, 1985–2007, Bd. 2, Nr. 79, 85, S. 70, 75: „(…) Aladrachum traditorem nostrum (…)“, Nr. 91, S. 80: „(…) Aladrach proditorem nostrum (…)“. Der Llibre dels feits hat meist nur ''al-Azraq'' in verschiedenen altkatalanischen Schreibvarianten.</ref>


[§16] Die jeweils verwendeten Bezeichnungen spiegeln die politischen Verhältnisse zu beiden Gelegenheiten wider. Im Frühjahr 1245 verhandelte der Infant Alfonso als ältester Sohn des Königs mit einem unabhängigen und noch nicht militärisch zu bezwingenden Regionalherrscher auf nahezu gleichrangigem Niveau; fünf Jahre später wandte sich ein militärisch angeschlagener Rebellenführer an die amtierende Königin von Aragón. Trotz des fortgesetzten Widerstandes musste al-Azraq gegenüber der Monarchin zumindest formal die politischen Realitäten anerkennen, zumal er sich davon sicher eine bessere Position in den Verhandlungen mit der Krone erhoffte. Nur vor diesem Hintergrund scheint es verständlich, dass er sich selbst – gleich dem königlichen Gesandten Don Joan de Mur/Mora/Muro – als „Untergebener und Diener“ der Krone bezeichnete, während er Jakob I., gegen dessen Herrschaft sich die Rebellen ja erhoben hatten und der deswegen nun alle Muslime mit harter Hand bestrafte, nicht allein als „Herrscher von Aragon“ bezeichnete, sondern ihm sogar die (titularische) Herrschaft über den ''Šarq al-Andalus'' zugestand.<ref name="ftn26">Zu einem ähnlichen Schluss kommen auch Burns, ''Crusade'', S. 99 und Torró Abad, ''Naixement'', 64–65. </ref>
[§16] Die jeweils verwendeten Bezeichnungen spiegeln die politischen Verhältnisse zu beiden Gelegenheiten wider. Im Frühjahr 1245 verhandelte der Infant Alfonso als ältester Sohn des Königs mit einem unabhängigen und noch nicht militärisch zu bezwingenden Regionalherrscher auf nahezu gleichrangigem Niveau; fünf Jahre später wandte sich ein militärisch angeschlagener Rebellenführer an die amtierende Königin von Aragón. Trotz des fortgesetzten Widerstandes musste al-Azraq gegenüber der Monarchin zumindest formal die politischen Realitäten anerkennen, zumal er sich davon sicher eine bessere Position in den Verhandlungen mit der Krone erhoffte. Nur vor diesem Hintergrund scheint es verständlich, dass er sich selbst – gleich dem königlichen Gesandten Don Joan de Mur/Mora/Muro – als „Untergebener und Diener“ der Krone bezeichnete, während er Jakob I., gegen dessen Herrschaft sich die Rebellen ja erhoben hatten und der deswegen nun alle Muslime mit harter Hand bestrafte, nicht allein als „Herrscher von Aragón“ bezeichnete, sondern ihm sogar die (titularische) Herrschaft über den ''Šarq al-Andalus'' zugestand.<ref name="ftn26">Zu einem ähnlichen Schluss kommen auch Burns, ''Crusade'', S. 99 und Torró Abad, ''Naixement'', 64–65. </ref>


[§17] Auch die weiteren Inhalte des Schreibens liefern wertvolle Informationen, die aus anderen Quellen nicht bekannt sind. So erfahren wir etwa, dass sich al-Azraq im Frühjahr 1250 in Alcalá (''al-Qalāʿa'') aufhielt. Offensichtlich besaß der Rebellenführer genügend Selbstbewusstsein, um diese empfindliche Information an die gegnerische Seite weiterzugeben, wohl wissend, dass die Festung nicht ohne Weiteres zu erobern sein würde. Zudem bezeugt das Dokument, dass es schon zuvor Kommunikationsversuche zwischen beiden Kriegsparteien gegeben hatte. Weder über den königlichen Gesandten Don Joan de Mur/Mora/Muro noch über den konkreten Inhalt des von ihm überbrachten königlichen Schreibens ist Näheres bekannt, doch erscheint es eher unwahrscheinlich, dass Jakob I. seinem Gegenspieler wirklich nur mit „Aufrichtigkeit, Fürsorge, Schutz, Aufmerksamkeit“ sowie der Aufforderung zu einer Gegengesandtschaft<ref name="ftn27">Vgl. den Quellentext oben: „(…) mā fīhā min al-barr wa-l-riʿāya wa-l-ḥifẓ wa-l-ʿināya wa-amr irsālinā ilaykum (…)“.</ref> begegnet war. Vielmehr mögen al-Azraq und seine Berater hier auf die üblichen Höflichkeitsfloskeln rekurriert haben, mit denen der Monarch auch gegenüber anderen Verhandlungspartnern militärische Drohungen zu verhüllen pflegte.<ref name="ftn28">So etwa gegenüber den ''quwwād'' von Bairén (''Bayrān'') im Jahr 1239 und Xàtiva (''Šāṭiba'') im Jahr 1243: [König Jakob I. von Aragón], ''Llibre dels feits'', ed. Soldevila, cap. 308, 334–335, S. 354–355, 369–370; übers. ''Book of Deeds'', ed. Smith/Buffery, cap. 308, 334–335, S. 244–245, 257–258. Für Barceló-Torres, ''Documentos'', S. 36, war die vorausgegangene Gesandtschaft lediglich „(…) relacionada con un principio de conversaciones de paz, de las que nada sabemos, (…)“.</ref> Dass der König neben dem Austausch von Gesandtschaften nach wie vor militärische Optionen erwog, zeigt der im Frühjahr 1250 intensivierte Austausch mit der päpstlichen Kurie. In dessen Folge rief Innozenz IV. den Klerus der Krone Aragón im März erneut zu verstärkten Predigten zur Anwerbung von Unterstützern für den königlichen Kampf gegen die aufständischen Muslime auf.<ref name="ftn29">Burns, ''Lost Crusade'', Nr. VII–X, allerdings ohne jeden Bezug zur konkreten Situation im Königreich València oder gar zu al-Azraq; zur umstrittenen Deutung der Maßnahmen als „Kreuzzug“ s. bereits FN. 15.</ref>
[§17] Auch die weiteren Inhalte des Schreibens liefern wertvolle Informationen, die aus anderen Quellen nicht bekannt sind. So erfahren wir etwa, dass sich al-Azraq im Frühjahr 1250 in Alcalá (''al-Qalāʿa'') aufhielt. Offensichtlich besaß der Rebellenführer genügend Selbstbewusstsein, um diese empfindliche Information an die gegnerische Seite weiterzugeben, wohl wissend, dass die Festung nicht ohne Weiteres zu erobern sein würde. Zudem bezeugt das Dokument, dass es schon zuvor Kommunikationsversuche zwischen beiden Kriegsparteien gegeben hatte. Weder über den königlichen Gesandten Don Joan de Mur/Mora/Muro noch über den konkreten Inhalt des von ihm überbrachten königlichen Schreibens ist Näheres bekannt, doch erscheint es eher unwahrscheinlich, dass Jakob I. seinem Gegenspieler wirklich nur mit „Aufrichtigkeit, Fürsorge, Schutz, Aufmerksamkeit“ sowie der Aufforderung zu einer Gegengesandtschaft<ref name="ftn27">Vgl. den Quellentext oben: „(…) mā fīhā min al-barr wa-l-riʿāya wa-l-ḥifẓ wa-l-ʿināya wa-amr irsālinā ilaykum (…)“.</ref> begegnet war. Vielmehr mögen al-Azraq und seine Berater hier auf die üblichen Höflichkeitsfloskeln rekurriert haben, mit denen der Monarch auch gegenüber anderen Verhandlungspartnern militärische Drohungen zu verhüllen pflegte.<ref name="ftn28">So etwa gegenüber den ''quwwād'' von Bairén (''Bayrān'') im Jahr 1239 und Xàtiva (''Šāṭiba'') im Jahr 1243: [König Jakob I. von Aragón], ''Llibre dels feits'', ed. Soldevila, cap. 308, 334–335, S. 354–355, 369–370; übers. ''Book of Deeds'', ed. Smith/Buffery, cap. 308, 334–335, S. 244–245, 257–258. Für Barceló-Torres, ''Documentos'', S. 36, war die vorausgegangene Gesandtschaft lediglich „(…) relacionada con un principio de conversaciones de paz, de las que nada sabemos, (…)“.</ref> Dass der König neben dem Austausch von Gesandtschaften nach wie vor militärische Optionen erwog, zeigt der im Frühjahr 1250 intensivierte Austausch mit der päpstlichen Kurie. In dessen Folge rief Innozenz IV. den Klerus der Krone Aragón im März erneut zu verstärkten Predigten zur Anwerbung von Unterstützern für den königlichen Kampf gegen die aufständischen Muslime auf.<ref name="ftn29">Burns, ''Lost Crusade'', Nr. VII–X, allerdings ohne jeden Bezug zur konkreten Situation im Königreich València oder gar zu al-Azraq; zur umstrittenen Deutung der Maßnahmen als „Kreuzzug“ s. bereits FN. 15.</ref>
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