1258-1283: al-Qazwīnī berichtet aus dem Irak über Schleswig bzw. Haithabu: Unterschied zwischen den Versionen

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[§27] Zu dieser Quellenproblematik kommt hinzu, dass hinter der arabischen Bezeichnung „Anbeter des Sirius“ (''ʿabdat al-šiʿrā'') ein muslimisch-exegetischer Topos angenommen werden kann: Im Qurʾān (Q 53:49) wird Gott als „der Herr des Sirius“ (''rabbu l-šiʿrā'') bezeichnet. Mittelalterliche muslimische Koranexegeten wie al-Qurṭubī (gest. 671/1272) erklärten diese Bezeichnung Gottes damit, dass die vorislamischen Araber den Sirius angebetet oder zumindest geglaubt hätten, dass er Einfluss auf die Geschicke der Welt nehme.<ref name="ftn75">Al-Qurṭubī (gest. 671/1272), ''al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān'', ed. ʿAbd Allāh b. ʿAbd al-Muḥsin al-Turkī, Beirut: Muʾassasat al-Risāla, 1427/2006, Bd. 20, S. 62. Ich danke Mohamed Qassiti für diesen Hinweis. </ref> Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass al-Ṭarṭūšī bzw. al-Qazwīnī eine in ihrer heimischen religiös-kulturellen Prägung verankerte koranische und koran-exegetische Bezeichnung benutzten, um heidnisch-nordische Kultpraktiken einzuordnen.<ref name="ftn76">Für einen vergleichbaren Fall, siehe König, ''Arabic-Islamic Views,'' S. 107-108.</ref>
[§27] Zu dieser Quellenproblematik kommt hinzu, dass hinter der arabischen Bezeichnung „Anbeter des Sirius“ (''ʿabdat al-šiʿrā'') ein muslimisch-exegetischer Topos angenommen werden kann: Im Qurʾān (Q 53:49) wird Gott als „der Herr des Sirius“ (''rabbu l-šiʿrā'') bezeichnet. Mittelalterliche muslimische Koranexegeten wie al-Qurṭubī (gest. 671/1272) erklärten diese Bezeichnung Gottes damit, dass die vorislamischen Araber den Sirius angebetet oder zumindest geglaubt hätten, dass er Einfluss auf die Geschicke der Welt nehme.<ref name="ftn75">Al-Qurṭubī (gest. 671/1272), ''al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān'', ed. ʿAbd Allāh b. ʿAbd al-Muḥsin al-Turkī, Beirut: Muʾassasat al-Risāla, 1427/2006, Bd. 20, S. 62. Ich danke Mohamed Qassiti für diesen Hinweis. </ref> Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass al-Ṭarṭūšī bzw. al-Qazwīnī eine in ihrer heimischen religiös-kulturellen Prägung verankerte koranische und koran-exegetische Bezeichnung benutzten, um heidnisch-nordische Kultpraktiken einzuordnen.<ref name="ftn76">Für einen vergleichbaren Fall, siehe König, ''Arabic-Islamic Views,'' S. 107-108.</ref>


[§28] Dies schließt allerdings nicht aus, dass al-Ṭarṭūšī in seinem Reisebericht tatsächlich kultische Praktiken beschrieb: Die (heidnischen) Stadtbewohner, so al-Ṭarṭūšī, kämen zu einem Fest zusammen, um das Verehrte zu verherrlichen (''li-taʿẓīm al-maʿbūd''), Trank und Speise zu sich zu nehmen, sowie einen Teil des Opferfleisches an der eigenen Haustür zur Schau zu stellen. Solche Opferfeste sind für das wikingerzeitliche Skandinavien vergleichsweise gut belegt. Sowohl christliche Autoren wie Adam von Bremen und Snorri Sturluson als auch Verbote entsprechender heidnischer Praktiken in christlichen Gesetzestexten liefern belastbare Nachweise für die Existenz solcher Opferfeste.<ref name="ftn77">Hultgård, Religion, S. 215-216.</ref> Einige Praktiken wurden überdies unter ihrer Bezeichnung überliefert. Hierzu zählen z.B. ''blótveizlur''<ref name="ftn78">Zusammensetzung aus altnordisch ''blótan'' = opfern, und ''veizla'' = Festmahl. ''Blótveizlur'' = „sacrificial banquet“. Siehe Zoëga, Concise Dictionary of Old Icelandic, S. 60, 61, 96, 480 (Lemmata „blótan“, „blót-veizla“, „drykkia“, „blótan“). Zu ''blótveizlur'' schreibt Hultgård, Altskandinavische Opferrituale, S. 238: „Die Kultteilnehmer versammeln sich an einem Kultplatz, bringen Opfertiere, Speise und Trank mit. Die Tiere werden geschlachtet, die dazu bestimmten Opferelemente werden der Gottheit übergeben, und ein rituelles Mahl wird gehalten.“</ref> und ''blótdrykkjur''<ref name="ftn79">Zusammensetzung aus altnordisch ''blótan'' = opfern und ''drykkia'' = trinken. Siehe Zoëga, Concise Dictionary, S. 60, 96. ''</ref>, Opferriten, die oft Bestandteil der großen saisonalen Festlichkeiten darstellten und, so Hultgård, eine Vielzahl von Menschen angezogen hätten.<ref name="ftn80">Hultgård, Religion, S. 215.</ref> Wenn – wie al-Ṭarṭūšī berichtet – das Hauptnahrungsmittel der Menschen in der Stadt Fisch sei und diejenigen, die an solchen Opferfesten teilnahmen, ihre Opfer prestigeträchtig am eigenen Haus zur Schau stellten, so stellt sich die Frage, ob hier auch ein Wohlstandsgefälle innerhalb der Stadt zu Tage tritt. Der Besitz oder der Erwerb von Kühen, Ziegen und Schweinen für ein Opferzeremoniell dürfte für einen Bevölkerungsteil, dem al-Ṭarṭūšī zuschreibt, aus finanzieller Not die eigenen Neugeborenen zu ertränken, außerhalb des Erschwinglichen gelegen haben. Weiter könnte gefragt werden, ob ein solches Opferfest von der gesamten nicht-christlichen Stadtbevölkerung, oder lediglich von der lokalen Stadtelite zelebriert wurde.
[§28] Dies schließt allerdings nicht aus, dass al-Ṭarṭūšī in seinem Reisebericht tatsächlich kultische Praktiken beschrieb: Die (heidnischen) Stadtbewohner, so al-Ṭarṭūšī, kämen zu einem Fest zusammen, um das Verehrte zu verherrlichen (''li-taʿẓīm al-maʿbūd''), Trank und Speise zu sich zu nehmen, sowie einen Teil des Opferfleisches an der eigenen Haustür zur Schau zu stellen. Solche Opferfeste sind für das wikingerzeitliche Skandinavien vergleichsweise gut belegt. Sowohl christliche Autoren wie Adam von Bremen und Snorri Sturluson als auch Verbote entsprechender heidnischer Praktiken in christlichen Gesetzestexten liefern belastbare Nachweise für die Existenz solcher Opferfeste.<ref name="ftn77">Hultgård, Religion, S. 215-216.</ref> Einige Praktiken wurden überdies unter ihrer Bezeichnung überliefert. Hierzu zählen z.B. ''blótveizlur''<ref name="ftn78">Zusammensetzung aus altnordisch ''blótan'' = opfern und ''veizla'' = Festmahl. ''Blótveizlur'' = „sacrificial banquet“. Siehe Zoëga, Concise Dictionary of Old Icelandic, S. 60, 61, 96, 480 (Lemmata „blótan“, „blót-veizla“, „drykkia“, „blótan“). Zu ''blótveizlur'' schreibt Hultgård, Altskandinavische Opferrituale, S. 238: „Die Kultteilnehmer versammeln sich an einem Kultplatz, bringen Opfertiere, Speise und Trank mit. Die Tiere werden geschlachtet, die dazu bestimmten Opferelemente werden der Gottheit übergeben, und ein rituelles Mahl wird gehalten.“</ref> und ''blótdrykkjur''<ref name="ftn79">Zusammensetzung aus altnordisch ''blótan'' = opfern und ''drykkia'' = trinken. Siehe Zoëga, Concise Dictionary, S. 60, 96. ''</ref>, Opferriten, die oft Bestandteil der großen saisonalen Festlichkeiten darstellten und, so Hultgård, eine Vielzahl von Menschen angezogen hätten.<ref name="ftn80">Hultgård, Religion, S. 215.</ref> Wenn – wie al-Ṭarṭūšī berichtet – das Hauptnahrungsmittel der Menschen in der Stadt Fisch sei und diejenigen, die an solchen Opferfesten teilnahmen, ihre Opfer prestigeträchtig am eigenen Haus zur Schau stellten, so stellt sich die Frage, ob hier auch ein Wohlstandsgefälle innerhalb der Stadt zu Tage tritt. Der Besitz oder der Erwerb von Kühen, Ziegen und Schweinen für ein Opferzeremoniell dürfte für einen Bevölkerungsteil, dem al-Ṭarṭūšī zuschreibt, aus finanzieller Not die eigenen Neugeborenen zu ertränken, außerhalb des Erschwinglichen gelegen haben. Weiter könnte gefragt werden, ob ein solches Opferfest von der gesamten nicht-christlichen Stadtbevölkerung, oder lediglich von der lokalen Stadtelite zelebriert wurde.


[§29] Von der christlichen Minderheit berichtet al-Ṭarṭūšī, sie habe eine eigene Kirche innerhalb der Stadt besessen. Schon im Jahre 780, inmitten der Sachsenkriege Karls des Großen (regn. 768-814), rückte das Christentum durch die Einteilung der eroberten sächsischen Gebiete in Missionsbezirke näher an Haithabu/Schleswig heran. Im Jahre 787 wurde in Bremen ein fester Bischofssitz eingerichtet, bis 814 wurden in Münster, Osnabrück, Minden, Paderborn, Hildesheim und Verden weitere Diözesen gegründet. Die erste missionarische Tätigkeit jenseits der Eider begann durch Erzbischof Ebo von Reims (sed. 845-851), der unter dem Schutz Ludwigs des Frommen (regn. 814-840) im Jahre 823 bei den Dänen weilte. Nach dessen Rückkehr ergriff der Missionsbischof Ansgar von Bremen (sed. 826/831-865) in innerdänischen Machtkämpfen Partei für Harald Klak (regn. 812-814 und 819-827). Als Dank für die fränkische Unterstützung ließ sich Harald in Anwesenheit des Kaisers und seiner Familie 826 taufen, konnte sich als Herrscher der Dänen jedoch nicht durchsetzen. So scheiterten vorerst die missionarischen Bemühungen Ansgars nördlich der Eider.<ref name="ftn81">Schieffer, ''Christianisierung'', S. 49-52.</ref>Seiner zwischen 865 und 876 verfassten frühen Vita zufolge erreichte es Ansgar allerdings, mit der Erlaubnis des dänischen Königs Horich (regn. 813-854), in ''Sliaswic'' eine Kirche zu errichten.<ref name="ftn82">In Rimbert, ''Vita Anskarii'', ed. Georg Waitz (MGH SS rer. Germ. 55), Hannover: Hahn, 1884, cap. 24, S. 52, wird ''Sliaswic'' und nicht ''Hediba''/Haithabu als Ort genannt, in dem Ansgar seine Kirche errichten durfte.</ref> Archäologisch ist bis auf eine Kirchenglocke, die wohl ins achte oder neunte Jahrhundert datiert und im Hafenbecken von Haithabu gefunden wurde, bislang kein Kirchenbau in der Wallanlage nachgewiesen.<ref name="ftn83">Rösch, The Schleswig Waterfront, S. 162.</ref> Christliche Bemühungen zur Missionierung nördlich der Eider fanden mit dem Tode König Horichs im Jahre 854 ein vorläufiges Ende.<ref name="ftn84">Schieffer, ''Christianisierung'', S. 53.</ref>
[§29] Von der christlichen Minderheit berichtet al-Ṭarṭūšī, sie habe eine eigene Kirche innerhalb der Stadt besessen. Schon im Jahre 780, inmitten der Sachsenkriege Karls des Großen (regn. 768-814), rückte das Christentum durch die Einteilung der eroberten sächsischen Gebiete in Missionsbezirke näher an Haithabu/Schleswig heran. Im Jahre 787 wurde in Bremen ein fester Bischofssitz eingerichtet, bis 814 wurden in Münster, Osnabrück, Minden, Paderborn, Hildesheim und Verden weitere Diözesen gegründet. Die erste missionarische Tätigkeit jenseits der Eider begann durch Erzbischof Ebo von Reims (sed. 845-851), der unter dem Schutz Ludwigs des Frommen (regn. 814-840) im Jahre 823 bei den Dänen weilte. Nach dessen Rückkehr ergriff der Missionsbischof Ansgar von Bremen (sed. 826/831-865) in innerdänischen Machtkämpfen Partei für Harald Klak (regn. 812-814 und 819-827). Als Dank für die fränkische Unterstützung ließ sich Harald in Anwesenheit des Kaisers und seiner Familie 826 taufen, konnte sich als Herrscher der Dänen jedoch nicht durchsetzen. So scheiterten vorerst die missionarischen Bemühungen Ansgars nördlich der Eider.<ref name="ftn81">Schieffer, ''Christianisierung'', S. 49-52.</ref>Seiner zwischen 865 und 876 verfassten frühen Vita zufolge erreichte es Ansgar allerdings, mit der Erlaubnis des dänischen Königs Horich (regn. 813-854), in ''Sliaswic'' eine Kirche zu errichten.<ref name="ftn82">In Rimbert, ''Vita Anskarii'', ed. Georg Waitz (MGH SS rer. Germ. 55), Hannover: Hahn, 1884, cap. 24, S. 52, wird ''Sliaswic'' und nicht ''Hediba''/Haithabu als Ort genannt, in dem Ansgar seine Kirche errichten durfte.</ref> Archäologisch ist bis auf eine Kirchenglocke, die wohl ins achte oder neunte Jahrhundert datiert und im Hafenbecken von Haithabu gefunden wurde, bislang kein Kirchenbau in der Wallanlage nachgewiesen.<ref name="ftn83">Rösch, The Schleswig Waterfront, S. 162.</ref> Christliche Bemühungen zur Missionierung nördlich der Eider fanden mit dem Tode König Horichs im Jahre 854 ein vorläufiges Ende.<ref name="ftn84">Schieffer, ''Christianisierung'', S. 53.</ref>
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