1270: Ibn Ḫaldūn über das Vorspiel zum tunesischen Kreuzzug Ludwigs IX.: Unterschied zwischen den Versionen

Zur Navigation springen Zur Suche springen
keine Bearbeitungszusammenfassung
(Korrektur Recueil des historiens des Gaules et de la France 20)
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
Zeile 1: Zeile 1:
{{Kapitel AR-DE TAB-7|Daniel G. König|Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Suhayl Zakkār und Ḫalīl Šaḥāda, 8 Bde., Beirut: Dār al-fikr, 2000-01, Bd. 6, S. 425-426, übers. Daniel G. König, überarb. Mohamed Qassiti.|5===Autor/in & Werk==
{{Kapitel AR-DE TAB-7|Daniel G. König|Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Suhayl Zakkār und Ḫalīl Šaḥāda, 8 Bde., Beirut: Dār al-fikr, 2000-01, Bd. 6, S. 425-426, übers. Daniel G. König, überarb. Mohamed Qassiti.|5===Autor/in & Werk==


Bei Abū Zayd ʿAbd al-Raḥmān bin Ḫaldūn (gest. 808/1406) handelt es sich um einen der bekanntesten arabisch-islamischen Historiker und Historiographen der Vormoderne. Aufgrund seiner großen Belesenheit sowie seiner vielfältigen Erfahrungen in verschiedenen Teilen der arabisch-islamischen Sphäre hatte er einen weiten Wissenshorizont, der sich durch große historische Tiefe auszeichnet. Aufgrund seiner vielen Überlegungen zum Funktionieren von Gesellschaften gilt er in der heutigen Forschung auch als ein Pionier soziologischen Denkens.<ref>Issawi, Preface, S. xi.</ref>  
[§1] Bei Abū Zayd ʿAbd al-Raḥmān bin Ḫaldūn (gest. 808/1406) handelt es sich um einen der bekanntesten arabisch-islamischen Historiker und Historiographen der Vormoderne. Aufgrund seiner großen Belesenheit sowie seiner vielfältigen Erfahrungen in verschiedenen Teilen der arabisch-islamischen Sphäre hatte er einen weiten Wissenshorizont, der sich durch große historische Tiefe auszeichnet. Aufgrund seiner vielen Überlegungen zum Funktionieren von Gesellschaften gilt er in der heutigen Forschung auch als ein Pionier soziologischen Denkens.<ref>Issawi, Preface, S. xi.</ref>  


Sein Hauptwerk, eine Universalgeschichte, figuriert unter dem Titel „Das Buch der Beispiele und das Traktat zu den Anfängen und zur Geschichte der Araber, der Nicht-Araber, der Berber und der ihnen zeitgenössischen großen Herrschaften“ (''Kitāb al-ʿibar wa-dīwān al-mubtadaʾ wa-l-ḫabar fī ayyām al-ʿArab wa-l-ʿaǧam wa-l-Barbar wa-man ʿāṣarahum min ḏawī al-sulṭān al-akbar''). Dank der Tatsache, dass das Werk auch einen autobiographischen Anhang enthält, sind wir sehr gut über Ibn Ḫaldūns Lebensgeschichte informiert. Diese soll hier in groben Zügen dargestellt werden.
[§2] Sein Hauptwerk, eine Universalgeschichte, figuriert unter dem Titel „Das Buch der Beispiele und das Traktat zu den Anfängen und zur Geschichte der Araber, der Nicht-Araber, der Berber und der ihnen zeitgenössischen großen Herrschaften“ (''Kitāb al-ʿibar wa-dīwān al-mubtadaʾ wa-l-ḫabar fī ayyām al-ʿArab wa-l-ʿaǧam wa-l-Barbar wa-man ʿāṣarahum min ḏawī al-sulṭān al-akbar''). Dank der Tatsache, dass das Werk auch einen autobiographischen Anhang enthält, sind wir sehr gut über Ibn Ḫaldūns Lebensgeschichte informiert. Diese soll hier in groben Zügen dargestellt werden.


Nach Ibn Ḫaldūns Aussage stammte seine Familie ursprünglich aus dem Jemen, war aber im 2./8. Jahrhundert auf die Iberische Halbinsel gezogen, wo sie lange zu den führenden Geschlechtern Sevillas gehörte. Kurz vor 1248 wanderte die Familie über Ceuta nach Tunis aus, wo sich mehrere ihrer Mitglieder in den Dienst der herrschenden Hafsidendynastie stellten.  
[§3] Nach Ibn Ḫaldūns Aussage stammte seine Familie ursprünglich aus dem Jemen, war aber im 2./8. Jahrhundert auf die Iberische Halbinsel gezogen, wo sie lange zu den führenden Geschlechtern Sevillas gehörte. Kurz vor 1248 wanderte die Familie über Ceuta nach Tunis aus, wo sich mehrere ihrer Mitglieder in den Dienst der herrschenden Hafsidendynastie stellten.  


Ibn Ḫaldūn wurde 732/1332 in Tunis geboren. Mit etwa 15 Jahren erlebte er die Eroberung von Tunis durch den marīnidischen Sultan Abū l-Ḥasan und verlor während der großen Pest von 749-50/1348-49 seine Eltern. Mit 20 Jahren wurde er zum Sekretär (''kātib al-ʿalāma'') des Hafsidenherrschers Abū Isḥāq (regn. 751-70/1350-69) ernannt, schied aber bald aus dessen Dienst aus, um am marīnidischen Hof in Fes seine Ausbildung zu beenden. Dort weilte er etwa elf Jahre und hatte verschiedene Ämter inne, u. a. das herrscherliche Richteramt (''qāḍī al-maẓālim'').  
[§4] Ibn Ḫaldūn wurde 732/1332 in Tunis geboren. Mit etwa 15 Jahren erlebte er die Eroberung von Tunis durch den marīnidischen Sultan Abū l-Ḥasan und verlor während der großen Pest von 749-50/1348-49 seine Eltern. Mit 20 Jahren wurde er zum Sekretär (''kātib al-ʿalāma'') des Hafsidenherrschers Abū Isḥāq (regn. 751-70/1350-69) ernannt, schied aber bald aus dessen Dienst aus, um am marīnidischen Hof in Fes seine Ausbildung zu beenden. Dort weilte er etwa elf Jahre und hatte verschiedene Ämter inne, u. a. das herrscherliche Richteramt (''qāḍī al-maẓālim'').  


Verschiedene politische Turbulenzen, die ihn u. a. für zwei Jahre ins Gefängnis brachten, ließen ihn nach Granada auswandern. Dort wurde er während seines ca. dreijährigen Aufenthaltes als Gesandter des Sultans Muḥammad V. (regn. 755-60/1354-59 sowie 763-93/1362-91) zu Peter I. von Kastilien (regn. 1350-69) geschickt. Dieser bot ihm an, an seinem Hof zu bleiben.  
[§5] Verschiedene politische Turbulenzen, die ihn u. a. für zwei Jahre ins Gefängnis brachten, ließen ihn nach Granada auswandern. Dort wurde er während seines ca. dreijährigen Aufenthaltes als Gesandter des Sultans Muḥammad V. (regn. 755-60/1354-59 sowie 763-93/1362-91) zu Peter I. von Kastilien (regn. 1350-69) geschickt. Dieser bot ihm an, an seinem Hof zu bleiben.  


Nach einem kurzen Aufenthalt im nordafrikanischen Béjaïa zog sich Ibn Ḫaldūn zwischen 1375 und 1379 etwa vier Jahre aus der Politik zurück und widmete sich erstmals der Geschichtsschreibung. Daraufhin kam er nochmals kurz an den Hof, um dann unter dem Vorwand einer Pilgerreise Nordwestafrika zu verlassen und nach Ägypten zu ziehen. Hier ließ er sich zunächst in Alexandria, ab 784/1383 in Kairo nieder, wo er sich als Richter (''qāḍī'') und Lehrer, u. a. an der al-Azhar-Moschee, betätigte. Seine Familie, die er ein Jahr später nach Kairo nachholte, kam tragischerweise bei einem Schiffbruch ums Leben. Von da an blieb Ibn Ḫaldūn in Kairo, wo er in den nächsten Jahren verschiedene hohe Ämter innehatte. Neben einer Pilgerfahrt nach Mekka führte ihn seine Nähe zur mamlukischen Elite u. a. nach Jerusalem und Bethlehem, ferner 1401 in das vom zentralasiatischen Herrscher Timur besetzte Damaskus, mit dem Ibn Ḫaldūn ein langes Gespräch führte. Im Jahre 808/1406 starb Ibn Ḫaldūn in Kairo, wo er auch beigesetzt ist.<ref>Talbi, Ibn Khaldūn, S. 825-831; Singer, Ibn Ḫaldūn, S. 316-317; Šaddādī, Muqaddima, S. XXVII-XXXI.</ref>
[§6] Nach einem kurzen Aufenthalt im nordafrikanischen Béjaïa zog sich Ibn Ḫaldūn zwischen 1375 und 1379 etwa vier Jahre aus der Politik zurück und widmete sich erstmals der Geschichtsschreibung. Daraufhin kam er nochmals kurz an den Hof, um dann unter dem Vorwand einer Pilgerreise Nordwestafrika zu verlassen und nach Ägypten zu ziehen. Hier ließ er sich zunächst in Alexandria, ab 784/1383 in Kairo nieder, wo er sich als Richter (''qāḍī'') und Lehrer, u. a. an der al-Azhar-Moschee, betätigte. Seine Familie, die er ein Jahr später nach Kairo nachholte, kam tragischerweise bei einem Schiffbruch ums Leben. Von da an blieb Ibn Ḫaldūn in Kairo, wo er in den nächsten Jahren verschiedene hohe Ämter innehatte. Neben einer Pilgerfahrt nach Mekka führte ihn seine Nähe zur mamlukischen Elite u. a. nach Jerusalem und Bethlehem, ferner 1401 in das vom zentralasiatischen Herrscher Timur besetzte Damaskus, mit dem Ibn Ḫaldūn ein langes Gespräch führte. Im Jahre 808/1406 starb Ibn Ḫaldūn in Kairo, wo er auch beigesetzt ist.<ref>Talbi, Ibn Khaldūn, S. 825-831; Singer, Ibn Ḫaldūn, S. 316-317; Šaddādī, Muqaddima, S. XXVII-XXXI.</ref>


Ibn Ḫaldūns wichtigstes überliefertes Werk ist die schon erwähnte mehrbändige Universalgeschichte, die in der Edition von Zakkār und Šaḥāda sieben Bände sowie einen achten Indexband mit jeweils etwa 700 Seiten umfasst.<ref>Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Suhayl Zakkār und Ḫalīl Šaḥāda, 8 Bde., Beirut: Dār al-fikr, 2000-01. </ref> Der erste Band besteht aus der so genannten „Vorrede“ (''al-muqaddima''), einer Art theoretischen Einleitung in die Geschichtswissenschaft und das Funktionieren menschlicher Gesellschaften generell. Die ''Muqaddima'' ist aufgrund ihres hohen theoretischen Reflexionsniveaus sehr bekannt, in mehrere Sprachen übersetzt<ref>Ibn Khaldoun, ''Les Prolégomènes'', übers. William McGuckin de Slane, 3 Bde., Paris: Imprimerie impériale, 1865–68; Ibn Chaldun, ''Ausgewählte Abschnitte aus der Muqaddima'', übers. Annemarie Schimmel, Tübingen: Mohr, 1951; Ibn Khaldūn, ''The Muqaddimah. An Introduction to History'', übers. Franz Rosenthal, 3 Bde., Princeton: Princeton University Press, 1958 [URL: [http://www.muslimphilosophy.com/ik/Muqaddimah/ http://www.muslimphilosophy.com/ik/Muqaddimah/]]; Ibn Khaldûn, ''The Muqaddimah: An Introduction to History'', übers. Franz Rosenthal, gekürzt hrsg. von N. J. Dawood, Princeton: Princeton University Press, 1989; Ibn Khaldūn, ''Buch der Beispiele. Die Einführung'', übers. Mathias Pätzold, Leipzig: Reclam, 1992; Ibn Khaldoun, ''Discours sur l’histoire universelle (Al-Muqaddima)'', übers. Vincent Monteil, 3 Bde., Arles: Sindbad, 1997; Ibn Khaldûn: ''Le Livre des Exemples. Tome I. Autobiographie Muquaddima'', übers. Abdesselam Cheddadi, Paris: Gallimard, 2002; Ibn Khaldun, ''Die Muqaddima: Betrachtungen zur Weltgeschichte'', übers. Alma Giese, Wolfhart Heinrichs, München: Beck, 2011.</ref> und auch kritisch ediert.<ref>Ibn Ḫaldūn, ''al-Muqaddima'', ed. ʿAbd al-Salām al-Šaddādī, 5 Bde., Casablanca: Dār al-funūn wa-l-ʿulūm wa-l-ādāb, 2005. </ref> Die eigentliche Universalgeschichte liegt in mehreren, teils unterschiedlichen Manuskripten vor, wurde erst kürzlich kritisch ediert<ref>Ibn-Ḫaldūn, ''Kitāb al-ʿIbar wa-dīwān al-mubtadaʾ wa-l-ḫabar fī ayyām al-ʿArab wa-l-ʿAǧam wa-l-Barbar wa-man ʿāṣarahum min ḏawi l-sulṭān al-akbar'', ed. Ibrāhīm Šabbūḥ et al., 14 Bde., Tunis: Dār al-Qairawān, 2006-2013. Üblicherweise wird die erste vollständige Gesamtausgabe zitiert, nämlich Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ Ibn Ḫaldūn al-musammā bi-kitāb al-ʿibar wa-dīwān al-mubtadaʾ wa-l-ḫabar fī ayyām al-ʿArab wa-l-ʿAǧam wa-l-Barbar wa-man ʿāṣarahum min ḏawī al-sulṭān al-akbar'', 6 Bde., Būlāq: al-Maṭbaʿa al-miṣriyya, 1867. Diese ist zwischen 1956-1961 in Beirut: Dār al-Kitāb al-lubnānī, in 7 Bänden nochmals aufgelegt worden.</ref> und ist nur in Ausschnitten übersetzt.<ref>Ibn Khaldoun, ''Histoire des Berbères'', übers. William McGuckin de Slane, 4 Bde., Algier: Imprimerie du gouvernement, 1854-1856.</ref> Sie führt ihre Leserschaft von der Schöpfung über die vorislamische und islamische Geschichte bis in die Lebenszeit des Autors. Sie kompiliert dabei Informationen aus den Werken zahlreicher arabisch-islamischer Historiographen der letzten Jahrhunderte und reichert diese mit persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen an.  
[§7] Ibn Ḫaldūns wichtigstes überliefertes Werk ist die schon erwähnte mehrbändige Universalgeschichte, die in der Edition von Zakkār und Šaḥāda sieben Bände sowie einen achten Indexband mit jeweils etwa 700 Seiten umfasst.<ref>Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Suhayl Zakkār und Ḫalīl Šaḥāda, 8 Bde., Beirut: Dār al-fikr, 2000-01. </ref> Der erste Band besteht aus der so genannten „Vorrede“ (''al-muqaddima''), einer Art theoretischen Einleitung in die Geschichtswissenschaft und das Funktionieren menschlicher Gesellschaften generell. Die ''Muqaddima'' ist aufgrund ihres hohen theoretischen Reflexionsniveaus sehr bekannt, in mehrere Sprachen übersetzt<ref>Ibn Khaldoun, ''Les Prolégomènes'', übers. William McGuckin de Slane, 3 Bde., Paris: Imprimerie impériale, 1865–68; Ibn Chaldun, ''Ausgewählte Abschnitte aus der Muqaddima'', übers. Annemarie Schimmel, Tübingen: Mohr, 1951; Ibn Khaldūn, ''The Muqaddimah. An Introduction to History'', übers. Franz Rosenthal, 3 Bde., Princeton: Princeton University Press, 1958 [URL: [http://www.muslimphilosophy.com/ik/Muqaddimah/ http://www.muslimphilosophy.com/ik/Muqaddimah/]]; Ibn Khaldûn, ''The Muqaddimah: An Introduction to History'', übers. Franz Rosenthal, gekürzt hrsg. von N. J. Dawood, Princeton: Princeton University Press, 1989; Ibn Khaldūn, ''Buch der Beispiele. Die Einführung'', übers. Mathias Pätzold, Leipzig: Reclam, 1992; Ibn Khaldoun, ''Discours sur l’histoire universelle (Al-Muqaddima)'', übers. Vincent Monteil, 3 Bde., Arles: Sindbad, 1997; Ibn Khaldûn: ''Le Livre des Exemples. Tome I. Autobiographie Muquaddima'', übers. Abdesselam Cheddadi, Paris: Gallimard, 2002; Ibn Khaldun, ''Die Muqaddima: Betrachtungen zur Weltgeschichte'', übers. Alma Giese, Wolfhart Heinrichs, München: Beck, 2011.</ref> und auch kritisch ediert.<ref>Ibn Ḫaldūn, ''al-Muqaddima'', ed. ʿAbd al-Salām al-Šaddādī, 5 Bde., Casablanca: Dār al-funūn wa-l-ʿulūm wa-l-ādāb, 2005. </ref> Die eigentliche Universalgeschichte liegt in mehreren, teils unterschiedlichen Manuskripten vor, wurde erst kürzlich kritisch ediert<ref>Ibn-Ḫaldūn, ''Kitāb al-ʿIbar wa-dīwān al-mubtadaʾ wa-l-ḫabar fī ayyām al-ʿArab wa-l-ʿAǧam wa-l-Barbar wa-man ʿāṣarahum min ḏawi l-sulṭān al-akbar'', ed. Ibrāhīm Šabbūḥ et al., 14 Bde., Tunis: Dār al-Qairawān, 2006-2013. Üblicherweise wird die erste vollständige Gesamtausgabe zitiert, nämlich Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ Ibn Ḫaldūn al-musammā bi-kitāb al-ʿibar wa-dīwān al-mubtadaʾ wa-l-ḫabar fī ayyām al-ʿArab wa-l-ʿAǧam wa-l-Barbar wa-man ʿāṣarahum min ḏawī al-sulṭān al-akbar'', 6 Bde., Būlāq: al-Maṭbaʿa al-miṣriyya, 1867. Diese ist zwischen 1956-1961 in Beirut: Dār al-Kitāb al-lubnānī, in 7 Bänden nochmals aufgelegt worden.</ref> und ist nur in Ausschnitten übersetzt.<ref>Ibn Khaldoun, ''Histoire des Berbères'', übers. William McGuckin de Slane, 4 Bde., Algier: Imprimerie du gouvernement, 1854-1856.</ref> Sie führt ihre Leserschaft von der Schöpfung über die vorislamische und islamische Geschichte bis in die Lebenszeit des Autors. Sie kompiliert dabei Informationen aus den Werken zahlreicher arabisch-islamischer Historiographen der letzten Jahrhunderte und reichert diese mit persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen an.  


Ibn Ḫaldūn setzte sich wohl nach seiner Entscheidung zum Rückzug aus der Politik zum ersten Mal an sein monumentales Werk. Während seines fast vierjährigen Aufenthaltes in der heute in Algerien liegenden Festung Qalʿat Ibn Salāma verfasste er zwischen 776-780/1375-1379 die erste Version der ''Muqaddima'' sowie einzelne Kapitel zur Geschichte des Maghreb. Seine Universalgeschichte wurde in den darauffolgenden Jahren immer weiter vervollständigt und bis weit in seine spätere ägyptische Lebensphase hinein immer wieder überarbeitet.<ref>Talbi, Ibn Khaldūn, S. 825-831; Singer, Ibn Ḫaldūn, S. 316-317; Šaddādī, Muqaddima, S. XXVII-XXXI.</ref>
[§8] Ibn Ḫaldūn setzte sich wohl nach seiner Entscheidung zum Rückzug aus der Politik zum ersten Mal an sein monumentales Werk. Während seines fast vierjährigen Aufenthaltes in der heute in Algerien liegenden Festung Qalʿat Ibn Salāma verfasste er zwischen 776-780/1375-1379 die erste Version der ''Muqaddima'' sowie einzelne Kapitel zur Geschichte des Maghreb. Seine Universalgeschichte wurde in den darauffolgenden Jahren immer weiter vervollständigt und bis weit in seine spätere ägyptische Lebensphase hinein immer wieder überarbeitet.<ref>Talbi, Ibn Khaldūn, S. 825-831; Singer, Ibn Ḫaldūn, S. 316-317; Šaddādī, Muqaddima, S. XXVII-XXXI.</ref>


==Inhalt & Quellenkontext==
==Inhalt & Quellenkontext==
Im vorliegenden Quellenexzerpt vermittelt uns Ibn Ḫaldūn seine Sicht der Ereignisse, die dem Kreuzzug des französischen Königs Ludwig IX. nach Tunis vorausgingen. Sein Bericht gibt uns dabei Einblick in viele verschiedene Themenfelder. Hierzu zählen die für europäisch-christliche Herrscher genutzte Terminologie, die Darstellung Ludwigs und seiner Motive, schließlich die Rolle von Diplomatie und Handel im Zusammenspiel mit dem Kreuzzugsphänomen.
[§9] Im vorliegenden Quellenexzerpt vermittelt uns Ibn Ḫaldūn seine Sicht der Ereignisse, die dem Kreuzzug des französischen Königs Ludwig IX. nach Tunis vorausgingen. Sein Bericht gibt uns dabei Einblick in viele verschiedene Themenfelder. Hierzu zählen die für europäisch-christliche Herrscher genutzte Terminologie, die Darstellung Ludwigs und seiner Motive, schließlich die Rolle von Diplomatie und Handel im Zusammenspiel mit dem Kreuzzugsphänomen.


Zunächst verweist Ibn Ḫaldūn auf den Ausgang des ägyptischen Kreuzzugs Ludwigs IX. (1248-1256), der in einer Niederlage des französischen Kreuzzugsheeres endete und den König in ägyptische Gefangenschaft führte. Seine Freilassung wurde dabei an die Zahlung eines hohen Lösegeldes sowie das Versprechen gebunden, keine weiteren Unternehmungen gegen die islamische Welt zu starten.<ref>Vgl. hierzu Eddé, Saint Louis, S. 65-92.</ref> Dieses Versprechen brach Ludwig, als sich einige lügende Händler (''adʿiyāʾ al-tuǧǧār'') seines Reiches an ihn um Hilfe wandten. Sie behaupteten, einem gewissen al-Lulyānī eine Summe von 300 dīnār<ref>Maḥfūẓ, ''Tarāǧum'', § 493, S. 225, geht von einer Summe von 300.000 dīnār aus.</ref> geliehen, aber nie zurückerhalten zu haben. Als dieser Mann, dessen politisches Schicksal Ibn Ḫaldūn an anderer Stelle beschreibt<ref>Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Zakkār and Shaḥāda, Bd. 6, S. 419-420; Ibn Khaldoun, ''Histoire des Berbères'', übers. McGuckin de Slane, Bd. 2, S. 350-51.</ref>, in Ungnade fiel, wandten sich die Händler an den Hafsidensultan bzw. -kalifen Abū ʿAbd Allāh Muḥammad al-Mustanṣir (regn. 647-675/1249-1277). Aufgrund mangelnder Nachweise erhielten sie ihr Geld aber nicht zurück, so dass sie Ludwig IX. darum baten, eine Razzia gegen Tunis auszuführen, das zu dieser Zeit durch eine Hungersnot geschwächt war.  
[§10] Zunächst verweist Ibn Ḫaldūn auf den Ausgang des ägyptischen Kreuzzugs Ludwigs IX. (1248-1256), der in einer Niederlage des französischen Kreuzzugsheeres endete und den König in ägyptische Gefangenschaft führte. Seine Freilassung wurde dabei an die Zahlung eines hohen Lösegeldes sowie das Versprechen gebunden, keine weiteren Unternehmungen gegen die islamische Welt zu starten.<ref>Vgl. hierzu Eddé, Saint Louis, S. 65-92.</ref> Dieses Versprechen brach Ludwig, als sich einige lügende Händler (''adʿiyāʾ al-tuǧǧār'') seines Reiches an ihn um Hilfe wandten. Sie behaupteten, einem gewissen al-Lulyānī eine Summe von 300 dīnār<ref>Maḥfūẓ, ''Tarāǧum'', § 493, S. 225, geht von einer Summe von 300.000 dīnār aus.</ref> geliehen, aber nie zurückerhalten zu haben. Als dieser Mann, dessen politisches Schicksal Ibn Ḫaldūn an anderer Stelle beschreibt<ref>Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Zakkār and Shaḥāda, Bd. 6, S. 419-420; Ibn Khaldoun, ''Histoire des Berbères'', übers. McGuckin de Slane, Bd. 2, S. 350-51.</ref>, in Ungnade fiel, wandten sich die Händler an den Hafsidensultan bzw. -kalifen Abū ʿAbd Allāh Muḥammad al-Mustanṣir (regn. 647-675/1249-1277). Aufgrund mangelnder Nachweise erhielten sie ihr Geld aber nicht zurück, so dass sie Ludwig IX. darum baten, eine Razzia gegen Tunis auszuführen, das zu dieser Zeit durch eine Hungersnot geschwächt war.  


Ludwig IX. soll sich daraufhin an mehrere europäisch-christliche Herrscher gewandt und erfolgreich um Unterstützung für den Kreuzzug geworben haben. In diesem Zusammenhang werden Ludwig unter Rückgriff auf „die Sprache der Franken“ (''luġat al-Ifranǧ'') die Herrschertitel ''al-Faransīs'' (vgl. ''le Français''?) und ''Rawā Farans'' (vgl. ''Roi de France'') zugeschrieben, er selbst als ''Sanlūwīs bin Lūwīs'', d. h. also als „Saint [!] Louis, der Sohn von Ludwig“ definiert, der ein „Tyrann der Franken“ (''ṭāġiyat al-Faranǧ'') sei und als „König Frankreichs“ (''malik Ifrans'') fungiere. Ibn Ḫaldūn macht damit genaue Angaben zum französischen Herrschertitel und differenziert hier ansatzweise zwischen „Franken“ als einer Art Oberbegriff für europäische Christen einerseits, und „Frankreich“ als einem zur fränkischen Welt gehörigen unabhängigen Herrschaftsgebiet andererseits. Diese beginnende Differenzierung ebenso wie eine Aktualisierung der bisher für die einzelnen Regionen und Herrschaftsgebiete Westeuropas benutzte Terminologie ist charakteristisch für die arabisch-islamische Geschichtsschreibung der späteren Kreuzzugszeit.<ref>Vgl. König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 211-228 als Teil des Kapitels „From the Franks to France“, sowie S. 268-299 unter den Kapitelüberschriften „The Documentary Effects of Expansionism (12th‒15th Centuries)“ und „New Players on the Mediterranean Scene (9th‒15th Centuries)“ als Teil des Kapitels „The Expanding Latin-Christian Sphere.“</ref>
[§11] Ludwig IX. soll sich daraufhin an mehrere europäisch-christliche Herrscher gewandt und erfolgreich um Unterstützung für den Kreuzzug geworben haben. In diesem Zusammenhang werden Ludwig unter Rückgriff auf „die Sprache der Franken“ (''luġat al-Ifranǧ'') die Herrschertitel ''al-Faransīs'' (vgl. ''le Français''?) und ''Rawā Farans'' (vgl. ''Roi de France'') zugeschrieben, er selbst als ''Sanlūwīs bin Lūwīs'', d. h. also als „Saint [!] Louis, der Sohn von Ludwig“ definiert, der ein „Tyrann der Franken“ (''ṭāġiyat al-Faranǧ'') sei und als „König Frankreichs“ (''malik Ifrans'') fungiere. Ibn Ḫaldūn macht damit genaue Angaben zum französischen Herrschertitel und differenziert hier ansatzweise zwischen „Franken“ als einer Art Oberbegriff für europäische Christen einerseits, und „Frankreich“ als einem zur fränkischen Welt gehörigen unabhängigen Herrschaftsgebiet andererseits. Diese beginnende Differenzierung ebenso wie eine Aktualisierung der bisher für die einzelnen Regionen und Herrschaftsgebiete Westeuropas benutzte Terminologie ist charakteristisch für die arabisch-islamische Geschichtsschreibung der späteren Kreuzzugszeit.<ref>Vgl. König, ''Arabic-Islamic Views'', S. 211-228 als Teil des Kapitels „From the Franks to France“, sowie S. 268-299 unter den Kapitelüberschriften „The Documentary Effects of Expansionism (12th‒15th Centuries)“ und „New Players on the Mediterranean Scene (9th‒15th Centuries)“ als Teil des Kapitels „The Expanding Latin-Christian Sphere.“</ref>


Ibn Ḫaldūn zufolge löste Ludwigs Kreuzzugswerbung beim Hafsidenherrscher Panik aus und veranlasste ihn zu mehreren Vorsorgemaßnahmen. So schickte er u. a. eine mit 80.000 Goldstücken ausgestattete Gesandtschaft an Ludwig IX. Diese hatte den Auftrag, dessen Pläne zu erforschen und sein Vorhaben, Tunis anzugreifen, gegebenfalls durch eine Geldzahlung zu vereiteln. Ludwig IX. habe dann zwar das Geld entgegengenommen, sei aber bei seinem Vorhaben geblieben. Die empörte Rückforderung des Geldes seitens der hafsidischen Botschafter sei dabei mit der Ankunft einer weiteren Gesandtschaft aus dem mamlukischen Ägypten zusammengefallen. Deren Vertreter habe daraufhin das Angebot, Platz zu nehmen, verweigert und stattdessen ein Gedicht des ayyubidischen Hofdichters Abū [eigentlich Ibn] Maṭrūḥ (gest. 649/1251) vorgetragen.<ref>Zu Abū Maṭrūh, dessen korrekter Name Ibn Maṭrūḥ ist, vgl. Rikabi, Ibn Maṭrūḥ, S. 875-876. Das von Ibn Ḫaldūn zitierte Gedicht ist Teil einer Gedichtesammlung (''dīwān''), vgl. Ibn Maṭrūḥ, ''Dīwān Ibn Maṭrūḥ'', ed. Ḥusayn Nuṣṣār, Kairo: Dār al-kutub wa-l-waṯāʾiq al-qawmiyya, 2004. Vgl. hierzu: Adam Talib, A New Source, S. 115-141.</ref> In diesem Gedicht wird Ludwig IX. an das Scheitern des siebten Kreuzzugs (1248-1254) erinnert und für den Tod und die Gefangenschaft vieler Christen verantwortlich gemacht. Ferner wird er gewarnt, nochmals Angriffspläne zu hegen, da sein früheres Gefängnis auf ihn warte. Ludwig IX., so Ibn Ḫaldūn weiter, habe sich durch dieses Gedicht aber nicht einschüchtern lassen, sondern im Gegenteil seine Intention begründet, nach Tunis auszuziehen. Daraufhin habe er die Gesandten entlassen und Vorkehrungen für die Überfahrt getroffen, so dass Ludwigs Flotte Ende Juli 1270 von Sardinien oder Sizilien aufbrechen konnte. Zur gleichen Zeit bereiteten sich die nordafrikanischen Küstenstädte unter der Führung des Hafsidenherrschers auf den Angriff vor.  
[§12] Ibn Ḫaldūn zufolge löste Ludwigs Kreuzzugswerbung beim Hafsidenherrscher Panik aus und veranlasste ihn zu mehreren Vorsorgemaßnahmen. So schickte er u. a. eine mit 80.000 Goldstücken ausgestattete Gesandtschaft an Ludwig IX. Diese hatte den Auftrag, dessen Pläne zu erforschen und sein Vorhaben, Tunis anzugreifen, gegebenfalls durch eine Geldzahlung zu vereiteln. Ludwig IX. habe dann zwar das Geld entgegengenommen, sei aber bei seinem Vorhaben geblieben. Die empörte Rückforderung des Geldes seitens der hafsidischen Botschafter sei dabei mit der Ankunft einer weiteren Gesandtschaft aus dem mamlukischen Ägypten zusammengefallen. Deren Vertreter habe daraufhin das Angebot, Platz zu nehmen, verweigert und stattdessen ein Gedicht des ayyubidischen Hofdichters Abū [eigentlich Ibn] Maṭrūḥ (gest. 649/1251) vorgetragen.<ref>Zu Abū Maṭrūh, dessen korrekter Name Ibn Maṭrūḥ ist, vgl. Rikabi, Ibn Maṭrūḥ, S. 875-876. Das von Ibn Ḫaldūn zitierte Gedicht ist Teil einer Gedichtesammlung (''dīwān''), vgl. Ibn Maṭrūḥ, ''Dīwān Ibn Maṭrūḥ'', ed. Ḥusayn Nuṣṣār, Kairo: Dār al-kutub wa-l-waṯāʾiq al-qawmiyya, 2004. Vgl. hierzu: Adam Talib, A New Source, S. 115-141.</ref> In diesem Gedicht wird Ludwig IX. an das Scheitern des siebten Kreuzzugs (1248-1254) erinnert und für den Tod und die Gefangenschaft vieler Christen verantwortlich gemacht. Ferner wird er gewarnt, nochmals Angriffspläne zu hegen, da sein früheres Gefängnis auf ihn warte. Ludwig IX., so Ibn Ḫaldūn weiter, habe sich durch dieses Gedicht aber nicht einschüchtern lassen, sondern im Gegenteil seine Intention begründet, nach Tunis auszuziehen. Daraufhin habe er die Gesandten entlassen und Vorkehrungen für die Überfahrt getroffen, so dass Ludwigs Flotte Ende Juli 1270 von Sardinien oder Sizilien aufbrechen konnte. Zur gleichen Zeit bereiteten sich die nordafrikanischen Küstenstädte unter der Führung des Hafsidenherrschers auf den Angriff vor.  


Das oben zitierte Exzerpt ist Teil eines Kapitels unter dem Titel „Nachricht zum Tyrannen der Franken und seinem Angriff auf Tunis mithilfe einiger Leute aus seiner Christenheit“ (''al-ḫabar ʿan ṭāġiyat al-Ifranǧa wa-munāzalatihi Tūnis fī ahl naṣrāniyyatihi''), das sich dem Vorspiel, Verlauf und Nachspiel des achten Kreuzzuges widmet. In der Edition von Zakkār und Šaḥāda ist es Bestandteil des sechsten Bandes, der sich, nach Ausführungen zu nahöstlichen Turkgruppen im fünften Band, nun der Geschichte des Maghreb nach den Invasionen des 11. Jahrhunderts durch die Banū Hilāl und die Banū Sulaym widmet.  
[§13] Das oben zitierte Exzerpt ist Teil eines Kapitels unter dem Titel „Nachricht zum Tyrannen der Franken und seinem Angriff auf Tunis mithilfe einiger Leute aus seiner Christenheit“ (''al-ḫabar ʿan ṭāġiyat al-Ifranǧa wa-munāzalatihi Tūnis fī ahl naṣrāniyyatihi''), das sich dem Vorspiel, Verlauf und Nachspiel des achten Kreuzzuges widmet. In der Edition von Zakkār und Šaḥāda ist es Bestandteil des sechsten Bandes, der sich, nach Ausführungen zu nahöstlichen Turkgruppen im fünften Band, nun der Geschichte des Maghreb nach den Invasionen des 11. Jahrhunderts durch die Banū Hilāl und die Banū Sulaym widmet.  


Das Kapitel selbst beginnt mit einem kurzen historischen Aufriss, der das Vordringen der hier als Franken bezeichneten lateinischen Christen seit dem 11. Jahrhundert in den Mittelmeerraum nachvollzieht. Ibn Ḫaldūn geht in diesem Rahmen etwas spezifischer auf die Kreuzzüge ein und kommt zunächst auf die Erfolge der Ayyubiden zu sprechen. Es sind wohl diese allgemeineren Ausführungen zum Aufstieg der Franken und zu den Kreuzzügen der Ayyubidenzeit, die Ibn Ḫaldūn nach eigener Aussage dem Werk des 630/1233 verstorbenen irakischen Historiographen Ibn al-Aṯīr entnommen hat. Dies kann nicht mehr für seine Angaben zum ägyptischen und tunesischen Kreuzzug Ludwigs IX. gelten, da diese ja nach dem Tod Ibn al-Aṯīrs stattfanden. Dem oben zitierten Exzerpt folgt eine Beschreibung des Kreuzzugsverlaufs in Tunis. Dieses enthält u. a. Spekulationen über die Gründe für Ludwigs Ableben sowie Ausführungen zum Abschluss eines Friedensvertrages. Diese Beschreibungen basieren, so Ibn Ḫaldūn, teilweise auf den Ausführungen seines Großvaters.<ref>Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Zakkār and Shaḥāda, Bd. 6, S. 426: „ḥadaṯanī abī ʿan abīhi raḥamahumā Allāh qāla (…).“</ref>
[§14] Das Kapitel selbst beginnt mit einem kurzen historischen Aufriss, der das Vordringen der hier als Franken bezeichneten lateinischen Christen seit dem 11. Jahrhundert in den Mittelmeerraum nachvollzieht. Ibn Ḫaldūn geht in diesem Rahmen etwas spezifischer auf die Kreuzzüge ein und kommt zunächst auf die Erfolge der Ayyubiden zu sprechen. Es sind wohl diese allgemeineren Ausführungen zum Aufstieg der Franken und zu den Kreuzzügen der Ayyubidenzeit, die Ibn Ḫaldūn nach eigener Aussage dem Werk des 630/1233 verstorbenen irakischen Historiographen Ibn al-Aṯīr entnommen hat. Dies kann nicht mehr für seine Angaben zum ägyptischen und tunesischen Kreuzzug Ludwigs IX. gelten, da diese ja nach dem Tod Ibn al-Aṯīrs stattfanden. Dem oben zitierten Exzerpt folgt eine Beschreibung des Kreuzzugsverlaufs in Tunis. Dieses enthält u. a. Spekulationen über die Gründe für Ludwigs Ableben sowie Ausführungen zum Abschluss eines Friedensvertrages. Diese Beschreibungen basieren, so Ibn Ḫaldūn, teilweise auf den Ausführungen seines Großvaters.<ref>Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Zakkār and Shaḥāda, Bd. 6, S. 426: „ḥadaṯanī abī ʿan abīhi raḥamahumā Allāh qāla (…).“</ref>


Angaben zu den Vorbedingungen für Ludwigs Kreuzzug nach Tunis ebenso wie zu deren Verlauf finden natürlich auch in anderen Quellen Niederschlag. Auf arabischer Seite nimmt Ibn Ḫaldūns Bericht aufgrund seiner, durch die Augenzeugenschaft seines Großvaters gegebenen zeitlichen und geographischen Nähe, aber auch wegen seiner Ausführlichkeit einen besonderen Platz ein.<ref>Bei der Darstellung des al-Maqrīzī (gest. 845/1442), ''al-Sulūk li-maʿrifat duwal al-mulūk'', ed. Muḥammad ʿAbd al-Qādir ʿAtạ̄, 8 Bde., Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 1997, Bd. 1, AH 648, S. 460-462, scheint es sich weitestgehend um eine verkürzte Version Ibn Ḫaldūns zu handeln, die derselben Chronologie folgt, den Versuch erwähnt, Ludwig IX. mit 80.000 Goldstücken vom Kreuzzug abzubringen, aber z. B. den Konflikt zwischen den Händlern und al-Lulyānī nicht erwähnt. Die Episode wird hier mit einem tunesischen Gedicht an den schon toten Ludwig IX. beendet, in dem Tunis als „Schwester Ägyptens“ bezeichnet wird. Origineller ist al-Yūnīnī (gest. 726/1326), ''Ḏayl mirʾāt al-zamān'', sine editore, 3 Bde., Hyderabad: Osmania Oriental Publications Bureau, 1954, 1955, 1960, Bd. 2, AH 669, S. 454-455, der Zusatzinformationen zur Identität der Händler und ihrem Konflikt mit den hafsidischen Behörden liefert.</ref> Auf lateinischer Seite liefern Lebensbeschreibungen Ludwigs IX. sowie zahlreiche historiographische Werke weitere Informationen. Hierzu zählen die Lebensbeschreibung Ludwigs IX. durch Geoffrey de Beaulieu (gest. um 1274)<ref>Godefridus de Bello loco, ''Vita Ludovici noni'', ed. Joseph Naudet, ‎Pierre-Claude-François Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), Paris: Imprimerie royale, 1840, S. 1-26, hier: S. 21-22; Übersetzung: ''The Sanctity of Louis IX: Early Lives of Saint Louis by Geoffrey of Beaulieu and William of Chartres'', übers. Larry F, Field, comm. Marianne Cecilia Gaposchkin, Sean L. Field, Ithaca: Cornell University Press, 2014, cap. 40-42, S. 116-119.</ref>, die – bezüglich der hier relevanten Stellen – fast gleichlautenden ''Gesta Sancti Ludovici ''des Wilhelm von Nangis (gest. ca. 1300)<ref>Guillelmus de Nangiaco, ''Gesta sanctae memoriae Ludovici regis Franciae'', ed. Joseph Naudet, ‎Pierre-Claude-François Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20) , Paris: Imprimerie royale, 1840, S. 309-461, hier: S. 446-447. </ref>, ferner die ''Chronique de Primat'' (gest. nach 1277) in der französischen Übersetzung des Jean Vignay (gest. nach 1340)<ref>''Chronique de Primat traduite par Jean Vignay'', ed. Natalis de Wailly, Leopold Victor Delisle (Recueil des historiens des Gaules et de la France 23), Paris: H. Welter, 1894, S. 1-105, hier: cap. 24, S. 39, cap. 28, S. 44.</ref>, die sizilische Chronik des Saba Malaspina (gest. 1297)<ref>Saba Malaspina, ''Chronica sive Liber gestorum regum Siciliae'', ed. W. Koller, A. Nitschke (MGH SS 35), Hannover: Hahn, 1999, S. 89-375, hier: lib. V, cap. 1, S. 228-29; engl. übers. Lower, ''The Tunis Crusade of 1270'', S. 144; ital. übers. ''Cronisti e scrittori sincroni della dominazione normanna nel Regno di Puglia e Sicilia'', ed. Guiseppe del Re, Neapel: Stamperia dell’Iride, 1868, S. 201-408, hier: S. 293-294.</ref> sowie eine Fortsetzung der Chronik des Matthaeus Paris (gest. 1259).<ref>Matthaeus Paris, ''Historia major. Juxta exemplar Londinense 1640, verbatim recusa; et cum Rogeri Wendoveri, Willielmi Rishangeri, authorisque majori minorique historiis, chronicisque mss, in Bibliotheca regia, collegii Corporis Christi Cantabrigiae, Cottoniáque, fidelitèr collata. Huic editioni accesserunt, duorum offarum merciorum regum; & viginti trium abbatum S. Albani vitae. Una cum libro additamentorum'', ed. William Wats, London: A. Mearne, 1684, a. 1270-1271, S. 882-83. Übersetzung: Matthew Paris, ''English History. From the Year 1235 to 1273'', übers. J. A. Giles, Bd. 3, London: Henry Bohn, 1854, a. 1270, S. 374-75, 377.</ref> Bedeutend angereichert wird diese Dokumentation auch durch Registereinträge der angevinischen Kanzlei in Sizilien<ref>Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 156-157, 382-383.</ref> sowie den am 5. Rabīʿ II 669 / 21. November 1270 abgeschlossenen Friedensvertrag mit Tunis in seiner arabischen Version<ref>Mas Latrie, ''Traité de paix'', S. 93-96, liefert die französische Übersetzung aus Silvestre de Sacy, Mémoire sur le traité, S. 461-467 (franz. Übersetzung), S. 469-471 (arabisches Original).</ref>, dem möglicherweise eine einige Tage früher ausgestellte, aber verlorene lateinische bzw. französische Version vorausgegangen war.<ref>Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 93, FN 1.</ref>
[§15] Angaben zu den Vorbedingungen für Ludwigs Kreuzzug nach Tunis ebenso wie zu deren Verlauf finden natürlich auch in anderen Quellen Niederschlag. Auf arabischer Seite nimmt Ibn Ḫaldūns Bericht aufgrund seiner, durch die Augenzeugenschaft seines Großvaters gegebenen zeitlichen und geographischen Nähe, aber auch wegen seiner Ausführlichkeit einen besonderen Platz ein.<ref>Bei der Darstellung des al-Maqrīzī (gest. 845/1442), ''al-Sulūk li-maʿrifat duwal al-mulūk'', ed. Muḥammad ʿAbd al-Qādir ʿAtạ̄, 8 Bde., Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 1997, Bd. 1, AH 648, S. 460-462, scheint es sich weitestgehend um eine verkürzte Version Ibn Ḫaldūns zu handeln, die derselben Chronologie folgt, den Versuch erwähnt, Ludwig IX. mit 80.000 Goldstücken vom Kreuzzug abzubringen, aber z. B. den Konflikt zwischen den Händlern und al-Lulyānī nicht erwähnt. Die Episode wird hier mit einem tunesischen Gedicht an den schon toten Ludwig IX. beendet, in dem Tunis als „Schwester Ägyptens“ bezeichnet wird. Origineller ist al-Yūnīnī (gest. 726/1326), ''Ḏayl mirʾāt al-zamān'', sine editore, 3 Bde., Hyderabad: Osmania Oriental Publications Bureau, 1954, 1955, 1960, Bd. 2, AH 669, S. 454-455, der Zusatzinformationen zur Identität der Händler und ihrem Konflikt mit den hafsidischen Behörden liefert.</ref> Auf lateinischer Seite liefern Lebensbeschreibungen Ludwigs IX. sowie zahlreiche historiographische Werke weitere Informationen. Hierzu zählen die Lebensbeschreibung Ludwigs IX. durch Geoffrey de Beaulieu (gest. um 1274)<ref>Godefridus de Bello loco, ''Vita Ludovici noni'', ed. Joseph Naudet, ‎Pierre-Claude-François Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), Paris: Imprimerie royale, 1840, S. 1-26, hier: S. 21-22; Übersetzung: ''The Sanctity of Louis IX: Early Lives of Saint Louis by Geoffrey of Beaulieu and William of Chartres'', übers. Larry F, Field, comm. Marianne Cecilia Gaposchkin, Sean L. Field, Ithaca: Cornell University Press, 2014, cap. 40-42, S. 116-119.</ref>, die – bezüglich der hier relevanten Stellen – fast gleichlautenden ''Gesta Sancti Ludovici ''des Wilhelm von Nangis (gest. ca. 1300)<ref>Guillelmus de Nangiaco, ''Gesta sanctae memoriae Ludovici regis Franciae'', ed. Joseph Naudet, ‎Pierre-Claude-François Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20) , Paris: Imprimerie royale, 1840, S. 309-461, hier: S. 446-447. </ref>, ferner die ''Chronique de Primat'' (gest. nach 1277) in der französischen Übersetzung des Jean Vignay (gest. nach 1340)<ref>''Chronique de Primat traduite par Jean Vignay'', ed. Natalis de Wailly, Leopold Victor Delisle (Recueil des historiens des Gaules et de la France 23), Paris: H. Welter, 1894, S. 1-105, hier: cap. 24, S. 39, cap. 28, S. 44.</ref>, die sizilische Chronik des Saba Malaspina (gest. 1297)<ref>Saba Malaspina, ''Chronica sive Liber gestorum regum Siciliae'', ed. W. Koller, A. Nitschke (MGH SS 35), Hannover: Hahn, 1999, S. 89-375, hier: lib. V, cap. 1, S. 228-29; engl. übers. Lower, ''The Tunis Crusade of 1270'', S. 144; ital. übers. ''Cronisti e scrittori sincroni della dominazione normanna nel Regno di Puglia e Sicilia'', ed. Guiseppe del Re, Neapel: Stamperia dell’Iride, 1868, S. 201-408, hier: S. 293-294.</ref> sowie eine Fortsetzung der Chronik des Matthaeus Paris (gest. 1259).<ref>Matthaeus Paris, ''Historia major. Juxta exemplar Londinense 1640, verbatim recusa; et cum Rogeri Wendoveri, Willielmi Rishangeri, authorisque majori minorique historiis, chronicisque mss, in Bibliotheca regia, collegii Corporis Christi Cantabrigiae, Cottoniáque, fidelitèr collata. Huic editioni accesserunt, duorum offarum merciorum regum; & viginti trium abbatum S. Albani vitae. Una cum libro additamentorum'', ed. William Wats, London: A. Mearne, 1684, a. 1270-1271, S. 882-83. Übersetzung: Matthew Paris, ''English History. From the Year 1235 to 1273'', übers. J. A. Giles, Bd. 3, London: Henry Bohn, 1854, a. 1270, S. 374-75, 377.</ref> Bedeutend angereichert wird diese Dokumentation auch durch Registereinträge der angevinischen Kanzlei in Sizilien<ref>Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 156-157, 382-383.</ref> sowie den am 5. Rabīʿ II 669 / 21. November 1270 abgeschlossenen Friedensvertrag mit Tunis in seiner arabischen Version<ref>Mas Latrie, ''Traité de paix'', S. 93-96, liefert die französische Übersetzung aus Silvestre de Sacy, Mémoire sur le traité, S. 461-467 (franz. Übersetzung), S. 469-471 (arabisches Original).</ref>, dem möglicherweise eine einige Tage früher ausgestellte, aber verlorene lateinische bzw. französische Version vorausgegangen war.<ref>Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 93, FN 1.</ref>


Ibn Ḫaldūns Schilderung der Ereignisse unterscheidet sich deutlich von dieser christlichen Berichterstattung, da er Ludwig IX. und das Kreuzzugsunternehmen verständlicherweise als negativ und zudem als ungerechtfertigt darstellt. Obwohl die christlichen Quellen dem Kreuzzugsprojekt grundsätzlich positiver gegenüberstehen, wird dennoch deutlich, dass sie durchaus auch Kritik am König und seinen Plänen enthalten können.
[§16] Ibn Ḫaldūns Schilderung der Ereignisse unterscheidet sich deutlich von dieser christlichen Berichterstattung, da er Ludwig IX. und das Kreuzzugsunternehmen verständlicherweise als negativ und zudem als ungerechtfertigt darstellt. Obwohl die christlichen Quellen dem Kreuzzugsprojekt grundsätzlich positiver gegenüberstehen, wird dennoch deutlich, dass sie durchaus auch Kritik am König und seinen Plänen enthalten können.


==Kontextualisierung, Analyse & Interpretation==
==Kontextualisierung, Analyse & Interpretation==
Aus der Gesamtschau auf diese Quellen ergibt sich ein komplexes Bild politischer, wirtschaftlicher und auch persönlicher Verflechtungen im Mittelmeerraum des späten 13. Jahrhunderts. Im Vordergrund stehen dabei die Motive Ludwigs IX. und seines direkten Umfeldes, die Rolle seines Bruders Karls I. von Anjou, die Verquickung des Kreuzzugsunternehmens mit den intensiven transmediterranen Handelsbeziehungen im westlichen Mediterraneum, schließlich die damit verbundene offizielle Diplomatie sowie weitere Formen christlich-muslimischer Kommunikation.  
[§17] Aus der Gesamtschau auf diese Quellen ergibt sich ein komplexes Bild politischer, wirtschaftlicher und auch persönlicher Verflechtungen im Mittelmeerraum des späten 13. Jahrhunderts. Im Vordergrund stehen dabei die Motive Ludwigs IX. und seines direkten Umfeldes, die Rolle seines Bruders Karls I. von Anjou, die Verquickung des Kreuzzugsunternehmens mit den intensiven transmediterranen Handelsbeziehungen im westlichen Mediterraneum, schließlich die damit verbundene offizielle Diplomatie sowie weitere Formen christlich-muslimischer Kommunikation.  


Ibn Ḫaldūn sieht den Auslöser des Kreuzzuges in einem Konflikt zwischen europäisch-christlichen Händlern und einem hafsidischen Funktionär namens al-Lulyānī. Dieser war nach einer rasanten Karriere zum Zuständigen für die Finanzverwaltung der Provinzen ernannt worden, hatte sich aufgrund seiner Raffgier aber viele Feinde gemacht und fiel somit einer Intrige zum Opfer. Er wurde unter Folter zu massiven Zahlungen gezwungen und schließlich hingerichtet, möglicherweise vom Anführer der für die Hafsiden kämpfenden europäisch-christlichen Söldner (''kabīr al-mawālī min al-ʿulūǧ''). Auch seine Familie und Freunde wurden geächtet und starben auf Befehl des Hafsidenherrschers.<ref>Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Zakkār and Shaḥāda, Bd. 6, S. 419-420; Ibn Khaldoun, ''Histoire des Berbères'', übers. McGuckin de Slane, Bd. 2, S. 350-51. Vgl. auch die Zusammenfassung mehrerer Quellen zu al-Lulyānī in Maḥfūẓ, ''Tarāǧum'', § 493, S. 223-226. Zu europäisch-christlichen, v. a. katalanischen Söldnern, im Tunis des späten 13. Jahrhunderts vgl. Barton, Traitors, S. 33; Dufourcq, ''L’Espagne catalane'', S. 101-104.</ref> Ibn Ḫaldūn zufolge weigerte sich der Hafsidenherrscher, die von al-Lulyānī den europäisch-christlichen Händlern geschuldete Summe von 300 dīnār<ref>Maḥfūẓ, ''Tarāǧum'', § 493, S. 225, geht von einer Summe von 300.000 dīnār aus.</ref> zu zahlen. Dadurch wurden diese veranlasst, sich mit der Forderung an Ludwig IX. zu wenden, gegen Tunis zu ziehen.  
[§18] Ibn Ḫaldūn sieht den Auslöser des Kreuzzuges in einem Konflikt zwischen europäisch-christlichen Händlern und einem hafsidischen Funktionär namens al-Lulyānī. Dieser war nach einer rasanten Karriere zum Zuständigen für die Finanzverwaltung der Provinzen ernannt worden, hatte sich aufgrund seiner Raffgier aber viele Feinde gemacht und fiel somit einer Intrige zum Opfer. Er wurde unter Folter zu massiven Zahlungen gezwungen und schließlich hingerichtet, möglicherweise vom Anführer der für die Hafsiden kämpfenden europäisch-christlichen Söldner (''kabīr al-mawālī min al-ʿulūǧ''). Auch seine Familie und Freunde wurden geächtet und starben auf Befehl des Hafsidenherrschers.<ref>Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Zakkār and Shaḥāda, Bd. 6, S. 419-420; Ibn Khaldoun, ''Histoire des Berbères'', übers. McGuckin de Slane, Bd. 2, S. 350-51. Vgl. auch die Zusammenfassung mehrerer Quellen zu al-Lulyānī in Maḥfūẓ, ''Tarāǧum'', § 493, S. 223-226. Zu europäisch-christlichen, v. a. katalanischen Söldnern, im Tunis des späten 13. Jahrhunderts vgl. Barton, Traitors, S. 33; Dufourcq, ''L’Espagne catalane'', S. 101-104.</ref> Ibn Ḫaldūn zufolge weigerte sich der Hafsidenherrscher, die von al-Lulyānī den europäisch-christlichen Händlern geschuldete Summe von 300 dīnār<ref>Maḥfūẓ, ''Tarāǧum'', § 493, S. 225, geht von einer Summe von 300.000 dīnār aus.</ref> zu zahlen. Dadurch wurden diese veranlasst, sich mit der Forderung an Ludwig IX. zu wenden, gegen Tunis zu ziehen.  


Eine Variante dieser Geschichte eines Konfliktes zwischen europäisch-christlichen Händlern und hafsidischen Funktionären findet sich im historiographischen Werk des al-Yūnīnī (gest. 726/1326). Er erklärt, dass fränkische Händler Falschgeld (''darāhim maġšūša'') nach dem Vorbild der Münzen des Herrschers von Tunis (''ṣāḥib Tūnis'') geprägt hätten. Die hafsidischen Behörden hätten daraufhin die Genuesen (''ahl Ǧanawa'') beschuldigt, deren Kapital beschlagnahmt (''istiʾṣāl amwālihim'') und sie festgenommen (''ḥabasahum''). Die Genuesen hätten sich daraufhin beim französischen König (''raydafarans'') beschwert, ihn mit Geld ausgestattet und somit eine Allianz zum Angriff auf Tunis geschaffen.<ref>Al-Yūnīnī, ''Ḏayl mirʾāt al-zamān'', sine editore, Bd. 2, AH 669, S. 454-455.</ref>
[§19] Eine Variante dieser Geschichte eines Konfliktes zwischen europäisch-christlichen Händlern und hafsidischen Funktionären findet sich im historiographischen Werk des al-Yūnīnī (gest. 726/1326). Er erklärt, dass fränkische Händler Falschgeld (''darāhim maġšūša'') nach dem Vorbild der Münzen des Herrschers von Tunis (''ṣāḥib Tūnis'') geprägt hätten. Die hafsidischen Behörden hätten daraufhin die Genuesen (''ahl Ǧanawa'') beschuldigt, deren Kapital beschlagnahmt (''istiʾṣāl amwālihim'') und sie festgenommen (''ḥabasahum''). Die Genuesen hätten sich daraufhin beim französischen König (''raydafarans'') beschwert, ihn mit Geld ausgestattet und somit eine Allianz zum Angriff auf Tunis geschaffen.<ref>Al-Yūnīnī, ''Ḏayl mirʾāt al-zamān'', sine editore, Bd. 2, AH 669, S. 454-455.</ref>


Ibn Ḫaldūn zufolge stellte sich der französische König nicht nur hinter die Händler. Entscheidungsfördernd scheint auch gewesen zu sein, dass Tunis zu diesem Zeitpunkt durch eine Hungersnot geschwächt war. Ludwigs Kreuzzugsplan hatte auch wirtschaftspolitische Konsequenzen, verweigerte der Hafsidenherrscher daraufhin ja den europäisch-christlichen Händlern in Tunis ihre vertraglich zugesicherten Rechte (''wa-nqabaḍa tuǧǧār al-naṣārā ʿan taʿāhud bilād al-muslimīn''). Diese Aussage ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass Tunis Ende des 13. Jahrhunderts ein bedeutendes Handelszentrum im westlichen Mittelmeerraum darstellte.<ref>Jehel, Tunis, Sp. 1094-1095; Sebag, Tūnis.</ref> Sein Herrscher stand in den 1230ern und 1240ern in direktem Kontakt mit dem Papsttum<ref>Briefwechsel mit den Päpsten Gregor IX. (1235) und Innocenz IV. (1246), vgl. Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 376; vgl. auch König, Phase experimenteller Diplomatie, S. 15-42; Lupprian, ''Beziehungen'', S. 22-24, 139-140, 176-178.</ref> und pflegte mit mehreren europäisch-christlichen Gemeinwesen Wirtschaftsbeziehungen.<ref>Diese schlagen sich in Briefwechseln mit Pisa (1157, 1237), in einem Statut zum Weinexport der Stadt Marseille (1228), genuesischen Akten zu Handelsbeziehungen (1155-1164, 1251) sowie einem Brief Friedrichs II. zum genuesischen und venezianischen Handel mit Tunis (1240) nieder, vgl. Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 377, 379-380, 382.</ref> Diese waren in Verträgen von 1186, 1229 oder 1234, 1231, 1236, 1250, 1251 und 1264 rechtlich geregelt worden<ref>Friedensverträge mit Pisa (1186, 1229 oder 1234, 1264), Genua (1236, 1250), dem Königreich Sizilien (1231), Venedig (1231, 1251) vgl. Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 377-78, 380, 381, 384.</ref> und wurden nach dem Ende des Kreuzzugs von 1270 vielfach erneuert.<ref>Friedensverträge mit Frankreich (1270), Venedig (1271), Krone von Aragon (1271), Genua (1272), Königreich Mallorca (1278), vgl. Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 379-380, 384, 386.</ref>  
[§20] Ibn Ḫaldūn zufolge stellte sich der französische König nicht nur hinter die Händler. Entscheidungsfördernd scheint auch gewesen zu sein, dass Tunis zu diesem Zeitpunkt durch eine Hungersnot geschwächt war. Ludwigs Kreuzzugsplan hatte auch wirtschaftspolitische Konsequenzen, verweigerte der Hafsidenherrscher daraufhin ja den europäisch-christlichen Händlern in Tunis ihre vertraglich zugesicherten Rechte (''wa-nqabaḍa tuǧǧār al-naṣārā ʿan taʿāhud bilād al-muslimīn''). Diese Aussage ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass Tunis Ende des 13. Jahrhunderts ein bedeutendes Handelszentrum im westlichen Mittelmeerraum darstellte.<ref>Jehel, Tunis, Sp. 1094-1095; Sebag, Tūnis.</ref> Sein Herrscher stand in den 1230ern und 1240ern in direktem Kontakt mit dem Papsttum<ref>Briefwechsel mit den Päpsten Gregor IX. (1235) und Innocenz IV. (1246), vgl. Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 376; vgl. auch König, Phase experimenteller Diplomatie, S. 15-42; Lupprian, ''Beziehungen'', S. 22-24, 139-140, 176-178.</ref> und pflegte mit mehreren europäisch-christlichen Gemeinwesen Wirtschaftsbeziehungen.<ref>Diese schlagen sich in Briefwechseln mit Pisa (1157, 1237), in einem Statut zum Weinexport der Stadt Marseille (1228), genuesischen Akten zu Handelsbeziehungen (1155-1164, 1251) sowie einem Brief Friedrichs II. zum genuesischen und venezianischen Handel mit Tunis (1240) nieder, vgl. Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 377, 379-380, 382.</ref> Diese waren in Verträgen von 1186, 1229 oder 1234, 1231, 1236, 1250, 1251 und 1264 rechtlich geregelt worden<ref>Friedensverträge mit Pisa (1186, 1229 oder 1234, 1264), Genua (1236, 1250), dem Königreich Sizilien (1231), Venedig (1231, 1251) vgl. Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 377-78, 380, 381, 384.</ref> und wurden nach dem Ende des Kreuzzugs von 1270 vielfach erneuert.<ref>Friedensverträge mit Frankreich (1270), Venedig (1271), Krone von Aragon (1271), Genua (1272), Königreich Mallorca (1278), vgl. Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 379-380, 384, 386.</ref>  


Indem Ibn Ḫaldūn den Heereszug nach Tunis in einen Zusammenhang mit dem Kreuzzug nach Ägypten (1248-1256) stellt, ferner auf die päpstliche Unterstützung des Unternehmens verweist, die sich u. a. in der Erlaubnis zur Nutzung von Kirchengeldern manifestiert, macht er allerdings deutlich, dass die Kampagne auch in den ideologischen Rahmen der kirchlich unterstützten europäisch-christlichen Kriegsführung gegen muslimische Gemeinwesen eingeordnet werden muss.
[§21] Indem Ibn Ḫaldūn den Heereszug nach Tunis in einen Zusammenhang mit dem Kreuzzug nach Ägypten (1248-1256) stellt, ferner auf die päpstliche Unterstützung des Unternehmens verweist, die sich u. a. in der Erlaubnis zur Nutzung von Kirchengeldern manifestiert, macht er allerdings deutlich, dass die Kampagne auch in den ideologischen Rahmen der kirchlich unterstützten europäisch-christlichen Kriegsführung gegen muslimische Gemeinwesen eingeordnet werden muss.


Die von Jean Vignay (gest. 1340) ins Französische übersetzte Chronik des Primat von Saint-Denis (gest. 1277) erklärt die Kreuznahme Ludwigs IX. vor einem ganz anderen Hintergrund. Sie betont v. a. Ludwigs‘ Scham und schlechtes Gewissen (''le remors de sa conscience''), durch seinen ägyptischen Kreuzzug der Kirche nicht geholfen (''que ele n’avoit fait d’onneur ne de proufit à l’Eglise de Jhesu Christ ne à la Terre sainte'') und Frankreich Schaden (''honte et de damage et de reprouche au royaume de France'') zugefügt zu haben. Die Entscheidung, nicht ins Heilige Land, sondern nach Tunis zu ziehen, wird hier im Konsens mit den zunächst überraschten Baronen gefällt, aber nicht weiter begründet.<ref>''Chronique de Primat traduite par Jean Vignay'', ed. de Wailly, Delisle (Recueil des historiens des Gaules et de la France 23), cap. 24, S. 39, cap. 28, S. 44.</ref>
[§22] Die von Jean Vignay (gest. 1340) ins Französische übersetzte Chronik des Primat von Saint-Denis (gest. 1277) erklärt die Kreuznahme Ludwigs IX. vor einem ganz anderen Hintergrund. Sie betont v. a. Ludwigs‘ Scham und schlechtes Gewissen (''le remors de sa conscience''), durch seinen ägyptischen Kreuzzug der Kirche nicht geholfen (''que ele n’avoit fait d’onneur ne de proufit à l’Eglise de Jhesu Christ ne à la Terre sainte'') und Frankreich Schaden (''honte et de damage et de reprouche au royaume de France'') zugefügt zu haben. Die Entscheidung, nicht ins Heilige Land, sondern nach Tunis zu ziehen, wird hier im Konsens mit den zunächst überraschten Baronen gefällt, aber nicht weiter begründet.<ref>''Chronique de Primat traduite par Jean Vignay'', ed. de Wailly, Delisle (Recueil des historiens des Gaules et de la France 23), cap. 24, S. 39, cap. 28, S. 44.</ref>


Geoffroy de Beaulieu (gest. um 1274) wiederum behauptet, Ludwig IX. sei im Rahmen eines Gesandtschaftsaustausches mit dem Hafsidenfürsten zu der Überzeugung gelangt, dass dieser bereit sei, zum Christentum zu konvertieren<ref>Zu diesem Motiv, vgl. Kedar, ''Crusade and Mission'', S. 161-169, sowie Siberry, Missionaries and Crusaders.</ref>, sollte sich eine Gelegenheit ergeben, die ihn nicht der Rache der Sarazenen aussetzen und es ihm ermöglichen würde, seine Ehre zu wahren. Ludwig IX. habe hier nun die Chance gesehen, die glorreichen Zeiten der christlichen Spätantike Nordafrikas wieder aufleben zu lassen. Er sei dabei zu dem Schluss gekommen, dass das Auftauchen einer großen christlichen Armee vor Tunis dem Hafsidenherrscher die gewünschte Gelegenheit geben würde, ohne Ehrverlust das Christentum anzunehmen und so sein Reich als Christ weiterzuführen. Sollte der Herrscher allerdings eine Konversion verweigern, so sei Tunis und sein Umland immer noch eine leichte Beute, wo viele Reichtümer gewonnen werden könnten, da die Stadt lange nicht geplündert worden sei. Diese Mittel könnten dann dazu dienen, das Heilige Land zu erobern. Den Baronen wiederum sei ein Angriff auf Tunis sinnvoll erschienen, weil von dort regelmäßig militärische Unterstützung in Form von Kavallerie, Fußsoldaten und Waffen an den (vormals ayyubidischen, nun mamlukischen) Sultan von Kairo geleistet würden, die die Rückeroberung des Heiligen Landes erschwerten.<ref>Gaufredus de Bello loco, ''Vita Ludovici noni'', ed. Naudet, Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), S. 21-22: „Siquidem antequàm Dominus Rex hanc crucem ultimam assumpsisset, multos nuncios receperat à rege Tunicii, et similiter Rex noster plures nuncios remiserat ad eumdem. Dabatur etenim sibi a fide dignis intelligi, quod dictus rex Tunicii bonam voluntatem ad fidem chrstianam haberet, et valde de facili posset fieri christianus, dummodo occasionem honorabilem inveniret; et quod salvo honore suo, et absque metu Sarracenorum suorum hoc complere valeret. Unde Rex catholicus cum multo desiderio quandoque dicebat: ‘O si possem videre, quod fierem tanti filioli compater et patrinus!’ (…) Desiderabat quoque devotissime rex catholicus, ut christiana fides, quæ tempore beati Augustini, et aliorum orthodoxorum doctorum in Africa, et maxime apud Carthaginem, tam ab antiquo eleganter floruerat, nostris temporibus refloresceret et dilataretur ad honorem et gloriam Jesu Christi. Cogitavit itaque, quod si tantus exercitus tamque famosus apud Tunicium subito applicaret, dictus rex Tunicii vix posset apud Sarracenos suos tam rationabilem occasionem habere suscipiendi baptismum, videlicet ut per hoc posset mortem evadere tam sui ipsius, quam eorum qui secum vellent fieri christiani: et si etiam regnum suum sibi pacifice remaneret. (…) Præterea Regi dabatur intelligi, quod si omnino prædictus rex nellet fieri christianus, civitas Tunicii erat valde facilis ad capiendum, et per consequens tota terra. Suggerebatur insuper regi, quod civitas illa plena erat argento et auro, ac divitiis infinitis: ut pote quæ a multis retro temporibus a nullo fuerat expugnata. Unde sperabatur quod si, Deo volente, dicta civitas a christiano exercitu caperetur, ex thesauris ibidem inventis posset acquisitioni et restaurationi Terræ sanctæ multum efficaciter subveniri. Caeterum, cum de terra Tunicii venire soleret magnum subsidium soldano Babylonico tam in equitaturis, quam in armis et bellatoribus, in gravamen et nocumentum plurimum Terræ sanctæ; crediderunt barones nostri, quod si pestifera radix illa Tunnicii posset penitus extirpari, ex hoc Terræ sanctæ et toti christianitati utilitas maxima proveniret.“; Übersetzung: ''The Sanctity of Louis IX'', trans. Field, cap. 40-42, S. 116-119.</ref>
[§23] Geoffroy de Beaulieu (gest. um 1274) wiederum behauptet, Ludwig IX. sei im Rahmen eines Gesandtschaftsaustausches mit dem Hafsidenfürsten zu der Überzeugung gelangt, dass dieser bereit sei, zum Christentum zu konvertieren<ref>Zu diesem Motiv, vgl. Kedar, ''Crusade and Mission'', S. 161-169, sowie Siberry, Missionaries and Crusaders.</ref>, sollte sich eine Gelegenheit ergeben, die ihn nicht der Rache der Sarazenen aussetzen und es ihm ermöglichen würde, seine Ehre zu wahren. Ludwig IX. habe hier nun die Chance gesehen, die glorreichen Zeiten der christlichen Spätantike Nordafrikas wieder aufleben zu lassen. Er sei dabei zu dem Schluss gekommen, dass das Auftauchen einer großen christlichen Armee vor Tunis dem Hafsidenherrscher die gewünschte Gelegenheit geben würde, ohne Ehrverlust das Christentum anzunehmen und so sein Reich als Christ weiterzuführen. Sollte der Herrscher allerdings eine Konversion verweigern, so sei Tunis und sein Umland immer noch eine leichte Beute, wo viele Reichtümer gewonnen werden könnten, da die Stadt lange nicht geplündert worden sei. Diese Mittel könnten dann dazu dienen, das Heilige Land zu erobern. Den Baronen wiederum sei ein Angriff auf Tunis sinnvoll erschienen, weil von dort regelmäßig militärische Unterstützung in Form von Kavallerie, Fußsoldaten und Waffen an den (vormals ayyubidischen, nun mamlukischen) Sultan von Kairo geleistet würden, die die Rückeroberung des Heiligen Landes erschwerten.<ref>Gaufredus de Bello loco, ''Vita Ludovici noni'', ed. Naudet, Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), S. 21-22: „Siquidem antequàm Dominus Rex hanc crucem ultimam assumpsisset, multos nuncios receperat à rege Tunicii, et similiter Rex noster plures nuncios remiserat ad eumdem. Dabatur etenim sibi a fide dignis intelligi, quod dictus rex Tunicii bonam voluntatem ad fidem chrstianam haberet, et valde de facili posset fieri christianus, dummodo occasionem honorabilem inveniret; et quod salvo honore suo, et absque metu Sarracenorum suorum hoc complere valeret. Unde Rex catholicus cum multo desiderio quandoque dicebat: ‘O si possem videre, quod fierem tanti filioli compater et patrinus!’ (…) Desiderabat quoque devotissime rex catholicus, ut christiana fides, quæ tempore beati Augustini, et aliorum orthodoxorum doctorum in Africa, et maxime apud Carthaginem, tam ab antiquo eleganter floruerat, nostris temporibus refloresceret et dilataretur ad honorem et gloriam Jesu Christi. Cogitavit itaque, quod si tantus exercitus tamque famosus apud Tunicium subito applicaret, dictus rex Tunicii vix posset apud Sarracenos suos tam rationabilem occasionem habere suscipiendi baptismum, videlicet ut per hoc posset mortem evadere tam sui ipsius, quam eorum qui secum vellent fieri christiani: et si etiam regnum suum sibi pacifice remaneret. (…) Præterea Regi dabatur intelligi, quod si omnino prædictus rex nellet fieri christianus, civitas Tunicii erat valde facilis ad capiendum, et per consequens tota terra. Suggerebatur insuper regi, quod civitas illa plena erat argento et auro, ac divitiis infinitis: ut pote quæ a multis retro temporibus a nullo fuerat expugnata. Unde sperabatur quod si, Deo volente, dicta civitas a christiano exercitu caperetur, ex thesauris ibidem inventis posset acquisitioni et restaurationi Terræ sanctæ multum efficaciter subveniri. Caeterum, cum de terra Tunicii venire soleret magnum subsidium soldano Babylonico tam in equitaturis, quam in armis et bellatoribus, in gravamen et nocumentum plurimum Terræ sanctæ; crediderunt barones nostri, quod si pestifera radix illa Tunnicii posset penitus extirpari, ex hoc Terræ sanctæ et toti christianitati utilitas maxima proveniret.“; Übersetzung: ''The Sanctity of Louis IX'', trans. Field, cap. 40-42, S. 116-119.</ref>


Die Register Karls I. von Anjou liefern weitere Informationen. Der Bruder Ludwigs IX. hatte nach der Vernichtung der Staufer 1266 die Herrschaft über die staufischen Besitzungen in Süditalien übernommen. Die Registereinträge zeigen, dass von Seiten des angevinischen Herrschers 1268 Tributzahlungen aus Tunis erwartet, aber nicht geleistet wurden.<ref>Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 156, S. 382.</ref> Nach dem Kreuzzug dagegen ist dokumentiert, dass Karl I. von Anjou wieder entsprechende Zahlungen erhielt.<ref>Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 157, S. 382.</ref>
[§24] Die Register Karls I. von Anjou liefern weitere Informationen. Der Bruder Ludwigs IX. hatte nach der Vernichtung der Staufer 1266 die Herrschaft über die staufischen Besitzungen in Süditalien übernommen. Die Registereinträge zeigen, dass von Seiten des angevinischen Herrschers 1268 Tributzahlungen aus Tunis erwartet, aber nicht geleistet wurden.<ref>Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 156, S. 382.</ref> Nach dem Kreuzzug dagegen ist dokumentiert, dass Karl I. von Anjou wieder entsprechende Zahlungen erhielt.<ref>Mas Latrie, ''Traités de paix'', S. 157, S. 382.</ref>


Eine komplementäre Erklärung erfolgt in der sizilischen Chronik des Saba Malaspina (gest. 1297-98): Er kontrastiert die Motive Ludwigs IX. mit denjenigen Karls I. von Anjou, der, seinen Bruder ausnützend, „durch fremde Tugend“ (''virtute aliena'') sein Ziel zu erreichen suchte, von Tunis Tribut einzufordern. Dieser sei vom Herrscher von Tunis bisher gezahlt worden, um Getreidelieferungen aus Sizilien nach Tunis sowie die Sicherheit arabischer und berberischer Reisender vor sizilischen Piraten zu gewährleisten. Die Zahlungen seien aber in Reaktion auf die blutige Unterdrückung einer Rebellion in Sizilien verweigert worden. Letzteres habe Karl I. von Anjou, den eigentlichen Kriegstreiber, dazu motiviert, durch Manipulation seines Bruders auf einen Kreuzzug gegen Tunis hinzuarbeiten.<ref>Saba Malaspina, ''Chronica'', ed. Koller, Nitschke (MGH SS 35), lib. V, cap. 1, S. 228-29; Lower, ''The Tunis Crusade of 1270'', S. 144; ''Cronisti e scrittori'', ed. del Re, S. 293-294. Vgl. auch Dunbabin, ''Charles I'', S. 97-98, 100, 195-197.</ref>
[§25] Eine komplementäre Erklärung erfolgt in der sizilischen Chronik des Saba Malaspina (gest. 1297-98): Er kontrastiert die Motive Ludwigs IX. mit denjenigen Karls I. von Anjou, der, seinen Bruder ausnützend, „durch fremde Tugend“ (''virtute aliena'') sein Ziel zu erreichen suchte, von Tunis Tribut einzufordern. Dieser sei vom Herrscher von Tunis bisher gezahlt worden, um Getreidelieferungen aus Sizilien nach Tunis sowie die Sicherheit arabischer und berberischer Reisender vor sizilischen Piraten zu gewährleisten. Die Zahlungen seien aber in Reaktion auf die blutige Unterdrückung einer Rebellion in Sizilien verweigert worden. Letzteres habe Karl I. von Anjou, den eigentlichen Kriegstreiber, dazu motiviert, durch Manipulation seines Bruders auf einen Kreuzzug gegen Tunis hinzuarbeiten.<ref>Saba Malaspina, ''Chronica'', ed. Koller, Nitschke (MGH SS 35), lib. V, cap. 1, S. 228-29; Lower, ''The Tunis Crusade of 1270'', S. 144; ''Cronisti e scrittori'', ed. del Re, S. 293-294. Vgl. auch Dunbabin, ''Charles I'', S. 97-98, 100, 195-197.</ref>


Die Fortsetzung der Chronik des Matthaeus Paris wiederum schreibt Ludwig IX. das Ziel zu, das Heilige Land wiederzugewinnen. Tunis wird hier als Reisehindernis dargestellt, das es zur Erleichterung von Kreuzzügen zu unterwerfen gelte. Ihre Darstellung des abgeschlossenen Friedensvertrages impliziert, dass noch andere Motivationen im Spiel waren. Nach Aussage der Chronik stipulierte der Vertrag die Befreiung christlicher Gefangener und sollte die freie Predigt von Dominikanern und Franziskanern in den Klöstern des Hafsidenreiches sowie die Freiheit zur Konversion zum Christentum gewährleisten. Ferner befestigte er das Tributverhältnis des Hafsidenreiches zu Sizilien. Interessanterweise wird ein Schiffbruch der sizilischen Flotte bei der Rückkehr als Strafe Gottes für die Sünden Karls I. von Anjou gedeutet, dem damit keine gute Rolle in diesem Unternehmen zugewiesen wird.<ref>Matthaeus Paris, ''Historia major'', ed. William Wats, a. 1270-1271, S. 882-83; Matthew Paris, ''English History'', übers. Giles, Bd. III, a. 1270, S. 374-75, 377.</ref>  
[§26] Die Fortsetzung der Chronik des Matthaeus Paris wiederum schreibt Ludwig IX. das Ziel zu, das Heilige Land wiederzugewinnen. Tunis wird hier als Reisehindernis dargestellt, das es zur Erleichterung von Kreuzzügen zu unterwerfen gelte. Ihre Darstellung des abgeschlossenen Friedensvertrages impliziert, dass noch andere Motivationen im Spiel waren. Nach Aussage der Chronik stipulierte der Vertrag die Befreiung christlicher Gefangener und sollte die freie Predigt von Dominikanern und Franziskanern in den Klöstern des Hafsidenreiches sowie die Freiheit zur Konversion zum Christentum gewährleisten. Ferner befestigte er das Tributverhältnis des Hafsidenreiches zu Sizilien. Interessanterweise wird ein Schiffbruch der sizilischen Flotte bei der Rückkehr als Strafe Gottes für die Sünden Karls I. von Anjou gedeutet, dem damit keine gute Rolle in diesem Unternehmen zugewiesen wird.<ref>Matthaeus Paris, ''Historia major'', ed. William Wats, a. 1270-1271, S. 882-83; Matthew Paris, ''English History'', übers. Giles, Bd. III, a. 1270, S. 374-75, 377.</ref>  


Teile der in der Fortsetzung der Chronik des Matthaeus Paris gemachten Angaben werden durch die erhaltene arabische Version des Friedensvertrages bestätigt. Dieser verpflichtet die hafsidische Seite zum schon aus früheren Verträgen bekannten Schutz christlicher Händler und ihrer Einrichtungen im Hafsidenreich (§ 4, 7) im Gegenzug für entsprechenden Schutz von europäisch-christlicher Seite (§ 1-3). Er gestattet den Bau von Kirchen und Klöstern an zugewiesenen Plätzen, erlaubt darin die freie Predigt (§ 6) und ordnet die Freilassung christlicher Gefangener an (§ 8). Er verpflichtet die christlichen Truppen zum Abzug (§ 10), den Hafsidenfürsten zu einer Zahlung von 210.000 Unzen Gold (§ 12), einer Rückzahlung des ausstehenden Tributs der letzten fünf Jahre sowie zu einer jährlichen Tributzahlung in der doppelten Höhe dessen, was vormals an Friedrich II. gezahlt wurde (§ 20). Inwieweit diese Effekte des Kreuzzuges als Motivationen zur Durchführung der Kampagne nach Tunis interpretiert werden können, sei zunächst dahingestellt.<ref>Silvestre de Sacy, Mémoire sur le traité, S. 461-467 (franz. Übersetzung), S. 469-471 (arabisches Original). Einteilung in Paragraphen bei Mas Latrie, ''Traité de paix'', S. 93-96.</ref>  
[§27] Teile der in der Fortsetzung der Chronik des Matthaeus Paris gemachten Angaben werden durch die erhaltene arabische Version des Friedensvertrages bestätigt. Dieser verpflichtet die hafsidische Seite zum schon aus früheren Verträgen bekannten Schutz christlicher Händler und ihrer Einrichtungen im Hafsidenreich (§ 4, 7) im Gegenzug für entsprechenden Schutz von europäisch-christlicher Seite (§ 1-3). Er gestattet den Bau von Kirchen und Klöstern an zugewiesenen Plätzen, erlaubt darin die freie Predigt (§ 6) und ordnet die Freilassung christlicher Gefangener an (§ 8). Er verpflichtet die christlichen Truppen zum Abzug (§ 10), den Hafsidenfürsten zu einer Zahlung von 210.000 Unzen Gold (§ 12), einer Rückzahlung des ausstehenden Tributs der letzten fünf Jahre sowie zu einer jährlichen Tributzahlung in der doppelten Höhe dessen, was vormals an Friedrich II. gezahlt wurde (§ 20). Inwieweit diese Effekte des Kreuzzuges als Motivationen zur Durchführung der Kampagne nach Tunis interpretiert werden können, sei zunächst dahingestellt.<ref>Silvestre de Sacy, Mémoire sur le traité, S. 461-467 (franz. Übersetzung), S. 469-471 (arabisches Original). Einteilung in Paragraphen bei Mas Latrie, ''Traité de paix'', S. 93-96.</ref>  


Aus dieser Gegenüberstellung wird deutlich, dass Ibn Ḫaldūns Darstellung ein ganzes Bündel an Faktoren zur Seite gestellt werden muss, die den Kreuzzug nach Tunis lenkten. Auffällig ist, dass die christliche Historiographie, anders als Ibn Ḫaldūn, nichts zu dem internen Konflikt zwischen dem Hafsidensultan und seinem Funktionär al-Lulyānī noch zu Spannungen zwischen europäisch-christlichen Händlern und dem Hafsidensultan sagen. In ihrer Darstellung spielen Gefühle Ludwigs, Hoffnungen auf Konversion und v. a. auf Beute, strategische Überlegungen zur Wiedergewinnung des Heiligen Landes sowie ein intriganter Bruder eine entscheidende Rolle. Die Bedeutung Karls I. von Anjou wird durch die diplomatische Dokumentation bestätigt, in der die geforderten Tributzahlungen einen hohen Stellenwert haben. Dass der Friedensvertrag von 1270 den europäischen Christen in Tunis größere Rechte als vorher gesichert habe, ist mit Blick auf frühere Verträge zu verneinen. Das bei Wilhelm von Nangis und der Fortsetzung des Matthaeus Paris erwähnte Recht der freien Konversion zum Christentum wird im noch erhaltenen arabischen Vertragstext nicht genannt.<ref>Matthaeus Paris, ''Historia major'', ed. William Wats, a. 1270-1271, S. 882-83; Matthew Paris, ''English History'', übers. Giles, Bd. III, a. 1270, S. 374-75, 377; Guillelmus de Nangiaco, ''Chronicon'', ed. Joseph Naudet, ‎Pierre-Claude-François Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), Paris: Imprimerie royale, 1840, S. 543-582, hier: a. 1270, S. 563. </ref> Zur Stärkung europäisch-christlicher Rechte im Hafsidenreich wäre also kein Kreuzzug notwendig gewesen.
[§28] Aus dieser Gegenüberstellung wird deutlich, dass Ibn Ḫaldūns Darstellung ein ganzes Bündel an Faktoren zur Seite gestellt werden muss, die den Kreuzzug nach Tunis lenkten. Auffällig ist, dass die christliche Historiographie, anders als Ibn Ḫaldūn, nichts zu dem internen Konflikt zwischen dem Hafsidensultan und seinem Funktionär al-Lulyānī noch zu Spannungen zwischen europäisch-christlichen Händlern und dem Hafsidensultan sagen. In ihrer Darstellung spielen Gefühle Ludwigs, Hoffnungen auf Konversion und v. a. auf Beute, strategische Überlegungen zur Wiedergewinnung des Heiligen Landes sowie ein intriganter Bruder eine entscheidende Rolle. Die Bedeutung Karls I. von Anjou wird durch die diplomatische Dokumentation bestätigt, in der die geforderten Tributzahlungen einen hohen Stellenwert haben. Dass der Friedensvertrag von 1270 den europäischen Christen in Tunis größere Rechte als vorher gesichert habe, ist mit Blick auf frühere Verträge zu verneinen. Das bei Wilhelm von Nangis und der Fortsetzung des Matthaeus Paris erwähnte Recht der freien Konversion zum Christentum wird im noch erhaltenen arabischen Vertragstext nicht genannt.<ref>Matthaeus Paris, ''Historia major'', ed. William Wats, a. 1270-1271, S. 882-83; Matthew Paris, ''English History'', übers. Giles, Bd. III, a. 1270, S. 374-75, 377; Guillelmus de Nangiaco, ''Chronicon'', ed. Joseph Naudet, ‎Pierre-Claude-François Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), Paris: Imprimerie royale, 1840, S. 543-582, hier: a. 1270, S. 563. </ref> Zur Stärkung europäisch-christlicher Rechte im Hafsidenreich wäre also kein Kreuzzug notwendig gewesen.


Auch in einem anderen wichtigen Punkt, nämlich in seiner Darstellung der dem Kreuzzug vorausgehenden diplomatischen Kommunikation zwischen dem Hafsidensultan und dem französischen König, unterscheidet sich der Bericht Ibn Ḫaldūns von demjenigen der christlichen Quellen. Geoffrey de Beaulieu und, gleichlautend, Wilhelm von Nangis erwähnen zwar auch Verhandlungen, allerdings sind diese ganz anderer Natur.
[§29] Auch in einem anderen wichtigen Punkt, nämlich in seiner Darstellung der dem Kreuzzug vorausgehenden diplomatischen Kommunikation zwischen dem Hafsidensultan und dem französischen König, unterscheidet sich der Bericht Ibn Ḫaldūns von demjenigen der christlichen Quellen. Geoffrey de Beaulieu und, gleichlautend, Wilhelm von Nangis erwähnen zwar auch Verhandlungen, allerdings sind diese ganz anderer Natur.


Ibn Ḫaldūn zufolge schickt der Hafsidenherrscher erst dann einen Gesandten zu Ludwig IX., als er von dessen Kreuzzugsvorbereitungen hört. Ziel der Gesandtschaft ist es, den König notfalls durch Geldzahlungen von seinen Plänen abzubringen. Der König erweist sich in diesem Zusammenhang als gerissener Lügner, der erst das Geld einsteckt, dann aber an seinen Plänen festhält und so tut, als habe er nie Zahlungen erhalten. Den Bruch seines Versprechens, nie mehr muslimisch geführte Länder anzugreifen, entschuldigt er auf eine Art und Weise, „wie man das hinsichtlich ihres Fehlverhaltens schon gehört hat“ (''bi-mā yusmaʿ ʿanhum min al-muḫālafāt''). Das von den Gesandten erlittene Unrecht wird in Ibn Ḫaldūns Narrativ letztlich durch das Gedicht des ägyptischen Gesandten gerächt, der Ludwig IX. an seine vergangene Schmach erinnert, damit aber auch nichts erreicht.
[§30] Ibn Ḫaldūn zufolge schickt der Hafsidenherrscher erst dann einen Gesandten zu Ludwig IX., als er von dessen Kreuzzugsvorbereitungen hört. Ziel der Gesandtschaft ist es, den König notfalls durch Geldzahlungen von seinen Plänen abzubringen. Der König erweist sich in diesem Zusammenhang als gerissener Lügner, der erst das Geld einsteckt, dann aber an seinen Plänen festhält und so tut, als habe er nie Zahlungen erhalten. Den Bruch seines Versprechens, nie mehr muslimisch geführte Länder anzugreifen, entschuldigt er auf eine Art und Weise, „wie man das hinsichtlich ihres Fehlverhaltens schon gehört hat“ (''bi-mā yusmaʿ ʿanhum min al-muḫālafāt''). Das von den Gesandten erlittene Unrecht wird in Ibn Ḫaldūns Narrativ letztlich durch das Gedicht des ägyptischen Gesandten gerächt, der Ludwig IX. an seine vergangene Schmach erinnert, damit aber auch nichts erreicht.


Keine der christlichen Quellen enthält eine vergleichbare Situation. Geoffroy de Beaulieu und Wilhelm von Nangis berichten zwar von vielen Gesandten, die Ludwig IX. vom Herrscher von Tunis empfangen und auch an diesen geschickt habe (''multos nuncios receperat a rege Tunicii, et similiter Rex noster plures nuncios remiserat ad eumdem''). Zu einer Konfrontation kommt es hier jedoch nie. Vielmehr scheint die Kommunikation so vertrauensvoll, dass der König den Eindruck gewinnt (''dabatur etenim sibi a fide dignis intelligi''), der Hafsidenherrscher könnte tatsächlich gewillt sein, zum Christentum zu konvertieren. Beiden Autoren zufolge sollen die Gesandten des Hafsidenherrschers bei einem ihrer Besuche sogar der Taufe eines bekannten Juden in der Kirche des hl. Dionysios beigewohnt haben. In diesem Kontext soll der König die Gesandten zu sich gerufen und ihnen gegenüber in allerkatholischster Weise (''verbum plane catholicum perfectione fidei et charitatis'') behauptet haben, er würde liebend gerne den Rest seines Lebens in einem sarazenischen Gefängnis verbringen, wenn sich der Hafsidenherrscher nur bekehren würde.<ref>Godefridus de Bello loco, ''Vita Ludovici noni'', ed. Naudet, ‎Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), S. 21-22; Guillelmus de Nangiaco, ''Gesta sanctae memoriae Ludovici regis Franciae'', ed. Naudet, Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), S. 446-447.</ref> Es ist davon auszugehen, dass dieses Narrativ von den Autoren konstruiert wurde, einerseits um den Kreuzzug zu legitimieren, andererseits um Ludwigs IX. Frömmigkeit und Hingabe an die Rettung des Heiligen Landes hervorzuheben. Hierfür spricht, dass die Vita Geoffroys de Beaulieu im Rahmen der bald nach Ludwigs IX. Tod einsetzenden Diskussion zu seiner Heiligsprechung (1272-1297) als erstes „Beweisdokument“ diente und damit den Grundstein des Kanonisationsprozesses darstellte.<ref>Carolus-Barré, ''Procès de canonisation'', S. 29</ref>  
[§31] Keine der christlichen Quellen enthält eine vergleichbare Situation. Geoffroy de Beaulieu und Wilhelm von Nangis berichten zwar von vielen Gesandten, die Ludwig IX. vom Herrscher von Tunis empfangen und auch an diesen geschickt habe (''multos nuncios receperat a rege Tunicii, et similiter Rex noster plures nuncios remiserat ad eumdem''). Zu einer Konfrontation kommt es hier jedoch nie. Vielmehr scheint die Kommunikation so vertrauensvoll, dass der König den Eindruck gewinnt (''dabatur etenim sibi a fide dignis intelligi''), der Hafsidenherrscher könnte tatsächlich gewillt sein, zum Christentum zu konvertieren. Beiden Autoren zufolge sollen die Gesandten des Hafsidenherrschers bei einem ihrer Besuche sogar der Taufe eines bekannten Juden in der Kirche des hl. Dionysios beigewohnt haben. In diesem Kontext soll der König die Gesandten zu sich gerufen und ihnen gegenüber in allerkatholischster Weise (''verbum plane catholicum perfectione fidei et charitatis'') behauptet haben, er würde liebend gerne den Rest seines Lebens in einem sarazenischen Gefängnis verbringen, wenn sich der Hafsidenherrscher nur bekehren würde.<ref>Godefridus de Bello loco, ''Vita Ludovici noni'', ed. Naudet, ‎Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), S. 21-22; Guillelmus de Nangiaco, ''Gesta sanctae memoriae Ludovici regis Franciae'', ed. Naudet, Daunou (Recueil des historiens des Gaules et de la France 20), S. 446-447.</ref> Es ist davon auszugehen, dass dieses Narrativ von den Autoren konstruiert wurde, einerseits um den Kreuzzug zu legitimieren, andererseits um Ludwigs IX. Frömmigkeit und Hingabe an die Rettung des Heiligen Landes hervorzuheben. Hierfür spricht, dass die Vita Geoffroys de Beaulieu im Rahmen der bald nach Ludwigs IX. Tod einsetzenden Diskussion zu seiner Heiligsprechung (1272-1297) als erstes „Beweisdokument“ diente und damit den Grundstein des Kanonisationsprozesses darstellte.<ref>Carolus-Barré, ''Procès de canonisation'', S. 29</ref>  


Anhand einer Gegenüberstellung muslimischer und christlicher Darstellungen des Vorspiels zum Kreuzzug von Tunis lässt sich damit hervorragend herausarbeiten, wie hier unterschiedliche Kenntnisse und Wissenshorizonte ins Spiel gebracht, jeweils andere Kontexte erkannt, verschiedene Emotionen ausgelebt und auch ganz sicher unterschiedliche Agenden verfolgt wurden. Die verschiedenen, teilweise widersprüchlichen Darstellungen der mit diesem Kreuzzug verbundenen wirtschaftlichen, politischen, aber auch persönlichen Beziehungen machen deutlich, wie eng die nördlichen und südlichen Ufer des westlichen Mittelmeerraums Ende des 13. Jahrhunderts miteinander verflochten waren. Ibn Ḫaldūns Bericht ist deswegen von Bedeutung, weil er uns eine faktenreiche aber auch emotionalisierte Perspektive auf das Kreuzzugsgeschehen und seinen Vorlauf gibt. Anders als die christliche Historiographie liefert er uns einen Anhaltspunkt dafür, dass neben den Kreuzzugsidealen Ludwigs IX. und den Machenschaften Karls I. von Anjou vielleicht auch interne Spannungen zwischen europäisch-christlichen Händlern und lokalen Funktionären im Hafsidenreich dazu beitrugen, den Kreuzzug auszulösen. Anders als christliche Quellen, die Ludwig IX., wie Saba Malaspina, sogar in einer Opfersituation gegenüber seinem Bruder sehen können, zeichnet Ibn Ḫaldūn den französischen König als listigen und raffgierigen Tyrannen. Dieser hat das ihm von Seiten der Muslime erwiesene Vertrauen nicht nur tief enttäuscht, sondern sich letztlich auch gegenüber seinen christlichen Glaubensgenossen nicht als verantwortungsvoller König erwiesen. Im von Ibn Ḫaldūn zitierten Gedicht des ägyptischen Hofdichters Abū Maṭrūḥ bzw. Ibn Maṭrūḥ zeigt sich, dass nach muslimischer Auffassung Jesus nicht auf Seiten der Kreuzfahrer stand. Mit Verweis auf die vielen toten Christen, die Ludwig IX. zu verantworten habe, spricht ja der Dichter: „Möge Gott Dich an dieselbe Stelle schicken wie sie, / vielleicht hat dann Jesus Ruhe vor euch (''alhamaka llāh ilā miṯlihi / laʿalla ʿĪsā minkum yastarīḥ'')!“|6=Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Suhayl Zakkār und Ḫalīl Šaḥāda, 8 Bde., Beirut: Dār al-fikr, 2000-01, Bd. 6, S. 425-426.
[§32] Anhand einer Gegenüberstellung muslimischer und christlicher Darstellungen des Vorspiels zum Kreuzzug von Tunis lässt sich damit hervorragend herausarbeiten, wie hier unterschiedliche Kenntnisse und Wissenshorizonte ins Spiel gebracht, jeweils andere Kontexte erkannt, verschiedene Emotionen ausgelebt und auch ganz sicher unterschiedliche Agenden verfolgt wurden. Die verschiedenen, teilweise widersprüchlichen Darstellungen der mit diesem Kreuzzug verbundenen wirtschaftlichen, politischen, aber auch persönlichen Beziehungen machen deutlich, wie eng die nördlichen und südlichen Ufer des westlichen Mittelmeerraums Ende des 13. Jahrhunderts miteinander verflochten waren. Ibn Ḫaldūns Bericht ist deswegen von Bedeutung, weil er uns eine faktenreiche aber auch emotionalisierte Perspektive auf das Kreuzzugsgeschehen und seinen Vorlauf gibt. Anders als die christliche Historiographie liefert er uns einen Anhaltspunkt dafür, dass neben den Kreuzzugsidealen Ludwigs IX. und den Machenschaften Karls I. von Anjou vielleicht auch interne Spannungen zwischen europäisch-christlichen Händlern und lokalen Funktionären im Hafsidenreich dazu beitrugen, den Kreuzzug auszulösen. Anders als christliche Quellen, die Ludwig IX., wie Saba Malaspina, sogar in einer Opfersituation gegenüber seinem Bruder sehen können, zeichnet Ibn Ḫaldūn den französischen König als listigen und raffgierigen Tyrannen. Dieser hat das ihm von Seiten der Muslime erwiesene Vertrauen nicht nur tief enttäuscht, sondern sich letztlich auch gegenüber seinen christlichen Glaubensgenossen nicht als verantwortungsvoller König erwiesen. Im von Ibn Ḫaldūn zitierten Gedicht des ägyptischen Hofdichters Abū Maṭrūḥ bzw. Ibn Maṭrūḥ zeigt sich, dass nach muslimischer Auffassung Jesus nicht auf Seiten der Kreuzfahrer stand. Mit Verweis auf die vielen toten Christen, die Ludwig IX. zu verantworten habe, spricht ja der Dichter: „Möge Gott Dich an dieselbe Stelle schicken wie sie, / vielleicht hat dann Jesus Ruhe vor euch (''alhamaka llāh ilā miṯlihi / laʿalla ʿĪsā minkum yastarīḥ'')!“|6=Ibn Ḫaldūn, ''Tārīḫ'', ed. Suhayl Zakkār und Ḫalīl Šaḥāda, 8 Bde., Beirut: Dār al-fikr, 2000-01, Bd. 6, S. 425-426.


Ibn Khaldoun, ''Histoire des Berbères'', übers. William McGuckin de Slane, Bd. 2, S. 361-62 [französische Übersetzung].
Ibn Khaldoun, ''Histoire des Berbères'', übers. William McGuckin de Slane, Bd. 2, S. 361-62 [französische Übersetzung].
45

Bearbeitungen

Cookies helfen uns bei der Bereitstellung von Transmed Wiki. Durch die Nutzung von Transmed Wiki erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies speichern.

Navigationsmenü